Ortwin Ramadan: Der Schrei des Löwen

  • Carlsen Verlag, März 2011
    Taschenbuch, 288 Seiten
    ISBN: 3551310173
    Preis: 9,95 Euro


    Klappentext:


    Der 16-jährige Yoba und sein kleiner Bruder Chioke leben als Straßenkinder in Nigeria. Als Yoba einen Auftrag für den örtlichen Gangsterboss erledigt und plötzlich in den Besitz einer Tasche mit Geld gelangt, ist das ihre große Chance: Sie fliehen und lösen bei einem Menschenschleuser ein Ticket nach Europa. Wie so viele andere wollen sie es auf eines der Flüchtlingsboote nach Sizilien schaffen. Doch der Weg dorthin ist lang - und viel gefährlicher als gedacht.


    Meine Meinung:


    In Der Schrei des Löwen nimmt Ortwin Ramadan den Leser mit auf eine Reise von Nigeria nach Europa. Dabei schreibt er so bildgewaltig, dass ein sehr genaues Bild vor dem inneren Auge entsteht. Doch ich habe beim Lesen nicht nur gesehen, ich hatte auch das Gefühl die sengende Sonne auf der Haut zu spüren, den Durst zu spüren und das Salz auf den Lippen zu schmecken.


    Bereits nach wenigen Sätzen war ich voll in der Geschichte drin. Direkt auf den ersten Seiten gelingt es dem Autoren einen Spannungsbogen aufzubauen, denn ich wollte unbedingt mehr über die beiden Brüder erfahren. Der Spannungsbogen wird auch während des ganzen Buches gehalten, so dass die Seiten nur so dahin geflogen sind. Der angenehme Schreibstil des Autoren tut sein übriges dazu. Er verwendet eine klare und deutliche Sprache und verliert sich nicht in unnötigen Beschreibungen. Der Tonfall ist eher nüchtern. Bei der Beschreibung des Leids, der Sorgen und Ängste von Yoba und Chioke rutscht er nie ins Übertriebene oder Weinerliche ab. In Verbindung mit der Thematik hat mir dies sehr gut gefallen.


    Nach einigen Kapiteln entwickelt sich ein zweiter Handlungsstrang, mit weiteren Protagonisten. Erst gegen Ende des Buches wird die Rolle dieser Protagonisten deutlich und ich finde dies sehr gelungen. Dieser zweite Handlungsstrang, welcher auf den ersten Blick nur wenig mit der Hauptgeschichte zu tun hat, verhilft dem Buch zu einem wirklich guten Ende. Das Ende war ganz nach meinem Geschmack und verdeutlicht die Brisanz des Themas.


    Die Handlung und das Thema des Buches haben mir wirklich gut gefallen. Natürlich kenne ich die Bilder von den Flüchtlingsboten aus den Medien, kenne die Diskussionen um die Flüchtlingsthematik aus der Politik und auch die Spendenaufrufe diverser Hilfsorganisationen sind mir nicht fremd. All diese Dinge waren jedoch stets weit weg. Der Schrei des Löwen führt dieses Leid jedoch sehr genau vor Augen und bringt einem das Thema näher. Oft genug war ich erschüttert von den Umständen, unter denen die Brüder leben und ihr Leid hat mich sehr berührt. Dieses Buch öffnet einem die Augen und verhilft zu einem neuen Blick auf die Thematik.


    Mein Fazit:


    Mir hat der Schrei des Löwen von Ortwin Ramadan wirklich gut gefallen. Ich habe das Buch innerhalb von zwei Tagen durchgelesen und hätte ich nicht noch meinen Alltag gehabt, hätte ich das Buch sicherlich in einem Rutsch durchgelesen. Die angesprochene Thematik berührt und verhilft zu einem neuen Blickwinkel auf die Situation. Der Autor war mir bislang unbekannt, konnte mich jedoch von sich überzeugen.

  • Zum Inhalt:


    Yoba und sein jüngerer Bruder Chioke, genannt Chi-Chi, leben in Nigeria auf der Straße. Mehr schlecht als recht schlagen sie sich irgendwie durch. Chi-Chi hat in ihrem Heimatdorf Schlimmes mitgemacht und spricht seitdem kaum noch, Yoba muss sich um ihn kümmern. Ihr großes Ziel ist es, der Armut Nigerias zu entkommen und ihren Onkel im fernen Europa zu finden. Sie wissen eigentlich nichts von ihm, nur dass er in einer Stadt namens Hamburg lebt und sicherlich reich ist – wie alle Menschen in Europa. Als Yoba sich mit einem örtlichen Gangsterboss anlegt, wird es allerhöchste Zeit für die beiden Brüder, aus der Stadt zu verschwinden. Also machen sie sich auf eine gefährliche Reise. Hinaus aus Nigeria, durch den Niger, Lybien, durch die Sahara und dann über das Mittelmeer, so sieht die Route aus. Doch überall lauern Gefahren, Korruption, Bestechung, Diebe, die unbarmherzige Wüste, aber zum Glück auch immer wieder Lichtblicke in Form von Menschen, die ihnen helfen – doch werden sie es am Ende nach Europa schaffen?


    Parallel werden immer wieder Abschnitte aus Sicht des deutschen Jungen Julian eingestreut, der mit seiner Familie gerade Urlaub auf Sizilien macht. Bei einem Tauchkurs macht er eine entsetzliche Entdeckung. Als er kurz darauf das Tagebuch von Yoba findet, das am Strand angespült wird, machen er und die Tochter des Hotelmanagers Adria sich auf die Suche nach dem Jungen, mit dem Ziel ihm das Buch zurückzugeben.


    Meine Meinung:
    Das Buch schildert auf sehr nachdrückliche und doch jugendgerechte Weise das, was wir immer wieder und immer öfter in den Nachrichten sehen. Überfüllte Flüchtlingsboote, voll mit verzweifelten Menschen aus Afrika, die bereit sind, jedes Risiko einzugehen, um aus ihrem hoffnungslosen Schicksal daheim zu entkommen und einen Platz in Europa zu finden. Anhand des Einzelschicksals von Yoba und Chi-Chi beschreibt das Buch, was die Menschen antreibt, so weit zu gehen und so viel zu riskieren.


    Gleichzeitig wird durch die Perspektive von Julian die Gleichgültigkeit der Europäer gezeigt. Hauptsache, nichts stört den friedlichen Sommerurlaub, schon gar keine toten schwarzen Flüchtlinge. Bis auf Julian und Adria.


    „Sag mal, warum tust du das eigentlich?“ fragte Adria ihn.
    „Keine Ahnung. Da gibt es wahrscheinlich mehrere Gründe.“ sagte er nachdenklich. „In manchen Dingen kann ich diesen Yoba gut verstehen. Ich hätte vielleicht auch versucht nach Europa zu kommen. Aber es macht mich wütend und traurig, dass er sein Leben für Dinge riskieren muss, die bei uns selbstverständlich sind. Schule zum Beispiel, oder einen guten Arzt für seinen Bruder.“ Er hielt inne: „Außerdem interessiert sich sonst keiner dafür. Alle wollen bloß schön Urlaub machen.“ (Seite 230/231)