Lügen über meinen Vater - John Burnside

  • # Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
    # Verlag: Albrecht Knaus Verlag (8. März 2011)
    # Sprache: Deutsch
    # Originaltitel: A Lie about my Father


    Kurzbeschreibung
    Am Ende wünscht John Burnside seinem Vater nur noch den Tod. Er hat für den Mann, der über Jahre die Familie terrorisiert, der lügt und säuft, einzig Hass übrig. Doch er verbirgt seine Gefühle und schweigt. Bis die Begegnung mit einem Fremden ihn zwingt, sich seinen Erinnerungen zu stellen und diese Geschichte von alttestamentarischer Wucht zu erzählen.


    Der Vater war ein Nichts. Als Säugling auf einer Türschwelle abgelegt. Zeitlebens erfindet er sich in unzähligen Lügen eine Herkunft, will Anerkennung und Bedeutung. Er ist brutal, ein Großmaul, ein schwerer Trinker, ein Tyrann. Seine Verachtung zerstört alles, die Mutter, die Familie, John. Dieser hat als junger Mann massivste Suchtprobleme, landet in der Psychiatrie und erkennt in den eigenen Exzessen den Vater. Erst die Entdeckung der Welt der Literatur eröffnet ihm eine Perspektive. Nur einem Autor vom Kaliber John Burnsides kann es gelingen, eine solche, auch noch autobiographische Geschichte in Literatur zu überführen. So ist dieses Buch ein radikal wahrer Blick in die menschlichen Abgründe und zugleich eine Feier der Sprache.


    Über den Autor
    John Burnside gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Großbritanniens. Für sein Werk aus Lyrik und Prosa erhielt er zahlreiche Preise. „Lügen über meinen Vater“ war in Großbritannien ein Bestseller.


    Im Knaus Verlag erschienen bisher seine beiden Romane „Die Spur des Teufels“ und „Glister“. Sie wurden von der Kritik mit höchstem Lob bedacht.


    Meine Meinung


    "Mein Vater hat sein Leben lang Lügen erzählt, und da ich es nicht besser wusste, habe ich sie weitererzählt. Lügen waren der Stoff, aus dem meine Welt bestand, Lügen über alles, über große und kleine Dinge."


    John Burnside erzählt in "Lügen über meinen Vater" die Lebensgeschichte des Vaters des Ich-Erzählers. Erzählt wird der Roman aus der Perspektive dieses Erzählers, der auch John heißt - was die Vermutung nahelegt, dass John Burnside über seine eigenen Erinnerungen schreibt, auch wenn er gleich zu Anfang darauf hinweist:


    Zitat

    "Dieses Buch liest man am besten als ein Werk der Fiktion. Wäre mein Vater hier, um mit mir darüber zu reden, gäbe er mir bestimmt recht, wenn ich sagte, es sei ebenso wahr zu behaupten, dass ich nie einen Vater, wie dass er nie einen Sohn hatte."


    John wächst in den sechziger Jahren in Schottland und England auf. Sein Vater arbeitet immer wieder als Hilfarbeiter, ist aber ohne eine feste Anstellung. Die Mutter ist nur wenig präsent, auch wenn sie vor allem darum bemüht ist, Johns Bildung zu fördern. John, seine Schwester Margarete und ihre Eltern ziehen von Stadt zu Stadt, leben in verrufenen Kleinstädten oder Fertighaussiedlungen, kommen aber nirgendwo wirklich an oder werden gar glücklich.


    Der Erzähler schildert eindrücklich, wie er ohne eine väterliche Bezugsperson, ohne Basis und Fundament aufwächst, denn alles was sein Vater ihm erzählt stellt sich früher oder später als Lüge heraus. Der Vater behautptet für ein berühmtes Team Fußball gespielt zu haben, erfolgreich bei der Royal Air Force Schäferhunde ausgebildet zu haben und webt sich seine eigene Lebensgeschichte, so wie sie ihm gefällt. Dazu kommt, dass Johns Vater trinkt und das Geld, was er verdient entweder versäuft oder verspielt. Wenn er getrunken hat, wird der Vater auch gewalttältig gegenüber seinen Kindern. Als John eines Nachts so weit ist, seinen eigenen Vater zu ermorden, verlässt er die Familie und zieht aus dem Haus seiner Eltern aus. Doch auch dies führt für ihn nicht zu einer glücklichen Wende, da John zunächst tief fällt und kurz davor steht, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.


    In "Lügen über meinen Vater" schildert John Burnside auf beeindruckende Art und Weise die Dynamik einer Vater-Sohn-Beziehng, die nie wirklich eine wahr - die Geschichte von zwei Menschen, die sich gegenseitig weder Vater noch Sohn sein können und die beide auf die ein oder andere Art daran zerbrechen.


    Ein beeindruckendes Zeugnis, das mich an vielen Stellen tief berührt hat unf in dem ich mich leider viel zu oft sehr gut wiederfinden konnte.


    10 Punkte.

  • :anbet Vielen Dank buzz für die beeindruckende Schilderung dieses Buches. Ich schleiche schon ein paar Tage drum herum...na ja, den Rest kannst du dir jetzt sicherlich denken. :wave

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Oh, ich hatte noch gar nicht gesehen, dass es zu dem Buch schon eine Besprechung gibt. Deine Rezension ist wirklich gut geschrieben - vielen Dank, buzz! :knuddel1 Ich bin vor ein paar Wochen auf das Buch aufmerksam geworden, als John Burnside in "Literatur im Foyer" zu Gast war. Ich war mir da aber noch nicht ganz sicher, was ich davon halten soll. Jetzt schon - ist gleich auf meine WL gewandert! :-]


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  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Und gleich noch sein im März erschienenes Lyrikband "Vesuch über das Licht" dazu!


    Davon hatte ich noch gar nichts gehört; das wandert direkt auf die Wunschliste. Ich würde auch gerne noch weiteres von John Burnside lesen, bin mir aber recht unsicher, was mir von seinen Werken noch gefallen könnte ... im Moment habe ich erstmal "Glister" ins Auge gefasst, das auch vor kurzem neu als Taschenbuch erschienen ist.

  • Das war jetzt aber mal eine bittere Lektüre, auch wenn es für den Helden, den Ich-Erzähler, doch so ein Art Happyend zu geben scheint, nicht zuletzt dadurch, dass er dieses Buch geschrieben hat.
    Denn es steht meines Erachtens außer Zweifel, dass es sich hierbei um eine weitgehend autobiografische Geschichte handelt.
    Der Rat des Autors, wie buzz zitierte, dieses Buch als Fiktion zu lesen, folgt nur konsequent aus dem Versuch, das eigene Leben zu fiktionalisieren. Wie sonst kommt man mit der Tatsache zurecht, Zeit seines Lebens von seinem Vater gehasst worden zu sein und im Gegenzug auf einen Vater, der anderes ist als permanente Bedrohung, verzichten zu müssen.
    Das macht dieses Buch so brutal. Es zeigt, wie fragil ein Leben ist, das auf die rein biologische Existenz reduziert ist, ohne eine Geschichte, ohne Bindungen, ohne Erklärungen, ja, ohne eine einzige Gewissheit, und sei es nur die, von irgendjemandem da draußen geliebt zu werden.


    Faszinierend ist die sachliche, fast berichthafte Sprache. Burnside berichtet nüchtern, nahezu emotionslos, wie ein Außenstehender analysiert er sein Leben und das seines Vaters. Dadurch erhält der Roman eine Form von Wahrhaftigkeit, die in krassem Gegensatz zum Titel steht. Denn
    „Lügen über meinen Vater“ bezeichnet nicht nur die Lügen, die der Vater selbst über sich und seine Vergangenheit verbreitet hat, sondern sicherlich auch die Lügen des Sohnes, der eine ebenso subjektiv verfärbte, vielleicht sogar verfälschte Sicht der Dinge hat.


    Allerdings, die letzten 100, 150 Seiten waren mir dann doch ein wenig zu langatmig. Diese ausgiebige Nabelschau, Seiten über Seiten über Drogenexzesse und psychische Abstürze: gewiss eine Zeit der Katharsis für den Autor, im Roman jedoch nahm es mir zu viel Platz ein. Trotzdem alles in allem ein sehr gelungenes Buch.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)