Eine Bestandsaufnahme
Verlag: Ammann
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Kurzbeschreibung
"Der Frisch also, der ist Ihr Vater!? Sie erschrak daß er nicht Max Frisch sagte, auch nicht Herr Frisch, und in welchem Ton er es sagte! Aber auch er schien erschrocken." Eine Frau und ein Mann haben den Sommer über miteinander telefoniert, nun treffen sie sich in Venedig. Sie wissen fast nichts voneinander, aber schon bald stellt sich heraus, daß es in ihren Vorgeschichten fatale Überschneidungen gibt. Der Mann kannte Ingeborg Bachmann zu jener Zeit, als diese mit dem Vater der Frau, Max Frisch, zusammenlebte. Je länger die beiden durch Venedig schlendern, um so deutlicher wird ihr: Der Mann muß jenes nicht zu greifende Phantom gewesen sein, an dem ihr Vater in seiner Eifersucht schier zerbrochen war.
Die Begegnung in Venedig, als Affäre begonnen, endet verhängnisvoll. Der Mann flieht aus Angst, wie er später gesteht, Angst vor Verstrickung, und die Frau stürzt durch alle bis dahin sicher geglaubten Selbstbilder, "durch alle Spiegel". Die "Bestandsaufnahme" gibt ein bewegendes Zeugnis vom Versuch der Tochter, die schwierige Beziehung zum Vater neu zu sichten und darüber ihre eigene Sprache zu finden.
Ein wahres, ein wahrhaftiges Tochter-Vater-Buch.
Über die Autorin:
Ursula Priess, Tochter von Max Frisch (1911 1991), geboren 1943 in Zürich, Studium der Literaturwissenschaft. 1966 Wegzug aus der Schweiz, Ausbildung und Arbeit als Heilpädagogin in Schweden, Schottland, Süd- und Norddeutschland. Mitgründerin verschiedener Initiativen (u.a. heilpädagogische Schule in Kiel, sozial-therapeutische Lebens- und Werkgemeinschaft in Lahore/Pakistan). Mutter von vier Kindern. Mehrere Reisen nach Indien und Pakistan, sowie in Europa und in die Türkei, wo sie sich längere Zeit niederließ. Heute lebt und arbeitet sie in Norddeutschland und in Berlin. Von ihr sind verschiedene Texte in Anthologien erschienen. Zuletzt (als Herausgeberin): Istanbul, in der Reihe Europa erlesen, 2008.
Mein Eindruck:
Die Autorin hat geschickt einen autobiographischen Roman geschrieben, der hauptsächlich aus Reflexionen über ihr Verhältnis zu ihrem berühmten Vater, dem Schriftsteller Max Frisch, besteht. Dazu nutzt sie als Aufhänger eine Begegnung mit einem Mann, der früher Ingeborg Bachmann kannte und somit vielleicht einstmal ein Konkurrent ihres Vaters war.
Im Grund genommen halte ich den Aufhänger für überflüssig, da der Mann später keine große Rolle im Buch einnimmt, aber so hat die Autorin einen Weg gefunden, ihre Gedanken zu ordnen. Es gibt auch viele Anspielungen auf das Werk von Max Frisch. Man sollte für dieses Buch schon Interesse an Max Frisch mitbringen, um sich nicht zu langweilen. De Stil ist gut, aber auch nicht brillant, eher reduziert und fragmentarisch wirkend. Aus stilistischer Sicht habe ich persönlich keine Veranlassung gefunden, weitere Bücher von Ursula Priess zu lesen, aber das ist Geschmacksache.
Ansonsten sind die Passagen mit Max Frisch weitgehend gelungen, manchmal sogar amüsant.
Insgesamt reicht es bei mir für 6 Punkte.