Die Frau des Apothekers – Charlotte Sandmann

  • Die Informationen innerhalb der Spoilermarkierungen verraten keine Geheimnisse sondern enthalten nur weitere Details über Personen und Handlungsabläufe. Man kann sie also mitlesen, muss es aber nicht.


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    Charlotte Sandmann: Die Frau des Apothekers, München 2011, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN: 978-3-423-21281-6, Softcover, 375 Seiten, Format 12 x 19 x 2 cm, EUR 8,95 (D), EUR 9,20 (A),


    „Ich habe diese Apotheke vom ersten Tag an geliebt, an dem ich hier hereingekommen bin, und diese Liebe ist mit jedem Tag gewachsen. Könnte ich es, so würde ich die Ausbildung zur Apothekerin machen. Leider ist das uns Frauen verboten, wie so vieles andere auch. Aber niemand kann mir verbieten, meinen Leuten bei der Arbeit zuzusehen, und das werde ich sehr ausgiebig tun.“ (Seite 230)


    Hamburg, ca. 1896. 16 Jahre alt ist die Waise Louise, als ihr Vormund sie mit dem deutlich älteren Apotheker Raoul Paquin verheiratet. Dieser erweist sich als klug, witzig und liebenswert, und die Löwen-Apotheke mit all ihren Mitteln und Arzneien faszinieren die junge Frau. Am liebsten würde sie eine entsprechende Ausbildung machen und selbst mitarbeiten, aber das ist zur damaligen Zeit in Deutschland noch nicht möglich.


    Zwei Jahre lang ist Louise mit ihrem Ehemann glücklich. Doch dann wird er krank und verfällt nicht nur körperlich. Er wird bösartig, misstrauisch und ist überzeugt davon, dass ihn jemand langsam vergiftet. Als Raoul stirbt, wird Louise verhaftet. Man hat in seinem Körper in der Tat eine tödlich hohe Bleikonzentration gefunden.


    Einen Beweis dafür, dass Louise eine Giftmörderin ist, gibt es nicht. Ihre Verhaftung ist das Resultat einer Intrige, nicht das einer sauberen Ermittlungsarbeit. Entsprechend leichtes Spiel hat der Anwalt des „Rechtsschutzvereins für Frauen“, sie frei zu bekommen. Beauftragt hat ihn Lady Amy Harrington, die resolute und emanzipierte Tochter des britischen Botschafters, die Louise bisher nur vom Sehen kannte. „Darling“, flüsterte sie. „Ich weiß, wie es Ihnen geht. Sie sind beileibe nicht die einzige Witwe, auf die von allen Seiten die Pfeile des Neides, der Missgunst und der Verleumdung abgeschossen werden. Aber jetzt haben Sie Freundinnen, die auf Ihrer Seite stehen.“ (Seite 25)



    Nun soll auch noch Apotheke in fremde Hände übergehen. Am liebsten wäre es Louise, wenn Magister Schlesinger, einer der Mitarbeiter ihres Mannes, sie weiter betriebe. Doch dazu bräuchte er eine Lizenz, die Louise ihm mangels wichtiger Kontakte nicht beschaffen kann.


    Doch nichts ist so übel, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte. Raoul hat in fortschreitender Verwirrung sein Testament geändert. Statt treue Weggefährten und wohltätige Einrichtungen zu bedenken, wie ursprünglich geplant, vermacht er alles seiner Verwandtschaft, die er vor seiner Erkrankung stets von Herzen verabscheut hat.


    Knall auf Fall zieht also die Familie von Pritz-Toggenau in Paquins „Löwenhaus“ ein: Hermine, Raouls pompöse Schwester, ihr drogensüchtiger Ehemann, die ehrgeizige Tochter Eugenie und der spielsüchtige Sohn Emil. Mit vollen Händen geben sie das Geld des verstorbenen Apothekers aus. Doch Louise ist nicht mehr das kleine Gänschen aus dem Waisenhaus. Sie hat inzwischen von Amy Harrington gelernt und weiß zudem ihren Geliebten, Raouls ehemaligen Privatsekretär Hansen, auf ihrer Seite. Sie zieht vor Gericht und ficht das Testament an ...



    Kriminalpolizeiinspektor Ludwig Gützlow lässt der ungeklärte Todesfall gleichfalls keine Ruhe. Er nimmt die Vergangenheit der Löwenhaus-Bewohner und der Apotheken-Mitarbeiter noch einmal genau unter die Lupe. Und sieh an: Es ist längst nicht alles so, wie es den Anschein hat. Hier ist nicht mal jeder das, was er zu sein vorgibt!


    Da hinterlässt ein Selbstmörder ein umfassendes Geständnis. Alle atmen erleichtert auf. Nur Louise und Lady Amy bleiben misstrauisch. Irgend etwas an dieser Geschichte ist faul ...


    Vordergründig ist DIE FRAU DES APOTHEKERS ein Krimi. Und während der Leser auf Giftmörderjagd ist, wird ihm nach und nach klar, wie es vor rund 110 Jahren um die Rolle der Frau bestellt war. Eine Dame aus Adel oder Bürgertum war nichts ohne einen Ehemann. Und um einen solchen zu ergattern, brauchte sie Geld. Schönheit und/oder ein Adelstitel allein nützten einem mittellosen Mädchen nichts, wie man Raouls Cousine Paula und seiner Nichte Eugenie sieht. Die unverheiratete Paula, die im Haushalt ihres Cousins lebt, formuliert das so: „Ich hatte nichts eigenes. Meine Kleider, meine Bücher, selbst meine Haarbürste und meine Pantoffeln – alles hat mir mein reicher Vetter geschenkt. Jeder Bissen, den ich in seinem Hause aß, war ein Bissen Gnadenbrot.“ (Seite 282)


    Eine Ehefrau ist materiell versorgt. Aber hat sie wirklich „etwas eigenes“? Die Umgebung reagiert ja schon hysterisch wenn sie eine eigene Meinung hat. Als die frisch verwitwete Louise ihre juristischen Angelegenheiten selbst mit ihrem Anwalt regeln will, wird das als geradezu skandalös empfunden.


    Dass sie keine Apothekerin werden darf, liegt allerdings nicht am Ehemann und seinen Angestellten. Es war Frauen in Deutschland zu der Zeit schlichtweg verboten, eine solche Ausbildung zu beginnen. Erst 1899 wurden Frauen zum Universitätsstudium zugelassen. Nur in den Kolonien ist man zu Louises Zeit etwas offener, wie sie bei einem Vortrag im Haus der Harringtons erfährt. Eine Deutsche, die in Swakopmund (Deutsch-Südwestafrika/Namibia) eine Apotheke betreibt, referiert dort vor dem Frauenverein über ihre Erfahrungen. Louise ist beeindruckt von der gebildeten und tüchtigen Kolonistin.


    Manchmal fragt sich Louise, was eigentlich ihre Freundin Amy Harrington zur Frauenrechtlerin gemacht hat und warum sie gar so radikal ist. Selbst heute würden manche von Amys Ansichten noch Stirnrunzeln hervorrufen. Zur damaligen Zeit muss ihre Weltanschauung ungeheuerlich gewesen sein.


    Wir erfahren nicht nur Interessantes über die Gesellschaft und Alltag der damaligen Zeit, sondern auch über die Geschichte der Pharmazie.


    Ob Gesellschaft oder Wissenschaft – es wird deutlich, was sich in den letzten 100+ Jahren alles verändert hat. Und in welchen Bereichen wir heute nicht viel weiter sind als zu Louises Lebzeiten.


    Charlotte Sandmann ist bekannt für ihre emanzipierten Romanheldinnen, die aufgrund besonderer Lebensumstände ihrer Zeit weit voraus sind. Das trifft hier nur auf die Nebenfigur Amy Harrington und die Damen des Frauenkreises zu. Louise ist ursprünglich keine von den privilegierten, forschen Sandmann-Frauen. Doch sie hat ihr junges Leben schon so oft in Scherben gehen sehen, dass sie in einer schweren Krise keine Angst vor einem weiteren Neuanfang hat. Und wenn das bedeutet, das Leben selbst in die Hand zu nehmen – auch gut. Das mag ungewohnt und anstrengend sein, doch der Vorteil dabei ist, dass es endlich einmal nach Louises Kopf geht und nicht nach dem Willen mehr oder weniger wohlwollender Mitmenschen.


    So spannend und unterhaltsam verpackt lassen sich geschichtliche Fakten selbst den Leserinnen und Lesern nahe bringen, die nicht zur Kernzielgruppe der historischen Romane zählen. Allerdings kommt einem gelegentlich der Verdacht, dass die Nebenfigur Lady Amy Harrington als Hauptperson ein bisschen interessanter wäre als Louise Paquin.


    Die Autorin:
    Charlotte Sandmann, Generation 50+, arbeitet als Schriftstellerin, Ghostwriterin und Übersetzerin. Ihr besonderes Interesse gilt der Medizingeschichte sowie der Geschichte der Pharmazie, die im vorliegenden Roman eine zentrale Rolle spielt.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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  • Hamburg, 1898: Louise, die 18-jährige Frau des angesehenen Apothekers Raoul Paquin, steht unter Mordverdacht. Nach monatelangem Verfall, während dessen Raoul sich von einem angenehmen, gütigen und liebevollem Ehemann, Geschäftsmann und Hausvorstand in einen unausstehlichen Tyrann gewandelt hat, setzt er seinem Leben selbst ein Ende. Dennoch zeigt sich schnell, dass diese Tat Folge der Auswirkungen einer fortschreitenden Vergiftung ist. Glücklicherweise erhält Louise über Lady Amy Harrington, eine junge Sufragette, Hilfe durch den Rechtsschutzverein für Frauen und kann sich entlassen aus der Haft auf die Suche nach den Vergiftungsursachen machen. Parallel dazu muss sie sich allerdings um die Bestattung ihres Gatten, dessen Verwandtschaft, die das Erbe an sich reißen wollen, die Apotheke, deren Konzession zu erneuern ist, und die Ordnung von Papieren und Dokumenten kümmern. Frei und unabhängig fühlt sich Louise auch allein und gerät überstürzt in eine Liebesbeziehung mit dem Privatsekretär ihres verstorbenen Mannes. Raoul Paquins Tod soll aber nicht der einzige in der Familie bleiben...


    Charlotte Sandmanns historischer Roman „Die Frau des Apothekers“ ist wie ihre vorangegangenen Romane sehr gut recherchiert und zeigt plastisch das Leben im Hamburg der wilhelminischen Zeit. Der Kriminalfall basiert im Wesentlichen darauf, dass alle Mitglieder des Hauses Paquin und dessen Familie durchaus ein Motiv für einen Mord hätten. Die Autorin entwickelt den Kriminalfall langsam aber stetig, und immer, wenn es den Anschein hat, er sei gelöst, ergeben sich neue Verwicklungen. Die Lebensumstände rund um Louise und die Apotheke stehen deutlich im Vordergrund vor dem tragenden Kriminalfall.


    Leider ist Louise allerdings eine Protagonistin, die aufgrund fehlender Reife, aber auch ihrer eher zaudernden Persönlichkeit nicht wirklich interessant ist, worüber Charlotte Sandmanns erzählerische Fähigkeiten nicht hinweg helfen. Bei mir löste Louise sogar häufig die Emotion aus, den Roman genervt beiseite legen zu wollen und manche ihrer Entscheidungen und Wandlungen sind für mich nicht nachvollziehbar oder sogar ungaubwürdig. Über die wesentlich interessantere Nebenfigur Lady Amy Harrington erfährt der Leser hingegen viel zu wenig. Vielleicht hätte Charlotte Sandmann besser daran getan, die Geschichte aus deren Sicht zu erzählen.


    6 von 10 Punkten