Unsere Welt 2050 - Christine Brendle (Hg.)

  • Christine Brendle (Hg.) - Unsere Welt 2050
    C. M. Brendle Verlag
    ISBN 9783981249750
    ISBN 3981249755
    Zeitgenössische Literatur, Anthologie
    Erste Auflage 2011
    Umschlaggestaltung Gute Aussicht Kommunikations GmbH
    Taschenbuch, 165 Seiten
    [D] 12,50 €


    http://www.brendle-verlag.de]Verlagsseite[/URL]


    War es das Cover, das mich neugierig machte, oder eher die Zeile „Ein Verlag macht Schule – Schüler machen ein Buch“? Ich weiß es nicht. Vielleicht war es auch die Mischung aus beidem. Manchmal genügen Kleinigkeiten um meine Neugier zu wecken. Bei Unsere Welt 2050 wurde sie geweckt und das, obwohl das matt glänzend gehaltene Cover in dunkelblau mit der gewählten (überwiegend) grünen Schrift etwas trocken und fachbuchartig wirkt. Das Motiv vorne zeigt eine Weltkugel, deren Ozeane und Länder mit Worten ausgefüllt ist, die bereits einen ersten kleinen Einblick auf das bieten, was im Buch kommt.


    Zusammen mit der Verlegerin Christine Brendle haben der Lehrer Bertram Weber und vierzehn Schülerinnen und Schüler der Walther-Groz-Schule in Ebingen die Idee zu diesem Buchprojekt verwirklicht. Was 2010 begann, liegt nun vor und kann im Buchhandel bezogen werden. Bücher sind nicht nur etwas Kostbares und Wundervolles, sie verlangen auch einiges an Herzblut und innerer Überzeugung, wenn sie je fertig werden sollen. Die Schüler und Schülerinnen haben beides bewiesen. Sie haben das Projekt mit geplant, aktiv daran gearbeitet und alles umgesetzt. Sie dürften heute neben einer entsprechend erhaltenen positiven Bewertung für ihr Abitur ein Buch auch mit anderen Augen als noch vor ein paar Monaten betrachten. Es finden sich kleinere Anfängerfehler (eine Geschichte wird etwa wiederholt, was vermutlich kein Stilmittel des Autors ist) darin, doch angesichts der Tatsache, dass vorwiegend Laien beteiligt waren, ist die Umsetzung gut gelungen; vor allem, wenn man den Zeitrahmen betrachtet, in dem das Projekt verwirklicht wurde.


    Aber zum Inhalt. Mit seinen 175 Seiten im A5-Format hält man ein Buch, dass schnell gelesen sein müsste, zumal die Kapitel nur wenige Seiten, einmal gar nur zwei Absätze umfassen. Doch die gewählte Thematik macht es zu einem Buch, das man zwischendurch immer wieder weglegt, um nachzudenken.


    Schülerinnen und Schüler haben nicht nur zur Veröffentlichung der achtundzwanzig darin enthaltenen Geschichten und eines Gedichtes beigetragen – ein Teil wurde auch von Schülern geschrieben. Neben ihnen kommen auch andere, bekannte oder weniger bekannte Autoren zu Wort. Dazu gehören, außer Politikern und einer Bankerin, beispielsweise auch eine Hotelfachfrau oder ein Pfarrer a. D, Neulinge wie solche, die schon Veröffentlichungen vorweisen können.


    Doch ob nun Frischling oder Profi, ob nun sechzehn oder sechsundachtzig – alle Autoren beschäftigt ein Thema: Unsere Welt 2050. Nicht einmal mehr ganze neununddreißig Jahre trennen uns momentan noch davon. Und in Anbetracht der Tatsache, wie rasant sich die Welt innerhalb der letzten 40 Jahre verändert hat, stellt sich berechtigterweise die Frage, wie die Welt 2050 gestaltet sein wird. Bunt oder farblos, trostlos oder hoffnungsvoll, brutal oder friedlich?


    Die Art und Weise wie etwa der 1991 geborene Keith Petri darüber denkt, dürfte dem einen oder anderen älteren Leser kleinere Schluckbeschwerden verursachen. Seine Vision sieht düster und dystopisch aus; ist eine kleine Ohrfeige für die ignorante Gesellschaft im Hier und Jetzt; artikuliert eher eine Zukunftsangst, als eine Vision. Es gibt Science-Fiction, weitere Dystopien und fantastische Geschichten, wie die von Kristina Kesselring, in der die Menschen der Zukunft ihre Natur anderen Wesen angleichen können. Es gibt trotz der bedenklichen Vision eher Ironisch-Heiteres, wie das Gespräch zwischen einer Großmutter und ihrer Enkelin von Simone Föhl. Dagegen wirkt die Geschichte der 17jährigen Jasmin Loose, die ihre Protagonistin gegen die Unsterblichkeit kämpfen lässt, durchweg kritisch. Und Kimmelmann macht mit Leuten, die nichts können, kurzen Prozess. Er zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger im Ausklang seiner Agenda 2050 trotz der deutlich gemachten Gefahr auf die mangelnde Fähigkeit zur Veränderung – stellvertretend für all das, was man tagtäglich ändern könnte.


    Das sind nur ein paar der Beiträge der Anthologie. Alle daraus auch nur kurz anzuschneiden, würde den Rahmen einer Buchbesprechung sprengen. Alle zu lesen, empfiehlt sich jedoch eindeutig. Die Geschichten zeigen, dass die Autoren sich ihrer Aufgabe mit Ideenreichtum gestellt und sie teilweise komplex umgesetzt haben. Einige Ideen bieten Raum für einen Roman. Manche Beiträge sind eher philosophisch, manche wirken hoffnungsvoll geträumt, andere kritisch und bestürzend. Es geht um das Leben nach einem Nuklearkrieg, um Reisen in die Zukunft; um Unsterblichkeit, Ressourcenverschwendung und Ressourcenknappheit; um Mangel und Überfluss; um perfekte Menschen und solche, wie die Natur sie geschaffen hat; um Überlebenstaktiken und Exodus; um Bildung, Freizeitgestaltung, Ängste und Nöte, kleine Freuden und Liebe. Mal blickt der Leser zurück in die Gegenwart, mal wirft er einen Blick in die Zukunft. Mal wirkt diese Zukunft real, mal wie ein schwer realisierbarer aber erstrebenswerter Wunsch, mal fiktiv. Die damit hervorgerufenen Emotionen sind genauso vielfältig, wie die Ansätze, die die Autoren verfolgen. Die aktuellen Bezüge zu einigen Beiträgen genauso erschreckend wie der stete Hinweis auf durchaus bekanntes, doch gern verleugnetes oder ignoriertes Wissen, weil bis jetzt immer alles doch irgendwie funktioniert hat.


    Damit ist den Autoren zusammen mit den an der Verwirklichung des Projekts arbeitenden Schülerinnen und Schülern, ihrem Projektleiter und der Herausgeberin eine Mischung gelungen, die einerseits tatsächlich überraschend kurzweilig unterhält, andererseits zum Nachdenken anregt. Es ist eines der Bücher gelungen, die man durchaus schnell lesen kann, das aber mit Sicherheit wert ist, öfter in die Hand genommen und auch weitergereicht zu werden. Eines der Bücher, die man nicht einfach schnell wieder vergisst. Was vielleicht am meisten betroffen macht, sind die Geschichten der jüngsten Autoren. Der Umstand, wie viel Hoffnung die Welt im Heute ihnen offenkundig schon genommen zu haben scheint. Eine Welt, mit der die Menschheit nicht nur heute viel zu sorglos umgeht.


    Tatsache ist, dass unser Verhalten sich ändern muss und Unsere Welt 2050 zeigt sehr deutlich warum. Nicht nur, um die darin angedeuteten Horrorszenarien noch irgendwie abzuwenden, sondern um Hoffnung in unseren Kindern zu erhalten, zu schüren oder gar wiederzuerwecken. Veränderung kann und muss im Kleinen beginnen. Vielleicht mit einer Geschichte aus diesem Buch.


    Fazit


    Ein schwieriges Thema sehr gut umgesetzt. Geschichten/Gedichte, die den Leser in eigenen Gedankengängen bestätigen und unterstützen, Widerworte hervorrufen und – das ist das Wichtigste – nachdenklich stimmen. Die gelungene Verwirklichung dieser Idee lässt auf weitere Projekte dieser Art hoffen. Für Unsere Welt 2050 möchte ich trotz der kleinen Anfängerfehler, die volle Punktzahl vergeben, da diese hier nicht ins Gewicht fallen (und selbst bei Vollprofis vorkommen können).


    Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain