Thomas Harlan - Veit

  • Titel: Veit
    Autor: Thomas Harlan
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen: März 2011
    Seitenzahl: 155
    ISBN-10: 3498030124
    ISBN-13: 978-3498030124
    Preis: 17.95 EUR


    Thomas Harlan wurde 1929 geboren. Er ist der Sohn des Regisseurs Veit Harlan, der vor allen Dingen durch den Nazi-Propagandafilm „Jud Süß“ bekannt wurde. Thomas Harlan starb im Oktober 2010, kurz nach der Fertigstellung dieses Buches.


    "Mein Sohn, ich glaube, ich habe dich verstanden." Im April 1964 ruft Veit Harlan seinen Sohn Thomas nach Capri an sein Sterbebett, doch für das Gespräch, das mit diesem Satz hätte beginnen können, ist es zu spät.
    Dieser Satz, diese Bemerkung findet sich auf der Rückseite dieses Buches und es dieser Satz, der das ganze Dilemma des Thomas Harlan in wenigen Worten beschreibt. Da ist jemand, der am Vater gelitten hat, der den verhassten Vater geliebt hat, der an diesem Vater fast zerbrochen ist, wenn er nicht sogar wirklich an ihm zerbrochen ist.


    Thomas Harlan versucht in diesem Buch Klarheit über die Beziehung zu seinem Vater zu finden. Ein Vater der der Regisseur des unsäglichen Nazi-Propagandafilms „Jud Süß“ war. Aber Veit Harlan war eben nicht nur der Regisseur dieses Films, er war auch Vater, ein Vater allerdings, der offenbar mit seinem Sohn wenig im Sinn hatte, wenig mit ihm anfangen konnte.


    Dieses Buch endet mit den Worten:
    „Ich habe dich geliebt. Laß mich dein Sohn sein, Dein ältester, laß mich. Dein Sohn.“
    Es ist diese Eindringlichkeit, die dieses Buch zu einem sicher nicht alltäglichen Leseerlebnis macht, es diese Eindringlichkeit die deutlich macht, wie zerreißbar und doch unglaublich fest das Band zwischen Vater und Sohn sein kann.
    Thomas Harlan hat es trotz dieses sehr intensiven Buches nicht geschafft, die Beziehung zu seinem Vater endgültig aufzuarbeiten, zu verarbeiten. Es war wohl schon zu spät für eine wirkliches und echtes Aufeinanderzugehen dieser beiden Menschen. Auch die Sterbebegleitung durch den Sohn hat da Entscheidendes nicht ändern können. Dieses Buch macht klar, dass Alles irgendwann zu spät sein kann – das Alles irgendwann nicht mehr veränderbar ist und das irgendwann ganz einfach keine Minute Zeit mehr da ist.


    Ein intensives und interessantes Leseerlebnis, wenn vielleicht auch nicht für jedefrau/jedermann unbedingt interessant. Wer in einer vermeintlich heilen Welt lebt, wird dieses Buch eventuell mit einem Kopfschütteln beiseitelegen, wer in einer nicht so heilen Welt lebt, der hat eventuell mit sich selbst genug zu tun.


    Ob dieses Buch einen Nachhall haben wird, vermag ich beim besten Willen nicht sagen, aber die Zeit wird diese Frage ganz sicher beantworten.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • "Veit" habe ich gestern gelesen und kann mich Voltaires hervoragender und zutreffender Rezension voll anschließen.
    Während manche Literaturkritiker (Iris Radisch und Konsorten) mit diesem stilistisch ungewöhnlichen Buch nichts anfangen konnten, war ich sowohl inhaltlich als auch sprachlich beeindruckt. Vielleicht besitzt das Buch einen so ungewohnten Sound, weil es diktiert wurde.
    Thomas Harlan erzeugt so Eindringlichkeit, die verständlich macht, dass die Tat des Vaters ihn immer belastete. Der Vater ist Veit Harlan, der 1940 mit Jud Süß einen der schlimmsten und effektivsten antisemitischten Filme drehte. Nach Kriegende wurde Veit Harlan angeklagt, er wurde jedoch freigesprochen. Thomas Harlan lernte durch seinen Vater als Kind Goebbels und Hitler kennen. Als Jugendlicher und Erwachsener beginnt er schließlich gegen den Vater zu protestieren.


    Er zeigt in "Veit" nebenbei auch ein subjektives gefärbtes, aber auch glaubhaftes Stück deutsche Nachkriegsgeschichte. Er trifft Thomas Mann, ist befreundet mit Klaus Kinski, macht Filme, Theater und schreibt Bücher.
    Sein Leben ist durchaus spannend zu lesen und doch wird deutlich, dass der Vaterkonflikt alles überschattet.


    Ich gebe dem Buch 10 Punkte!

  • "Ob dieses Buch einen Nachhall haben wird, vermag ich beim besten Willen nicht sagen, aber die Zeit wird diese Frage ganz sicher beantworten."


    Und? Hat die Zeit es beantwortet?
    Das Buch interessiert mich sehr. Trotzdem hab ich irgendwie ein wenig "Schiss" davor. Vermutlich, weil ich ein - natürlich unter ganz anderen Aspekten - ähnliches Problem auf mich zukommen sehe. Und mich doch nicht in der Lage sehe, jetzt, da es "noch geht", die betreffende Person wirklich "zu erreichen".
    Würdest du/ihr mir mit diesem Hintergrund die Lektüre empfehlen?
    Oder kann das alles nur schlimmer machen?
    Danke!

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer
    Das Buch interessiert mich sehr. Trotzdem hab ich irgendwie ein wenig "Schiss" davor. Vermutlich, weil ich ein - natürlich unter ganz anderen Aspekten - ähnliches Problem auf mich zukommen sehe. Und mich doch nicht in der Lage sehe, jetzt, da es "noch geht", die betreffende Person wirklich "zu erreichen".
    Würdest du/ihr mir mit diesem Hintergrund die Lektüre empfehlen?
    Oder kann das alles nur schlimmer machen?
    Danke!


    Als therapeutisches Buch wirkt "Veit" nicht, denke ich. :gruebel

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Vor ein paar Tagen hatte ich mir im Buchhandel ein anderes Buch von Thomas Harlan angeschaut, das auch ganz interessant ist - vielleicht fange ich da mit erstmal an ...


    Ich habe auch Interesse, mehr von Harlan zu lesen, weiß aber noch nicht so genau, welches Buch.
    Da würde mich deine Meinung sehr interessieren.


  • Ich würde es probieren. Weglegen kann man es ja immer noch.
    Das Buch hatte durchaus einen Nachhall; es liegt nicht auf dem Stapel gelesener Bücher, sondern daneben, so dass ich es immer griffbereit habe weil ich ab und an darin noch blättere.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.