Der letzte Grieche - Aris Fioretos

  • Gebundene Ausgabe: 415 Seiten
    Verlag: Hanser; Auflage: 3 (7. Februar 2011)
    Sprache: Deutsch
    Originaltitel: Den siste greken


    Kurzbeschreibung
    Jannis Georgiadis, Sohn eines Bauern aus Griechenland, verlässt seine Heimat Mitte der sechziger Jahre, um seiner Jugendliebe nach Schweden zu folgen. Vorübergehend findet er dort das Paradies: Er träumt von einem Studium der Hydrologie und verliebt sich in das schwedische Kindermädchen. Doch als sich viel zu früh ein Kind einstellt, scheitert nicht nur eine der Zukunftsvisionen des griechischen Gastarbeiters. Aris Fioretos' Geschichte über Familie, Migration, Erinnerungen und Lebenslügen ist ein virtuoser Roman über das 20. Jahrhundert in Europa.


    Über den Autor
    Aris Fioretos, geboren 1960 als Sohn griechisch-österreichischer Eltern im schwedischen Göteborg. Nach Studien- und Forschungsjahren im Ausland Arbeit nun als Schriftsteller in Stockholm und Berlin. Veröffentlichung mehrerer Prosa- und Essaybände sowie Romanen; Übersetzungen von u. a. Paul Auster, Friedrich Hölderlin und Vladimir Nabokov ins Schwedische.


    Meine Meinung


    "Warum die Erinnerungen gestückelt werden müssen? Geteilter Schmerz ist gelinderter Schmerz."


    Der Held in Aris Fioretos Roman "Der letzte Grieche" ist der junge Mann Jannis Georgiadis. An anderen Stellen wird dieser auch als schwedischer Herakles oder Himmelsstürmer bezeichnet. Zuhause war Jannis einen Großteil seines Lebens im 149-Seelen-Dorf Áno Potamiá. Durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Umständen wandert Jannis aus nach Schweden, in das kleine Dorf Balslöv am Rövarlövsee. Von der Bewohnerzahl macht dieser Umzug kaum einen Unterschied: Balslöv besteht aus 125 Einwohnern. Hilfe bekommt er in Schweden von Doktor Florinos, der auch Grieche ist und Jannis bei sich und seiner Familie aufnimmt. In den folgenden Jahren erlebt Jannis eine Vielzahl an schönen Dingen - er lernt Schlittschuhfahren, verliebt sich in Agneta - aber auch viele sehr traurige.


    Unterlegt ist die Geschichte mit einem fiktiven Hintergrund, da Aris Fioretos behauptet ein angebliches Manuskript herauszubringen: im Vorwort berichtet er, dass dieses Manuskript von einem Griechen mit dem Namen Kostas verfasst wurde, der kurz vor Jannis Tod eine Schachtel mit Karteikarten erhalten hat. Diese Karteikarten sind angeblich Teil der sogenannten "Enzyklopädie über Auslandsgriechen", an der seit 1922 geschrieben wird. Aris Fioretos gelingt es glaubhaft mit dieser angeblichen Herausgeberschaft zu spielen.


    Das Besondere bei "Der letzte Grieche" ist sicherlich, dass alle Geschichten auf den Karteikarten durcheinander - kreuz und quer - erzählt werden. Eine Anekdote folgt der nächsten, ohne dass man von Anfang an den Zusammenhang erkennen könnte. Dennoch lässt sich das Buch flüssig lesen, auch wenn die Erinnerungen gestückelt sind.


    Obwohl der Autor dem Buch also den Charakter einer historisch korrekten Erzählung - an manchen Stellen wird sogar von einem Sachbuch gesprochen - geben möchte, ist die Erzählweise in "Der letzte Grieche" für mich sehr postmodern. Verspielt, verschwurbelt und trotz vieler trauriger Gedanken, durchzogen von einer gewissen Komik. Genau dies ist auch einer der wichtigsten Aspekte an dem Buch für mich: trotz einer gewissen Traurigkeit und einer ernsten Grundthematik gelingt es Aris Fioretos die Geschichte mit einer gewissen Leichtigkeit zu erzählen. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass Jannis nicht wie viele andere Emigranten aus politischen Gründen flüchtet, sondern weil er seinen Stall beim Pokern an den Weinhändler verloren hat.


    Erinnert hat mich "Der letzte Grieche" an "Der Turm" von Uwe Tellkamp. Es ist sicherlich keine leichte und flotte Lektüre für Zwischendurch und als Leser muss man sich auf den Schreibstil einlassen können und auch ein bisschen Arbeit investieren. Diese Arbeit lohnt sich jedoch, da man mit einem schönen Lektürerlebnis belohnt wird.


    9 Punkte.

  • Wunderbar! Vielen Dank buzz :wave
    Ich habe das Buch letzte Woche für mich in der Stadtbücherei zurücklegen lassen, muss ich´s nur noch abholen und lesen :-]

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Diese Rezi hört sehr interessant an. Herzlichen Dank für diese Buchvorstellung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Nachdem ich das Buch vor einigen Monaten schon einmal angefangen und bei Seite gelegt hatte, hat es nun eine zweite Chance bekommen - und zu Recht.


    Die ersten ~50 Seiten fand ich recht schwer verdaulich, es gibt viele Zeitsprünge, nicht näher erläuterte Handlungen und Personen mit gleichem Namen. Aber wenn man dieses erste Durcheinander erst einmal überwunden hat, lässt sich das Buch flüssig lesen und besitzt neben einem traurigen Einschlag auch immer etwas Komisches. Und spätestens nachdem man das Buch zu Ende gelesen hat, versteht man dann auch das Vorwort :grin


    Insbesondere am Anfang hätte ich eine Karte mit den wichtigsten Handlungsorten ganz praktisch gefunden, aber notfalls kann man natürlich selbst auf der Karte nachschauen, wenn einem die Vorstellung fehlt. Im Hardcover findet sich dafür in den Umschlagsseiten der Stammbaum des Protagonisten sowie einer anderen wichtigen Familie.


    Mich hat das Buch jedenfalls spätestens ab der Mitte in den Bann gezogen und zunehmend Sympathie zu Jannis, dem Pechvogel, fassen lassen.


    Von mir gibt's ebenfalls 9 Punkte.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Es freut mich, dass dir das Buch auch gefallen hat, saz. Bisher hatte es ja nicht so überragendes Interesse bei den Eulen geweckt, was ich sehr schade finde, aber auch erklärbar, da der Einstieg in das Buch wirklich nicht so leicht war. Auf den ersten Seiten war ich auch immer wieder kurz davor, das Buch in die Ecke zu pfeffern und abzubrechen, aber wenn man sich da erstmal durchgekämpft hat, lohnt es sich wirklich ... :-)