Originaltitel: Acts of Violence (2009)
Random House Audio 2011, 4 CDs, gekürzte Lesung, ca. 303 Min.
Über den Inhalt:
Es ist vier Uhr früh, als sich Katrina Marino auf den Heimweg macht. Die Straßen sind menschenleer, trotzdem hat Katrina das Gefühl, beobachtet zu werden. Als sie sich wenig später ihrer Haustür nähert, nimmt sie aus dem Augenwinkel eine Gestalt wahr. Noch bevor sie reagieren kann, ist der Angreifer über ihr und sticht mit einem Messer auf sie ein. Katrina fängt an zu schreien. Katrinas Nachbarn hören ihre Schreie. Alle schauen aus ihren Fenstern, doch wer unternimmt etwas?
Über den Autor:
Ryan David Jahn wuchs in Arozona, texas und Kalifornien auf. Mit sechzehn Jahren verließ er die Schule, um in einem Plattenladen zu arbeiten. Seit 2004 arbeitet er als Drehbuchautor für Film und Fernsehen. Er lebt mit seiner Frau Mary in Los Angeles. „Ein Akt der Gewalt“, Ryan David Jahns erster Roman, wurde mit dem renommierten Debut Dagger Award ausgezeichnet.
Über den Sprecher:
David Nathan, die deutsche Stimme von u.a. Christian Bale und Johnny Depp, ist einer der gefragtesten Hörbuchsprecher Deutschlands und ein Experte für Nervenkitzel. Für Random House Audio hat er neben mehreren Stephen-King-Hörbüchern zuletzt die Hörbücher zu Guillermo del Toros „Die Saat“ und „Das Blut“ sowie Justin Cronins „Der Übergang“ eingelesen.
Meine Meinung:
Der Roman basiert auf einer wahren Begebenheit, dem Mord an Kitty Genovese, und ging als der Bystander-Effekt in die Geschichte ein, weil 38 Personen in der Nachbarschaft das Verbrechen mitbekamen, die Schreie hörten und keiner von ihnen etwas unternahm.
Eine Nacht im Jahr 1964 in New York: um vier Uhr morgens wird eine junge Frau auf dem Nachhauseweg von der Arbeit an ihrer Haustür niedergestochen und vergewaltigt. Viele Menschen in der Nachbarschaft sind noch oder bereits wach, hören Katrinas Schreie, reagieren aber nicht darauf. Niemand kommt der schwer verletzten Frau zu Hilfe. Erst zwei Stunden nach der Tat erscheint der Krankenwagen, dessen Besatzung findet Katrina gerade noch lebend vor. Sie stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.
Was in diesen zwei Stunden passiert, erzählt Ryan David Jahn spannend und temporeich. In kurzen Kapiteln schildert er detailliert die brutale Tat und spart nicht mit drastischen Beschreibungen. Diese Szenen werden immer wieder abgelöst durch Momentaufnahmen aus den Wohnungen der Nachbarn und Anwohner. Die sind zur Tatzeit wach und mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Der Blick hinter die hell erleuchteten Fenster konfrontiert mit Themen wie Ehebruch, Erpressung, Homosexualität, Pädophilie, Sterbehilfe und Polizeibrutalität. Die Perspektive wechselt mit jedem Kapitel, Jahn springt von Charakter zu Charakter, wobei einige der Handlungsstränge miteinander interagieren.
Die Reaktionen der Menschen sind nur auf sich selbst ausgerichet, hier gibt es nicht wirklich etwas zu erklären oder zu rechtfertigen, sondern Jahn setzt ihr Leben, ihre Anliegen und ihre Selbstachtung gegen die brutale Tötung des Opfers.
Als Thriller würde ich das Buch nicht unbedingt bezeichnen, eher als psychologische Studie. Jahns glatter Stil schafft eine voyeuristische Distanz zwischen dem Leser und den Figuren. Er zeigt auf, wie das großstädtische Leben zur Vereinsamung führen kann, bis jeder nur noch auf seiner eigenen Insel lebt. Sehr plastisch wird uns vor Augen geführt, warum die Menschen nicht eingreifen, da sie mit ihren eigenen kleinen und großen Problemen beschäftigt sind. „Ich wollte da nicht hineingezogen werden.“ Apathie triumphiert über Verantwortung. Jahn schafft es hervorragend, die Ungeheuerlichkeit dieser Nacht vor Augen zu führen und weckt ein Gefühl des Zorns, der Hilflosigkeit, der Fassungslosigkeit und auch der Resignation. Ob es auf so engem Raum wie diesem Appartmentkomplex wirklich eine derartige Anhäufung von Konflikten gibt, die alle in derselben Nacht thematisiert werden, sei dahingestellt.
David Nathan zuzuhören ist immer ein Genuss. Er hat ein gutes Gespür für Stimmungen und gibt die Intensität der Geschichte hervorragend wieder.
Ach ja: Im Original heißt das Buch „Acts of Violence“. Der Plural passt meiner Meinung nach viel besser als der Singular des deutschen Tites.