Marcel René Klapschus: Der rote Ozean

  • Im Jahr 2009 begann der in Schleswig-Holstein lebende Informatiker mit der Arbeit an Der rote Ozean. 1 Jahr später stand die Rohfassung des von periplaneta veröffentlichten Romans. Da Klapschus der westlichen Wertegesellschaft nach eig. Aussage kritisch gegenübersteht, handelt das Buch von einem Glaubenskrieg, der zu einem Endzeitszenario führt. Er spielt im Jahr 2027 und umfasst einen Zeitrahmen bis Anfang 2030, bevor der Autor im letzten Kapitel einige Jahre springt. Handlungsorte sind der Nahe Osten, mit Israel und dem Libanon, sowie die Ostküste der Vereinigten Staaten. Die Orte könnten getauscht werden, die Geschichte selbst ohne Weiteres auch im hier und jetzt spielen, da keine technischen Fortschritte oder Neuerungen vorkommen.


    Die Dystopie mit fantastischen Elementen handelt von Brian. Einem jungen Amerikaner mit libanesischen Wurzeln, der mit seinen Eltern aus den USA in den Nahen Osten gezogen ist. In der Familie gibt es Muslime wie Christen und Klapschus streift kurz das, was die Menschen in dieser Region tatsächlich teilweise leben – religionsübergreifende Beziehungen trotz aller politischen und religiösen Schwierigkeiten. Doch all das endet, als ein seltsames Wesen einen gewaltsamen Tod findet, das von beiden Seiten als göttlich anerkannt und für sich beansprucht wird. Schuldzuweisungen führen zu einem unerbittlichen Krieg. Was in der Realität bereits seit Jahrhunderten immer wieder im Kleineren aufflammt, wird hier bis zur bitteren Neige ausgetragen und bekommt noch eine neue Dimension. Denn zeitgleich beginnt sich der Ozean blutrot zu verfärben. Der Regen ist genauso gefärbt. Wasser schmeckt nicht mehr wie Wasser und ganze Kontinente versinken unaufhörlich in der nicht aufzuhaltenden roten Flut. Das Covermotiv passt mit der eher minimalistischen Art sehr gut. Es zeigt auf einem Felsen in einem blutroten Meer einen zusammengekauerten Engel, dessen erhobene Flügel (genau wie die Schrift) von einem blutigen Regen durchnässt werden.


    Obwohl Klapschus einen einfachen Schreibstil erkennen lässt und seinen Roman in kurze Kapitel teilt, was dazu führt, dass man die Geschichte in einem Rutsch durchlesen kann, macht er es dem Leser gleichzeitig nicht ganz einfach, an dran zu bleiben. Er bedient sich einiger Klischees und bleibt in seinen Beschreibungen nicht wirklich durchgehend logisch oder konsequent. Passend zur Dystopie sind seine Figuren blass. Einzig sein Hauptcharakter Brian (Christ), mit dem er wenig zartfühlend umgeht und aus dessen Sicht (wenn auch nicht von ihm) alles erzählt wird, wird etwas klarer herausgearbeitet. Doch wirkt er wenig sympathisch, oft mürrisch, feige und stellenweise geradezu fatalistisch stupide. Er ist neben der jungen Muslima Khayra anscheinend der Einzige, der einen nuklearen Angriff auf Beirut unverletzt überstanden hat und gilt als eine Art Erlöser der Menschheit, ist aber definitiv kein Held.


    Das Buch ist nicht ganz schlecht, dafür ist allein die Grundidee viel zu gut. Auch der Engel der Brian ab dem Angriff auf Beirut immer wieder besucht, hat mir gefallen. Dasselbe gilt für das Ende, das sich im Kapitel 62 auf etwas mehr als 1 Seite findet. Ich würde zu viel verraten, wenn ich explizit darauf eingehe, was dort vorkommt. Es scheint mir jedoch der einzig logische und vor allem richtige Schluss für viele Probleme, die die Erde derzeit hat. Ebenfalls passend fand ich, dass der Autor trotz des Religionskrieges keine missionarisch wirkende Partei für Muslime oder Christen ergreift, sondern den Fokus hier eindeutig auf den zerstörerischen Fanatismus richtet.


    Doch es gibt zu vieles, mit dem man einfach ohne Erklärung konfrontiert wird, was jedoch dringend einer solchen bedurft hätte. Es gibt zu viele Wenn und Aber. Zu viele glückliche Zufälle, die Brian betreffen. Vieles mag mit künstlerischer Freiheit begründet sein, alles lässt sich damit jedoch nicht begründen. Obwohl Klapschus es geschafft hat, die geringe Lernfähigkeit der Menschheit bzw. deren religionsübergreifende Verbohrtheit zu vermitteln, gibt es zu viel Störendes, als dass mich Der rote Ozean wirklich begeistert hätte. Möglicherweise wäre es sinnvoll gewesen, aus dem Roman eine allenfalls 100seitige Novelle zu machen oder ihn um mindestens 400 Seiten auszubauen. Dann hätte evtl. die Chance bestanden, so packend zu formulieren, wie die Idee es verdient.



    Kurz darauf findet ein Attentat statt. Für dieses soll laut Regierung der christlichen Welt – die sich fortan Christliche Föderation nennt – Khayras Vater verantwortlich sein. Der soll eine Hochzeitsgesellschaft samt Gebäude in die Luft gesprengt haben und damit für Brian, der mit seiner Familie eben neben Khayra und ihrer Familie dort anwesend war, der Mann sein, der den Tod seiner Familie verschuldet hat. Beirut wird im gleichen Augenblick mit Nuklearwaffen verwüstet und atomar verseucht. Oder war es doch Khayras Vater, der eine Atombombe gezündet hat? Hätte er mitten drin so etwas überlebt? Wenn es ein militärischer Gegenschlag zu dem angeblich von Muslimen verübten Mord an dem Wesen war, scheint ein Überleben des Mannes genauso fraglich. Das soll er aber laut Aussage der Christlichen Föderation. Brian wird nach seiner Ausbildung auf ihn angesetzt und soll ihn töten. Ein Selbstmordattentat wäre tatsächlich nachvollziehbar gewesen, denn so etwas ist genau wie Fanatiker im Allgemeinen leider viel zu oft traurige Realität. Doch auf den Gedanken, dass Brians Familie auch durch den nuklearen Angriff ums Leben gekommen wäre und Brian auch gar nicht unterscheiden konnte, was denn nun zuerst erfolgte, kommt der Junge nach seiner Ausbildung nicht.


    Es könnte natürlich daran liegen, dass die Geschichte ins Jahr 2027 spielt und der Autor davon ausgeht, dass dort sogar in absoluten Katastrophenszenarien alles bis ins Kleinste weltweit überwacht wird. Die Herscharen von dazu benötigten Geheimdienstmitarbeiten könnten durchaus im schriftstellerisch möglichen Bereich liegen. Ob die Vermutung stimmt oder nicht bleibt offen, denn leider bringt Klapschus das dem Leser zuvor nicht nahe. So scheint es wenig glaubwürdig, dass die Armee der Vereinigten Staaten Brian in dem radioaktiv verstrahlten, völlig verwüsteten Stück Land nur kurz nach dem Angriff findet, in die Staaten bringt und ihn als Soldat für den Glaubenskrieg ausbildet. Das alles übrigens, während zeitgleich die komplette Westküste der Vereinigten Staaten untergeht und dort Millionen von Menschen ein blutrot-nasses Grab finden.


    Ähnlich schwer Nachvollziehbares häuft sich. Liegt es gestrichenen Textpassagen, die der Überarbeitung zum Opfer fielen, das so vieles einfach als hinzunehmende Tatsache präsentiert wird? Dinge wie der Verlust von Brians Unterschenkels gegen Ende der Geschichte deuten darauf hin. Mit dieser Tatsache wird man genau wie mit vielen anderen einfach konfrontiert, während anderes ausgeschmückt wird, das wenig aussagekräftig scheint. Brian kämpft damit übrigens tapfer weiter, denn viel Zeit hat er ja nicht bis 2030.


    Oder nehmen wir Khayra. Ihre durchaus logische Wandlung vom unschuldigen Teenager in eine Attentäterin bekommt man kaum mit. Was jedoch wenig authentisch wirkt, ist ihre Vorgehensweise bei Attentaten. Zwei finden im Hoheitsgebiet der Christlichen Föderation statt. Bei dem, was Khayra vorhat, sollte man meinen, dass sie so lange wie möglich unsichtbar und angepasst an ihre Umgebung vorgeht, um ihre Mission zu erfüllen. Das tut sie aber nicht. Statt dessen hüllt sie sich in einem Land, das unerbittlich gegen Muslime vorgeht, in einen Tschador. Zieht das eine Mal zwar anscheinend feindselige Blicke auf sich, schafft es beide Male aber problemlos nicht nur den Sprengstoff, sondern auch sich selbst durch sämtliche Reihen und Sperren zu manövrieren. Diese Sache lässt sich nicht nur mit den Strukturen erklären, die zwangsläufig kollabiert sein müssen, sondern wirkt einfach nur wie ein Klischee.


    Völlig unabhängig davon ist da noch die alles verschlingende blutrote Flut. 2012-gleich schaffen beide Seiten es im Geheimen Archen zu bauen, die einen kleinen Teil der Bevölkerung retten können. Was weniger logisch ist, ist die Frage, wie das geklappt haben soll. Innerhalb weniger Monate geht Klapschus Erde sprichwörtlich unter. Abgesehen von Hunderten von Millionen Toten durch die Flut dürften auch die Zerstörungen und Toten durch die kriegerische Auseinandersetzung dazu führen, dass jegliche Infrastruktur weltweit komplett zusammenbricht. Trotzdem werden die Archen pünktlich fertig. Trotzdem kommen Briefe (von Khayra an Brian und umgekehrt, wenn auch mit einiger Zeitverzögerung) an, was wiederum dem aus Verständnisgründen angenommenen Überwachungsszenario widerspricht. Trotzdem findet sich genügend Benzin und Kerosin, dass Khayra mal eben vom Nahen Osten nach Amerika fliegen und Brian mal eben mit einem Auto zu einem Café kommen können, wo sie, tief verhüllt, alles in Schutt und Asche legt – bis auf Brian und sich selbst.


    Weil sie ihn liebt? Hasst? Das in der Inhaltsangabe stehende „In diesem Chaos begegnen sich Brian und Khayra, die sich lieben und hassen lernen….“ kann nicht überzeugen, sondern ist einfach eine weiterere Behauptung. Sie können sich kaum lieben lernen, da sie sich nur kurz und überaus selten begegnen. Sie sprechen kaum miteinander und für Liebe auf den ersten Blick ist der angebliche Hass zu krass. Der wiederum ist hauptsächlich durch ein paar Sätze von Leuten begründet, die ihnen einreden, dass die jeweils andere Religion an allem schuld und deren Vernichtung der einzige Weg ist, vor der roten Flut gerettet zu werden. Selbst Jugendliche – sie ist anfangs 15, er ein Jahr älter - lassen mehr eigenständiges Denken erwarten, als die beiden erkennen lassen. Gleichwohl ist der angebliche Hass zwischen den beiden gar nicht vorhanden. Sie tötet ihn nicht, trotz passender Gelegenheit, rettet ihn quasi sogar mehrmals. Und auch er trägt mehr oder weniger einmal dazu bei, dass sie überlebt.


    Das Wie und Warum, die Motivation für bestimmte Handlungen aller wird nicht erklärt und erscheint zum Teil mühsam konstruiert. Außerdem scheinen der Libanon und der Rest der Vereinigten Staaten plötzlich sehr nah beisammen. Immerhin starten die Kampfjets an der Ostküste problemlos in ihren Einsatz im Nahen Osten. Direkt über einen Trupp in Ausbildung befindlicher Soldaten samt Brian, der gerade einen 3-Meter-Schutzwall gegen eine Flut stapelt. Eine Flut übrigens, die jeglichen physikalischen Grundsätzen zum Trotz die Rockys völlig überschwemmt, den gerade gestapelten Schutzwall und die dahinter stehenden Häuser jedoch nur bedingt, bevor sie sich wieder zurückzieht. Nicht nur hier zeigt sich etwas von der eingangs angesprochenen Feigheit Brians. Er und seine Kameraden bekommen den Befehl, sich zurückzuziehen, als die Flut immer näher kommt. Sie fliehen (warum andere jedoch vor Ort bleiben oder bleiben müssen und fleißig weiter Sandsäcke wuchten, bleibt offen). Brian regt sich im dem Zusammenhang über Kameraden auf, denen es scheinbar nichts ausmacht, einen weiteren Kameraden zurückzulassen und diesen dadurch zu verlieren. Macht er selbst etwas? Denkt er daran, ihn zu retten? Dreht er um? Sucht er ihn? Nein. Stattdessen beobachtet er wenig später aus einem Hochhaus andere Soldaten, die immer noch fleißig stapeln und seinen verletzten Kameraden, der verzweifelt versucht, sich noch zu retten, bevor die Flut ihn einholt.


    Ein Beispiel für die fatalistisch stupid wirkende Haltung Brians? Fast gegen Ende der Geschichte wird er von der Gegenseite gefangen genommen. Nach einem Flugzeugabsturz landen er und ein Muslim auf einer Insel im Meer, wo er … sagen wir mal die Erkenntnis gewinnt, dass die Motivation für diesen Krieg auf beiden Seiten nicht stimmen kann. Kurz darauf wird er von der eigenen Armee gefunden und quasi gerettet, wobei ihm nochmals vor Augen geführt wird, die dumm die Menschen sich verhalten. Ändert Brian nach dem eigentlich sehr klärenden Vorfall sein Verhalten? Hält er inne? Denkt er nach? Nein, warum auch? Kaum bekommt er den Befehl, nimmt er die ihm in die Hand gedrückte Waffe und schießt auf alles, was muslimisch sein könnte. Auch seine Rettung ist – nebenbei bemerkt – kaum zu rechtfertigen. Der Marine egal welcher Armee dürfte es äußerst schwer fallen, sich ohne Karten und Kenntnisse über neu entstandene Untiefen, bzw. auf dem eigentlich doch ziemlich bewegten Ozean, zielgerichtet auf eine bis dahin unbekannte Insel zuzubewegen, um einen einzigen Mann zu retten. Vom Sinn oder Unsinn dieser Rettungsmaßnahme ganz zu schweigen, denn der gleichen Militärführung macht es ja nichts aus, ihn als angeblichen Erlöser in diesem Krieg kämpfen zu lassen.


    Der Autor möchte – wie er im Nachwort anmerkt – bewusst keine Antworten liefern. Wie er auf Seite 222 schreibt, möchte er den Leser dazu bringen, nach einem Besuch in einer fantastischen Welt, die Dinge aus dem Alltag mit einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Es ist zweifellos eine schriftstellerische Kunst, die Gedankenwelt der Leser anzustoßen, mitzureißen, mitdenken zu lassen und letztlich doch dorthin zu führen, wohin der Autor sie haben möchte. Eine noch größere ist es, wenn Leser die so gewonnenen neuen Gedanken in ihren Alltag mitnehmen und gar integrieren, keine Frage. Das Fatale an Klapschus Umsetzung des wirklich guten Grundgedankens ist jedoch, dass sich mir automatisch unzählige Fragen zu fehlender Logik und Konsequenz (wobei ich das Ende selbst hiervon abgrenzen möchte) seiner Geschichte aufdrängen, jedoch kaum eine zu der problematischen Thematik selbst.


    Fazit


    Zu viele Denk- und Logikfehler verderben hier leider eine sehr gute Grundidee und einen tatsächlich logisch-konsequenten Schluss. Wirklich schade, denn das passende Cover und die Inhaltsangabe haben auf etwas anderes hoffen lassen. Die von mir hier vergebenen zwei (von fünf) Punkte gibt es für die Idee und die Ausarbeitung des Covermotivs und nicht wirklich für den Inhalt. Das Buch könnte als Jugendbuch durchgehen, wobei ich anmerken möchte, dass der 14jährige Sohn einer Bekannten, der das Buch nur eine Stunde, nachdem ich es aus der Hand legte, in Angriff nahm, sich ebenfalls bereits nach wenigen Kapiteln über die fehlende Logik bestimmter Passagen ausließ.


    Copyright © 2011 by Antje Jürgens (AJ)

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain