Sterben - Karl Ove Knausgård

  • # Gebundene Ausgabe: 576 Seiten
    # Verlag: Luchterhand Literaturverlag (8. März 2011)
    # Sprache: Deutsch
    # Originaltitel: Min Kamp 1


    Kurzbeschreibung
    Das eigene Leben offen, schonungslos und radikal zum Gegenstand des Schreibens zu machen – dies ist das Konzept, zu dem sich Karl Ove Knausgård in einem furiosen Mammutprojekt entschlossen hat. Radikal ehrlich und mit unglaublicher sprachlicher Kraft nähert er sich in »Sterben«, dem ersten Roman einer sechsbändigen Serie, seinem schwierigen Verhältnis zum Vater, das ihn grundlegend geprägt hat.


    Über den Autor
    Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als wichtigster norwegischer Autor seiner Generation. Als erster Debütant überhaupt bekam er den Norwegischen Kritikerpreis verliehen. "Alles hat seine Zeit", sein zweiter Roman und vielfach preisgekrönt, war nominiert für den Nordischen Literaturpreis und den internationalen IMPAC Dublin Literary Award. "Sterben" - der erste Roman eines sechsbändigen, autobiographisch angelegten literarischen Projektes, das in Norwegen zur Sensation wurde - war das meist diskutierte Buch der letzten Jahre, stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste, wurde mit dem wichtigsten norwegischen Literaturpreis, dem Bragepreis ausgezeichnet, in der Zeitung VG zu einem der besten Bücher der letzten zehn Jahre gewählt sowie von den Lesern der Tageszeitung Morgenbladet zum Buch des Jahres. Bei Luchterhand wird nach "Sterben" demnächst auch der gleichfalls gefeierte zweite Roman "Lieben" erscheinen. Karl Ove Knausgård lebt mit seiner Familie in Malmö.


    Meine Meinung


    "Für das Herz ist das Leben einfach: es schlägt, solange es kann. Dann stoppt es. Früher oder später, an dem einen oder anderen Tag [...]."


    Ich habe schon sehr lange auf das Erscheinen von "Sterben" gewartet und bin mit großen Erwartungen an das neue Buch von Karl-Ove Knausgård herangegangen - nach der Lektüre kann ich nur sagen, dass diese Erwartungen nicht enttäuscht wurden. Ganz im Gegenteil: zum Teil wurden sie sogar noch übertroffen.


    Vorab muss man erwähnen, dass "Sterben" der erste Band einer sechsbändigen Reihe ist, in dem Karl-Ove Knausgård sehr stark autobiographisch gefärbt über seine Kindheit und sein ganzes Leben schreibt. Das größte Rätsel im Leben von Karl-Ove Knausgård ist die Rolle seines Vaters, der im Mittelpunkt des Romans steht. Der Roman beginnt zehn Jahre nach dessen Tod, zu einem Zeitpunkt an dem Knausgård mit einem neuen Buch ringt, ohne voranzukomen und schließlich sich dazu entscheidet, einfach seine eigene Geschichte aufzuschreiben.


    Zitat

    "Heute ist der 27. Februar 2008. Es ist 23.43. Ich, der ich dies schreibe, Karl-Ove Knausgård, wurde im Dezember 1968 geboren und bin folglich im Augenblick der Niederschrift 39 Jahre alt. Ich habe drei Kinder, Vanja, Heidi und John, und bin ich zweiter Ehe mit Linda Boström Knausgård verheiratet. Alle vier schlafen in den Zimmern ringsum, in einer Wohnung in Malmö, wo wir seit anderthalb Jahren leben."


    Knausgård beschäftigt sich mit seiner Kindheit, ab dem Zeitpunkt, wo er acht und sein Vater selbst 39 Jahre alt war. Er berichtet über die lieblose Behandlung durch seinen Vater, der sich distanziert, aber auch immer wieder herablassend und abwertend seinen beiden Söhnen gegenüber verhält. Es kommt auch immer mal wieder zu gewältigen Übergriffen. Knausgård berichtet auch über die Jahre seiner Jugend; nach seinem Abitur entscheidet er sich dazu Literaturwissenschaft zu studieren. Je älter Karl-Ove Knausgård wird, desto geringer wird die Rolle, die sein Vater für ihn spielt. Dieser hat sich nach einer gescheiterten Beziehung in das Haus seiner Mutter zurückgezogen, um sich dort um den Verstand zu trinken. Nach seinem Tod müssen Karl-Ove Knausgård und sein Bruder die Wohnung putzen. Dieser Abschnitt ist einer der intensivsten, aber auch schmerzhaftesten Abschnitte des Buches, da Knausgård Einblicke in die Welt bekommt, in der sein Vater gegen Ende seines Lebens lebte.


    Durchzogen sind diese Erinnerungen von philosophischen Betrachtungen, die immer wieder sehr interessant, wenn auch manchmal langatmig, zu lesen sind.


    "Sterben" ist ein fantastisches Buch. Es ist unheimlich dicht geschrieben und hat auf mich beinahe eine Suchtwirkung ausgeübt; ich konnte es die letzten Tage kaum noch weglegen, auch wenn ich eigentlich anderes zu tun hatte.


    "Sterben" ist brutal. Es ist brutal ehrlich und schonungslos. Ein Leseerlebnis.
    10 Punkte.

  • Danke für deine Rezi, die Beobachtung stand bei mir schon auf der Beobachtungsliste. Aber so richtig sicher bin ich mir immernoch nicht, insbesondere diese philosophischen Betrachtungen :gruebel

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Im März 2012 erscheint der nächste Band "Lieben" beim Luchterhand Verlag.


    Ich habe das Buch inzwischen auch gelesen. Am Anfang hatte ich Probleme reinzukommen, teilweise war es auch etwas langatmig bis philosophisch, aber alles in allem hat es mir gut gefallen. Es ist auf jeden Fall sehr realistisch und nachvollziehbar geschrieben. Teilweise schon fast zu realistisch - wie buzzaldrin schon schrieb, ist der Abschnitt, in dem Karl Ove und sein Bruder das Haus putzen müssen, in dem ihr Vater seine letzten Tage verbracht hat, recht intensiv... sowohl für Karl Ove als auch für den Leser.



    Von mir gibt's gute 8 Punkte. Das Buch hat viele Leser verdient.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Die "Süddeutsche Zeitung" hat das Attribut "kultiviert" zur Klassifizierung dieser Autobiographie verwendet. Mir haben ein paar wenige Formulierungen aus "Lieben" (2. Band) genügt, um zu wissen, dass Karl Ove Knausgards Schreibstil mir ungemein zusagt. Ich bin schon gespannt, welche Titel er für Bd 3, 4, 5 und 6 wählen wird.


    Was bedeutet der Originaltitel "Min kamp" auf Deutsch? Hoffentlich nicht das, was ich befürchte: "Mein Kampf"

  • Larissa Der dritte Band ist bereits auf deutsch erschienen, unter dem Titel "Spielen". Und doch, "min kamp" heißt "mein Kampf" auf deutsch - aus naheliegenden Gründen verzichtet man deshalb gern auf die Übersetzung des Originaltitels.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • saz ... Danke für diese Info. In einem Interview mit einem Niederländer (?) auf YouTube habe ich erfahren, dass Knausgard bereits alle sechs Bände fertiggeschrieben haben soll.


    Wenn ich Knausgards 2. Ehefrau Linda wäre und an einer bipolaren Störung (d.h. manisch-depressiv) leiden würde, dann wäre es mir definitiv nicht recht, wenn er darüber in seiner Autobiographie schreiben würde und besonders fies fände ich es, wenn er sich monatelang zum Schreiben "zurückziehen" würde in irgendso ein "Büro" an einem anderen Ort, und ich allein ein ganz kleines Kind versorgen müsste. (Mittlerweile sind es vier Kinder.)

  • Ich bin anfangs total leicht in das Buch hineingekommen, als dann jedoch in die Schilderung jenes Silvester-Saufgelages im Leben des 16-jährigen Karl Ove, immer wieder erzählerische Einschübe vorgenommen wurden und sich das ganze beim Lesen anfühlte, als ob man unter einer Tischplatte mit einem Messer einen alten Kaugummi runterkratzen will, aber immer wieder durch das Läuten an der Tür und per Handy daran gestört wird, da begann ich mich sehr zu wundern: über diesen "Schreibwüterich" (wie ihn ein Rezensent in der FAZ nennt) und über mich selbst, wie ich mit meiner eigenen Lebenszeit umgehe.

  • Vom Ende und vom Leben


    Das Projekt ist ambitioniert: In sechs Bänden will Karl Ove Knausgård vom Leben schreiben, über sein Leben und das der Menschen an seiner Seite. Im Norwegischen heißt die Serie Myn Kamp, eine Übersetzung des Serientitels erscheint nicht notwendig und der deutschen Verlagslandschaft als offensichtlich unangemessen.
    Als weniger unangemessen erreichte der erste und weniger angenehme Titel "Sterben" das deutsche Publikum, das offensichtlich keine Scheu zeigte zuzugreifen. Eine zweite Auflage ist bereits erschienen.
    Was den Einzelnen treibt, sich literarisch mit dem Tod auseinanderzusetzen, bleibt im Verborgenen; was Karl Ove Knausgård anfänglich unklar.
    Nach einem Prolog, der einer philosophischen Abhandlung gleicht und sich fragt, warum wir uns vor einem Leichnam scheuen, beginnt der Roman, die Abhandlung über eine norwegische Jugend, genauer Knausgård Jugend zu erzählen. Das erste und zweite Lebensjahrzehnt sind bestimmt vom Umzug in ländliche Idylle. Abgesehen von den Widrigkeiten der Natur, die winter sind hart und schneereich, im Sommer bewegt sich die Familie viel in der Natur, unterscheidet sich Karl Oves Kindheit und Jugend nicht großartig von der Gleichaltriger in anderen Ländern. Bestimmend sind Schule und Musik; die Pubertät verläuft wie erwartet und der Alkohol fließt in rauen Mengen. In diesen zweihundert Seiten langen Beschreibung geht Knausgård immer wieder auf die Beziehung zu seinem Vater ein, dessen Tod raumgreifend und
    bestimmend für dieses Buch ist. Das Verhältnis zwischen dem jungen Karl Ove und seinem Vater ist düster; der Vater ist streng in seinem Handeln, missachtet seinen Sohn gar. Die Mutter ist beruflich viel unterwegs und so verwundert es nicht, dass einzig und allein die Beziehung zum älteren Bruder Halt gibt.
    Der Abschnitt über seine norwegische Jugend ist stellenweise langatmig, vor allem erweckt Knausgård den Eindruck, Szenen zu konstruieren, die das problematische Verhältnis zu seinem Vater beschreiben und als Rechtfertigung für sein Werk dienen, das einer Aufarbeitung seines Lebens und einer Abrechnung mit seinem Vater gleicht.


    Fürchten braucht sich der Leser vor der Lektüre dieses Buches nicht; am Ende geht es weniger um den Tod als um die Begegnung Knausgård mit seiner Heimat und das nochmalige Aufeinandertreffen mit seiner Großmutter. Zusammen mit seinem Bruder fährt der knapp dreißigjährige Karl Ove zum Haus seiner Großeltern, in dem bis zum Schluss sein Vater und seine Mutter zusammengelebt, besser vegetiert haben. Der alkoholkranke Vater hat sich isoliert und seine hilflose Mutter sich selbst überlassen. Konfrontiert mit einer vermüllten Wohnung räumen die beiden Brüder nicht nur das Haus, sondern auch ihre Vergangenheit auf.


    Der deutsche Titel "Sterben" ist vielleicht gar nicht so schlecht gewählt; alles deutet auf den Tod des alkoholkranken Vaters hin; in Wirklichkeit trifft der Titel besser auf den Prozess des Sterbens, des Siechens zu, von dem die Großmutter betroffen ist.


    Karl Ove Knausgårds erster Teil seines sechs Bände umfassenden Werkes ist keine leichte Lektüre; sie macht weder Mut, sich mit dem Sterben zu beschäftigen, noch erschüttert sie weitreichend, da die Familie distanziert bleibt und es dem Leser schwerfällt, Gefühle für einzelne Mitglieder zu entwickeln.
    Insgesamt eine Lektüre, die nur bedingt empfohlen werden kann.