Der Besucher - Sarah Waters

  • Waters, Sarah, Der Besucher, Orig.titel „The little stranger“, Übersetz. Ute Leibmann, Lübbe Ehrenwirth, Köln, 2011, ISBN 978-3-431-03830-9


    Zur Autorin (lt. Klappentext):
    Sarah Waters geboren 1966, ist in Wales aufgewachsen und lebt heute als freie Schriftstellerin in London. Mit ihrem Roman „Der Besucher“ hat sie großes Aufsehen erregt: Er stand monatelang auf der englischen Bestsellerliste, war für den Booker Prize 2009 und den Orange Prize 2010 nominiert und erscheint in 35 Ländern.


    Zur Leserunde bei den Eulen:
    Leserunde "Der Besucher"


    Meine Meinung:
    Viktorianische Schauerromane und Romane in dieser Tradition haben mich schon immer angezogen, aber nicht oft ist es einem Autor gelungen, mich mit einem Roman dieses Genres so zu fesseln wie Sarah Waters mit ihrem Roman „Der Besucher“.


    Als Dr. Faraday, Landarzt und Junggeselle mittleren Alters aus dem Arbeitermilieu, an einem Sommertag in der Nachkriegszeit nach Hundreds Hall, dem jahrhundertealten Stammsitz der Familie Ayres in Warwickshire, gerufen wird, werden bei ihm Erinnerungen an seine Kindheit wach. Bereits damals hatte Dr. Faraday, Sohn eines Kindermädchens der Ayres, die Gelegenheit das Anwesen zu besuchen, und war fasziniert von dessen prachtvoller, majestätischerErscheinung, die ihn magisch anzog und eine begierige Leidenschaft in ihm begründete. Doch nun, Jahre später, zeigt sich ihm Hundreds Hall stark vom Verfall gekennzeichnet. Seine Besitzer, die verwitwete Mrs. Ayres und ihre erwachsenen Kinder Roderick und Caroline sind kaum in der Lage ihren Besitz zu erhalten und dem Verfall Herr zu werden, ganz zu schweigen davon, einen Lebensstil zu führen, wie sie dies vor dem Krieg gewohnt waren. Sowohl die Ayres als auch Dr. Faraday, dem es bisher nicht gelungen ist, bei gehobenen Schichten Aufnahme zu finden, versuchen ihren Platz in der Gesellschaft des Nachkriegsenglands zu finden. Dr. Faraday erhält den Kontakt zu den Ayres und bald erfährt er von seltsamen Vorgängen im Haus, beginnend mit verschwundenen und an anderen Stellen wieder auftauchenden Gegenständen, Möbelstücken mit Eigenleben, kryptischen Zeichen, die plötzlich an den Wänden auftauchen und unerklärbaren bedrohlichen Geräuschen im Haus. Die Familienmitglieder der Ayres reagieren zunehmend panisch auf die Vorgänge im Haus, versuchen diese zu deuten und steigern sich in unterschiedlichste Erklärungsansätze hinein. Dr. Faraday hingegen versucht immer wieder natürliche Ursachen für die Ereignisse zu finden und die Familie damit zu beruhigen. Doch das Schicksal der Ayres nimmt unaufhaltsam seinen Lauf und das von Dr. Faraday wird immer enger mit dem der Ayres verbunden...


    Sarah Waters gelingt es von der ersten Seite ihre Romanes an, das England der Nachkriegszeit und dessen gesellschaftlichen Veränderungen vor den Augen des Lesers bildhaft entstehen zu lassen. Der Verfall von Hundreds Hall spiegelt sich zunehmend in der Psyche seiner Bewohner. Dadurch ist ihre Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Zeit so eindringlich gelungen, dass durchaus der Eindruck entstehen könnte, dass Sarah Waters einen exzellenten Gesellschaftsroman geschrieben hat – wenn da nicht die Elemente des Schauerromans wären.


    Recht schnell wurden bei der Lektüre des Romans „Der Besucher“ bei mir Erinnerungen an „Rebecca“ von Daphne du Maurier, „Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allan Poe, vor allem aber an „Das Durchdrehen der Schraube“ von Henry James wach. Ähnlich wie Henry James in „The Turn of the Screw“ erzählt Sarah Waters die Geschichte der Ayres mittels einer unzuverlässigen Erzählsituation: der Leser erfährt die Geschichte der Ayres aus Sicht von Dr. Faraday, ohne zu wissen, woher dieser sein Wissen über Situationen auf Hundreds Hall bezieht, die er selbst nicht als Augenzeuge erlebt hat und inwieweit seine Wahrnehmung von Situationen, die er miterlebt hat, der Realität entsprechen. Diese Erzählsituation führt zu einer Mehrdeutigkeit in den erzählten Geschehnissen auf Hundreds Hall, die eventuell die Meinungen der Leser spalten wird. Je nach Lesart wird der Roman als Auseinandersetzung mit dem Verfall der Oberschicht, die zwar eindrucksvoll aber wenig spannend ist, als paranormale Geschichte oder als psychologische Studie, die sukzessive das Grauen beim Leser anwachsen lässt, bewertet werden. Den Roman „Der Besucher“ so anzulegen, dass all diese Lesarten möglich sind, ist zweifellos eine Meisterleistung.


    Der Lesesog, den Sarah Waters Roman bei mir hervorgerufen hat, beruht auf meiner Lesart als psychologische Studie, bei der sich schlussendliche Gewissheit erst auf den letzten Seiten des Romans einstellt, so wie sich bei einem komplizierten Puzzle erst mit dem letzten Teil ein Gesamtbild ergibt. Für mich ist damit auch der Schluss des Romans handwerklich vollendet gelungen und absolut zufriedenstellend.


    Sarah Waters kombiniert in ihrem Roman „Der Besucher“ Elemente des Schauerromans mit einer präzisen Beobachtungsgabe sozialer Verhältnisse zu einem fesselnden und überzeugenden literarischen Unterhaltungsroman mit faszinierender Mehrdeutigkeit und Nachwirkung. Das Ende des Romans macht Lust auf eine zweite Lektüre, um Andeutungen aufzuspüren, die beim ersten Lesen nicht wahrgenommen oder ausreichend gewürdigt wurden. Für mich hat Sarah Waters Roman „Der Besucher“ alles, was nötig ist, um zu einem Klassiker des Genres zu werden.


    10 von 10 Punkten

  • Danke für die ausführliche Rezension, Pelican :wave


    Das Cover für sich wirkte auf mich auf den ersten Blick doch irgendwie eher abschreckend und wie ein typisches "Fantasybuch". Zumindest aber auf jeden Fall nicht so, als würde ich das Buch am liebsten gleich mitnehmen ... nach deiner ansprechenden Rezi werde ich das nächste Mal in der Buchhandlung aber auf jeden Fall mal reinblättern!

  • Das Cover sieht in natura, da es in mattem gemasertem Druck gehalten ist, gar nicht wie ein typisches "Fantasybuch" und fühlt sich fast edel an. Ich finde es recht gelungen und sehr passend.


    Insgesamt hat Lübbe das Buch auch m. E. schön aufgelegt. Der Einband unter dem Schutzumschlag ist schön gestaltet, der Schriftsatz ist ansprechend und ein dunkelrotes Lesebändchen ist auch dabei.

  • Zitat

    Original von Pelican
    Das Cover sieht in natura, da es in mattem gemasertem Druck gehalten ist, gar nicht wie ein typisches "Fantasybuch" und fühlt sich fast edel an.


    Ich habe es mir "in natura" schon ein paar mal angeschaut, aber mein erster Eindruck beim Cover war einfach "Fantasybuch" und nicht unbedingt "ernsthafte Literatur".


    Vielleicht ist das Buch ja wieder ein Beispiel dafür, dass ich es nicht allein aufgrund des Covers bewerten sollte ... :wave

  • Deine Rezi hört sich echt toll an - Ich muss mir das Buch unbedingt besorgen.. Habe eigentlich bei der Testleseraktion gewonnen aber irgendwie ist das Buch nie bei mir angekommen :cry

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Meine Meinung: „Ein fesselnder Roman von großer Sogkraft, der die Tradition des viktorianischen Schauerromans neu belebt.“ – Zu diesem Fazit kommt der Verfasser des Klappentextes und damit hat er es eigentlich schon auf den Punkt gebracht.


    Im England der Nachkriegszeit wird der Landarzt Dr. Faraday zu einem Notfall in das Herrenhaus Hundreds Hall gerufen. Das alte und ehrwürdige Haus ist im Besitz der Familie Ayres, die es in diesen schweren Zeiten kaum noch halten kann und die selbst Mühe hat, mit den gesellschaftlichen Veränderungen umzugehen. Dr. Faraday wird bald regelmäßiger Besucher in dem immer mehr verfallenden Herrenhaus und ist einer der wenigen Vertrauten von Mrs. Ayres, ihrer Tochter Caroline und ihrem Sohn Roderick. Als er erfährt, dass sich in dem Haus seltsame Dinge ereignen, versucht er zuerst die Familie zu beruhigen und für alle Vorkommnisse rationale Erklärungen zu finden, doch schon bald führen die Ereignisse dazu, dass die Familie sich ernsthaft in Gefahr sieht.


    Zuerst ist es die unglaublich dichte Erzählweise, die hier auffällt. Stimmungsvolle Bilder, düstere Ahnungen ranken sich die ganze Zeit um das Haus und die Familie. Eine lange Zeit geschieht nichts und trotzdem ist man von der Atmosphäre in Hundreds Hall gefangen und die Frage, wer da die Möbel rückt, wer der Verursacher unheimlicher Geräusche und Schriftzeichen ist, beschäftigt einen beim Lesen ebenso wie Dr. Faraday und die Mitglieder der Familie, auf die der sich immer mehr beschleunigende Verfall des Hauses überzugreifen scheint.


    Ausführlich geschildert finden sich alle Schauplätze dieses Romans, und so liegt zwar das Hauptaugenmerk der Autorin auf dem verfallenden Herrenhaus und dem dazugehörigen kleinen Personenkreis, doch erzählt sie mit derselben Eindringlichkeit und Plastizität von dem Leben der Landbevölkerung in dieser Zeit. Die Kämpfe des untergehenden Landadels und die Armut der Landbevölkerung werden durch die Person des Dr. Faraday, der sich nun in beiden Welten bewegt, berichtet. Faraday, der selbst aus einem armen Elternhaus stammt und dessen Mutter Kindermädchen in Hundreds Hall war, ist von dem alten Herrenhaus fasziniert und gefangen. Durch ihn wird die Handlung erlebt und doch bleibt zu ihm die gleiche Distanz wie zu den Bewohnern des Landsitzes.


    Es sind unheimliche Vorkommnisse, die sich ereignen und die Autorin gibt dem Leser kontinuierlich zwei Möglichkeiten der Erklärung dafür. Sie setzt Faraday nicht nur als Erzähler ein, nein, er hat auch die Aufgabe, dem vermeintlich Übernatürlichen mit ganz rationalen Lösungsangeboten zu begegnen.
    So bleibt es beim Leser sich die ihm angenehme Interpretation zu wählen, die ihm Sarah Waters überlässt. Für Freunde von Rasanz, Horror und Schockeffekten ist dieser Roman sicherlich nicht geeignet. Er ist eher leise und spektakulär unspektakulär und genau das macht seine Größe aus.


    Mein Fazit: Ich hatte das Gefühl, ein Meisterwerk und einen zukünftigen Klassiker in den Händen zu halten und ich habe jede Zeile, jeden Satz genossen. Für mich jetzt schon ein Jahreshighlight, das ich gerne weiterempfehlen möchte.

  • Ein wirklich außergewöhnliches Buch, sprachlich und stilistisch, das den Leser in den Bann zieht und ihm jede Menge zu Denken und Spekulieren gibt.


    Oberflächlich betrachtet ist nicht viel los. Düsternis und Melancholie, Moder und Verfall entströmen quasi jeder Seite. Obwohl mich eine solche morbide Grundstimmung normalerweise eher abschreckt, bin ich der Faszination dieser Geschichte erlegen, denn es gelingt der Autorin auf subtile Weise Spannung zu erzeugen, die anhält bis zum Schluss.


    So nebulös und schwankend in seinen Emotionen wie der Ich-Erzähler, taumelt man als Leser durch den Roman, folgt den gelegten Spuren, grübelt über die paranormalen Phänomene, die nie so richtig zu fassen sind.


    Es ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen mit der Symbolik, aber für mich spiegelte diese Geschichte über Niedergang und Verfall von Hundreds Hall und seiner Bewohner auch den gesellschaftlichen Wandel nach dem 2. Weltkrieg in England wider. Nach und nach gewinnt die Bourgeoisie (hier Faraday und Betty) die Oberhand, der alte, zunehmend verarmende Adel gerät ins Abseits. Ich weiß nicht, ob das eine Absicht der Autorin gewesen ist, aber mir drängte sich dieser Eindruck auf.


    Für mich war es das erste Buch von Sarah Waters und es hat mir ausgesprochen gut gefallen.


    Edit: jede Menge Formulierungen verbessert/geändert.

  • Ein altes Herrenhaus, eine Familie vom Krieg gezeichnet, ein verängstigtes Hausmädchen, die düstere Stimmung im England der Nachkriegszeit – die perfekte Mischung für einen Schauerroman. Wer nun aber einen Gruselroman mit vielen Schockelementen erwartet, würde enttäuscht werden. Die Geschichte beginnt eher bedächtig. Im ersten Teil lernt der Leser die Bewohner von Hundreds Hall und deren neuen Hausarzt Dr. Faraday kennen und taucht ein in die bedrückende Atmosphäre des Herrenhauses, dessen Zerfall unaufhaltsam erscheint. Allmählich wird klar, dass etwas auf Hundreds Hall nicht stimmt. Die mysteriösen Vorkommnisse geben Anlass zu vielen Spekulationen und lassen den Leser Erklärungen in den verschiedensten Richtungen suchen. Für mich ist es gerade dieses Pendeln zwischen Rationalität und Paranormalität, dem die Bewohner und vor allem Dr. Faraday unterliegen, das den Reiz dieses Buches ausmacht.


    Obwohl das Erzähltempo sehr gedrosselt ist und manche Abschnitte langatmig erscheinen, lässt die subtile Spannung den Leser nicht mehr los. Mit ihrer sehr schönen und bildhaften Sprache schafft es die Autorin immer wieder, die für meinen Geschmack etwas zu lange geratenen Passagen zu überbrücken. Und auch nach dem Schliessen des Buchrückens hallt die Geschichte noch sehr stark nach. Mir ging es jedenfalls so und meine Gedanken drehten sich noch eine ganze Weile um die Geschehnisse auf Hundreds Hall – und das spricht meines Erachtens nach sehr für die Autorin, der es gelingt, mich auch noch nach dem Lesen an das Buch zu fesseln.


    Die Hauptsache eines Buches ist selbstverständlich der Inhalt. In diesem Falle möchte ich jedoch die Aufmachung des Buches nicht unerwähnt lassen. Den Einband finde ich wunderbar gelungen und er fängt meiner Meinung nach die Atmosphäre des Geschichte sehr gut ein. Originell finde ich auch den Buchrücken, den ein Tapetenmuster ziert – ganz so, wie ich es mir für die Bibliothek von Hundreds Hall vorstelle. :-]


    Alles in allem ein faszinierendes Buch, das auch trotz der bedächtigen Erzählweise und ohne Effekthascherei durch Schockelemente die Bezeichnung "Schauerroman" durchaus verdient und ohne Bedenken weiterempfohlen werden kann.


    Edit: Tippfehler korrigiert

    Lesen ist ein grosses Wunder

    Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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  • Der Klappentext klang vielversprechend, das Cover versprach auch so einiges...Ich hatte mich auf ein tolles Buch gefreut - und wurde hier leider enttäuscht.


    Als Dr. Faraday zu einem Notfall auf Hundreds Hall gerufen wird, beginnt eine unheilvolle Geschichte ihren Lauf zu nehmen...
    Der Leser nimmt teil am Leben von Dr. Faraday, welcher immer mehr zu einem festen Bestandteil der Familie Ayres wird, welche auf Hundreds Hall lebt. Unheimliche Ereignisse häufen sich und schliesslichen nehmen die Dinge ihren unheilvollen Verlauf...
    Soweit so gut, allerdings zog sich die Geschichte für mich sehr in die Länge, erst im letzten Drittel nahm die Geschichte an Fahrt auf. Leider konnte dies nur einen Teil der Langatmigkeit wieder wett machen. Auch das Ende liess mich nicht wirklich zufrieden zurück, für mich waren einige Dinge einfach zu ungeklärt. Die Figuren waren zum Teil recht greifbar, zum Teil blieben sie mir fremd...
    Was man der Autorin zu Gute halten muss: Sie kann Atmosphäre erzeugen, eine düstere Grundstimmung zog sich durch das ganze Buch, die Orte des Geschehens konnte man sich gut vorstellen. Auch war ihre Art zu erzählen sehr angenehm zu lesen. Als Schauerroman oder dergleichen würde ich das Buch jedoch nicht bezeichnen.
    Im Grossen und ganzen ein Buch welches man mal lesen kann, was einen aber sicher nicht vom Hocker reisst. Zumindest ging es mir so.

  • Auch mich hat das Buch nicht 100% überzeugt. Ich fand es unheimlich spannend, energiegeladen und sehr schön erzählt, aber das Ende fand ich sehr unbefriedigend. Ich lese nicht gerne Bücher, bei denen ich am Ende genauso schlau bin wie zuvor. Dann kann ich mir gleich selber ne Geschichte überlegen.


    Aber vom Ausgang der Geschichte abgesehen, hab ich das Buch sehr genossen. Hundreds Hall und seine Bewohner haben mich sehr in ihren Bann gezogen und ich wäre am liebsten selbst durch die verstaubten, alten Hallen geschlendert. Die Autorin versteht sich ausgezeichnet darauf, Personen zu charakterisieren, Dinge zu beschreiben und Spannung zu erzeugen.


    Ich glaube, ich werde ein weiteres Buch von der Autorin lesen und hoffen, dass nicht alle Bücher so nichtssagend enden.


    Von mir gibt es 8 Punkte, weil es mich trotzdem so gut unterhalten hat.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • Warwickshire, England, Nach Ende des zweiten Weltkrieges:
    Der junge Dr. Faraday wird auf Hundreds Hall, ein altes Herrenhaus, gerufen, weil sich ein Mitglied des Personals nicht wohlfühlt. So beginnt dieser Roman, in dessen Verlauf man die einzelnen Mitglieder der Landadelsfamilie Ayres kennenlernt. Dies sind die betagte Mrs. Ayres, ihr kriegsversehrter Sohn und Gutsverwalter Roderick und ihre nicht gerade als gutaussehend, jedoch als klug beschriebene Tochter Caroline, sowie das Dienstmädchen Betty. Man lernt durch den Ich-Erzähler Faraday auch die Konflikte um die Einwohner des Hauses Hundreds Hall kennen, ihre Vorgeschichte und ihre kleinen Macken und Neurosen.
    Ganz allmählich beginnt der groß umworbene Schauer, mit verschobenen Möbelstücken und unerklärlichen Flecken an der Wand, doch was daraus entsteht, ist um einige Dimensionen größer.


    "Der Besucher" ist für mich zuallererst ein Gesellschafts-Roman, der Schauer wird mit Bedacht sparsam eingestreut, um die stets gegebenen natürlichen, wissenschaftlichen Erklärungen weiterhin im Raum stehen lassen zu können.
    Dies allein lässt einen Leser wie mich, die sich auf Grusel und Horror eingestellt hatte, ziemlich unbefriedigt zurück. Der Roman hat seine kleinen Momente, in denen es einem leicht kalt den Rücken herunterläuft, aber diese sind, wie bereits erwähnt, rar gesäht und gut versteckt zwischen alltäglichen Konversationen und seitenlangen Beschreibungen der Umgebung und vor allem des Hauses.
    Da das Buch als entspannende Lektüre trotz allem gut geeignet ist, da die Charaktere gut gezeichnet sind und ihre Handlungen und der Plot allgemein sehr schlüssig und nachvollziehbar sind, gebe ich hier


    7 von 10 Punkten.

  • Auch ich war nicht 100 % zufrieden mit diesem Buch. Das lag aber vielleicht daran, dass ich am Anfang einfach falsche Vorstellungen von der Geschichte hatte. Tatsächlich ist der Begriff Gesellschaftsroman sehr schön für dieses Buch. Denn das vor allem war es für mich. Der angenehme Erzählstil nahm mich schnell gefangen und die Charakterisierung der Protagonisten und das Zeichnen ihrer Gefühlswelten war sehr gelungen und fesselnd. Auch die Veränderungen, die in den Personen vorgingen, wurden plastisch und glaubwürdig rübergebracht. Wenn man akzeptierte, dass das Haus eine große Hauptrolle in diesem Buch hat, dann hatte man auch Spaß an den Beschreibungen des alten Herrenhauses und auch an den verfallenen und verblassenden Ecken.
    Obwohl es im Laufe des Buches


    war mir der Grusel nicht stark genug. Das Buch erinnerte in seiner Erzählweise eher an einen Roman der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts,

    Mir war es einfach zu wenig Schauer aber ich bin da auch Ärgeres gewohnt und bevorzuge es wohl auch, wenn es etwas deutlicher zu Sache geht. Das Ende hat mich dagegen in seiner Offenheit nicht gestört. Ich mag es, wenn man noch ein bisschen was zum Grübeln hat. Toll fand ich an dieser Leserunde vor allem die Teilnehmer, die in den tollsten Vermutungen und Thesen schwelgten und noch schwelgen. Schade, dass Frau Waters, das nicht persönlich mitbekommt. Bin mir sicher, dass es ihr gefallen hätte, hier Mäuschen zu spielen.


    Also von mir gute 7 Punkte.


    Auf Wunsch - ganz einsichtig - zwei Teile gespoilert.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

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  • England nach dem zweiten Weltkrieg birgt allerlei Geheimnisse und auch Mißstände, sowie eigenartige Menschen. So ist es nicht verwunderlich, dass Sarah Waters Roman in genau dieser Zeit spielt und uns mit nimmt auf eine Reise in eine Familiengeschichte der etwas anderen Art.


    Dr. Faraday kennt Hundred Halls noch aus Kindertagen und ist wieder neu fasziniert von diesem herrschaftlichen Haus, als er zu einem Notfall dort gerufen wird. Der Notfall ist schnell behandelt, aber durch eine gewisse Sympathie beginnt der Doktor, die Familie besser kennen zu lernen. Da wäre Rod, dem der Krieg zugesetzt hat oder Mrs. Ayers, eine alte, verschrobene Damen. Doch trotz der Faszination, die das Haus auf Faraday ausübt, merkt er auch wie sich dieses beginnt selbstständig zu machen. Das Böse atmet im Haus, Möbel verrücken sich von selbst und bald passiert die erste Schrecklichkeit….


    Dieses Buch erinnert mich an so viele andere Bücher und Filme, dass ich sie auch zur Beschreibung heran ziehen muss. Zuerst versprüht das Cover und auch die gruselige Elemente etwas von einer Geschichte von Edgar Allan Poe. Da wäre zum Beispiel“ Der Untergang des Hauses Usher“, der mir im den Sinn kommt. Zwischendurch musste ich an den Film „Rosered“ nach einem Buch von Stephen Kind, denken. Also ihr seht, Horrorelemente sind vorhanden, auch wenn es eher nicht der „Schauerroman“ ist, den viele Leser erwartet haben.


    Allerdings ist Sarah Waters eine begnadete Erzählerin, die eine Szene sehr lebendig gestalten kann und ich fühlte mich sehr oft „mittendrin“. Stellenweise kam mir das Buch nicht als ein Buch vor, sondern als eine greifbare Kulisse.


    Das viktorianische England wird mit all seinen gesellschaftlichen, aber auch privaten Problemen der Figuren, dargestellt. Fesselnd erzählt Waters wie eine Familie und auch ein Haus verfallen kann, wenn die Umwelt nicht mehr stimmt.


    Dr. Faraday ist dabei eine für mich zwielichtige Figur, die mit soviel Scharfsinn entwickelt wurde, dass ich nicht weiß, ob ich ihn mögen oder hassen soll. Am Ende, dass für mich nicht ganz klar ist, dass aber durch die Leserundenteilnehmer klarer wurde, hätte ich mir mehr gewünscht. Aber vielleicht sollte man am Ende einfach mehr nachdenken.


    Es ist schwierig zu sagen, dass das Buch durchweg gut war, denn die vorhandenen Längen sind auch mir aufgefallen und führten manchmal zu „Lesungs-ermattungs-zuständen.“ Dagegen steht die wirklich schöne Sprache und, dass die Autorin beides vereint: Horrorelemente mit einer Familiengeschichte.


    7 von 10 Punkte

  • Anahid
    Die Handlung spielt nicht im viktorianischen England, auch wenn sie Elemente von viktorianischen Schauerromanen aufgreift. Queen Victoria starb bereits 1901 und "Der Besucher" spielt ja nach dem Zweiten Weltkrieg. :wave


    Die Geschichte, die Dr. Faraday, Landarzt aus der Grafschaft Warwickshire, uns erzählt beginnt an zwei unterschiedlichen Tagen im Sommer. Er berichtet von seinem ersten Besuch im Herrenhaus der Familie Ayres - „Hundreds Hall“ - als Kind kurz nach dem ersten Weltkrieg im Jahr 1919. Er nimmt den Leser mit auf eine kleine Erkundungstour in das dunkle Innere des so geheimnisvoll und hoheitlich wirkenden Anwesens und macht die Faszination des alten Gebäudes greifbar.


    Als er Hundreds Hall nach fast 30 Jahren wieder betritt, muss er feststellen, dass sowohl das Haus, der Park, als auch die Familie selbst, ihre besten Zeiten offenkundig schon hinter sich haben. Der Verfall ist an allen Ecken und Enden erkennbar, der würdevolle Charme hat einen morbiden Beigeschmack bekommen. Durch den Krieg hat sich die finanzielle Lage der Familie alles andere als verbessert. Tochter Caroline, eine spröde Jungfer Mitte 20, streunt ungebunden und zwanglos wie ein Mädchen aus dem Dorf über die Wiesen, begleitet nur von ihrem alten treuen Labrador Gyp. Ihr jüngerer Bruder Roderick, Familienoberhaupt seit dem Tod des Vaters, hält mit Ach und Krach die Besitzungen der Familie zusammen, kämpft mit seinem kriegsversehrten Bein und wird auch schon mal im Stall des letzten verbliebenen Pächters beim Melken tätig.
    Einzig die Mutter versucht noch den Glanz einer vergangenen Ära zu bewahren, indem sie weiter die elegante Landadlige gibt und über die „Naturbelassenheit“ ihrer Tochter gerne mal die Nase rümpft.


    Mit der Zeit wird der Kontakt des Doktors zur Familie Ayres immer enger und freundschaftlicher, trotz seiner einfachen, bürgerlichen Herkunft. Er versteht sich als ihr Mittelsmann zur Außenwelt, möchte sie unterstützen und therapiert sogar Roddies verletztes Bein. Doch als ob die Lage der Familie nicht schon kompliziert genug wäre, kommt es immer wieder zu ungewöhnlichen Begebenheiten. Möbelstücke bewegen sich, man hört nachts Geräusche und seltsame Flecken tauchen in Rodericks Zimmer auf.
    Doktor Faraday in seiner Eigenschaft als Arzt sieht darin hauptsächlich Zeugnisse überspannter Nerven, was angesichts der Zustände, mit denen die Ayres klarkommen müssen, nicht weiter verwunderlich ist. Doch die Begebenheiten häufen sich und nehmen immer unheimlichere - und gefährlichere - Formen an.


    So wie die Hitze am Anfang des Buches die Protagonisten lähmt und ihre Bewegungen aufs notwendigste beschränken lässt, so langsam entwickelt sich auch die Handlung. Bedächtig und sorgfältig baut die Autorin ihren Schauplatz und ihre Figuren vor dem Leser auf, stellt Beziehungen her und zeigt vor allem durch den Blickwinkel von Dr. Faraday viele Vergleiche über das Leben und den schleichenden Verfall des Landadels in England vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. In diese geruhsame Entwicklung schleichen sich nach und nach die im Rückentext erwähnten schaurigen Elemente. Jedoch häufig sehr weit zeitlich auseinanderliegend und lange Zeit so, dass sie weder dem Leser noch den Protagonisten allzu bedeutend erscheinen. Ich kann also dahingehend meinen Vorrednern zustimmen, dass man es zum Großteil mit einem Gesellschaftsroman jener Zeit zu tun hat, der mit Elementen eines Schauerromans durchzogen ist, die dabei zum Schluss hin immer dominierender werden. Mit dem vergehen der Jahreszeiten nimmt auch die positive Grundstimmung zusehends ab. Es wird immer kälter, das Haus zusehends unwirtlicher und immer mehr Zimmer unbewohnbar.


    Die Ich-Perspektive als Erzählform ist sehr gut gewählt und passt ja auch durchaus zur Tradition von Schauerromanen. Durch genaue Beschreibungen von Personen und Orten erzeugt Sarah Waters ein atmosphärisch sehr dichtes Konstrukt, das vor dem Auge des Lesers lebendig wird. Allerdings muss auch ich zugeben, dass sie das an mancher Stelle vielleicht ein wenig übertreibt und der Sog der Handlung somit etwas ins stocken kommt. Was allerdings für mich an keiner Stelle nachgelassen hat war die innere Spannung, die mich ständig dazu angetrieben hat weiterzulesen, weil ich wissen wollte, was nun mit dem Haus, der Familie und dem Doktor passiert und welche der vielen möglichen Erklärungen die mir vorschwebten letzten Endes zutreffen würde.


    Fazit: Nachdem ich „Der Besucher“ nun gut eine Woche habe sacken lassen, kann ich wirklich sagen, dass ich die Lektüre sehr genossen habe. Es hat mich auch in der Zeit zwischen dem Lesen und nach Abschluss des Buches immer weiter beschäftigt und meine Gedanken sind immer wieder zu dieser Geschichte zurückgekehrt. Die edle Ausstattung tut ihr übriges um zu einem guten Gesamteindruck beizutragen. Auf jeden Fall ein besonderes Buch für mich, an das ich mich gerne erinnere.
    Ich vergebe 9 von 10 Punkten

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Ich bin hin- und hergerissen von dem Buch.
    Auf der einen Seite versteht es die Autorin mich in die damalige Zeit zu versetzen, man kann sich die Landschaft und auch das Haus bildlich sehr gut vorstellen.
    Auch die Personen, die alle aus der Sicht von Dr. Faraday geschildert werden, wirken lebendig und man kann sich in den verarmten Landadel hineinversetzen.
    Allerdings gibt es auch immer wieder Stellen im Buch, die sehr langgezogen sind, so dass man beginnt, sich zu langweilen. Dann passiert wieder etwas Spannendes und man liest interessiert weiter. Und so wechselt die Geschichte hin und her.
    Die letzten 50 Seiten liest man dann immer schneller, möchte man doch wissen, wie die Auflösung des Spuks ist.
    Ich war dann doch ziemlich enttäuscht, da eigentlich nichts so recht erklärt wird und der Schluss sehr offen ist.
    Hätte ich nicht die Leserunde gehabt, die über das tatsächliche Ende spekuliert hat und mir so eine Erklärung geliefert hat, hätte ich das Buch enttäuscht zugeklappt.


    Fazit: Schöne Landschaftsbilder, gute Beschreibungen der Situation des verarmten Landadels können einen über den recht offenen Schluss hinweghelfen und mit etwas Fantasie ist man auch mit dem Ende zufrieden.

  • Auch wenn das Buch nicht der erwartete Schauerroman war, sondern wie hier schon erwähnt eher dem Gesellschaftsroman zuzuordnen ist hat mich dieser Roman schnell in seinen Bann gezogen.
    Sarah Waters versteht es mit ihrer Art zu schreiben wunderbar die Handlungsorte und Personen vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen. Ihren atmosphärisch dichten Beschreibungen konnte ich mich nicht entziehen.


    Der "Grusel" fehlt auch nicht gänzlich. Einige Stellen haben ihr vor Spannung schier verschlungen und auch wenn sie für die Fans von modernerem Horror doch sehr seicht waren fand ich sie für dieses Buch sehr passend und gelungen.


    Nach anfänglicher Verunsicherung (hielt ich den Ich-Erzähler auf den ersten Seiten doch fälschlicherweise für eine Frau) fand ich die Erzählform gut gewählt. Die gefilterte Sicht der Dinge des Erzählers lässt mehr Raum für Spekulationen.
    Allerdings hätte ich mir zum Ende hin etwas weniger Raum dafür gewünscht. Für meinen Geschmack war der Ausgang zu offen auch wenn ich in der Leserunde feststellen musste das die Meinungen da sehr auseinander gingen und für einige das Ende sehr eindeutig und nicht offen ist.


    Alles in allem ein empfehlenswertes Buch und auch wunderbar für eine Leserunde geeignet. Ich habe gespannt die Meinungen und Spekulationen verfolgt. Nun liest es mein Mann gerade und ich bin gespannt wie es ihm gefällt.

  • Der junge Dr. Faraday wird wegen eines Krankheitsfall in Vertretung auf Hundreds Hall gerufen.
    Er kennt das Anwesen aus seiner Kindheit als seine Mutter dort angestellt war und er sie als kleiner Junge dort besuchen durfte.
    Er hat das Anwesen als außergewöhnlichen Hof in Erinnerung und der Landadel hat ihn schon damals sehr beeindruckt.


    Nun da er wieder auf Hundreds Hall ist, ist er vom stetigen Verfall des Hauses geschockt. Die Zeit der Diener, Gärtner und des Hauspersonals ist längst vorbei. Die Bewohner allerdings interessieren ihn und so mit er immer mehr Anteil an deren Leben und letztendlich auch an den eigenartigen Vorkommnissen im Haus. Diese häufen sich und sind den Bewohnern letztendlich unerklärbar.....



    Fazit:
    Ich habe das Buch angefangen zu lesen und fühlte mich mit der Geschichte sehr wohl. Es war spannend und unterhaltsam. Obwohl nicht viel passierte verstand es die Autorin mich bei der Stange zu halten und ich wollte unbedingt wissen wie es weiter geht. Zwischendurch hatte der sogenannte Schauerroman aber zu viele Längen und von Schauer habe ich nicht viel gespürt. Vielleicht fehlt mir aber dazu einfach das Faible.


    Sieht man mal von der Bezeichnung Schauerroman ab, mit dem der Verlag ja nun auf dem Klappentext Werbung macht, ist es ein gut zu lesender Gesellschaftsroman der zwar einige Längen aufzuweisen, aber alles in allem gut unterhalten hat.


    8 Punkte

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Wie beschreibt man einen Roman, dessen erzählerische Glanzleistung dem Leser erst nach Beenden der Lektüre vollständig bewusst wird? Es ist ein wahres Dilemma, in das mich Sarah Waters fünter Roman "Der Besucher" stürzt. Auf den ersten Blick ist es ein mehr oder weniger spannendes Portrait der herrschaftlichen Familie Ayres, die aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Situation im England der 1940er Jahre allmählich verarmt. Mrs. Ayres lässt dennoch nichts unversucht, zumindest stilvoll unterzugehen, während Tochter Caroline und Sohn Roderick sich selbst zum Melken nicht zu schade sind, um das Herrenhaus Hundreds Hall mühsam über Wasser zu halten. Roderick ist jedoch kriegsversehrt und von Schmerzen geplagt, so dass die Familie Dr. Farraday bittet, eine neue Heilmethode an ihm auszuprobieren.
    Dr. Farraday, der eher zufällig die Bekanntschaft mit der Familie Ayres machte, berichtet dem Leser aus erster Hand vom verzweifelten Kampf der Familie um das Herrenhaus und seine zunehmende persönliche Verstrickung in die unheilvollen Geheimnisse der Familie.


    Die Autorin braucht Einiges an Zeit (und Seiten!), bis sich dem Leser quasi auf dem zweiten Blick das auftut, was vom Verlag als "Belebung der Tradition des viktorianischen Schauerromans" angepriesen wird. Unmerklich wandelt sich die Atmosphäre in dem verfallenen Herrenhaus, die heißen, lichten Sommertage weichen einem düsteren und langen Winter. Unheimliche und unerklärliche Vorfälle erschrecken die Familie Ayres zutiefst und selbst Dr. Farraday, der das Herrenhaus seit seiner Kindheit stets tief verehrte, kann sich des Eindrucks nicht mehr verwehren, dass etwas Böses umgeht auf Hundreds Hall.


    Wer den Begriff des Schauerromans allzu wörtlich nimmt und den "Besucher" mit Stephen Kings Werken vergleichen will, tut dem Buch und dem viktorianischen Schauerroman bitter Unrecht. Es ist der leise, atmospärische Schauder, den die Autorin in ihren stimmungsvollen Beschreibungen hervorruft - gänzlich ohne zu schocken, und dennoch bleibt der Leser am Ende zutiefst beunruhigt zurück: Wie hatte es soweit kommen können - ohne dass es der Leser hat kommen sehen?
    Erst die Rückschau offenbart die wahre Kunstfertigkeit, das psychologische Geschick der Autorin.
    Ein Buch, das lange nachwirkt und dem so manche Länge gern verziehen wird.
    9 von 10 Punkten.