• Literaturverfilmung aus Ungarn,
    Laufzeit: 7 Stunden 12 Minuten (3 DVD)


    Regie: Bela Tarr


    Mein Eindruck:
    Bela Tarr drehte nach dem gleichnamigen Roman von László Krasznahorkai
    und mit Hilfe des Autors als Drehbuchautor einen mehr als 7stündigen Film, der laut Wikipedia auf der Struktur eines Tangos basiert.


    Der Film ist in ungarischer Sprache mit anwählbaren englischen Untertiteln.


    In einem Dorf im kommunistischen Ungarn ist die Stimmung niedergedrückt. Die Menschen haben weder Arbeit noch Perspektiven, die Maschinenfabrik steht leer. Dafür blüht Prostitution, Missgunst und Betrug. Fatalismus gehört noch zu den Tugenden in dieser abgeschlossenen Welt. Die Häuser sind nahezu verfallen, nur die Kneipe ist gut besucht. Andere bevorzugen es, zu Hause zu trinken, so zum Beispiel der Doktor, brillant gespielt von Peter Berling, der hier im Forum früher viel gelesen wurde.


    Bela Tarr nutzt lange Einstellungen, zum Beispiel sieht man minutenlang 3 Männer von hinten durch die schmutzigen Straßen gehen, während der Wind Blätter und Dreck aufwirbelt. Ähnliche Szenen wiederholen sich, Peter Berling geht später im Film in gleicher Kameraperspektive seinen beschwerlichen Weg durch Regen und Schlamm.
    Einmal gib es eine lange Passage nur aus der Sicht eines Fernglases.
    Manchmal verharrt die Kamera sogar völlig reglos auf einzelne Bilder.
    Oft regnet es, der Wind weht erbarmungslos, Schmutz und Verwahrlosung ist überall zu sehen.


    Einiges geht über die Grenzen des Erträglichen hinaus, wenn z.B. eine 20 Minuten lange Szene zeigt, wie ein Kind eine Katze quält. Äußerungen lassen vermuten, dass das Kind die Erfahrungen der Katze auch schon selbst gemacht hat. Noch minutenlang geht das Kind mit der toten Katze unter dem Arm die Straße entlang, der Blick leer und ohne Hoffnung.
    Es wird insgesamt eine trostlose Welt illusionslos gezeigt. Ohne Perspektive zerbricht eine Gesellschaft.


    Dieser Film zeigt, wie tief und befruchtend sich Literatur und Film ineinander verzahnen können.
    Der Film ist in schwarzweiß gedreht, aber ich glaube auch in Farbe würde er ebenso grau und düster wirken. Bela Tarrs Filmsprache ist streng, aber nahezu einzigartig.

  • Ich muss den Thread einfach aus der Versenkung holen, denn dieser Film verdient wesentlich mehr Aufmerksamkeit.


    Bela Tarr schafft es mit seinen anmutigen Schwarz/Weiß-Bildern den Zuschauer in ein archaisches, tristes, sinnentleertes Ungarn hineinzuziehen. Die Musikuntermalung Mihály Vígs ist schwermütig, aber nie aufdringlich traurig. Dass die Einstellungen teilweise bis zu 20 Minuten dauern, klingt zuerst arg ermüdend, aber die Stimmung & die Kamerarbeit der Szenen kaschieren die Länge. Es ist vielmehr so, dass man in die Figuren eintaucht und ihre Gefühle miterlebt. So fühlt es nicht an, als schaue man den Figuren dabei zu, wie sie - beispielsweise - nebst ihren Rindern über die dürren Feldern streifen, sondern als sei man selbst einer der erschöpften, trostlosen Hirten.


    Satanstango stellt für mich eine der intensivsten Filmerfahrungen dar und ich hoffe auch bald László Krasznahorkais Romanvorlage lesen zu können. Natürlich schreckt die Lauflänge von 7 Stunden vorerst ab, aber da der Film in 12 Kapitel gegliedert ist, kann man seine Sichtung auch in 2 oder 3 Sitzungen aufteilen.


    Wer allerdings die langen Einstellungen fürchtet und nicht gleich diese 7-stündige Herausforderung annehmen möchte, aber trotzdem Interesse an Bela Tarrs Filmstil hat, dem empfehle ich den - ebenfalls wahnsinnig herausragenden - 2-stündigen Werkmeister Harmonies. Leider sind die Filme Bela Tarrs nur als UK-Import mit englischen Untertiteln verfügbar - aber keine Sorge, gesprochen wird ohnehin kaum. :grin

  • Werkmeister Harmonies habe ich leider noch nicht gesehen.
    Für Bela Tarr Einsteiger bietet sich auch The Man from London (A Londoni férfi) von 2007 an.
    The Turin Horse hingegen ist schon wieder eine ganz schöne Herausforderung.


    muuuiuunuuiuuuw, kennst Du vielelicht auch Bela Tarrs film Verdamnis?
    Den habe ich auch noch nicht gesehen.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Werkmeister Harmonies habe ich leider noch nicht gesehen.
    Für Bela Tarr Einsteiger bietet sich auch The Man from London (A Londoni férfi) von 2007 an.
    The Turin Horse hingegen ist schon wieder eine ganz schöne Herausforderung.


    muuuiuunuuiuuuw, kennst Du vielelicht auch Bela Tarrs film Verdamnis?
    Den habe ich auch noch nicht gesehen.


    Stimmt, The Man from London eignet sich auch sehr gut als Einstieg, immerhin ist da die Stimmung nicht ganz so bedrückend und es gibt einen annähernd thrillermäßige Handlung.


    Verdamnis lief letztes Jahr bei uns im Kino als Vorfilm zu Turiner Pferd. Das war eine schöne Erfahrung, leider verließen knapp die Hälfte der 20 Besucher den Saal vor Filmende. An sich fand ich Verdammnis gut und bewegend. Tarrs Stil ist - wie ich finde - noch nicht ganz so ausgereift; die Bilder und Schnitte wirken noch etwas roh und experimentell. Dennoch sehenswert.


    Und Werkmeister Harmonies kann ich dir nur wärmstens empfehlen, der Film ist für mich auf fast ebener Stufe wie Satanstango. Bereits die Eröffnungssequenz fasziniert durch sein phantastisches und atemberaubendes Geschehen. Auch ähnlich der grausamen Katzenszene in Satanstango gibt es eine weitere Szene in Werkmeister Harmonies, bei der mir die Luft wegblieb.

  • Jetzt habe ich auch endlich Verdammnis (Kárhozat) gesehen und war wieder sehr beeindruckt. Wenn man Satanstango schon gesehen hat, lässt es sich nicht ganz vermeiden zu vergleichen und tatsächlich gibt es Gemeinsamkeiten, z.B. die langen Tanzszenen beider Filme oder der ewige Regen.
    Besonders konsequent fand ich das Ende und die letzte Szene mit dem völlig heruntergekommenen Karrer auf dem Mpllplatz!


    Jetzt bleibt mir noch Werkmeister Harmonies, den ich mir demnächst auf DVD bestellen werde.