Richard Ford - Unabhängigkeitstag

  • Titel im Original: Independence Day


    Kurzbeschreibung:


    Ausgezeichnet mit dem PEN/Faulkner Award und dem Pulitzer-Preis! Der geschiedene Frank Bascombe will den Unabhängigkeitstag mit seinem Sohn Paul verbringen. Frank bricht mit dem verschlossene Jungen zu einem Ausflug zu seiner neuen Freundin auf... Unverhoffte Augenblicke des Glücks, Episoden der Verzweiflung und der Missverständnisse: Das gemeinsame Wochenende wird nichts weniger als eine Odyssee durch den amerikanischen Traum am Ende des 20. Jahrhunderts.


    Meine Meinung:



    „Unabhängigkeitstag“ ist der zweite Teil der Frank Bascombe-Trilogie.


    Erster Teil: Der Sportreporter
    Dritter Teil: Die Lage des Landes


    Seit „Der Sportreporter“ sind einige Jahre vergangen, Frank Bascombe lebt nach wie vor in Haddam, nun aber im damaligen Haus seiner Exfrau (die inzwischen wieder geheiratet hat und samt den beiden Kindern weggezogen ist), arbeitet als Immobilienmakler und ist mit Sally liiert. Das Wochenende vor dem Unabhängigkeitstag will er mit seinem schwierigen Sohn Paul zubringen, der heftig von der Pubertät gebeutelt wird und anscheinend die Scheidung der Eltern noch immer nicht verkraftet hat. Die beiden machen sich auf den Weg, nachdem Bascombe sich mit den ewigen potentiellen Hauskäufern, dem Ehepaar Markham herumgeschlagen hat, und führen einige schwierige Vater-Sohn-Gespräche von bellendem (!) Sohn zu zunehmend genervtem Vater, bis ein Unfall passiert. Und dann ist da noch Sally, mit der auch nicht alles reibungslos läuft und natürlich die Exfrau Ann, der Frank nach wie vor auf eine gewisse Weise Liebe entgegenbringt…


    „Der Sportreporter“ konnte mich aus mehreren Gründen nicht so recht überzeugen und so ging ich mit niedrigen Erwartungen an „Unabhängigkeitstag“ heran, wurde jedoch sehr positiv überrascht. Auch dieser Roman hat das Potential, von Lesern aufgrund seiner Handlungsarmut als langweilig empfunden zu werden (und es gibt tatsächlich ein paar Längen), ist jedoch in meinen Augen bedeutend besser, packender und nicht so verworren wie Teil 1. Fords Schreibstil ist prägnant, mitunter beiläufig, fast lakonisch, aber dann auch wieder ausschmückend und beschreibend und lässt sich einfach sehr gut und unterhaltsam lesen. Die wahren Stärken dieses Werks sind zum einen der wunderbare Humor (ich musste mehrmals herzhaft lachen) und zum anderen die ungemein sympathische Erzählerfigur Frank Bascombe, der mit all seinen Widersprüchlichkeiten, seiner selbst eingestandenen Mittelmäßigkeit und seinem Bemühen, alles richtig oder zumindest gut zu machen, aus dem Leben gegriffen und weit entfernt von oftmaligen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Protagonisten ist.


    Über dem Text liegt – in der typischen Tradition großer amerikanischer Romane – eine leichte Melancholie, eine gewisse Wehmut, die mir sehr gut gefällt und die ich generell gerne mag in Romanen, die aber nie ins Düstere kippt. Franks Gedanken und Ansichten nehmen wieder einen großen Raum ein, aufgelockert von den gut getroffenen, mitunter tief blicken lassenden Dialogen zwischen den Haupt- und Nebenfiguren.


    Leser, denen es vor allem auf Handlung und Spannung ankommt, werden keine Freude an diesem Buch haben, wer jedoch gern amerikanische Romane liest, unaufgeregte, dahinmäandernde Bücher mag mit Figuren, die der Autor mit viel Anteilnahme und Zuneigung zeichnet und zudem Sitzfleisch mitbringt, der kann hoffnungsvoll zugreifen.


    8,5 Punkte

  • Die Blüten der Akribie


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    Eigenartigerweise ist Richard Ford bislang an mir vorbeigegangen, obwohl ich die „großen“ amerikanischen Erzähler gerne lese, selbst den nicht immer handlichen DeLillo, den mystischen Pynchon, den posthum verteufelten Roth, die eigenwillige Strout. Eine Bekannte besprach auf „social media“ Richard Fords neuesten Roman aus der Reihe um Frank Bascombe, und sie fand so klug-liebevolle Worte für die insgesamt vier Vorgänger, dass ich sofort meinen Lieblings-Buchladen aufsuchen musste.


    „Unabhängigkeitstag“ ist der zweite Roman um Frank Bascombe, der in „Der Sportreporter“ (1986) vorgestellt wurde. „Unabhängigkeitstag“ erschien im Jahr 1995, spielt aber am Wochenende rund um den 4. Juli 1988. In den U.S. of A. findet der Wahlkampf zwischen George W. Bush und Michael Dukakis statt, aus dem Bush als Sieger hervorging, der damit Ronald Reagan beerbte. Bascombe ist kein Sportreporter mehr, sondern hat sich dem Immobiliengeschäft zugewandt, und ein Teil der verhältnismäßig ereignisarmen Handlung besteht darin, dass er versucht, für das eigenartige Ehepaar Markham aus Vermont ein Haus in Haddam, New Jersey zu finden, wo Bascombe selbst lebt. Anschließend will er seinen ebenfalls ziemlich eigenartigen, pubertierenden Sohn Paul bei seiner Exfrau Ann (die in „Der Sportreporter“ als „X“ bezeichnet wurde) abholen und mit dem Fünfzehnjährigen einen Roadtrip unternehmen, der unter anderem zur Baseball Hall of Fame führen soll. Aber obwohl es einige mehr oder weniger dramatische Momente gibt, ist „Unabhängigkeitstag“ kein Handlungsroman, sondern ganz und gar eine Figurengeschichte, und es geht im Kern darum, die äußerst differenzierte und dezidierte Weltwahrnehmung von Frank mitzuerleben, der unterm Strich nicht besonders ambitioniert ist, aber auf seine Art zufrieden, und der sich ungeheuer viele Gedanken macht, um es noch vorsichtig auszudrücken. Frank meint von sich, in der „Existenzphase“ zu sein, der im nächsten Roman (der schon bereitliegt) die „Permanenzphase“ folgen wird. Frank beobachtet und hört zu, er ist ein aufgeschlossener, genau wahrnehmender, stark reflektierender, vorurteilsarmer, in seinem sozialen Umfeld verankerter, zugleich eigentlich nicht übermäßig sozialer Mensch, er ist recht ausgeglichen und macht sich kaum Illusionen.


    „Unabhängigkeitstag“ ist der bis heute einzige Roman, der den Pulitzer Preis und den PEN/Faulker Award erhalten hat, und der zudem auch an den Kassen der Buchhändler extrem erfolgreich war, was allerdings teilweise daran lag, dass die Käufer glaubten, die Romanvorlage zu Roland Emmerichs Blockbuster „Independence Day“ (1996) zu erwerben. Die Geschichte, die kaum eine Geschichte ist, verläuft mit großer Langsamkeit, die aber nie quälend wird, obwohl es ständig Rückblenden und Abschweifungen und lange innere Monologe gibt. Sie ist ungeheuer klug erzählt und eröffnet einen tiefen Blick in einen Menschen, der, wenn es das gibt, im allerbesten Wortsinn mittelmäßig ist, und der zugleich einen bewundernswerten Charakter hat. Frank Bascombe ist aber nicht nur die Hauptfigur, sondern eine Metapher, Kern einer Milieustudie und Kommentator – und ein bisschen wie das Licht eines Leuchtturms, gerichtet auf dieses eigenartige, materialistische, zerrissene, schöne, verfluchte Land, das an diesem Wochenende etwas feiert, das beim besten Willen nicht für alle ein Fest ist.


    Diese beinahe 700 Seiten haben jeden Preis verdient, und das nicht nur, weil sie so vortrefflich erzählt sind, sondern weil sie nachwirken, weil sie eindringen, weil sie das Gefühl vermitteln, diese akribisch gezeichnete Figur nicht nur mitzuerleben, sondern beinahe selbst zu sein. Ford gelingt das nahezu Unmögliche, nämlich die fast stoische Akribie in aller Schönheit erblühen zu lassen, und sich jedem Detail zu widmen, einfach, weil das lohnend sein kann. Und ist. Fantastisch!