Tod einer Untröstlichen: Die letzten Tage von Susan Sontag - David Rieff

  • Broschiert: 159 Seiten
    Verlag: Fischer (Tb.), Frankfurt; Auflage: 1 (5. Mai 2011)
    Sprache: Deutsch
    Originaltitel: Swimming in a sea of death


    Kurzbeschreibung
    Im März 2004 wurde bei Susan Sontag Leukämie in der schlimmsten Form diagnostiziert. Die Frau, die schon zweimal den Krebs überlebt und einen berühmten Essay darüber geschrieben hatte, beschloss, den Kampf gegen die Krankheit auch dieses Mal aufzunehmen. Ihr Sohn David Rieff beschreibt in seinem Erinnerungsbuch, was es für ihn bedeutete, einer wahrheitshungrigen Mutter in ihrem letzten Lebensjahr Lügen erzählen zu müssen. Sein Porträt ist zutiefst ergreifend und wirft Fragen auf, die jedermann angehen: Wie verhalten sich Angehörige, wenn der Kranke belogen werden will? Wie wird man mit Schuldgefühlen fertig? Was bedeutet es, in einer Kultur zu leben, die den Tod leugnet?


    Über den Autor
    David Rieff, 1952 geboren, ist politischer Schriftsteller und Journalist. Über die Krisengebiete der Welt schreibt er u.a. für die Zeitungen New York Times, Wall Street Journal, Washington Post, El País und Le Monde. Rief, das einzige Kind Susan Sontags aus ihrer frühen Ehe mit dem Soziologen Philip Rieff, lebt in New York City.Reinhard Kaiser, geboren 1950 in Viersen. 1968 Beginn des Studiums der Germanistik, Romanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie. Seit 1975 Übersetzer und Lektor für verschiedene Verlage. Seit 1989 Arbeit als freier Mitarbeiter für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u. a. Ernst Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis 1993, Deutscher Jugendliteraturpreis 1997, Geschwister-Scholl-Preis 2000. Der Autor lebt mit seiner Familie in Frankfurt/Main.


    Meine Meinung


    "Im Tal des Jammers breite deine Flügel aus."


    David Rieff beschreibt in "Tod einer Untröstlichen" den Moment der Diagnose - seine Mutter Susan Sontag erkrankt schwer an MDL, einer Form der Leukämie - bis zu dem Moment des Todes nur acht Monate später. Susan Sontag war bereits in den siebziger Jahren an Krebs erkrankt, konnte ihn damals jedoch besiegen. Auch eine zweite Krebserkankung überstand sie, trotz schlechter Prognose. Als sie an MDL erkrankt, machen ihr die Ärzte von Anfang an wenig Hoffnung auf eine Heilung. Dennoch ist Susan Sontag an keiner Stelle bereit aufzugeben, sie kämpft um jeden weiteren Tag, den sie erleben kann. Aufgrunddessen entscheidet sie sich auch zu einer Knochenmarktransplantation, die ihr eigentlich nur noch wenig Hoffnung verspricht - für mich spricht daraus sowohl die Hoffnung zu überleben, aber auch ein ungeheurer Wille und natürlich auch ein Stück weit Angst vor dem Tod. Diese Angst Susan Sontags vor dem Sterben durchzieht das ganze Buch. David Rieff zitiert einen Satz von Marguerite Duras, der Susan Sontags Befürchtungen und Ängste sehr gut beschreibt: "Ich kann mich nicht damit abfinden, nichts zu sein." An keiner Stelle ihrer Erkrankung lässt Sontag den Gedanken an das Sterben zu; dazu möchte sie auch einfach noch zu viel erleben: Bücher lesen, Theaterstücke besuchen und vor allem auch Texte schreiben. Auch zu diesem Zeitpunkt gibt es noch so viel, was sie schreiben möchte. So vieles, zu dem sie noch nicht gekommen ist.
    Für David Rieff steht im Mittelpunkt vor allem die schwierige Rolle für die Angehörigen und die Frage, wie man einem todkranken Menschen Hoffnung geben kann. Oder ob man diesem Menschen überhaupt Hoffnungen machen darf. Rieff hat sich dazu entschieden seine Mutter in einem auswegslosen Kampf zu bestärken und aus seinen Worten spricht vor allem sehr viel Schuld. Hätte er - statt seine Mutter in einer sinnlosen Hoffnung zu bestärken - nicht viel eher die Hoffnung "umlenken" sollen und die Perspektive auf den Sterbeprozess zu richten, um ihr damit möglicherweise die Angst vor dem Sterben zu nehmen.


    An vielen Stellen zitiert David Rieff aus den Tagebüchern seiner Mutter, was das Buch sehr intim und persönlich erscheinen lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob dies der Wunsch seiner Mutter gewesen ist. Ob ihr Einverständnis vorgelegen hat. Das, was Rieff schreibt vermittelt den Eindruck, als hätte er zeitlebens ein distanziertes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt - auch im Tod kommen sich die beiden nicht näher. Aber vielleicht ist er seiner Mutter durch das Schreiben dieses Buches ein bisschen näher gekommen.



    Für mich steht das Buch von David Rieff in einer Reihe mit Joan Didions "Das Jahr des magischen Denkens" und "Der Tod meiner Mutter" von Georg Diez. Es fällt mir schwer ein abschließendes Urteil in Punkten zu fällen, deshalb möchte ich mich darauf beschränken, dass ich denke, dass "Tod einer Untröstlichen" ein sehr wichtiges Buch ist, vielleicht weniger für Erkrankte, sondern vor allem für die Angehörigen und Freunde von Erkrankten.

  • Das Buch klingt interessant!

    Zitat

    Original von buzzaldrin
    An vielen Stellen zitiert David Rieff aus den Tagebüchern seiner Mutter, was das Buch sehr intim und persönlich erscheinen lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob dies der Wunsch seiner Mutter gewesen ist. .


    Im Vorwort von Susan Sontags Tagebüchern 1947 - 1963, die David Rieff nach ihren Tod veröffentlichte schreibt er darüber, das Susan Sontag zu ihren Tagebüchern keine Anweisungen hinterlassen hatte. Sie glaubte wohl bis zuletzt daran, nicht zu sterben, also auch keine Anweisungen für ihren literarischen Nachlass treffen zu müssen.
    Für ihren Sohn war es sicher kene einfache Entscheidung. Als Leser bin ich froh, dass er so entschieden hat.

  • @HerrPalomar
    Danke für deine zusätzlichen Informationen, das habe ich nicht gewusst. Als Leser bin ich auch froh, dass er so entschieden hat - beim Lesen des Buches habe ich mich nur manchmal gefragt, ob Susan Sontag damit einverstanden gewesen wäre. Eine leichte Entscheidung ist das für ihren Sohn bestimmt nicht gewesen.


    Zitat

    Original von Babyjane
    Untröstlich oder unsterblich???


    Untröstlich. Da muss bei mir wohl ein Freudscher Verschreiber vorgelegen haben. Wobei in gewisser Hinsicht sicherlich auch beides passen würde.

  • „Tod einer Untröstlichen“ - ein Paradox für mich, denn wirklich gerne gelesen habe ich es nicht, aber es hat mich ungemein gefesselt. Beides lag am Thema, an Susan Sontag, daran, dass dies nun der Bericht ihres Sohnes ist. Seltsamerweise lag es auch an David Rieffs großer Ehrlichkeit, an seinem Versuch zu erklären, den Leser an dem Geschehen teilnehmen zu lassen, was ihm in meinem Fall bestens gelungen ist. Als wohltuend habe ich empfunden, dass diese Ehrlichkeit aber die letzte, intimste Offenheit ausschließt; ich erfahre in diesem Buch genug über Susan Sontags letzte Tage, um mir ausmalen zu können, was ihr Leid im Einzelnen bedeutet hat.


    Dieses Buch hat mich traurig gemacht, nicht so sehr das Buch an sich, auch nicht, dass nun ausgerechnet Susan Sontag ihrer dritten Krebserkrankung erliegen würde, sondern die Tatsache, dass sie derart unversöhnt mit dem Tod bzw. ihrem Tod war. Den eigenen Tod als Teil des eigenen Lebens annehmen zu können, ja den Tod als Teil des Lebens an sich zu begreifen, dieses Wissen geht leider heute immer mehr verloren, besser gesagt, es wird immer mehr verdrängt.


    Und es hat mich traurig gemacht, dass für David Rieff wie für so viele andere Angehörige, die irgendwann zu Hinterbliebenen werden, der Zorn weiter schwelt, dass er wie viele andere auch sich immer noch und immer weiter mit Schuldgefühlen plagen muss, dass er wie die meisten Zurückgelassenen weiß, dass beides niemals so ganz aufhören wird. „Hätte ich doch...“, neben den Erinnerungen, die aber, so sagt man, im Laufe der Zeit blasser werden, scheint das auf ewig zu bleiben, zumindest bis zum eigenen Tod.


    „Tod einr Untröstlichen“ ist mir wichtig geworden, obwohl ich nicht immer einer Meinung mit David Rieff bin. Ein nachdenkliches, nach-denkenswertes Buch.