Die Abtreibung und die Kirche

  • Hallo, Glass.


    Zitat

    Zu definieren, ab wann ein Mensch ein Mensch ist, ist ein Stück weit eben willkürlich, darauf wollte ich nur hinaus.


    Verstanden.


    Nun, es gibt zwei, eigentlich sogar drei widerstreitende Definitionen. Die eine besagt, dass ein Mensch ein Mensch ist, wenn das Spermium die Eizelle befruchtet hat, weil in diesem Moment ein Prozess einsetzt, an dessen Ende, wenn alles gut geht, in den meisten Fällen ein Mensch steht. Die andere nimmt an, dass man ab dem Moment, da sich Gehirnzellen ausbilden (etwa 9. bis 12. Woche), etwas entstanden ist, das man als Mensch bezeichnen könnte, weil strukturell viele Eigenschaften entstanden oder im Entstehen begriffen sind, die einen Menschen körperlich ausmachen. Mit energischer Apparateunterstützung lebensfähig außerhalb des Wirtskörpers ist das ganze so ab der 24. Woche (es gab bisher einen Fall, in dem ein Frühchen in der 22. SSW lebend zur Welt kam), wobei sich diese Grenze immer noch ein klein wenig nach vorne zu verschieben scheint. Dies ist dann auch die Definition, die die dritte, sehr kleine Gruppe ansetzt: Erst wenn es wirklich ein autark lebensfähiges Etwas ist (oder wäre), ist es auch ein Mensch.


    Willkürlich ist eigentlich keine dieser drei Definitionen, weil jede einen relativ klaren Punkt benennt und ihn auch begründen kann, mal ethisch, mal medizinisch. Es gibt noch eine vierte Gruppe, die zum Glück keine Lobby hat und ihre Auffassung nur in dunklen Foren und miefigen Mailinglisten austauscht, das ist diejenige, die die Meinung vertritt, ein vollwertiger Mensch wäre man erst, wenn man sich des eigenen Menschseins auch bewusst ist, und das geschieht erst ein paar Jahre nach der Geburt. Es gab und gibt aber einige Kulturen, die Säuglinge tatsächlich noch nicht als schützenswerte Individuen betrachten.

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    sondern den Karrierevorteil ihres eigenen Nachwuchses im Blick.


    und was ist daran verwerflich?
    Wenn das jeder hätte, gäbe es ganz sicher einige Problematiken weniger... :grin

  • Tom : Danke für die Darstellung dieser drei Definitionen. Schön, das mal so klar voneinander abgegrenzt zu lesen. Du hast, Recht, in sich sind diese Definitionen nicht willkürlich. Aber für welche dieser Definitionen entscheidest du dich nun? Ist die Entscheidung, für welche du dich entscheidest, nicht immernoch willkürlich? Klar kannst du Argumente dafür finden, aber es wird mit Sicherheit Argumente für jede dieser Definitionen geben und ich denke eben, letztendlich ist es ein Gefühlsding, welcher man sich anschließt.


    Ich persönlich bin bei dem Thema, auch aufgrund dieses Threads, mittlerweile so verwirrt, dass ich mich eigentlich gar keiner Definition anschließen kann. :rolleyes Deswegen wollte ich mich auch eigentlich raushalten aus der Diskussion. [SIZE=7]Hat offenbar nicht funktioniert. [/SIZE]

  • Hallo, Glass.


    Auch die Entscheidung, ein Brett mit vier Stöcken daran "Tisch" zu nennen, ist eine willkürliche. Es gibt tatsächlich Leute, die das nicht akzeptieren und Dinge - auch Alltagsgegenstände - danach benennen, welche Bedeutung diese Dinge für sie haben. Ich habe leider nicht parat, wie man diese (nicht sehr verbreitete) "Philosophie" nennt, aber ich suche danach.


    Wenn man sich dafür oder dagegen entscheidet, einer bestimmten Definition zu folgen, dann geht dem zumeist - hoffentlich - ein sehr komplexer Prozess voran, dessen Ergebnis auch zur Disposition steht; Menschen ändern ihre Meinung sehr oft. Ich war in meiner Jugend sehr energischer Abtreibungsgegner, habe in dieser Zeit aber einfach nur nachgeplappert, was Leute gesagt haben, die ich aus mir heute nicht mehr transparenten Gründen bewundert habe. In dieser Zeit wäre ich Bernards Definition gefolgt und hätte sie ohne Wenn und Aber durchgestritten, möglicherweise sogar mit ähnlichen Worten.


    Ich halte das Leben selbst für das kostbarste Gut, das es gibt, und auch weitgehend für das einzige. Die zugrundeliegende Haltung ist sehr komplex, wie ich hoffe, und das (vorläufige) Ergebnis eines sehr, sehr langen Prozesses. Es würde mir schwerfallen, würde ich darum gebeten werden, sie im Rahmen eines Forenbeitrags zu erklären. Dabei würde ich vermutlich auch feststellen, dass sie nicht frei von Widersprüchen und faul anmutenden Kompromissen ist.


    Ein Kernaxiom dieser Haltung ist jenes, dass jeder Mensch das unveräußerliche und möglichst nicht in Zwänge zu pressende Recht auf dieses, sein Leben hat, und zwar nur er selbst und niemand sonst, vor allem keine Idee und kein "Gott". In der Realität lässt sich das allerdings kaum umsetzen, weil Menschen - auch, um überleben zu können - Bestandteile von Solidargemeinschaften und also aufeinander angewiesen sind. Die Abwägung von Gemeinschafts- gegen Eigeninteressen sollte nach meinem Dafürhalten sehr sensibel vonstatten gehen und möglichst wenige Individualrechte beschneiden, um etwas für die Gemeinschaft zu erreichen. Wenn es Entscheidungen gibt, die dieses Gefüge betreffen, sollten sie pragmatisch getroffen werden und beides - Gesellschaft und Individuum - respektieren, im Zweifelsfall aber immer letzterem den Vorrang einräumen. Das Leben ist sehr, sehr kurz und weitgehend bedeutungslos, und jeder sollte die Möglichkeit haben, diese geringe Zeit bestmöglich für sich zu nutzen. Er hat sonst nichts. Daraus lässt sich übrigens in wenigen Schritten eine Moral formulieren, die auch religiösen Auffassungen, was Begriffe wie "gut" und "schlecht" anbetrifft, in nichts nachsteht.


    Im Fall einer Schwangerschaft werden aus einer Person nach und nach zwei, und dann gibt es einen Punkt, ab dem auch die neue Person (oder die Gemeinschaft als Lobby, die schließlich auch auf neue Personen angewiesen ist) ihre Rechte einfordern können soll. Bevor diese neue Person auch tatsächlich als menschenähnliches Etwas existiert, halte ich sie für einen Bestandteil des Körpers ihres Wirts, womit diesem Wirt die Entscheidung obliegen sollte, ob das Werden dieses neuen Lebens fortgeführt wird oder nicht. Die Wahl dieses Zeitpunkts - ab der Organgenese - ist nur teilweise willkürlich. Letztlich wäre fast jede Wahl vor dem Moment, ab dem das neue Leben auch autark lebensfähig wäre, für mich okay, zumal ich nach dem jetzigen Stand der Erkenntnis davon ausgehen kann, dass Selbstwahrnehmung im Sinn von Verlustempfinden vorher ausgeschlossen werden kann. Tatsächlich aber beginnt ein Fötus ab der späteren Organgenese, einem Menschen körperlich zu ähneln, ohne bereits einer zu sein, weshalb es für mich nachvollziehbar ist, an dieser Stelle einen Schlussstrich für Eingriffe zu ziehen. Aber der gesamte Komplex ist sehr vielschichtig, und auch an dieser Stelle muss gegeneinander abgewogen werden, was für den einen gut ist, für den anderen - und für alle. Keinesfalls aber sollte meiner Auffassung nach das potentielle Leben die Herrschaft über das Wirtsleben erhalten, also die Verhältnisse umgekehrt werden.

  • Aaaah, jetzt aber....Danke Tom für Deine Ausführungen. Mit diesen differenzierten Gedankengängen kann auch ich etwas anfangen, sie regen zum Denken an, sind konstruktiv.


    Denn wenn in solchen und ähnlichen Diskussionen der Zynismus überwiegt, dann stösst mich das ab, ob er nun von Hüben oder von Drüben kommt.
    Zynismus verbaut nämlich jegliche Annäherung schon zum Vorneherein, er macht es unmöglich, den anderen zu verstehen, hilft niemandem zu neuen Erkenntnissen. Er ist nur dafür geeignet, den anderen aggressiv und/oder mundtot zu machen.


    Einen guten Tag wünsche ich Euch allen :wave

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Zitat

    Original von Babyjane


    und was ist daran verwerflich?
    Wenn das jeder hätte, gäbe es ganz sicher einige Problematiken weniger... :grin


    Au weia, dann hätten wir eine Gesellschaft bestehend aus lauter kleinen Egozentrikern, denen Mutti und Vati von klein auf sämtliche potentielle Stolpersteine vorsorglich aus dem Weg geräumt haben. Sorry, ein solches Kind wäre für mich ein Albtraum.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Churchill rief doch weiter oben alle Kombattanten zur Mäßigung auf (wie immer vergebens, mir scheint, als ob bei derlei Diskussionen erst Ruhe einkehrt, wenn Wolke völlig genervt den Thread schließt....) und ich bin mir zu 100% sicher, daß er damit auch Wortschöpfungen wie diese gemeint hat.


    Richtig. Nach einem "Auswärtsarbeitstag" habe ich gestern (kurz vor Mitternacht) die neu dazugekommenen Seiten durchgelesen.


    Ja, es wird sich wieder einmal mit harten Bandagen und Worten auseinandergesetzt. Wie so oft schmerzen Worte meist stärker als andere Schläge. Darauf bezog sich mein Appell, die Befindlichkeiten der Kontrahenten zu berücksichtigen. Grundsätzlich hat sich aus dem Uraltthread eine meiner Ansicht nach durchaus spannende und hochkarätige Auseinandersetzung entwickelt, die argumentativ die je verschiedenen Positionen darlegt.


    Bei der Rüge oder Nicht - Rüge von einzelnen Worten und Begriffen versuche ich, die Erfahrung einiger Moderationsjahre einfließen zu lassen. Mit anderen Worten: Der oder dem, die oder der sich schon oft erfolgreich im Austeilen erprobt hat, mute ich gern auch einmal etwas mehr Spielraum im Einstecken zu ... ( Beim Umgang mit meinen Schülern zum Beispiel spielt es schon eine gewisse Rolle, wer genau sich da über welchen anderen beschwert. Nicht immer bedeutet Gleichbehandlung auch Gerechtigkeit ... )


    (Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich halte ich Worte wie "Kindermordfans" nicht für angemessen ...)

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von Tom
    Hallo, Glass.


    Auch die Entscheidung, ein Brett mit vier Stöcken daran "Tisch" zu nennen, ist eine willkürliche. Es gibt tatsächlich Leute, die das nicht akzeptieren und Dinge - auch Alltagsgegenstände - danach benennen, welche Bedeutung diese Dinge für sie haben. Ich habe leider nicht parat, wie man diese (nicht sehr verbreitete) "Philosophie" nennt, aber ich suche danach.


    Relativismus? Konstruktivismus? Ich weiß es auch nicht genau, bin mir aber fast sicher, dass ich im ersten Semester einen Text lesen musste, in dem genau dieses Beispiel vorkam. Hab jetzt leider meine Unterlagen nicht da und kann deshalb nicht nachschauen...


    Zitat

    Original von Tom
    Wenn man sich dafür oder dagegen entscheidet, einer bestimmten Definition zu folgen, dann geht dem zumeist - hoffentlich - ein sehr komplexer Prozess voran, dessen Ergebnis auch zur Disposition steht; Menschen ändern ihre Meinung sehr oft. Ich war in meiner Jugend sehr energischer Abtreibungsgegner, habe in dieser Zeit aber einfach nur nachgeplappert, was Leute gesagt haben, die ich aus mir heute nicht mehr transparenten Gründen bewundert habe. In dieser Zeit wäre ich Bernards Definition gefolgt und hätte sie ohne Wenn und Aber durchgestritten, möglicherweise sogar mit ähnlichen Worten.


    Schau, und nun bist du kein energischer Abtreibungsgegner mehr, Bernard aber schon. Die Frage drängt sich mir auf, ob das wirklich an "vernünftigen" Argumente liegt, die dich und ihn irgendwann davon überzeugt haben, dass dein bzw. sein Standpunkt der richtig ist, oder ob da nicht vielmehr andere Faktoren eine Rolle spielen - nämlich die Erfahrungen die ihr gemacht habt: Sozialisation, die Meinung anderer Leute (sicher gab es ja nicht nur "Vorbilder", die gegen die Abtreibung waren, sondern auch den umgekehrten Fall) usw. Natürlich hast du auch einen Haufen guter, vernünftiger Argumente für deine Entscheidung - aber vielleicht gibt es für die Gegenseite genauso gute Argumente.


    Wenn ich sage "willkürlich", dann meine ich nicht, dass du überhaupt keine Argumente für deinen Standpunkt hast, sondern, dass du, wäre dein Leben vielleicht nur ein kleines bisschen anders verlaufen, jetzt vielleicht einen ganz anderen Standpunkt hättest. "Willkürlich" soll einfach heißen: es könnte alles ganz anders sein. Denn wirklich objektive Kritierien für deine Entscheidung gibt es nicht.


    Und jetzt hab ich mich echt in den Konstruktivismus reinargumentiert... :help

  • Naja, aber so ist es doch im Endeffekt in den meisten Dingen im Leben, wo man klar Stellung bezieht, oder nicht? Die eigene Meinung hängt doch immer auch nicht zuletzt von dem ab, welchen Weg man mit wem gegangen ist.
    Und gerade bei solchen Themen, die eben nicht eindeutig zu klären sind spielt doch das eigene "Bauchgefühl" (ich nenne es mal so in Ermangelung eines besseren Ausdruckes...bin leider nicht so wortgewaltig wie man anderer Diskutant hier) keine unerhebliche Rolle.

  • Hallo, Glass.


    Natürlich ist es so. Man bewegt, verändert sich, nimmt die Umwelt wahr, das Sozialgefüge, hört von neuen Ideen und Neues über alte Ideen, sammelt Erfahrungen. Wer aufgeschlossen ist und nicht in Dogmen gepresst lebt, wird sich auf Basis dieser Einflüsse auch Veränderungen unterziehen. Die Entwicklung der 68er ist ein gutes Beispiel dafür, oder die Umorientierung der Grünen, im Einzelnen (Personal) wie im Ganzen (Partei). Aber auch im persönlichen Bereich geschieht das. Ich bin der Meinung :grin, dass man sich viele Chancen verbaut, wenn man die Überzeugung auszuleben versucht, die absolute Wahrheit entdeckt zu haben.


    Aber es ist keine Willkür. Willkür ist "beliebiges Handeln"; die feudalen Herrschaften in glücklicherweise vergangenen Jahrhunderten haben das praktiziert, weil sie keine Konsequenzen zu befürchten hatten, was auch immer sie taten, worauf immer sie Lust verspürten. Einige Tyrannen der neueren Zeit, vor allem in Afrika, gestalten und gestalteten ihre Herrschaft auf Basis dieses Paradigmas. Idi Amin war ein willkürlicher Herrscher oberster Qualität, wenn man so will.


    Die Überzeugung, zu der Leute gelangen, wenn es um Themen wie Abtreibung geht, haben sehr unterschiedliche Vorgeschichten, und viele davon sind durchaus schlüssig und nachvollziehbar, weisen also keine objektiven Argumentationsmängel auf - wenn man die jeweilige philosophische Basis akzeptiert. Die Haltung der Kirche und ihrer Anhänger gehört dabei, ohne es qualifizieren zu wollen, zu den simpelsten, weil sie ihre Interpretation von Gottes Willen über alles stellen und sich auf vergleichsweise klare Vorschriften aus religiösen Texten beziehen. Lediglich die Feinjustage - aufgrund des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns - hat sich während der letzten Jahrzehnte geändert, aber das Prinzip nicht. Als gläubiger Katholik aber verfügt man nur sehr eingeschränkt über die Freiheit, die eigene Haltung zu rekonfigurieren und diejenige der Amtskirche zu ersetzen, weil es zu den Prinzipien einer religiösen Weltanschauung gehört, die eigene Weltwahrnehmung in essentiellen Fragen weitgehend der kirchlichen - also göttlichen - unterzuordnen. Will sagen: Die Chancen auf Veränderung sind sowohl für den Einzelnen, als auch für das Ganze grundsätzlich sehr gering. Schließlich ist es Gottes Wille, der über allem steht, manifestiert in offenbarten Schriften, die hin und wieder tatsächlich zweifelsfreie Regeln enthalten. Das kann zu fast unauflösbaren Zwangssituationen führen.


    Wer bewusst oder durch seine Erziehung Bestandteil einer solchen Gemeinschaft geworden ist, ordnet, recht verallgemeinernd gesagt, die sich täglich verändernde Wahrnehmung der Welt den Paradigmen dieser Struktur unter, versucht also das Gegenteil von dem, was Menschen tun, die neue Erfahrungen in ihr Weltbild integrieren: Sie versuchen, die neue Erkenntnis so zurechtzubiegen, dass sie zur alten, zur vermeintlich göttlichen Wahrheit passt. Das ist sicher nicht immer leicht; SiCollier hat in einem anderen Thread darüber geklagt, wie schwierig es ist, heutzutage als Christ zu leben, was sicherlich teilweise auch mit dieser Problematik zu tun hat.


    Als ich in meiner Jugend Abtreibungsgegner war, ging es mir ganz ähnlich. Ich war Bestandteil eines Gefüges, zu dessen Grundsätzen die Gegnerschaft in diesem Bereich gehörte, gleichzeitig gab es einen philosophischen Überbau, der die entsprechende Rechtfertigung lieferte und für viele andere Fragen die Antworten parat hielt. Weil ich Bestandteil sein wollte, habe ich diese Grundsätze gerne akzeptiert, zumal die meisten davon mein eigenes Leben überhaupt noch nicht betrafen. Aber es war mir wichtiger, dazuzugehören. Meine Entscheidung betraf also eigentlich nie die Einzelfragen, sondern lediglich diejenige, ob ich dabei sein wollte oder nicht, wofür es eine klare Antwort gab. Das ist mit der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft (worum es sich nicht handelte!) durchaus vergleichbar.


    Erst nach Beendigung der Mitgliedschaft habe ich mir zu vielen Fragen selbst meine Gedanken gemacht - und, was sehr schmerzvoll war, auch viele "Feindbilder" hinterfragt, die mir vorgebetet worden waren, politische, philosophische usw. Daraus ist - über Jahre hinweg - meine derzeitige Haltung entstanden, aber ich habe, glaube ich, die Kurve gekriegt, weg davon, einfach hinzunehmen, was mir andere als Wahrheit verkaufen. Das bedeutet aber leider auch, dass mein Weltbild ständigen Veränderungen unterworfen ist, was aber mit Willkür nichts zu tun hat. Und auch meine Haltung zum spätesten akzeptierbaren Zeitpunkt einer Abtreibung ist keine willkürliche, sondern das vorläufige Ergebnis dieses Prozesses. Zu meinem Glück oder Unglück - je nach Auffassung - habe ich im Gegensatz zu manch anderem die Chance, diese Haltung jederzeit zu überdenken.

  • Tom, ich glaube, das was ich mit "Willkür" gemeint habe, deckt sich nicht mit deiner Definition. Ich glaube aber nicht, dass es viel bringt, wenn ich jetzt versuche, "meinen" Standpunkt (ich bin nicht sicher ob ich so wirklich dahinter stehe...) näher auszuführen. Es hat nur am Rande mit dem Thema dieses Threads zu tun und berührt wirklich die Grundlagen von Fragen wie: Wie erlangen wir Erkenntnis? Wie wissen wir, was wahr ist? Das ist eine extrem spannende Frage, die, finde ich, aber nicht hierher gehört. :wave


    Und jetzt verziehe ich mich wieder in meine stille Ecke.

  • Zitat

    Original von DraperDoyle


    Au weia, dann hätten wir eine Gesellschaft bestehend aus lauter kleinen Egozentrikern, denen Mutti und Vati von klein auf sämtliche potentielle Stolpersteine vorsorglich aus dem Weg geräumt haben. Sorry, ein solches Kind wäre für mich ein Albtraum.


    Nein, das meinte ich sicherlich nicht...
    Nur weil man seinem Kind eine optimale Ausbildungsmöglichkeit anbietet, wird es sicherlich nicht zum Egozentriker ohne Frustrationstoleranz.
    Ich wollte mehr darauf hinaus, das es Asimutti und Asipapa (und damit meine ich auch die Asis der gehobenen Einkommensschichten) ganz egal ist, ob das Kind in einem Klassenraum mit beschlagenen oder gänzlich ohne Fenster sitzt und das eben dies auch ein Problem unserer Gesellschaft darstellt. Das Totale Desinteresse an den eigenen Kindern.
    aber ist offtopic, lassen wir das.


    Ich sollte mich hier eh schnell verkrümmeln, denn meine Auffassung zum Thema Abtreibung, Kirche und Kindern ist eine nicht wirklich Öffentlichkeitstaugliche....

  • magali : Du sprichst mir mit Deinem gestrigen Beitrag ganz aus der Seele. Ich finde es schon unglaublich, dass Frauen als Mörderinnen bezeichnet werden, wenn sie sich für eine Abtreibung entscheiden, aber um keine weiteren indiskutablen Begriffe zu verwenden, möchte ich nicht näher ausführen, welchem Gehirn der Ausdruck "Kindermord-FAN" entspringen muss.
    Auf dieser Basis ist für mich keine Diskussion mehr möglich.

  • Wenn man sich als weibliches Wesen über diese Ungeheuerlichkeit beruhigt hat (hab ich aber noch nicht ganz), gebe ich Dir für den weiteren Verlauf Recht, Churchill!
    Ich weiss nicht, ob ein Mann die seelischen Qualen, die einer solchen Entscheidung vorausgehen, überhaupt nachempfinden kann. Er muss auch nicht den Eingriff über sich ergehen lassen, der ebenfalls mit großen Ängsten verbunden ist. Und dann noch so zu tun, als ob das alles ein riesiges Vergnügen wäre, das man sich doch einmal im Jahr gerne gönnt, ist für mich der Gipfel der Frauenverachtung!

  • Zitat

    Original von Ex libris
    Wenn man sich als weibliches Wesen über diese Ungeheuerlichkeit beruhigt hat (hab ich aber noch nicht ganz), gebe ich Dir für den weiteren Verlauf Recht, Churchill!
    Ich weiss nicht, ob ein Mann die seelischen Qualen, die einer solchen Entscheidung vorausgehen, überhaupt nachempfinden kann. Er muss auch nicht den Eingriff über sich ergehen lassen, der ebenfalls mit großen Ängsten verbunden ist. Und dann noch so zu tun, als ob das alles ein riesiges Vergnügen wäre, das man sich doch einmal im Jahr gerne gönnt, ist für mich der Gipfel der Frauenverachtung!


    Keine Frau wird gezwungen abtreiben zu lassen. Insofern kann ich deine Krokodilstränen hier nicht nachvollziehen.


    Auch ein Mann ist durchaus emotional von dieser Entscheidung betroffen bzw. kann von dieser Entscheidung betroffen sein. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, werde aber nicht näher darauf eingehen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Wollte ich auch gerade an merken.


    Kann sich eine Frau vorstellen was ein Mann durchmachen muss wenn er taten- und quasi rechtelos mitansehen muss wie sein zukünfitges Kind abgetrieben wird ohne etwas dagegen unternehmen zu können?


    Mein Bauch gehört mir, rufen die Frauen und der Mann kann nur tatenlos mitansehen wie es passiert.

  • Zitat

    Original von MA1
    Wollte ich auch gerade an merken.


    Kann sich eine Frau vorstellen was ein Mann durchmachen muss wenn er taten- und quasi rechtelos mitansehen muss wie sein zukünfitges Kind abgetrieben wird ohne etwas dagegen unternehmen zu können?


    Mein Bauch gehört mir, rufen die Frauen und der Mann kann nur tatenlos mitansehen wie es passiert.


    Ich stimme dir und Voltaire zu. Leider gibt es immer zwei Seiten einer Münze. Ich persönlich halte auch nicht viel davon einen Mann von so einer Entscheidung auszuschliessen. Schliesslich haben beide ihren Anteil daran gehabt. Wenn die Frau das Kind nicht möchte, aber der Mann schon, so könnte man eine Abtreibung verhindern und der Mann kümmert sich eben um das Kind. Davon habe ich aber bisher leider noch nichts gehört. Ich selber würde aber sowas immer in Betracht ziehen.


    Aber wie hier schon öfter geschrieben wurde, man kommt wahrscheinlich nie auf einen gemeinsamen Nenner oder überhaupt ansatzweise. Jeder hat seine Erfahrungen gemacht und daraus entsteht seine Meinung.

  • Wenn ein Mann rechte- und tatenlos mitansehen muss, wie sein Kind abgetrieben wird, sollte er sich ernsthafte Gedanken über die Beziehung machen. Aber tatsächlich sind die Männerrechte rund um Fragen des Kinderkriegens sehr im Argen. Wenn eine Ehe noch nicht geschieden ist, aber die Frau von einem neuen Partner ein Kind erwartet, ist es nach der derzeitigen Rechtslage so gut wie unmöglich, den leiblichen Vater auch als Vater des Kindes eintragen zu lassen - die Standesämter sind dazu verpflichtet, selbst bei eindeutigen Erklärungen aller Beteiligten, den Ehemann als Vater zu führen, was erb- und versorgungsrechtlich sehr ärgerliche Konsequenzen haben kann.


    Andererseits ist der Anteil der Frau am Gesamtprozess - bis zur Geburt und darüber hinaus - doch erheblich größer als derjenige des Mannes. Es ist m.M.n. in Ordnung, diesem Umstand auch Rechnung zu tragen.


    Im Hinblick auf "Verletzungen der Seele" sollte man auch mal in sich gehen und prüfen, worauf diese zumindest teilweise beruhen. Es gibt in diesem Bereich viele Aspekte, die auch mit tradierten religiösen Auffassungen zu tun haben ("Seele" ist ein religiös konnotierter Begriff), und davon abgesehen ist das ganze ein hochgradig emotionaler Vorgang, so oder so. Etwas faktische Distanz kann hier möglicherweise zu Linderung führen.

  • Zitat

    Original von Tom: Im Hinblick auf "Verletzungen der Seele" sollte man auch mal in sich gehen und prüfen, worauf diese zumindest teilweise beruhen. Es gibt in diesem Bereich viele Aspekte, die auch mit tradierten religiösen Auffassungen zu tun haben ("Seele" ist ein religiös konnotierter Begriff), und davon abgesehen ist das ganze ein hochgradig emotionaler Vorgang, so oder so. Etwas faktische Distanz kann hier möglicherweise zu Linderung führen.


    Ohne eine religiöse/kirchliche Diskussion führen zu wollen, können es durchaus ethische Bedenken sein, die gegen einen Schwangerschaftsabbruch als auch das Austragen eines Kindes sprechen. Das Wörtchen "auch" habe ich in Deinem Beitrag gelesen. Ich möchte damit nur darauf hinweisen, dass es ethische Ansprüche auch ohne religiösen Einfluss geben kann.


    Was die faktische Distanz betrifft, musste ich obgleich dieses schwierigen Themas schmunzeln. Den Zellhaufen, aus dem ein menschliches Leben entstehen kann, losgelöst vom eigenen Körper zu sehen, halte ich für äußerst schwierig. So gut der Ansatz sein mag, für sich die geeignete Lösung zu finden, so schwierig ist es, vor dieser komplexen Entscheidung eine patentierte Vorgehensweise anzubieten. Was helfen Analysen und Argumentationen, wenn der eigene und äußere Druck gewaltigt ist?