Kurzgeschichte
von Caren Löwner
Das leerstehende Haus
Im Grunde war es schön gewesen bei meiner Freundin, aber nun ärgerte ich mich doch, dass ich im Dunkeln nach Haue kam. Von Oldenburg bis zur kleinen Siedlung, die nur 25 Häuser umfasste, waren es nur ein paar km. Endlich, dort war schon die Einfahrt. Ich setzte den Blinker und bremste ab. Auf dem buckeligen Weg mit den vielen Schlaglöchern konnte man nur 20 km/h und weniger fahren, sonst lief man Gefahr die Kontrolle über sein Fahrzeug zu verlieren.
Noch um die Kurve und dann den kleinen Hügel hinauf. Das vorletzte Grundstück auf der linken Seite war mein Ziel. Als ich bei den ersten 2 Häusern unten angekommen war, hatte ich den Eindruck, als wenn in dem leerstehenden Haus auf der rechten Wegseite ein Licht zu sehen gewesen wäre. Blödsinn, schalt ich mich und fuhr weiter. Aber irgendetwas bewegte mich dazu, doch sehr langsam an dem Haus vorbeizufahren. Nichts zu sehen. Wurde wohl doch Zeit das ich ins Bett kam.
Nachdem ich das Fahrzeug endlich auf unserem Grundstück eingeparkt hatte, war ich mal wieder dankbar, dass meine Eltern in eine automatische Außenbeleuchtung investiert hatten. Schnell den Zündschlüssel abziehen, die Handtasche greifen und den Haustürschlüssel ins Schloss. Endlich Daheim.
Ganz leise ging ich hinauf in meine Wohnung, denn im Haus war es schon still geworden. Meine Neffen lagen schon in tiefem Schlummer, wie auch deren Eltern. Nachdem ich den Schlüssel ans Board gehängt hatte, meine Tasche auf den Sessel geworfen war, begab ich mich ins Badezimmer. Auf dem Rückweg ging ich nochmals ins Esszimmer und zu den hohen Bücherregalen. Ein neues Buch wollte ich mitnehmen. Mein Blick fiel auf "Land der Mädchen" von Birgit C. Wolgarten. Hoffentlich ist es nicht zu gruselig, sonst schlafe ich die ganze Nacht nicht. Aber es sollte ein Krimi sein und aus dem Klappentext hatte ich schon einiges über das Buch erfahren und war neugierig darauf es zu lesen.
Ich schaltete das Licht aus und wollte nach oben ins Schlafzimmer gehen. Schräg gegenüber lag das leerstehende Haus und erneut hatte ich das Gefühl, dort ein Licht zu sehen. Nur für einen kurzen Moment. Nun war wieder alles ruhig. Schon seit einigen Monaten stand das Haus leer, es sollte verkauft werden, aber bislang hatte sich keiner wirklich für das Haus interessiert. Wird schon noch werden dachte ich und war schon wieder im Begriff zu gehen, aber diesmal sah ich ganz deutlich, dass dort mit einer Taschenlampe hantiert wurde. Wieder war kurzzeitig ein Lichtstrahl zu sehen in den oberen Räumen. Noch war das Haus nicht leergeräumt, dass hatte ich von den Nachbarn gehört. Ob da wirklich jemand versuchte einzubrechen und wenn ja, wonach suchte er? Die alte Dame war über 80 gewesen und hatte bestimmt keine Reichtümer. Sicher, sie hatte viel gesammelt und wenig entsorgt, so wie das viele ältere Menschen machen.
Mh, schlafen gehen oder doch die Polizei informieren? Aber wenn ich mich lächerlich mache und es gar keinen Lichtschein gab. Hin und hergerissen zwischen dem oberen Stockwerk mit meinem Bett und dem Telefon versuchte ich zu einer Entscheidung zu kommen. Diese wurde mir abgenommen, als ich erneut den Lichtschein sah. Mein Telefon lag wie immer auf dem Tisch und ich wählte die Nr. der Polizei. Das Telefonat war sehr kurz. Man wollte Angaben zu meiner Person, etwas über meine Beobachtung wissen und die genaue Adresse. Das letzte was mir mitgeteilt wurde, dass man einen Streifenwagen vorbeischicken wird.
Nun wird es spannend. Ich holte mir etwas zu trinken und harrte am Fenster. Ob die gleich mit Blaulicht kommen und den Täter verschrecken? An Schlaf war nicht mehr zu denken und am liebsten hätte ich vor lauter Aufregung meine Schwester geweckt. Innerlich kribbelte es in mir, aber um nichts auf der Welt wäre ich alleine hinausgegangen um nachzusehen. Und wenn es nun die Erben waren, die neuen Eigentümer, schoss es durch meinen Kopf? Aber warum machten die sich kein Licht und an ein Auto konnte ich mich auch nicht erinnern. Bei den nächsten Minuten hatte ich das Gefühl, sie würden zu Stunden werden, denn es passierte nichts. Kein Licht mehr zu sehen, keine Polizei, die sich dieser Sache annehmen wollten. Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf. Wenn ich nun doch zu voreilig gehandelt hatte und alles ein Fehlalarm war?
Aus meinen Gedanken wurde ich gerissen, als vor dem Haus ein Polizeifahrzeug hielt. In die Dunkelheit hinein versuchte ich etwas zu erspähen. Die Polizisten hatten ebenfalls Taschenlampen und gingen rund um das Haus. Im Garten blieben sie stehen und leuchteten in das innere. Schade, dass ich so wenig zu sehen bekam. Plötzlich liefen die Polizisten zu ihrem Fahrzeug und eine weitere Gestalt hatte angesetzt zu einem schnellen Spurt in Richtung Feldweg, aber dieser war nun versperrt. Die beiden Polizisten überwältigten den Täter und ich konnte sehen, wie er nach hinten in das Auto gesetzt wurde. Der eine Beamte war am telefonieren und ich hatte den Eindruck, dass bald noch mehr Fahrzeuge vor dem Haus auftauchen würden.
In unserer Einfahrt erkannte ich eine Gestalt, die durch das angesprungene Licht immer deutlicher wurde. Ein Polizist war auf dem Weg zu mir. Jetzt wusste der Täter Bescheid. Waren diese Polizisten wirklich so dumm, dass ihr erster Weg sie gleich zu mir führen musste? Mein Körper fing an zu zittern und am liebsten hätte ich mir ein Mauseloch gesucht, aber es half nichts. Schnell lief ich die Treppen hinunter, damit der Beamte nicht auch noch klingelte und das ganze Haus aufwecken würde. Eigentlich hatte ich vor, mächtig wütend zu sein und dem Polizisten meine Meinung zu sagen. Doch der Beamte war sehr freundlich und sagte mir, dass ich keine Angst zu haben bräuchte. Was ich nicht gesehen hatte, war das der Täter schon mit einem anderen Fahrzeug weggeholt worden war.
Ich bat den Beamten ins Haus und wir unterhielten uns einigermaßen leise im Wohnzimmer meiner Schwester. Leider konnte ich ihm zu dem Eigentümer wenig Angaben machen und auch die verstorbene Eigentümer war mir nicht gut genug bekannt. Der Polizist lobte mich, dass ich so gut aufgepasst hatte und erzählte, dass es sich um einen Einbruch handelte und sie den Täter auf der Flucht erwischt hatten. Nun warteten sie auf die Spurensicherung, den Glaser für die Notverglasung und wollten sich mit dem Eigentümer in Verbindung setzen. Nach knapp 15 Minuten war für mich die Angelegenheit erledigt und der Beamte verabschiedete sich, natürlich nicht ohne den obligatorischen Satz, dass ich für eine Zeugenaussage noch auf das Revier kommen müsste.
Im Haus bei mir war alles still geblieben. Niemand war aufgewacht. Ich löschte das Licht und ging wieder nach oben in meine Wohnung. Nochmals bezog ich Posten an meinem Fenster im Esszimmer. 2 Fahrzeuge konnte ich noch ausmachen und ein paar Leute die herumliefen. In den Räumlichkeiten war jetzt überall Licht. Aber schon bald kehrte Ruhe ein und auch ich begab mich mit meinem Krimi ins Schlafzimmer. Gelesen habe ich nicht mehr, denn schon bald wurde ich von der Müdigkeit eingeholt.
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Am darauffolgenden Tag war der Einbruch Dorfgespräch. Meine Schwester war enttäuscht, dass ich sie nicht geweckt hatte. Bei meinen Eltern musste ich alles erzählen und auch die Nachbarn zur linken und rechten Seite kamen auf ein Schwätzchen vorbei.
Im Laufe des Tages passierte nicht viel. Der Eigentümer war gekommen und hatte sich nochmals umgeschaut, verschwand aber wieder nach kurzer Zeit, ohne auch nur mit einem Anlieger gesprochen zu haben.
Irgendwie hatte ich erwartet, dass er zu mir kommen würde, um sich zu bedanken, aber vielleicht hatte die Polizei gar nicht meinen Namen genannt. Auf der einen Seite war ich enttäuscht, auf der anderen Seite ganz froh, denn es war ja auch möglich, dass sich die Presse für diesen Einbruch interessieren würde. Das war aber nicht der Fall. Zwar erschien in den Lübecker Nachrichten eine kleine Randnotiz von 5 Zeilen, die sich lasen wie ein Polizeiprotokoll mit den allernötigsten Angaben. Von aufmerksamen Zeugen oder Beobachtungen war schon gar keine Rede. Warum auch, der Täter war schließlich gefasst. Und würde sicher in den nächsten Monaten seiner gerechten Strafe zugeführt werden.
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Da ich mich nicht zur Miss Marple berufen fühlte, hielt auch ich diese Angelegenheit für erledigt. Drei Abende später war ich in meinem Wohnzimmer und las die letzten Zeilen aus dem Krimi "Land der Mädchen". Noch fasziniert über den gelesenen Schluss des Buches ging ich langsam Richtung Esszimmer und zu meinen Bücherregalen. Ein neuer Krimi musste her und diesmal entschied ich mich für Elizabeth George. Inspector Lynley und seine Assistentin Barbara Havers waren meine absoluten Favoriten. Schon den Klappentext lesend ging ich Richtung Lichtschalter. Automatisch drehte ich mich herum und ein Blitz durchzuckte meinen Körper. Erneut sah ich in dem leerstehenden Haus einen Lichtstrahl. Das konnte doch nur Einbildung sein. Vielleicht las ich einfach zu viele Krimis und hatte nun schon Verfolgungswahn.
Ich spähte hinaus in die dunkle Nacht und alles blieb ruhig. Kein Licht zu sehen. Langsam kam mein Puls wieder auf normale Frequenz herunter und ich atmete tief durch, schüttelte den Kopf und wollte endlich zu meinem Sofa zurückgehen. Nochmals schaute ich zum Haus - wieder der Lichtstrahl einer Taschenlampe. Das gibt es doch gar nicht. Wer sucht was in diesem Haus? Hatte die alte Dame große Geheimnisse? Wieder stand ich vor der Entscheidung. Polizei anrufen oder nicht. Glauben die mir auch ein zweites Mal? Meine Augen brannten schon, so gebannt starrte ich auf das Haus. Wieder ein Lichtschein und wieder im Obergeschoss.
Ich ging in mein Wohnzimmer und nahm das Handgerät vom Telefon. Ganz ruhig wählte ich die Nummer der Polizei. Erneut gab es das Spiel mit den Angaben. Meinen Namen, Adresse, meine Beobachtungen und den genauen Tatort. Wieder erhielt ich die Zusage, dass ein Streifenwagen sich dieser Sache annehmen würde. Ich schlich zurück zu meinem Fenster im Esszimmer. Diesmal hatte ich nicht das Gefühl, dass die Minuten zu Stunden wurden. Schon stand ein Streifenwagen vor dem Haus und ich konnte wieder 2 Beamte sehen, die um das Haus herumgingen und erneut im Garten stehen blieben. Sind die wirklich wieder durch die Terrassentür eingestiegen? Spannend, mein Körper zitterte leicht. Ob sie auch diesmal den Täter bekommen? War dieses Haus eine Falle für Verbrecher?
Oben im Haus sah ich erneut den Lichtschein einer Taschenlampe und am liebsten hätte ich mein Fenster weit aufgerissen und es den Polizisten zugerufen. Aber sinnlos und gefährlich, denn die waren ohnehin schon im Haus verschwunden. Dann wurde wieder überall Licht angemacht und diesmal mussten sie den Täter im Haus gestellt haben. Nach ein paar Minuten kamen sie wieder heraus und hatten eine Person in Handschellen. Außerdem kam ein weiterer Streifenwagen dazu. Nun würde die ganze Prozedur erneut laufen, wie schon vor 3 Nächten. Ob die mich auch wieder aufsuchen würden? Könnten mir auch eine Vorladung senden, zwecks Zeugeneinvernahme? Aber was hat es mit diesem Haus auf sich, dass innerhalb von 3 Tagen 2 Einbrüche stattfinden? Meine Neugierde war groß, aber noch immer war ich mir ganz sicher, dass ich nicht Miss Marple bin, dass wird die Polizei schon aufklären.
Nach 1 Stunde war es wieder ruhig in der Siedlung. Das Licht war im ganzen Haus gelöscht und die Streifenwagen wieder abgefahren. Müde und überanstrengt begab ich mich mit Elizabeth George nach oben in mein Schlafzimmer.
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