Ich gebe zu, ich habe eine voyeuristische Ader, aber dieser Bildband bietet viel mehr als die Möglichkeit zu illern, wie fremde Menschen so leben.
In einem, wie ich finde, sehr spannenden Projekt (das vor Jahren auszugsweise im Geo erschien) werden Familien und ihre Habseligkeiten rund um den Globus portraitiert: afrikanische Hirten und europäische Mittelstandsfamilien, eine Großfamilie aus West Samoa, eine Kleinfamile in Japan und viele mehr.
Zur Einstimmung auf jedes Portrait zeigt ein großes Foto zunächst die Familien, im Freien, umgeben von ihren Besitztümern. Schon dieser Einstieg ist beeindruckend, macht er doch mit einem Blick die unterschiedlichen Lebenswelten erfassbar. Sind es in den armen Ländern oftmals Dinge, die das Überleben der Familie sichern, landwirtschaftliche Werkzeuge, Webrahmen oder Vieh, kontrastiert das umso dramatischer mit dem Plunder, den Familien aus hochentwickelten Ländern so anhäufen.
Andererseits gibt es doch Dinge, die sich wie ein roter Faden durch sämtliche Kulturen ziehen: In vielen „Gruppenbildern mit Dingen“ stehen religiöse Symbole im Vordergrund: Das ist die stolz präsentierte Familienbibel einer US-amerikanischen Suburbia-Familie, Bilder von Hindugöttern bei indischen Bauern oder die Buddhastatue in der mongolischen Jurte. (Ein weiteres quasi-religiöses Symbol, das gerne im Zentrum der Bilder auftaucht ist, der Fernsehapparat).
Doch mit diesen „komponierten“ Bildern ist es nicht getan. Zu jeder Familie kommen noch verschiedene Fotos, die die Menschen in ihrem Alltag zeigen, beim Essen, Arbeiten oder auch Entspannen, ein kurzer Text erzählt vom Leben, den Nöten und Alltagsfreuden dieser Menschen. Schließlich gibt es noch einen kleinen Abriss zur politischen Entwicklung des jeweiligen Landes und einige statistische Kenngrößen wie Pro-Kopf-Einkommen, durchschnittliche Lebenserwartung oder Säuglingssterblichkeit.
Dieses Buch ist nicht gerade aktuell, 1995 erschienen, sind die meisten Fotos um 1993 entstanden. Sarajevo war zu Zeiten der Aufnahmen noch belagert, Argentinien stand seine Staatspleite noch bevor und im Irak saß Saddam Hussein noch fest im Sattel. Umso spannender sind diese Momentaufnahmen einer gar nicht so fernen Vergangenheit, als die Welt zwar irgendwie noch ein ganz andere war, aber eigentlich doch noch sehr vertraut.
Durch die Offenheit, mit denen die Portraitierten ihre zumindest materielles Dasein offenbaren, ergibt sich eine seltsame Vetrautheit selbst mit ecuadorianischen oder usbekischen Kleinbauern. Es würde mich wirklich brennend interessieren, wie diese Familien heute dastehen, ob sich ihre Wünsche erfüllt haben und ich hoffe, dass sie die Katastrophen der letzten 15 Jahre einigermaßen heil überstanden haben.
Dieser Bildband ist ein Augenschmaus, der einem zudem einiges zum Nachdenken gibt, über den Wert materieller Dinge, aber auch über das Wesen der Menschheit. Rührend ist da der äthiopische Bauer, der sich für die Zukunft neben einer weiteren Kuh und einer Batterie für sein Radio Frieden in seiner Region und auf der ganzen Erde wünscht