OT: All I want for Christmas is a Vampire 2008
Ich lese keine Hühnerbücher und auch keine über Vampire. Wenn ich mich dieser Spezies einmal widme, dann filmisch, weil ich eine Schwäche für die alten Mike-Hammer-Produktionen habe. Vorliegendes Buch aber fiel mir sprichwörtlich vor die Füße. Als ordnungsliebender Mensch habe ich mich gebückt, um es aufzuheben. Als Büchersüchtige mußte ich natürlich darin lesen. Für die weitere Beschäftigung mit diesem Beispiel zeitgenössischen Schrifttums gibt es weder eine Erklärung noch eine Entschuldigung. Sie muß auf die im Buch mehrfach erwähnte Fähigkeit von Vampiren zurückzuführen sein, Nicht-Vampiren vorübergehend den Verstand zu rauben.
Zur Geschichte: Ian MacPhie wurde schon als Teenager im Jahr des Herrn 1542 Vampir. Er fand das über die Jahrhunderte hinweg ganz okay, mit dem neuen Millenium aber hatte er sein knuffiges Bübchen-Dasein satt und wollte endlich ein Mann sein. Da das vampirische Leben offenbar längst derart durchorganisiert ist, daß man wahrscheinlich selbst Ausflüge in Fledermausgestalt vier Wochen vorher schriftlich beantragen muß, hat er natürlich Beziehungen zu einer Vampir-Vereinigung samt anhängendem Chemie-Waffen-was-auch-immer-Konzern, der Altern möglich macht. Der Vorgang ist für Vampire eine ziemliche Tortur, aber Schönheit muß eben leiden. Zu Romanbeginn hat unser Ian bereits ausgelitten und steht als knackiger Schotte mit langen dunklen Haaren vor uns bzw. in der einschlägigen Vampir-Disko. Was will er dort? Ganz klar: ein Weib. Natürlich nicht jede. Sie muß hübsch sein und intelligent, gut und sein Herz rühren. Damit hier keine Mißverständnisse aufkommen: es geht hier im Liebe und keinesfalls um schnöden Sex.
Nun ist Ian aber schüchtern, weswegen die Autorin Heerscharen von Frauen aufbietet, die für die nächsten 165 Seiten lautstark - ich meine wirklich lautstark - betonen müssen, wie heiß Ian ist. Das hat auf S. 166 dann auch die letzte Leserin begriffen (ich glaube fest an die Fähigkeit des menschlichen Hirns, obwohl ich dieses Buch vor mir hatte!), nur Toni nicht. Aber Toni ist auch eine Romanfigur, und im Roman ist bekanntlich alles anders als im wirklichen Leben. Toni ist groß und blond und sie hat eine irrsinnig tolle Figur, weswegen sie ihren ersten Auftritt im schwarzen Catsuit bekommt.
Den hat ihr aber die Autorin verpaßt, weil Toni selbst gar nicht weiß, wie schön sie eigentlich ist. In dem Punkt geht es ihr wie Ian, der auch nicht weiß, wie heiß er ist, obwohl er im Nachteil ist, denn er kann sich im Spiegel nicht sehen. Toni, als Menschenfrau, könnte das, aber sie tut’s nicht, weil ihre seegrünen Augen böse funkelnd auf Ian gucken. Der hat sie nämlich für eine Einbrecherin gehalten und gleich mal auf dem teuren Wohnzimmerteppich flachgelegt, in allen Ehren natürlich. Er wollte nur die Bücher seines besten Freunds verteidigen. Ich gestehe, daß mir Ian in dem Moment ganz nahestand. Wem Bücher wichtiger sind als Blondinen im Catsuit, der muß ein guter Mensch sein. Vampir, meine ich.
Aber natürlich ist alles ganz anders. Toni ist mitnichten eine Einbrecherin, jedenfalls hat sie es nicht auf die Bücher abgesehen. Sie gehört zum Wachdienst, der Vampire tagsüber hütet, wenn sie in ihren todesähnlichen Schlaf fallen. In dem Zustand können sie getötet werden und das wollen wir nicht, entschuldigung, die Vampire wollen das nicht, wie konnte ich das verwechseln. Toni bewacht also Ian, immer noch mit wütend funkelndem grünen Blick. Sie haben sich zwischenzeitlich das geliefert, was in der leichteren Unterhaltung als ‚Wortgefecht’ gilt, mich aber leider nur zum schnelleren Blättern brachte. Da sich das, was sich liebt, bekanntlich neckt, habe ich übrigens auch die folgenden zweihundert Seiten recht schnell hinter mich gebracht.
Dabei war bis dahin nicht einmal ein Bruchteil von dem geschehen, was noch geschehen sollte. Dazu gehört vor allem Tonis Hintergrundgeschichte. Toni will - das ist ein Geheimnis! - an die Vampire ran. Natürlich in allen Ehren, nicht daß jetzt schon wieder jemand denkt, es ginge um schnöden Sex. Hier geht es um wahre Freundschaft. Tonis beste Freundin ist von Vampiren angegriffen worden. Im Park. Nachts!!
Wenn man jetzt auf den Gedanken kommt, daß es vielleicht eine gute Idee wäre, Vampire nichts nur tagsüber, sondern auch nachts zu bewachen, beweist das gesunden Menschenverstand. Der ist hier jedoch fehl am Platz. Vampire, die nachts in Parks herumbeißen, sind nämlich nicht zu retten. Sie sind böse Vampire und leben in ewiger Feindschaft mit den guten Vampiren. Daß sie böse sind, merkt man daran, daß sie slawische Vornamen tragen und sich gebärden, wie das, was in Vorabendfernsehserien als russische Mafia durchgeht. Außerdem sind sie ihren Leidenschaften unterworfen (das ist wahrscheinlich die russische Seele von heute) und haben dauernd Sex. Echten. Schnöden. Deswegen wird er auch nicht näher beschrieben.
Doch zurück zu Tonis Freundin. Sie heißt Sabrina, im Buch ‚Bri’ genannt, was mich zusammen mit Ians Clansname MacPhie während der Lektüre leider zu Assoziationen anregte, die dem Ernst des Themas nicht angemessen waren. Bri also, die den osteuropäischen Reißzähnen in letzter Sekunde entkam, hat bei ihrer Aussage bei der Polizei die Vampire erwähnt und gilt seither als psychisch gestört. Toni will Bri aus der Psychiatrie retten. Und zugleich beweisen, daß es Vampire gibt. Dazu nimmt sie die Hilfe ihres etwas rätselhaften Wohnungsnachbarn Carlos an. Er ist auch ganz wild auf die Vampire. Nein, es geht hier weder um Liebe noch gar um Sex. Carlos ist von eigener Art. Selbstverständlich ist er auch ein toller Kämpfer, unheimlich intelligent und ein erstklassiger Computerspezialist. Er braucht das Wort ‚Computer’ nur zu denken, schon hat er jedes Paßwort geknackt.
Von nun geht es rund. Mit immer größer werdende Augen und sich immer weiter öffnendem Mund verfolgte ich gute Vampire, die sich mit bösen Vampiren nächtliche Schwertkämpfe (!) auf öden Großstadt-Parkplätzen lieferten. Jemand will an irgendwelche Geheimformeln, Ian will an Toni, Toni will an Bri, die halbe Damen-Vampirwelt will an Ian, und Carlos an den Computer. Und mittendrin schmückt die wunderschöne Ehefrau des guten Obervampirs zusammen mit Schwiegermutter und dem zweijährigen Vampirnachwuchs den Weihnachtsbaum. Weil das Ganze nämlich in der Weihnachtszeit spielt. Was es auch jedesmal tut, sobald es der Autorin wieder einfällt. Ihrem Einfallsreichtum ist dann auch in dieser Beziehung keine Grenze gesetzt. Die Vampir-Weihnachtsmann-Parade in den heiligen Hallen des oben genannten Chemie-Waffen-was-auch-immer-Konzerns ist ein Ereignis besonderer Güte.
Bei dem Hin -und Hergerenne, sei es auf Beinen, sei es mehr durch die Luft mit vampirisch mentalen Kräften, heben sich dann auch die Säume der schottischen Röckchen und gewähren insbesondere Toni einen guten Blick auf die intimeren anatomischen Schönheiten von Ian, was den Ausdruck ihrer grünen Augen allmählich von wütend zu begehrlich verändert. Da Ian in vergleichbaren Gemütslagen immer rote Augen bekommt, verleiht das dieser herzigen Weihnachtsgeschichte die passenden Farben. Das nenne ich durchgearbeitete Motivik!
Am Ende bekommen alle, was sie wollten. Außer den Bösen, denn die sind tot und haben damit auch ihr Weihnachtsfest verscherzt. Die Leserin bekommt dafür - endlich nach all den schönen Küssen - eine breit ausgemalte Bettszene zwischen Ian und Toni. Aber das ist reine Liebe und kein schnöder Sex!
Ich wurde bei der Lektüre, die zugegebenermaßen streckenweise ein Querlesen war, nicht selten mit Lachanfällen belohnt. Die gehen allerdings weniger auf den durchaus vorhandenen Humor der Autorin, als auf die Absurdität des ganzen Konstrukts, zurück. Es. Ist. Atemberaubend. Albern.
Auf den ersten Blick.
Schaut man ein wenig dahinter, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die Literaturgeschichte kennt Vampirgeschichten und Pornografie. In der vorliegenden Form aber ist von dem Abenteuerlichen beider Genre, von dem, was ursprünglich Regeln und Gesetze brechen, was grenzüberschreitend eingesetzt werden konnte, kein Quentchen mehr übrig. Alles ist domestiziert. In eine Ordnung gebracht, wie die schnurgerade angelegten Beetchen im Kleingarten, Pflänzchen akkurat neben Pflänzchen, ordentlich beschriftet, von Zäunchen umgeben und von milde lächelnden Gartenzwergen behütet.
Keiner Figur in diesem Roman, die das Etikett ‚gut’ trägt, widerfährt etwas Böses. Alle werden gerettet. Weil sie gut sind. Zu uns gehören, eigentlich brave Bürger sind. Der Obervampir besitzt einen Konzern, er ist reich und mehrt seinen Reichtum, wie es sich gehört. Natürlich setzt er den Reichtum nur zum Guten ein. Vampire fungieren in dieser Welt sogar schon als Weihnachtsmänner für die Menschen. Der Vampirnachwuchs ist ein wahres Wunder, berührt er mit seinen Kleinkinderpatschhändchen eine geplagte Seele, erscheint prompt ein Lächeln auf dem Gesicht der Betroffenen, und alles ist wieder in Ordnung. Durch die Luft gehen kann er auch. In diese kitschig-bürgerliche Weihnachtsgeschichte gehört eben auch ein Jesuskind, noch eine (Denk)Figur, deren ursprüngliche Sperrigkeit hier glattgehobelt wird.
Erschreckend ist schließlich, wie keusch diese Art von Geschichten ist, obwohl es explizit um Sex geht und entsprechende Szenen auch eindeutig beschrieben werden. Da sie aber nur dann beschrieben werden, wenn es sich um ‚reine’ Liebe handelt, sind sie erlaubt, sanktioniert. Das ist weder Sex, noch Erotik noch gar Pornografie, hier wird im Gegenteil andachtsvoll keuscher Beischlaf zelebriert. Partnerin und Partner sind einander immer eindeutig zugeordnet und - das ist ganz wichtig für den spießigen Horizont - auf ewig zugesprochen. ‚Bis daß der Tod euch scheidet’ gilt nicht für diese guten Vampire. Ihnen, so suggeriert die Autorin, wird nie etwas zustoßen. Ein Ende ist künstlich ausgehebelt, hoffen wir, daß niemand von diesen Paaren je darauf kommt, daß sie oder er sich vielleicht geirrt haben könnte.
Hier hat eine ganz bestimmte Richtung hochkonservativer Ideologie alten Ideen der Romantik, die Sprengkraft besaßen, den Garaus gemacht. Das Abenteuer Pornografie wie das Abenteuer ‚Vampirwesen’ haben in solchen Büchern ihr Grab gefunden.
Traurig.