Schlafes Bruder - Robert Schneider

  • Ist eigentlich auch schon wieder Jahre her das ich dieses Buch zuletzt gelesen habe, aber ähnlich wie der Film hat auch das Buch bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich würde es nach wie vor unter die besten 20 Bücher die ich je gelesen hab setzen, und das heißt schon was... auf jedenfall 9/10 Punkten

  • Die Sprache und die Atmosphäre in "Schlafes Bruder" hat mir unglaublich gut gefallen. Es hat mich beeindruckt, wie intensiv die Geräusche, die Elias wahrnimmt, geschildert werden. Erinnert auch etwas an "Das Parfum". Trotzdem hat mich das Buch nicht richtig mitgerissen oder gefesselt bzw. habe ich komischerweise sehr lange dafür gebraucht - obwohl es ja recht kurz ist.


    Ich weiß nicht, ob das am Buch lag, oder daran, dass ich zu der Zeit etwas im Stress war. Irgendwie konnte ich mich nicht so richtig darauf einlassen, was ich schade finde. Ich glaube nämlich, dieses Buch wirkt vielleicht dann am besten, wenn man es möglichst in einem Stück, oder zumindest ein einigen wenigen "Sitzungen" liest. So musste ich mich immer wieder in Elias' Welt hineinfinden.


    Im Moment bin ich ein wenig zwiegespalten in meiner Meinung. Ein sprachlich ganz toller Roman, der mich aber nicht ganz in seinen Bann ziehen konnte, dem ich aber vielleicht später (mit mehr Ruhe) nochmal eine zweite Chance geben werden.

  • Hier wird so viel negatives über die Sprache geschrieben, dabei frage ich mich, was hätte es denn für ne Sprache sein sollen? LenaSprech im sächsischen Dialekt?
    Ich mag die Musik von Manowar und zappe sofort weiter wenn ich den blöden Silbereisen im TV sehe. Aber wenn ich im Bierzelt auf dem Münchner Oktoberfest stehe, will ich den Silbereisen und wäre erschreckt wenn auf einmal Manowar die Musi spült.
    So auch in diesem Buch. Ich habe nicht mehr im Kopf wann und wo es sich begab, das mit dem Elias, aber ich denke Ende des 19 Jahrhunderts irgendwo in einem winzig kleinen Tiroler Bergdorf, wo sie sicherlich bis zum heutigen Tage die Hexenverbrennung nicht abgeschafft haben. Und da liegt der Hund begraben: Die Sprache ist absolut zeit- und ortsgemäß. Man muss halt beim Lesen bedenken dass es sich um ein Tiroler Dorfnest handelt in dem jeder besser über den anderen Bescheid weiss als er selbst, Intrigen und Misstrauen zum Pflichtprogramm eines jeden Einzelnen gehören und man vor lauter Gottesgläubigkeit und Aberglauben fast nicht zum Leben kommt. In einer solchen Welt ist so einer wie der Elias wie eine Heerschar von UFOs heute Abend über Oberhausen.
    Wer sich auf diese Welt MIT ihrer Sprache einlässt, was zugegeben nicht ganz so einfach ist, sollte die KleenexTücher bereit legen, denn er/sie erlebt eine der schönsten unglücklichen Liebesgeschichten die je in Buchform das Licht der Welt erblickten.
    Unglücklich deshalb weil sie nicht erfüllt wird, zumindest nicht von beiden Seiten. Nicht erwidert wird? Nein, so einfach, wie einige Vorredner, kann man es sich nicht machen, denn so ganz ist das nicht der Fall. Es ist viel komplizierter, halt so wie die Liebe nun einmal ist.
    Aber apropos Liebe: Liebe wir denn unseren Partner wirklich? Was ist in der Zeit unseres Schlafes, in unseren Träumen? Lieben wir ihn auch da? Oder beschäftigen wir uns dabei doch mit was anderem, oder gar jemand anderem?
    Diese Gedanken kreisen halt dem Elias durch den Kopf und dabei ist er auf etwas gestoßen was sich eigentlich jede romantisch veranlagte Büchereule herbei wünscht: Die einzig wahre große Liebe, mit allen Konsequenzen, bis hin zu des Schlafes Bruder.......


    Mein absoluter Favorit in Sachen Herzschmerz und von daher volle 10 Punkte.

  • Meine Meinung:


    "Schlafes Bruder" gehört zu meinen Lieblingsbüchern und ich habe es eben zum wiederholten Mal gelesen. Das Buch hat mich erneut mitgerissen und begeistert.


    Meine Begeisterung hat mehrere Gründe:
    – die besondere Sprache
    – die Behandlung universeller Themen sowie
    – die enorme Deutungsvielfalt, die in dem Buch steckt


    Die Sprache ist etwas eigenes, eine Mischung aus Dialekt und altertümlichen Formulierungen. Insofern passt die Sprache sowohl zum Ort (Eschberg im Vorarlbergischen), als auch zur Zeit der Romanhandlung (streng genommen die Lebensdaten des Protagonisten, also 1803 – 1825; eigentlich jedoch weit rückständiger, so heißt es bspw. auf Seite 155: "Die Zeit des mittelalterlichen Schlafs neigte sich auch in Eschberg dem Ende zu, und in den vorarlbergischen Städten hatten bereits waghalsige Spekulanten damit begonnen, kuriose Bauwerke zu errichten, welche sie hernach mit dröhnenden Ungetümen aus Eisen auffüllten.").


    Es werden viele große Themen angesprochen und mehr oder weniger ausführlich dargestellt. Man liest von der Liebe (in unterschiedlichen Varianten, so z. B. die unglückliche Liebe, die nicht ausgesprochene Liebe, die homosexuelle Liebe), vom Tod und vom eigenen Beschluss zu sterben, von einer ungewöhnlichen musikalischen Begabung und Berufung, von Freundschaft und deren Bedingungen, von der Bedeutung von Zielen und tiefen Gefühlen für das Leben, von Gewalt und deren Weiterreichen an andere, Schwächere …


    Dies alles wird nicht etwa allgemeingültig und in sich abgeschlossen dargestellt, sondern deutungsoffen. Das Buch strotzt nur so vor Symbolik und Andeutungen, was viele Deutungsmöglichkeiten, Auslegungen und Interpretationen zulässt. Der Leser ist gefordert. Das Buch vermittelt von Beginn an eine seltsame, unterschwellig bedrohliche und nebulöse Stimmung und man fragt sich sofort, was hier eigentlich los ist.


    Die Romanhandlung wird nicht streng chronologisch erzählt, was ebenfalls zum Mitdenken anregt und keine Langeweile aufkommen lässt. Zwischen den Ereignissen um die Hauptperson sind zudem immer wieder Lebensgeschichten anderer Dorfbewohner eingefügt. Auch dies empfand ich als sehr passend, man denke nur an Dorfgemeinschaften, in der jeder jeden kennt und jeder über jeden tratscht, diese kleinen Episoden haben das Buch rund gemacht.


    Dafür gibt‘s von mir die volle Punktzahl.

  • Ich kann mich Rika und Muckelfloh nur anschließen. (Nach diesen tollen Rezis würde ich mit meinen eigenen Worten sowieso nicht mehr mithalten können. ;-)) Ich habe es im Deutsch- Lk gelesen. (Ist das lange her) Die Sprache ist hervorragend, die Stimmung ist in dem Buch sehr gut eingefangen. Auch bei mir hat es einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Der Film ebenso. Die Rolle des Elias ist mit Andre Eisermann m.E. nach ideal besetzt.
    Jetzt habe ich richtig Lust bekommen, dieses Buch nochmal zu lesen. Ich gehe mal kramen. :-]

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Das Wichtigste wurde eigentlich schon gesagt.
    Ich bin noch vollkommen geplättet. Was für ein großartiges Buch! :anbet Mir ist lange nichts mehr untergekommen, was mich dermaßen gefesselt hätte.
    Dass "Schlafes Bruder" noch keine 20 Jahre alt ist, hätte ich bei der Lektüre auch nicht gedacht. Schneiders Art zu schreiben... :wow
    Weil hier so sehr darauf hingewiesen wird: die Liebesgeschichte ist zwar extrem wichtig für diesen Roman, allerdings steht sie (in meinen Augen) nicht unbedingt im Vordergrund. Es werden so viele Themen angesprochen... Anders formuliert: selbst mir als absoluter Schnulzenverächterin war das Ganze nicht zu übertrieben. :-]

  • Ich schließe mich mal den Vorredner an [wobei es weitaus mehr begeisterte Leser sind, als ich mir gedacht habe, da mir bis auf den einen Menschen, der mir das Buch effektiv in die Hand gedrückt hat, alle davon abgeraten haben. Liegt aber wohl teilweise daran, dass es gerne als Schullektüre genommen wird und viele Schüler das Buch dann aus Prinzip scheiße finden :chen].
    Jedenfalls war ich traurig, als das Buch zu Ende war und ich habe die Lektüre der letzten Seiten ziemlich hinaus gezögert. Ich fand, dass man über Elias und seine Welt noch so viel mehr erzählen könnte. Ebenso über Peter und Elsbeth. Aber dieses sparsame Erzählen ist es auf der anderen Seite, was das Buch wohl ausmacht, ebenso wie der unverwechselbare Stil, dieses bäuerlich Primitive, das für mich einfach den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
    Ich bin normalerweise kein Freund von Liebesgeplänkel. Wann auch immer die Liebe umschrieben und angebetet und besungen wird, schaltet mein Hirn auf Durchzug, weil ich es öde findet, den selben Text mit den selben Worten immer und immer wieder lesen zu müssen. Aber in Bezug auf Elias und wohl eben weil die Liebe in diesem Fall nicht kitschig, sondern spannungsgeladen, traurig, zerstörerisch, vielfältig und grausam ist, hat mich das Buch ganz für sich eingenommen. Viele Themen, die das Buch auf so selbstverständliche Art und Weise behandelt, waren bei Erscheinen des Buches doch noch recht umstritten und umkämpft; Ich fand vor allen Dingen Peters Liebe zu Elias, die so natürlich dargestellt wird, als wäre ihre Ausergewöhnlichkeit gar nicht der Rede wert, unheimlich gut beschrieben.


    Ich fand es ebenso faszinierend, dass ich nicht wirklich um einen der Charaktere trauern konnte, obwohl niemand von ihnen sein wahres Glück finden konnte. Sie alle sind daran vorbei gerannt, so dicht vorbei geschrammt, dass es einem als Leser fast weh getan hat, und kamen dann irgendwann an den Punkt des Ertragens an, wo sie sich mit der Situation abfanden und nicht mehr dieses typische Happy End für sich erwartet haben. Dies alles so treffend und auf so bizarre Weise verpackt zu erzählen, ist eine durchaus gewaltige Leistung.


    Ursprünglich hatte ich das Buch vor zwei Jahren schon mal in der Hand, weil ich es ebenso als 'stiller Zwilling' des Parfums empfohlen bekommen habe, aber damals hat es zwischen mir und dem Buch nicht gleich gefunkt. Aber jetzt bin ich vollauf begeistert und spiele mit dem Gedanke mir die anderen Bücher des Autoren zu Gemühte zu führen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich mich damit nicht selbst enttäuschen würde. Schlafes Bruder ist für mich ein einzigartiges Erlebnis gewesen, das ich mir ungern durch 'Überlastung' kaputt machen will.


    Dass das Buch verfilmt wurde, wusste ich noch gar nicht. Mein Kopf rattert schon gewisse Buchstellen runter, deren Umsetzung im Film er sich nicht vorstellen kann. Na, mal schauen :gruebel


    Schlafes Bruder kriegt von mir 10/10 für ein grandioses Lesevergnügen.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

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  • Ich habe das Buch bereits 1997 gelesen, weiß aber noch, dass ich damals ähnlich begeistert war wie Du. Die Szene mit den Tollkirschen am Bach ist mir noch in Erinnerung und die Aussage über das Dorf, "wo jeder mit jedem verwandt ist". :lache


    10 Punkte gebe ich auch für das Buch.

  • Robert Schneider erzählt die Leidensgeschichte eines verkannten Genies von der Geburt bis zu seinem Tod. Der Leser ist von Anfang an über das tragische Ende der Geschichte informiert: Elias Alder wird sterben, weil er beschließt nicht mehr zu schlafen.


    In einer von dialektalen Ausdrücken durchzogenen Kunstsprache wird die kurze und tragische Lebensgeschiche Elias' von einem auktorialen Erzähler dargestellt. Der Erzähler wertet und kommentiert, spricht den Leser an einigen Stellen sogar direkt an und ist bemüht, von seiner Meinung über Personen und Situationen zu überzeugen.


    Die Grundstimmung des Romans ist nicht nur aufgrund des tragischen Endes sehr düster. Das Leben einer kleinen Dorfgemeinschaft im Vorarlbergischen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bietet kaum einem der Bewohner Anlass zu Freude oder gar Glück: es herrschen Aberglaube, Starrsinn, Neid, doppelte Moral, Grausamkeit und Angst vor "Andersartigkeit".


    In dieser Umgebung wächst ein musikalisches Genie heran. Der Erzähler beklagt schon früh die Entscheidung Gottes, eine solche Gabe ausgerechnet einem Bauerkind wie Elias zu geben. Als ob diese misslichen Umstände nicht schon Hindernis genug für Elias' musikalische Entwicklung wären, zieht sich zudem noch die unglückliche Liebe zu seiner Cousine Elsbeth durch sein ganzes Leben. Diese schon als Besessenheit zu bezeichnende Liebe vergällt Elias ab einem bestimmten Zeitpunkt sogar die Leidenschaft zur Musik und führt zu seinem frühen Tod, so dass er niemals in die Stadt kommt, um dort seine musikalische Ausbildung zu beginnen.


    Fazit: auch wenn die Grundstimmung sehr düster ist, hat mich die Sprache des Romans und die tragische Geschichte des Elias' in den Bann gezogen. Ich bewerte den Roman mit 9 von 10 Punkten.

  • Jetzt haltet Euch bitte an den Lehnen Eures Lesesessels fest, denn mir hat sich beim Reinschmökern in diesen Roman folgender Vergleich aufgedrängt:
    Meistenteil wird ja von der Bauernmeute als Brandstifter verdächtigt und ermordet. Mich hat diese Figur ganz stark an die Figur des fremden Malers in Philipp Claudels "Brodecks Bericht" erinnert.
    Ebenso war auch die Figur des Dorfpfarrers jener in "Brodecks Bericht" irgendwie ähnlich.


    Also mich hat diese Straflager-Pflichtlektüre für Oberstufenschüler aus einer Leseflaute gerettet. Außerdem fand ich es wirklich nett, dass mir dieses Buch gerade jetzt - direkt nach den Weihnachtsfeiertagen - aus meinem spärlichen SUB-Privatbesitz in die Hände gefallen ist. Die Brände in jenem vorarlbergischen Dorf waren ja während der Christmette ausgebrochen.


    Ein echter Pageturner. Aber vielleicht muss man vorher wirklich länger an einer langweiligen Lektüre wie auf einem harten Stück Brot herumgeknabbert haben, damit man mühelos durch diesen Roman gleiten kann wie über einen zugefrorenen Waldsee.


    Ein herrliches Buch ! :anbet :anbet :anbet

  • Das ist eines der Bücher, zu denen ich keine eindeutige Meinung habe.


    Einerseits ist die Geschichte sehr gut erzählt. Schneider ist für mich ein Erzähltalent ersten Ranges und auch ein erstklassiger Milieuschilderer. Faszinierend fand ich auch seine Charaktere, die an Seltsamkeit fast nicht zu überbieten sind.


    Die Handlung an sich ist streckenweise absolut nachvollziehbar. Aber in den wesentlichen Punkten ist sie für mich nicht besonders schlüssig begründet. Das betrifft zum einen die "Beziehung" zu Elsbeth, die einem als Tatsache vorgesetzt wird, aber niemals entwickelt.


    Und noch schlimmer: gerade im wichtigsten Punkt der Handlung und dem dramatischen Höhepunkt kommt ein unpassendes Mystery-Element in die den als realistisch verkauften Roman ins Spiel: Es ist völlig absurd und einfach unmöglich, durch bloße Willenskraft nie mehr zu schlafen und dadurch Selbstmord zu begehen. Das kann nicht mal ein Psychopath.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde