Klappentext:
Jerewan, Armenien, eines kalten Dezembertages im Jahr 1994: Penelope sehnt sich nach einer heißen Dusche. Keine Kleinigkeit in einer Stadt, die durch Erdbeben und Energieembargo zur Baustelle geworden ist. Überall lauern Strom- und Wassersperren, die Transformatoren streiken, die öffentlichen Verkehrsmittel fallen aus. So begibt sich die junge Frau auf eine Irrfahrt durch ihre Heimatstadt, stets auf der Suche nach fließendem Wasser und Licht. Auf diesem Weg begegnen ihr gute Freundinnen, freche Kinder und werbende Männer. Ihr Verlobter Armén operiert Verwundete, irgendwo im Kampfgebiet bei Berg-Karabach, wer weiß, ob und wann er zurückkommt? Aber Penelope bleibt ihm treu und lehnt den Antrag eines reichen Verflossenen ab. Sie träumt, diskutiert und erinnert sich - an die Kindheit, die erste Liebe, die Ahnen. Sie denkt über ihre Heimat nach, dieses "Stückchen geistiges Europa, das es nach Asien verschlagen hat". Und so lässt Penelope die Komik des postsowjetischen Alltags aufleben, die Tragik der armenischen Geschichte und die Sehnsucht nach den Annehmlichkeiten des Westens.
Wer könnte einer solchen Frau widerstehen? Oder ihr lange fernbleiben? Und so kehrt Odysseus-Armén zu seiner Penelope zurück - nachdem die Morgendusche am Abend endlich glückt.
Über die Autorin:
Gohar Markosjan-Kasper stammt aus einer armenischen Künstlerfamilie in Jerewan, studierte Medizin und war als Ärztin tätig. Sie schreibt auf Russisch - Gedichte, Dramen und Prosa. 1990 heiratete sie den estnischen Künstler Kalle Kasper und folgte ihm nach Tallin. "Penelope, die Listenreiche", ihr erster Roman, wurde auf Anhieb für den russischen Booker-Prize nominiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Meine Meinung:
Penelope, die Gattin des Odysseus, wartet zwanzig Jahre lang treu auf ihren Ehemann und wehrt ihre Verehrer mit List ab. Die Penelope in diesem Roman begibt sich selbst auf eine Odyssee. Im Jerewan der 1990er Jahre während der Energieblockade sind Strom und Wasser keine Selbstverständlichkeit. Sie kommen und gehen, unberechenbar, und so wird Penelopes einfacher Wunsch nach einem heißen Bad der Ausgangspunkt für eine lange Reise, die zwar nur einen Tag währt, aber die Vergangenheit Armeniens seit dem Völkermord am Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart umspannt.
Penelope ist Anfang dreißig, unterrichtet Sprachen an einer Ballettschule und wohnt bei ihren Eltern. Der Vater war Opernsänger, die Mutter Chorsängerin. Sie leben in ärmlichen und beengten Verhältnissen; der Glanz früherer und erfolgreicher - wenn auch nie reicher - Zeiten verblasst allmählich.
Penelope ist gebildet, hat Wortwitz, spielt gerne mit der Sprache, bildet endlos scheinende Assoziationsketten und plaudert für ihr Leben gern. Und so wird im Plauderton erzählt, wie sie sich zu Freundinnen und Verwandten aufmacht, um ihr heißersehntes Bad zu bekommen, doch immer kommt sie zu spät - Strom und/oder Wasser sind schon wieder abgestellt - oder sie verplaudert sich und versäumt die Gelegenheit zum Bad. Auf ihrem Streifzug durch die Stadt sinniert sie über die Vergangenheit, die armenische Seele, ihre Großeltern, die den Genozid von 1915 knapp überlebten, über die Russifizierung Armeniens während der Sowjetzeit und die spätere Re-Armensierung, über Demonstrationen, Korruption und das Streben nach westlichen Genüssen. Ihre Gedanken sind immer verknüpft mit dem Alltag der Gegenwart, der Kälte, dem Bedürfnis nach Sauberkeit und Schönheit, Essgelüsten.
Unerwartet erhält Penelope die Gelegenheit, auszubrechen: Edgar, dessen Geliebte sie jahrelang war, ist reich geworden, will sich endlich scheiden lassen und mit ihr zusammen sein. Sie zögert. Immerhin hat er eine beginnende Glatze und einen Bauchansatz und überhaupt. Außerdem ist da noch Armén, der Neurochirurg, der nach Karabach geschickt wurde, um Verwundete zu versorgen. Es ist ungewiss, ob dieser Odysseus zurückkehren wird, aber er wäre nie, niemals so unterwürfig wie Edgar. Dafür fährt Edgar Mercedes …
Ich habe mich sehr abmühen müssen, dieses Buch durchzuhalten. Das Geplauder, die Wortspiele, die Assoziationen sind äußerst anstrengend und erforderten viele Lesepausen. Das Glossar am Ende des Buches ist interessant, wenn auch für mich nicht immer wirklich erhellend. Aber der Humor, ohne den der Alltag in Jerewan wohl kaum zu bewältigen ist, die Informationen über das heutige Leben und die Vergangenheit in Armenien, einige wunderbar gelungene Passagen, zum Beispiel die Kindheitserinnerungen über Urlaube am Schwarzen Meer, und die unbändige Lebenslust einer oberflächlich und egoistisch scheinenden, in Wirklichkeit tiefsinnigen Penelope waren der Mühe wert. Und ja, sie bekommt ihr heißes Bad am Ende eines langen Tages, und auch für dieses Bad haben sich alle Mühen gelohnt: "Das zärtliche Wasser, großzügig mit Shampoo gewürzt, floss ihr über Brust und Bauch, schäumend und zischend wie Champagner, der über den Kelchrand steigt. Penelope stellte sich diesen Kelch vor - schmal, hoch, auf einem dünnen, langen Fuß, elegant und klingend, damit konnte sie sich vergleichen, mit einem Kelch Sekt, der lockt und berauscht …"