Kurzbeschreibung
1778: Das Leben der Offizierstochter Olivia Kilbourne ändert sich schlagartig, als ihr Vater nach Gibraltar versetzt wird. Ihre Eltern entzweien sich, ihre Geschwister scheinen etwas vor ihr zu verbergen, und der Offizier Sir John Retallick drängt sie in eine Ehe. Trotz der Unnahbarkeit, die ihn umgibt, verliebt sich Olivia in ihn. Als es zur Belagerung von Gibraltar kommt, spitzt sich ihr Schicksal jedoch dramatisch zu. Ein düsteres Geheimnis verbindet John und ihre Familie, und Olivia wird hineingezogen in ein Spiel um Vergeltung, Intrigen und Verrat.
Über die Autorin
Laila El Omari, geboren in Münster als Kind eines palästinensischen Vaters und einer deutschen Mutter, studierte Orientalistik, Germanistik und Politikwissenschaften in Münster und Bonn. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Bonn, sie arbeitet bereits an ihrem nächsten Roman.
Meine Meinung
Juli 1778. Auf der Überfahrt nach Gibraltar, den Ort, an den ihr Vater versetzt wurde, begegnet die junge Olivia auf dem Schiff dem Offizier John Retallick. Ein verschlossener Mann, auf dessen Familie ein Makel liegt. Zu ihrer Überraschung stellt sie fest, dass ein Teil ihrer Familie John Retallick bereits zu kennen scheint, aber niemand über diese Bekanntschaft reden möchte, ja es erweckt gar den Eindruck, als versuche man etwas vor Olivia zu verheimlichen. Auf Gibraltar angekommen lässt John Retallick keine Gelegenheit aus, Olivia in kompromittierende Situationen zu bringen, und sie somit zu einer von ihr ungewollten Ehe zu zwingen. Was beabsichtigt John Retallick mit seinem Handeln und welches Geheimnis ist es, das er mit Olivias Familie teilt?
Laila el Omari entführt ihre Leser diesmal nicht nach Indien, sondern nach Gibraltar in die Zeit nach den englisch-spanischen Kriegen. Es ist eine Halbinsel von bedrückender Enge, auf der die Engländer versuchen, sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Das gesellschaftliche Leben funktioniert wie daheim in England, die Zwänge und Konventionen sind die gleichen. Manch jemand mag vielleicht denken, die von der Autorin erzählte Geschichte ähnelt der der vorangegangenen Büchern, nur der Schauplatz habe sich geändert, aber wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird schnell eines Besseren belehrt. Die von John Retallick angestrebte Ehe mit Olivia wird nicht unter Zwang geschlossen und die Eheleute sind sich durchaus auch schon vor der Ehe gewogen, wenn auch Johns Beweggründe eher zweifelhafter Natur sind.
Parallel zu den Ereignissen auf Gibraltar erzählt die Autorin in Rückblicken die Ereignisse im London des Jahres 1776, die John Retallick letzendlich auf das Schiff nach Gibraltar geführt haben und die mit der Familie Olivias untrennbar verwoben sind. Der Leser erfährt so nach und nach das Geheimnis, das ein Teil der Familie bewahrt, während Olivia weiterhin mit ihren Vermutungen und Ahnungen im Dunkeln tappt. Ist der erste Teil dieses Buches ganz dem Katz und Maus-Spiel zwischen Olivia und John gewidmet, das einer widerspenstigen Zähmung gleicht und mir beim Lesen ganz unbändig viel Freude bereitet hat, hält im zweiten Teil der spanisch-englische Krieg erneut Einzug auf Gibraltar und der Leser hat Teil an den Schrecken, die Bombardement, Blockaden und Aushungerung der Bewohner mit sich bringen. Man leidet mit, wenn Granaten und Kanonenkugeln Menschenleben fordern und die Stadt zerstören und der Hunger zu Plünderung und Diebstahl führt. Präsent und wichtiger Bestandteil sind aber auch in diesem Teil immer die schwierigen Familienbeziehungen, an denen die gesamte Familie zu zerbrechen droht.
Laila el Omari erzählt in diesem fünften Roman mit einer Tiefe, die ich bislang noch nicht von ihr kannte. Vielleicht liegt es an der Kargheit Gibraltars, das keinen Spielraum lässt für Abschweifungen in üppige Farben und Landschaften wie bei den Indien-Romanen. Vielleicht liegt es auch am Krieg, der diese Halbinsel über mehrere Jahre fest in der Gewalt hatte. Woran auch immer - man klebt förmlich an den Protagonisten, nimmt jede Nuance ihrer Stimmungen, ihrer Gefühle auf, leidet mit, weint mit, fürchtet mit, hasst und ja, liebt mit, wo sie selber die Liebe noch nicht erkennen können. Selbst die Nebenfiguren sind bis ins Detail gezeichnet und ausgestaltet, sodass es hier kein einfaches schwarz-weiß gibt sondern Protagonisten mit Ecken und Kanten, Schwächen und Stärken, die an dem Leid und an dem Glück, das sie erfahren, wachsen, sich entwickeln - und manchmal aber auch scheitern. Nie bleibt der Leser außen vor, immer ist er Teil Geschichte, sowohl der persönlichen der Protagonisten als auch der Ereignisse auf Gibraltar selbst und hin und wieder stellt man fest, dass die eigenen Gedanken mit denen der Protagonisten identisch sind.
Es ist eine opulente Geschichte um Verrat, Hass, Lüge, Verzeihen und Liebe, die Laila el Omari hier auf über 700 Seiten erzählt, dabei aber nicht ins dramatische oder schwülstige abgleitet, sondern auf eine leise, unaufdringliche und dennoch bildhafte und intensive Weise den Leser gefangen nimmt und den Leser ins 18. Jahrhundert zurückversetzt.
Ich wäre gerne länger verweilt in Laila el Omaris Geschichte und kehre nur sehr ungerne von Gibraltar zurück. Was mir aber bleiben wird ist die Erinnerung an eine wundervolle Geschichte, die auch nach dem Umschlagen der letzten Seite noch lange in mir nachhallen wird.