Die Abtreibung und die Kirche

  • Ich will die bestreffenden Männer hier keinesfalls in Schutz nehmen, aber man sollte auch bedenken, dass eine Schwangerschaft der Partnerin auch für einen Mann eine Konfliktsituation darstellen kann. Gut, er ist körperlich zwar nicht betroffen, aber wenn er tatsächlich der Vater ist, muss er für das Kind und zumindest für eine Zeit auch für die Partnerin aufkommen. Ich studiere im Moment und arbeite etwas nebenher. Eine Familie könnte ich nie im Leben versorgen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Mann in einer solchen Situation wäre, wäre ich verzweifelt. Als Frau habe ich immer noch die Wahl, ob ich das Kind haben will oder nicht, aber ein Mann kann ja gar nichts tun. Seine Partnerin zur Abtreibung zu drängen ist zwar so ziemlich das Letzte, aber wenn man in einer Ausnahmesituation rechtlich absolut machtlos ist, neigt man vermutlich dazu überzukompensieren und seinen Einfluss auf anderen Ebenen als der rechtlichen auszuspielen.


    Den umgekehrten Fall, dass der Mann das Kind will, die Frau aber nicht, gibt es ja auch noch. Und ich finde es absolut richtig, dass die Frau die Entscheidung allein trifft, da es ihr Körper ist, aber ganz fair ist es zugegebenermaßen nicht. Da es bei dem Thema Abtreibung aber keine Kompromisse geben kann, kann es wohl auch keine Fairness geben.

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

  • Zitat

    Original von Eddie Poe
    ... aber ein Mann kann ja gar nichts tun ...


    :gruebel


    Verhütung?


    Die letzten Postings ließen in mir die ernsthafte Frage auftauchen, in welchem Jahrhundert Ihr lebt.


    u.A.w.g.


    Danke.


    :gruebel


    magali (aus der fernen Zukunft, aka 2010 uZ)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Ich meine, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Kann ja trotz Verhütung passieren.

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

  • Zitat

    Original von Iris
    Aber das ist heutzutage doch kein Problem mehr. Man kann sich inzwischen den ganzen Umstand mit dem Schwangersein sparen, muß weder mit blöden Hängerchen oder Latzhosen um den dicken Bauch rumlaufen, noch kriegt man diese ekligen Streifen und all das. Du kannst dir heute fast überall in der Welt für 'n Appel und 'n Ei ein Kind kaufen, auf Wunsch mit 'ner genetischen Analyse vorneweg, damit man kein Risiko eingeht von wegen Erbkrankheiten und Vorbelastungen. Du kannst in ein Kinderheim gehen und dir ein Kind asusuchen wie im Kaufhaus. Und in einigen Ländern gibt es sogar schon so eine Art Rückgaberecht.
    Wozu selber schwanger werden, wenn die das in Osteuropa und in der Dritten Welt für uns erledigen können?


    Hallo Iris,


    ich bin erst jetzt auf diesen Thread gestoßen und lese ihn gerade mit Interesse. Meines Wissens ist es keineswegs einfach, ein Kind zu adoptieren. Sind Adoptionen aus der dritten Welt in Deutschland nicht ein legales Problem? Ich kannte einmal eine Krankenschwester, die ein Straßenmädchen aus Afrika adoptieren wollte, das sie während eines Aufenthalts dort kennen lernte. Die Afrikaner - ich glaube, es war Ghana - überließen es ihr gern, doch in Deutschland war es dann ein Krieg mit den Behörden. Sie hat es schließlich geschafft, aber es hat sie viel Kraft gekostet.


    Ich kenne auch einige Frauen, die keine Kinder haben können und gern eins adoptieren würden, aber sie meinen, es sei sehr, sehr schwierig.


    Außerdem kenne ich auch zwei Frauen, die abgetrieben haben. Leichtfertig taten sie es nicht. Die erste zögerte sehr lange, weil sie das Kind eigentlich wollte, der Vater aber völlig dagegen war. Sie hat unter den Folgen gelitten, bereut ihre Entscheidung aber nicht wirklich. Eine Freigabe zur Adoption kam für sie nicht in Frage, denn das hätte sie emotional nicht verkraftet.
    Die andere wollte grundsätzlich keine Kinder. Sie hat normalerweise gewissenhaft verhütet, doch einmal, da sie psychisch sehr angeschlagen war, verhielt sie sich leichtsinnig. Das hatte Folgen. Sie hat so schnell wie möglich abgetrieben. Heute bezeichnet sie das als Kurzschlussreaktion und meint, sie würde sich jetzt besser fühlen, wenn sie das Kind zur Adoption gegeben hätte, denn so hätte es eine Chance auf Leben gehabt. Doch befand sie sich in einer Notlage, brauchte dringend einen Job, um nicht zum Sozialfall zu werden. Schwangere werden von Firmen nicht eingestellt. Zudem sollte man das soziale Stigma nicht vergessen: alle sahen, dass die Frau schwanger war, und wo ist plötzlich das Kind?


    Ich bin nicht religiös, sehe in der Abtreibung aber ein ethisches Problem. Verbote und Strafen helfen allerdings nicht. Eine stärkere Unterstützung alleinstehender Mütter wäre hilfreich. Ebenso sollte es vielleicht öffentlich anerkannt und befürwortet werden, wenn eine Frau das Kind zur Adoption gibt anstatt es abzutreiben. Eine letzte Idee hätte ich noch: gibt es nicht eine medizinische Möglichkeit, ungewünschte Embryos von Frauen austragen zu lassen, die sich Kinder wünschen, aber keine haben können? Falls es sie nicht gibt, sollte man vielleicht daran arbeiten. Das wäre eine zusätzliche Option für Frauen, die vergewaltigt wurden oder aus anderen Gründen schlichtweg nicht willens sind, ein Kind auszutragen.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Wenn ich in meinem Alter jetzt schwanger würde, würde mein Vater mit garantierter Wahrscheinlichkeit alless Erdenkliche dafür tun, damit ich abtreibe. Da ich nicht plane, jetzt schwanger zu werden, und lieber mit doppeltem Schutz verhüte als mit nur einem, denke ich nicht, dass dies in nächster Zeit passieren wird.
    Ich finde Abtreibungen nicht schön oder ähnliches, aber angebrachter als wenn Kinder zu Welt kommen, die kein Mensch haben will, um die sich nicht gekümmert wird, etc, jedoch ist und bleibt sie für mich Menschenmord.
    Ich selber könnte mir eine Abtreibung nicht zu muten, würde damit wirklich nicht klar kommen, das Leben was in mir entsteht, zu töten.

  • Oh, da ist ja noch ein vergreister thread
    mein aktuelles buch kam grad zum schluss, dass es der gipfelpunkt des evolutionären egoismus ist, ein kind zu haben und zu behalten...
    alle die, die keine haben, sind altruisten, weil sie ihre steuern für anderer leute kinder und deren zukunft bezahlen...


    also seids egoistisch und behaltet eure kinder, die beste art von egoismus ist es, sie zur adoption freizugeben: weil dann hat man selber keinen ärger, aber den vollen evolutionären gewinn...


    abtreiben ist ausser bei krankheiten des kindes oder selbstgefährdung der mutter im falle des austragens evolutionärer unsinn und ein teil genetischen selbstmords...


    so spricht die kirche der evolutionisten

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

  • Zitat

    Die anderen gelten nach Lehrmeinung als besonders schwere Todsünde. Eine Abtreibung ist eine der ganz wenigen Taten (mir fällt momentan nur eine einzige weitere ein, der Bruch des Beichtgeheimnisses), die in der katholischen Kirche die sofortige Exkommunikation der Täter (vor allem der Arzt, in zweiter Linie die Frau, zudem die an der Operation Beteiligten) zur Folge hat.


    Ich frage mich, was eine "besonders schwere Todsünde" sein soll. :wow


    Die Exkommunikation wird darüber hinaus fällig, wenn ein Priester jemandem Absolution erteilt hat, der sich gegen das sechste Gebot (Ehebruch) vergangen hat, in diesem Fall erwischt's den Priester. Andere Gründe sind Gewalt gegen den Papst (wie originell), Apostasie (Wechsel zu einer anderen Religion) und auch die Häresie. Allerdings bedeutet Exkommunikation keineswegs, dass man aus der Kirche ausgeschlossen wird, denn das ist kirchenrechtlich nicht möglich.


    Wer tatsächlich glaubt, dass ein Embryo, der ein paar Wochen alt ist und noch nicht über Gehirnzellen verfügt (die Gehirnzellen entstehen erst um die 9. Woche herum, also im dritten Monat, und dann sind es auch noch nicht so viele, dass man tatsächlich von etwas wie "Gehirn" sprechen könnte), ein bereits schützenswertes Leben darstellt, sollte auch vermeiden, zufällig irgendwelche Einzeller zu zertreten - oder etwa Insektenspray zu verwenden, denn jede Ameise hat deutlich mehr Bewusstsein als ein zwei Monate alter Embryo.


    Hier geht es, wie so oft, um Ideen und konkret um "antizipiertes Leben". Letztlich ist das nicht einmal eine moralische Diskussion, sondern tatsächlich nur eine kirchenethische. Wer daran glaubt, soll auch die Grundsätze einhalten. Wer nicht daran glaubt, sollte nicht dazu gezwungen werden, anachronistische Ideen zu befriedigen. Feddisch.

  • Ich habe lange, auch wenn es sehr schwer fiel, auf den Fingern gesessen. Zumal ich vor ein paar Tagen erst einen Pro-Life-Film über dieses Thema gesehen habe. Doch nach Toms Beitrag will ich zumindest das loswerden. Vor allem, weil er mich an einen Satz in „Sarah’s Choice“ erinnert hat. Dort rät die Ärztin mit den Worten: „Would you let a wart destroy the life you have planned for yourself?“* zur Abtreibung.



    Zitat

    Original von Tom
    Wer tatsächlich glaubt, dass ein Embryo, der ein paar Wochen alt ist und noch nicht über Gehirnzellen verfügt (die Gehirnzellen entstehen erst um die 9. Woche herum, also im dritten Monat, und dann sind es auch noch nicht so viele, dass man tatsächlich von etwas wie "Gehirn" sprechen könnte), ein bereits schützenswertes Leben darstellt, (...)


    Ohne mich jetzt über die verschiedenen Ansichten, wann eine Seele inkarniert, einlassen zu wollen, und ohne mit Tom eine Diskussion darüber, ob es so etwas wie eine Seele überhaupt gibt, vom Zaun brechen zu wollen: für mich ist das unabhängig von Glauben oder Wissen. Wesentlich ist für mich an dieser Stelle, daß irgendein Mensch darüber befindet, nach Grenzen, die irgendein anderer Mensch festgesetzt hat: das ist Leben, das ist keines. Das darf zur Welt kommen, das nicht. Das ist lebenswert - das nicht.


    Grenzen, wenn sie erst einmal vorhanden und akzeptiert sind, können sehr leicht verschoben werden. Grenzen werden erfahrungsgemäß verschoben. Davor, vor einer solchen Gesellschaft habe ich Angst. Denn der Schritt zur Menschenzucht (um das Wort zu wählen) ist dann nur noch ein kleiner. Der Mensch wird zu einer Ware, wie jede andere auch. Wozu dann eigentlich überhaupt noch so etwas wie Ethik? Für eine solche gibt es dann weder eine Begründung, noch eigentlich eine Notwendigkeit.


    Es ist für mich keineswegs nur eine moralische oder kirchenethische, sondern eine absolut grundlegende Diskussion über die Fundamente der Gesellschaft. Wenn an dieser Stelle Mord legalisiert wird, weshalb dann nicht auch am Ende, etwa bei schwer Demenzkranken, die nur noch dahinvegetieren und Kosten verursachen? Warum dann das „Theater“ um Menschen, die im Koma liegen und seit Jahren von Maschinen am Leben erhalten werden?


    Losgelöst von dem Problem, den genauen Todeszeitpunkt festlegen zu können (wann ist ein Mensch tot: Herzstillstand, Aufhören der Hirnströme etc.) bin ich grundsätzlich dagegen, daß ein Mensch dem Anfang wie dem Ende eine Grenze setzt, bzw. genauer diese (solche) bestimmt.


    Es geht hier für mich um eine der grundlegenden Fragen einer Gesellschaft. Zwischen Leben und Tot gibt es keinen Kompromiß, nur ein entweder - oder. Eine Bruchstelle, die nicht überbrückt werden kann.




    * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *


    * = Sinngemäße Übersetzung: „Würden Sie eine Warze das Leben, das Sie für sich selbst geplant haben, zerstören lassen?“ (Spielt auf die Größe des Fötus zum Zeitpunkt der Untersuchung im Mutterleib an.)
    Ergänzug: Die einzigen Fälle in denen ich über eine Abtreibung nachdenken würde, wären nach einer Vergewaltigung sowie bei Gefahr für Leib und/oder Leben der Mutter.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hallo, SiCollier.


    Zitat

    Wesentlich ist für mich an dieser Stelle, daß irgendein Mensch darüber befindet, nach Grenzen, die irgendein anderer Mensch festgesetzt hat: das ist Leben, das ist keines.


    "Leben" bedeutet, dass etwas Organisches dazu in der Lage ist, sich fortzupflanzen. Hier unterscheidet sich lebende von toter Materie. Leben gibt es in sehr unterschiedlichen Formen und Abstufungen, beginnend bei einzelligen Wesen, die zuweilen ganz erstaunliche Fertigkeiten besitzen, und endend bei komplexen, gewaltigen Strukturen, etwa diesem mehrere Quadratkilometer großen Riesenpilz (Armillaria ostoyae) im Malheur National Forest in Oregon. Menschen sind fraglos Lebewesen, in ihrer strukturellen Komplexität aber höchstens Mittelmaß.


    Wenn ich zu der Überzeugung gelange, dass kein Mensch darüber entscheiden darf, was Leben ist und was nicht (Du hast den Begriff benutzt - ich hätte das nicht getan), und sie konsequent umsetzen will, lande ich beim "Ahimsa", der absoluten Gewaltlosigkeit allem gegenüber, das "beseelt" ist, einem buddhistischen Prinzip, das vor allem die Anhänger des Jainismus zu ihrer zentralen philosophischen Grundlage gemacht haben. "Orthodoxe" (der Begriff ist eigentlich nicht zutreffend in diesem Zusammenhang) Anhänger dieser Religion verzichten nicht nur auf die Zusichnahme fast aller bekannten Nahrungsarten, sondern bewegen sich auch kaum noch, um im Rahmen ihrer Möglichkeiten nichts und niemanden zu schädigen, auch ohne Absicht. Aber selbst diese Leute töten pausenlos irgendwas Lebendiges, zum Beispiel Tausende der vielen Millionen Mikroorganismen auf und in ihrem Körper, in der Atemluft und so weiter.


    Die Frage, ab wann ein befruchtetes Ei nach umgangssprachlicher Definition ein menschliches "Lebewesen" darstellt, ist höchst umstritten - lediglich die katholische Kirche verzichtet auf diese Diskussion und setzt den Zeitpunkt der Befruchtung als Beginn des Lebens fest. Im Prinzip könnte man das aber noch weiter treiben: Auch die Eier im Eierstock der weiblichen Menschen sind bereits potentielle Lebewesen, tragen fast alles in sich, das zur Menschwerdung nötig wäre. Der Verzicht auf ihre Befruchtung kann als Tötung verstanden werden.


    Du nennst es sogar Mord, und damit stehst Du nicht alleine. Die Verwendung dieses Begriffs geschieht sehr absichtsvoll. Mord ist die vorsätzliche Tötung eines anderen Lebewesens, hier eines Menschen. Etymologisch bedeutet Mord so viel wie: Vom Leben in den Tod überführen, "leblos machen". Mord ist die gravierendste Straftat von allen und niemand sollte, da sind wir wahrscheinlich einer Meinung, das Recht haben oder für sich beanspruchen, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Bis auf wenige originelle Ausnahmen ist das auch weltweit gesellschaftlicher Konsens. Viele Staaten ahnden allerdings Mord wiederum mit Mord, und der Ausnahmezustand "Krieg" (dieser Begriff wird seit 9/11 etwas inflationär benutzt) macht Mord zu einem politischen Mittel, aber das ist ein anderes Thema.


    Die grundlegende Frage lautet, ab wann ein Mensch ein Mensch ist, den man "ermorden" kann. Die römisch-katholische Kirche verweigert sich an dieser Stelle, wie gesagt, jedweder Diskussion, was nachvollziehbar ist, aber eben kein "Wissen" darstellt, sondern eine zweckbestimmte philosophische Definition. Vom Moment der Befruchtung an, also ab der ersten Zellteilung (der Entstehung der Zygote), gilt nach dieser Auffassung das menschliche Leben als existent und dann auch schützenswert. Ein neues Geschöpf Gottes entsteht oder ist bereits entstanden. Das kann man so sehen, aber all jene, die das - nach etwas gereifterem Erkenntnisstand und zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts - anders sehen, als "Mörder" zu bezeichnen, ist nicht gerade ein hilfreiches Diskussionsangebot.


    Aus diesem befruchteten Ei kann ein Mensch werden. Das geschieht auch ohne Schwangerschaftsabbruch längst nicht in allen Fällen. Es passiert nur dann, wenn die Bedingungen gut sind. Gelegentlich enden Schwangerschaften in der Frühphase, ohne dass die vorübergehend werdende Mutter etwas davon bemerkt hat, schwanger gewesen zu sein.


    Erst nach drei Tagen hat sich die Zygote zu einem sechzehnzelligen System entwickelt. Nach der Blastogenese (Zellteilungsphase, etwa zwei bis drei Wochen) beginnt die Embryogenese, die nach insgesamt acht Wochen in die Organgenese mündet. Zu diesem Zeitpunkt beginnt, wie der Begriff zu sagen versucht, die Anlage innerer Organe. Danach, so in der neunten bis zwölften Woche, bilden sich die ersten Gehirnzellen aus, aber eine Verbindung zum Restorganismus besteht noch nicht. Anschließend aber werden die Prozesse rasanter.


    Wenn man es Mord nennen will, einen Zellhaufen abzutöten, der über keinerlei Wahrnehmung verfügt und weit, weit von etwas wie "Bewusstsein" entfernt ist, dann wird man dafür seine Gründe haben. Fraglos handelt es sich bei diesem Zellhaufen um etwas, das ein Mensch werden kann, aber dieser Mensch existiert zu jenem Zeitpunkt eben noch nicht. Ich halte es für unredlich, einen Abbruch in dieser Phase als Mord zu bezeichnen. Ermorden kann man nur etwas bewusst Lebendes.


    Es ist auch kein Zeichen der gesellschaftlichen Verrohung, dass Schwangerschaftsabbrüche in engen Grenzen - sie sind ja keineswegs per se straffrei - zulässig sind (nach § 218 StGB stellen sie noch immer eine Straftat dar, die nur nach § 218a StGB unter bestimmten Voraussetzungen nicht verfolgt wird). Sondern eine Abkehr von mythischen Paradigmen. Erkenntnisphilosophisch existiert das Leben, das wir meinen, wenn wir diesen Begriff benutzen, in den ersten Schwangerschaftswochen noch nicht. Die energischen Gegner der Abtreibung unter welchen Voraussetzungen auch immer aber meinen dieses Leben nicht, sondern das antizipierte, das möglicherweise entstehende. Das ist, ich wiederhole mich hier gerne, aus deren Sicht sogar nachvollziehbar (weil es ihnen um etwas Anderes geht), aber die technischen Fakten weisen in eine andere Richtung.


    Um auch das klarzustellen: Ich bin wahrlich kein Freund von Abtreibung als "späte Verhütung", aber aus anderen Gründen. Die psychischen und körperlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs können gravierend sein, und in jeder Hinsicht traumatisch. Man sollte deshalb Vorsicht walten lassen und diese Option möglichst meiden. Aber ein Mörder ist keiner von den Leuten, die es dennoch tun.

  • Huhu Tom!



    Ich lese ja deine Beiträge immer sehr gerne. Bei deinem letzten bin ich aber über folgendes gestolpert (driftet ein wenig ins Off Topic ab jetzt)


    Zitat

    Original von Tom
    Ermorden kann man nur etwas bewusst Lebendes.


    Was würdest du denn als "bewusst lebend" bezeichnen? Etwas, dass sich darüber bewusst ist, dass es lebt? Ist ein Tier (jetzt mal unbestimmt welcher Art) sich dessen bewusst?.. Ist ein Neugeborenes sich dessen bewusst?


    ...oder habe ich den Satz falsch verstanden?


    (Ich selbst habe kein Problem mit Abtreibung, bin aber trotzdem an der Stelle gestolpert)


    Lieben Gruß
    Aj

  • Hallo, Redator.


    Ich wollte damit auf die aktive und vor allem passive Bedeutung des Begriffes hinweisen. Mord ist nach meiner Auffassung etwas anderes als Tötung. Dabei geht es nicht nur um den Vorsatz, sondern auch um die Bedeutung der Tat aus Sicht des Opfers: Ein Mord ist das willentliche, absichtsvolle, egoistische Töten eines anderen, um diesen zu beseitigen. Nach meinem Verständnis kann man ein Tier nicht in diesem Sinn ermorden, weil ihm die bewusste Kenntnisnahme des Vorgangs und der Motive unmöglich ist; Tiere sind umgekehrt niemals Mörder, sondern töten andere nur aus Gründen, die etwas mit Selbstschutz, Arterhaltung, Reviervergrößerung oder Ernährung zu tun haben. Die planvolle Hinrichtung eines anderen aus niederen Motiven, wie sie nur Menschen kennen, ist ihnen verschlossen. SiCollier aber hat den Begriff "Mord" absichtlich benutzt, um gerade diesen Kontext herzustellen, also um Augenhöhe zwischen Täter und Opfer zu suggerieren.

  • Hallo Tom,


    Zitat

    Original von Tom
    "Leben" bedeutet, dass etwas Organisches dazu in der Lage ist, sich fortzupflanzen. Hier unterscheidet sich lebende von toter Materie.


    Soweit ich weiß, ist die Definition, was denn „Leben“ eigentlich ist, ziemlich schwierig. Es ist schon etliche Jahre her, daß ich mich damit näher befaßt habe. Damals gab es schlicht und ergreifend keine gültige Definition für „Leben“. Das, was Du schreibst, versagt ja schon bei den Viren. Ich persönlich betrachte diesen Gesichtspunkt allerdings als für die Thematik unerheblich.



    Zitat

    Original von Tom
    Die Frage, ab wann ein befruchtetes Ei nach umgangssprachlicher Definition ein menschliches "Lebewesen" darstellt, ist höchst umstritten (...)


    Eben. Aus den früher geschilderten Gründen halte ich es für falsch, diese umstrittene Frage durch Setzen einer Grenze zu entscheiden. Denn, wie geschrieben, Grenzen können verschoben werden. Und werden es aller Erfahrung nach auch. Wenn man nicht religiös oder philosophisch argumentieren will: der einzige Schutz davor, daß nicht eines Tages diese Grenze bis auf den Tag vor der Geburt verschoben wird ist, daß man diese Grenze erst gar nicht setzt. Also ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle von einem „menschlichem Lebewesen“ ausgeht, das nicht mehr abgetötet werden darf (ich hoffe, dieser Ausdruck ist jetzt neutral, auch wenn ich selbst das normalerweise anders bezeichnen würde).



    Zitat

    Original von Tom
    Du nennst es sogar Mord, und damit stehst Du nicht alleine. Die Verwendung dieses Begriffs geschieht sehr absichtsvoll.


    In beiden Fällen richtig. Und es ist mir, offen gesagt, schwer gefallen, den nur ein Mal zu verwenden. Normalerweise tue ich das in diesem Zusammenhang viel öfters. Doch ich wollte nicht provozieren und sachlich bleiben, jedenfalls soweit mir das bei diesem Thema möglich ist.


    Im übrigen empfinde ich es genau so. Würde ein Kind von mir abgetrieben, würde ich mir selbst Vorwürfe wegen Mordes machen - egal ob nach einer, fünf oder zwölf Wochen. Das wäre - mit Ausnahme der oben erwähnten beiden Gründe - das Ende der Beziehung.



    Zitat

    Original von Tom
    Gelegentlich enden Schwangerschaften in der Frühphase, ohne dass die vorübergehend werdende Mutter etwas davon bemerkt hat, schwanger gewesen zu sein.


    Ich habe kein Problem damit, der „Natur“ (um einen neutralen Begriff zu verwenden) ihren Lauf zu lassen, sowohl zu Beginn wie zum Ende des Lebens. (Und von letzterem weiß ich aus meiner Erfahrung als Betreuer meines Vaters bis zu seinem Tod, was das bedeuten kann.)



    Zitat

    Original von Tom
    Ich halte es für unredlich, einen Abbruch in dieser Phase als Mord zu bezeichnen.


    Und ich halte es für unredlich, verniedlichende Begriffe wie „Abbruch“ zu verwenden. - Ich schätze, da werden wir nie auf eine gemeinsame Sprachregelung kommen können.


    Genauso wie wir in der Sache selbst uns nie werden einigen können.




    Ergänzung.
    @ Tom
    Ich habe jetzt Deine Antwort auf redators Anfrage mehrmals gelesen. Ich frage mich nur, wenn Deine Definition stimmt, weshalb dann zwischen „Mord“ und „Totschlag“ unterschieden wird. Denn das:

    Zitat

    Original von Tom
    Ein Mord ist das willentliche, absichtsvolle, egoistische Töten eines anderen, um diesen zu beseitigen.

    trifft mMn in beiden Fällen zu.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Würde das aber umgekehrt auch beeuten, dass man einen Säugling nicht ermorden, sondern "nur" töten kann in deinen Augen?
    Ich habe etwas andere Ansichten. Ich denke, man kann durchaus auch ein Tier ermorden (Bsp wäre für mich jetzt diese sinnlosen Pferdeschlitzer). Die Beschreibung mit den "niederen Beweggründen" des Tötenden finde ich sehr passend. Aber wie gesagt denke ich, dass man die auch gegen Tiere haben kann (ich möchte unterstreichen, dass ich jetzt Tötung von Tieren zB zum Zwecke der Nahrungsproduktion nicht als "Mord" bezeichnen würde, wie manch einer das auch tut), ebenso wie man eben auch ein Neugeborenes ermorden kann.
    Ich denke der Begriff ist wohl fließend und von Auffassung zu Auffassung unterschiedlich.


    Im übrigen denke ich, dass es "Mord" in meinem Definitionssinn auch im Tierreich gibt. (Schimpansenhorden, die über Jahre hinweg gezielt feindliche Horden ausrotten)
    Wobei ich grundsätzlich das Wort im Bezug zum Tierreich aber auch vermeide, weil es stark mit einer negativen vermenschlichten Sicht belastet ist die ich Tieren so nicht aufbürden wollen würde.
    Naja, wie gesagt, das geht jetzt wohl zu weit am eigentlichen Thema vorbei, fand es gerade nur interessant.

  • Hallo, SiCollier.


    Du sprichst davon, keine Grenze ziehen zu wollen, weil die immer zur Disposition stünde, und gleichzeitig in einem Nebensatz davon, der "Natur" ihren Lauf zu lassen, was Menschen heutzutage tatsächlich nur noch ausnahmsweise tun: Die Menschheit benutzt die "Natur" (was auch immer das genau ist - der Begriff hat eine Vielzahl von Implikationen).


    Ich kann den Standpunkt nachvollziehen, die Sorge darum, dass die - allerdings keineswegs willkürliche! - Festsetzung des spätestmöglichen Zeitpunkts für einen Schwangerschaftsabbruch zur Folge haben könnte, dass dieser Zeitpunkt immer weiter nach hinten verschoben wird. Es ist verständlich, aus dieser Sicht dann lieber überhaupt keinen Zeitpunkt festzusetzen und zu erklären, das menschliche Leben dürfe auch in der Zygotenphase nicht von außen beendet werden. Es ist zwar nur ein Zellhaufen (wie z.B. Krebsgeschwüre), aber es bestünde die Gefahr, dass irgendein Wissenschaftler herausfindet, dass bestimmte bewusstseinsbezogene Parameter meinetwegen erst ab dem fünften Monat gelten, weshalb man das Wesen vorher anders betrachten müsste. Und auch töten könnte. Allerdings bin ich in Bezug auf diese Sichtweise sehr skeptisch. Nach meiner Beobachtung der Thematik spricht auch eigentlich nichts dafür, dass es ernsthafte Bemühungen gibt, in dieser Hinsicht tätig zu werden. Es gibt andere Aspekte, die in diesem Zusammenhang relevant sind (embryonale Stammzellenforschung, beispielsweise), aber ich halte es für sehr, sehr unwahrscheinlich, dass es Bestrebungen gibt oder geben wird, Abtreibungen im "Normalfall" auch z.B. im sechsten Monat vorzunehmen. Will sagen: Diese Sorge ist meiner Meinung nach unbegründet.


    Niemand treibt gerne ab. Der Eingriff ist unangenehm, es sind körperliche Folgen möglich, von den psychischen ganz zu schweigen. Aber faktisch wird ein sich zielgerichtet teilender Zellhaufen entnommen, ein im Wortsinn bewusstloses Stück Fleisch, weit entfernt davon, ein Mensch zu sein. Es wird kein Schaden an einer Person angerichtet, denn diese Person existiert nicht. Die ganze Angelegenheit auf die mögliche Person zu beziehen, die später existiert hätte, ist Augenwischerei, ein Spiel mit Emotionen. Nichts spricht dagegen, diese Person später entstehen zu lassen. Die Frau hat Tausende Eier im Reservoir, der Mann Millionen Spermien. Reproduktion ist kein großer Aufwand und macht zuweilen sogar Spaß. Aber ein paar Eiweißmoleküle zum Mordopfer zu erklären, dass ist nicht besonders spaßig.


    Und damit war's das für mich. :wave

  • Zitat

    Original von Tom
    Ich frage mich, was eine "besonders schwere Todsünde" sein soll. :wow


    Eine Todsünde zerstört das Verhältnis zwischen dem Menschen und Gott, hat aber nicht die Exkommunikation zur Folge. Dies ist m.W. tatsächlich nur bei der Abtreibung und beim Bruch des Beichtgeheimnisses durch den Priester der Fall.
    Ferner ist eine Sünde nach katholischem Verständnis nicht die Tat als solches, sondern eher eine Geisteshaltung. Die Motivation hat eine mindestens gleichrangige Bedeutung. Bei der Abtreibung ist jedoch keine Geisteshaltung denkbar, die eine solche Tat ohne Todsünde möglich machen würde (von der genannten medizinischen Indikation abgesehen), was dieser Tat eine Sonderstellung verleiht. Ich fürchte aber, dass die Definition des Begriffs "Sünde" (und seine Überlagerung durch diverse moderne Mythen und Märchen) uns hier weit abbringen würde. Wesentlich scheint mir nur, dass die Abtreibung in der katholischen Kirche eine absolute Sonderstellung einnimmt.


    Der Begriff "Mord" bezeichnet die bewusste Tötung eines Menschen, wobei die Tat ein "Mordmerkmal" erfüllen muss. Die Ermordung eines ungeborenen Kindes erfüllt mehrere dieser Merkmale:
    - Wehrlosigkeit des Opfers
    - Heimtücke
    - Verschwörung (zwischen Arzt und Mutter und ggf. weiteren)
    "Niedere Beweggründe" wird man bei der Mutter wohl selten finden, beim Arzt darf man allerdings davon ausgehen, dass er den Mord aus Gewinnerzielungsabsicht begeht.


    Die Tatsache, dass die Mutter nach einer Abtreibung noch einmal schwanger werden könnte, bedeutet nicht, dass die Tat reversibel sei, denn es wird niemals das gleiche Kind entstehen - nach der Verschmelzung von Ei und Samenzelle liegt ein eindeutiger und einmaliger genetischer Code vor, der nicht reproduzierbar ist. Die Abtreibung ermordet also einen Menschen ebenso endgültig und unwiederbringlich wie jeder andere Mord auch. Wenn man diesen Abtreibungsmord legitimiert, stellt sich sofort die Frage, ob auch andere Morde legitim sind:
    - Alte Menschen, die keinen produktiven Beitrag mehr leisten
    - Geisteskranke
    - Kinder, die sich nicht selbst versorgen können
    - Langzeitarbeitslose und sonstige Nicht-Produktive
    - Straftäter
    - Menschen, die keiner will (wie oben als Begründung angeführt wurde)
    - (beliebig fortsetzbar)


    Ich halte es für keineswegs mystizierend, sondern im Gegenteil für modern, einen einmaligen und dem menschlichen Bauplan entsprechenden Gen-Datensatz als definierendes Merkmal für die Existenz eines eigenständigen Individuums heranzuziehen, mit allen Konsequenzen.