Winters Knochen - Daniel Woodrell

  • # Gebundene Ausgabe: 222 Seiten
    # Verlag: Liebeskind; Auflage: 1., Aufl. (17. Januar 2011)
    # Sprache: Deutsch
    # Originaltitel: Winter's bone


    Kurzbeschreibung
    Zwischen dem, was die anderen sagen, und dem, was man glauben will, gibt es eine Wahrheit, die nie ans Tageslicht kommen darf! Kraftvoll und poetisch erzählt Daniel Woodrell von einer Welt, in der eigene Gesetze herrschen, und einer jungen Frau, die sich auflehnt gegen jahrhundertealte Lügen und Gewalt.Jessup Dolly taucht unter, als der Winter kommt. Seiner Familie, die in bitterarmen Verhältnissen im Hinterland von Missouri lebt, fehlt es an allem. Sie haben kaum etwas zu essen und nicht einmal genug Feuerholz, um das Haus warm zu halten. Aufopferungsvoll kümmert sich Jessups sechzehnjährige Tochter Ree um ihre pflegebedürftige Mutter und die beiden jüngeren Brüder. Doch dann passiert das Unvermeidliche. Die Polizei steht vor der Tür und teilt Ree mit, dass ihr Vater, der schon einmal wegen Drogengeschäften im Gefängnis war und nun erneut unter Anklage steht, das Haus für seine Kaution verpfändet hat. Wenn Jessup nicht bei Gericht erscheint, verliert seine Familie alles, was sie hat. Ree bleibt eine Woche Zeit, um ihren Vater zu finden tot oder lebendig.


    Meine Meinung
    Das siebzehnjährige Mädchen Ree Dolly wächst in den Ozarks auf, eine verlassene und abgeschottete Gegend mitten in den Vereinigten Staaten. Jeder hier ist irgendwie mit jedem verwandt; dies führt auf der einen Seite zu einer tiefen Verbundenheit. Auf der anderen Seite - wenn jemand aus dieser Struktur herausfällt - kann dies aber auch katastrophale Folgen haben. Obwohl noch so jung, lastet die ganze Verantwortung auf Rees Schultern. Ihre Mutter ist psychisch erkrankt, auch wenn nicht näher darauf eingegangen wird, woran sie genau leidet. Ihr Vater Jessup ist verschwunden. Ree muss sich um ihre beiden jüngeren Brüder Sonny und Harold kümmern und daneben auch noch ihre Mutter pflegen.


    Jessup hat das Haus seiner Familie verpfändet und da er auf der Flucht ist und sich weigert, seine Gefängnisstrafe anzutreten, besteht die Gefahr, dass Ree und ihre Geschwister ihr Zuhause verlieren.


    Zitat

    "Ich habe zwei kleine Brüder, die noch nicht für sich selbst sorgen können", sagte sie. "Meine Mom ist krank, und das wird ... sie auch bleiben. Bald wird das Gesetz kommen, um uns das Haus wegzunehmen und uns rauszuschmeißen ... dann müssen wir auf den Feldern leben wie Köter. Wie verdammte Köter. Die einzige Hoffnung, das Haus zu behalten, ist ... ich muss beweisen ... dass Dad tot ist. Ich muss nicht wissen ... wer ihn umgebracht hat. Das brauche ich überhaupt nicht zu erfahren. Wenn Dad was Falsches getan hat, dann hat er dafür bezahlt. Aber ich kann nicht ewig so weitermachen und für alle sorgen ... die Jungs und Mom ... nicht ... nicht ohne das Haus."


    Ree tut alles dafür, um das Haus zu kämpfen und ihren Brüdern und ihrer Mutter eine Heimat zu geben. So viel, dass sie am Ende Gefahr läuft, ihr eigenes Leben zu verlieren.


    "Winters Knochen" hat mir gut gefallen. Woodrell gelingt es die Atmosphäre dieser verlassenen Wohngegend einzufangen, die sich zum einen durch eine faszinierende Landschaft, zum anderen aber auch durch eingefahrene Strukturen, auszeichnet.
    Der Roman ist unheimlich gut geschrieben und dennoch ist bei mir leider nicht der endgültige Funke übergesprungen. Die Charaktere werden authentisch beschrieben, bleiben in vielen Fällen aber lediglich an der Oberfläche erkennbar. Den Umgangston, auch wenn er sicherlich realistisch ist, habe ich als übertrieben und wenig authentisch empfunden.


    Eine schön geschriebene Geschichte, bei der mir jedoch der letzte Funke fehlte.
    7,5 Punkte.

  • Zitat

    Original von Eskalina
    Danke für deine schöne Rezi. Das Buch ist mir bisher noch nirgendwo ins Auge gefallen. Schon wegen des stimmungsvollen Covers hätte ich es näher betrachtet. Jetzt kommt es auf meine WL. :wave


    Ja, das Cover ist wirklich beeindruckend schön!
    Ich bin auf das Buch durch Lille aufmerksam geworden, die es im Thread zu den schönsten Cover vorgestellt hat. Sonst wäre es mir wahrscheinlich auch nicht aufgefallen.

  • Die gebirgige Landschaft der Ozarks im südlichen Missouri ist malerisch schön und die weiten grünen Felder bilden die kontrastreiche Kulisse zur ebenso harten wie beeindruckenden Geschichte der 16-jährigen Ree Dolly und ihrer Familie. Sie hausen in bitterarmen Verhältnissen in einer heruntergekommen Hütte in dieser amerikanischen Einöde. Die Menschen um sie herum sind das was man gemeinhin als Hinterwälder oder „White Trash“ bezeichnen kann. Menschen die die uns bekannte Zivilisation verlassen haben und weit abseits in Wohnwagen oder baufälligen Hütten leben und sich ihr ureigenes wie anarchisches Rechtssystem geschaffen haben. Zwar gelten grundsätzlich die Gesetze aber die die Familienoberhäupter gebärden sich so als gelten diese für sie nicht. Den kargen Lebensunterhalt verdienen sie mit illegaler Wilderei, dem Herstellen künstlicher Drogen oder mit schwarzbrennen von Schnaps. Es ist ein täglicher Kampf ums Überleben und der stets gleiche, eintönige Tagesablauf sorgt dafür das diese Menschen einen Teil der Drogen selbst konsumieren um der Hoffnungslosigkeit ihrer elenden Situation wenigstens für kurze Zeit zu entfliehen.


    Die dunklen Wolken die grimmig den Himmel beflecken sorgen für das leicht düstere aber unheimlich stimmungsvolle Bild auf dem Umschlag des Buches (eines der schönster Buchcover überhaupt!) und können als Metapher für die Probleme, die wie einem Unwetter gleich, über Ree Dollys Zukunft aufziehen angesehen werden. Ree sorgt schon heute für ihre demente Mutter und die beiden jüngeren Brüder während Vater Jessup dauernd mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Als er einem Gerichtstermin fernbleibt droht die Zwangsenteignung des baufälligen Hauses denn Jessup hat dieses als Sicherheit für die Kaution verpfändet. Mit dem Verlust des eigenen Heims würde die ohnehin schon triste Welt von Ree und ihrer Familie komplett aus den Fugen geraten. Der letzte Ausweg besteht darin Vater Jessup der seit Tagen verschollen ist zu finden und ihn dazu zu bewegen vor Gericht zu erscheinen, Ree hat dafür eine Woche Zeit…


    Der Autor Daniel Woodrell hat mit der 16-jährigen Ree Dolly eine beeindruckende Figur geschaffen. Sie stellt sich tatkräftig und mit Mut allen Widrigkeiten und verliert nie den Glauben an sich und den kleinen Funken Hoffnung das irgendwann alles besser werden könnte. Sie lernt schnell was es heisst erwachsen zu sein und die Verantwortung für ihre Familie in zutiefst ärmlichen Verhältnissen zu übernehmen. Die Mutter in einem psychischen Delirium vor sich hindämmernd und die Brüder viel zu jung um für sich selbst zu sorgen schultert Ree alle Last und meistert aufopferungsvoll die tagtäglichen Probleme auf ihre ureigene Weise. Sie lehrt ihre Brüder nicht nur lesen und kochen, den lebenswichtigen Umgang mit der Schrotflinte und das ausweiden toter Tiere sondern auch was es bedeutet Stolz zu haben und niemals die Selbstachtung zu verlieren. Sie könnte an der kräftezehrenden Lage jederzeit zerbrechen aber sie ist eine Kämpferin und lässt sich nicht unterkriegen. In einer Welt voller Gefühlskälte verkörpert sie die seltene Winterrose die aus dem schneebedeckten Eis spriesst und erblüht.


    Winters Knochen ist eine schlichte aber tief bewegende Erzählung. Der Autor Daniel Woodrell schildert das Schicksal von Aussenseitern ebenso subtil wie in kraftvollen Worten und setzt so starke Akzente. Streckenweise vielleicht etwas zu glatt und oberflächlich, er hätte durchaus noch tiefer in diese abweisende Welt eindringen können, aber so lässt er den Personen die Würde dem Leser stets auf Augenhöhe zu begegnen. Er will bewusst kein Mitleid für die Hauptfigur (Ree hätte das nie gewollt!) sondern einfach ihre Geschichte erzählen und es fühlt sich schlussendlich an wie ein eindringlicher Appell für die Menschlichkeit. 9 Punkte von mir für 223 Seiten verdammt gute Literatur.


    Edit: Schreibfehler, kleine Umformulierungen und ähnliches...

  • Zitat

    Original von sapperlot
    9 Punkte von mir für 223 Seiten verdammt gute Literatur.


    Danke für das schildern deiner interessanten Eindrücke :wave


    Je mehr Wochen nach dem Leseerlebnis vergangen waren, desto unbefriedigender empfand ich es dann dochh. Vor allem die Entwicklung der Handlung stockte in meinen Augen irgendwann sehr und das dramatische (an vielen Stellen doch auch absurde) Ende hat Woodrell sicherlich auch schon mit einer Hollywood-Verfilmung im Hinterkopf geschrieben.

  • Hab mir das Buch vor einiger Zeit auf englisch gekauft... ein Spontankauf, da es nur 3 Euro gekostet hat und vom Klappentext her recht interessant klingt.
    Und weil die Eulen doch einiges Gutes darüber zu berichten haben, werde ich es mal im SUB ein wenig raufschieben... :wave

  • Zitat

    Original von melancholy
    Hab mir das Buch vor einiger Zeit auf englisch gekauft... ein Spontankauf, da es nur 3 Euro gekostet hat und vom Klappentext her recht interessant klingt.
    Und weil die Eulen doch einiges Gutes darüber zu berichten haben, werde ich es mal im SUB ein wenig raufschieben... :wave


    Dann bin ich schon gespannt darauf, wie es dir gefällt. Ich würde mich sehr freuen, über weitere Meinungen zu dem Roman ... :wave

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Je mehr Wochen nach dem Leseerlebnis vergangen waren, desto unbefriedigender empfand ich es dann dochh. Vor allem die Entwicklung der Handlung stockte in meinen Augen irgendwann sehr und das dramatische (an vielen Stellen doch auch absurde) Ende hat Woodrell sicherlich auch schon mit einer Hollywood-Verfilmung im Hinterkopf geschrieben.


    Meine Leseeindrücke sind natürlich noch taufrisch, von dem her weiss ich natürlich noch nicht wie ich das Buch in einem Monat rückblickend zusammenfassen und bewerten würde.


    Ich finde der Roman hat etliche ganz starke Momente die sich ins Gehirn und das Gefühlsleben des Lesers einbrennen. (Die in meiner Rezi erwähnten starken Akzente) Und die Beschreibung von Landschaft, Wetter und dem ganzen drumherum sind teilweise fast poetisch schön. Bei der Charakterisierung der Personen hat es sicherlich ein paar Schwächen und das Ende ist sehr speziell, das ist richtig. Darum auch einen Punkt Abzug von mir in der Gesamtbewertung.


    Das Buch ist übrigens vom Format her kleiner als normale Hardcover Bücher, dies noch zur Information an alle interessierten Leser und der Preis von EUR 18.90 für 223 Seiten ist sehr hoch angesetzt, aber der Inhalt ist es meiner Meinung nach Wert. Aber dies liegt dann halt im Auge des Betrachters bzw. Lesers.

  • Zitat

    Original von sapperlot
    Ich finde der Roman hat etliche ganz starke Momente die sich ins Gehirn und das Gefühlsleben des Lesers einbrennen. (Die in meiner Rezi erwähnten starken Akzente) Und die Beschreibung von Landschaft, Wetter und dem ganzen drumherum sind teilweise fast poetisch schön.


    Ich hatte zwischendurch schon fast den Eindruck, dass diese ganzen Beschreibungen eingebaut wurden, um eine umfangreichere Kurzgeschichte noch zu einem Roman in die Länge zu ziehen.


    Interessant, wie sich doch Leseeindrücke unterscheiden können ... :wave

  • Englischer Originaltitel: Winter's Bone


    Kurzbeschreibung ( Amazon )


    "Eine Heldin, die Sie ihr Leben lang nicht vergessen werden


    Ein eiskalter Winter in Missouri. Dort lebt die 16-jährige Ree Dolly und kümmert sich um ihre beiden jüngeren Brüder, seit die Mutter psychisch erkrankt ist. Ihr Vater verdient sein Geld mit Drogengeschäften. Dann erfährt Ree vom Sheriff, dass ihr Vater nicht zum angesetzten Gerichtstermin erschienen ist. Sollte er nicht innerhalb einer Woche auftauchen, verliert die Familie das Dach über dem Kopf. Damit bleiben Ree sieben Tage, um ihren Vater zu finden. Tot oder lebendig."


    Autor:
    Daniel Woodrell ist am 4.3.1953 in Missouri geboren und aufgewachsen in West Plains / Ozark Mountains. Wegen Drogenkonsums aus dem Militätdienst entlassen, studierte er schließlich an der Iowas Writers School. Seine Romane spielen alle in den Ozark Mountains.


    Meine Meinung:
    Es ist eine harte Welt, von der da erzählt wird. Die Familie lebt unter sehr ärmlichen Verhältnissen, es fehlt oft am Nötigsten. Als Rees Vater verschwindet, ist Ree ganz auf sich allein gestellt. Ihre Mutter lebt in einer anderen Welt, die Brüder sind zu klein.
    Nur ihre Freundin Gail und ihr Onkel Teardrop unterstützen sie.
    Diese Geschichte ist bestimmt nichts für zarte Seelen.
    Zwischendurch wollte ich gar nicht mehr weiterlesen - nicht, weil es so gar blutig und grausam zuginge. Was mich betroffen macht, ist die Selbstverständlichkeit der Gewalt, das archaische Recht des Stärkeren, die hier beschrieben werden.
    Und trotzdem- es lohnt sich, das Buch zu Ende zu lesen. Das liegt vor allem an der Figur von Ree, die trotz aller schlimmen Erfahrungen eine Hoffnung auf Solidarität und Menschlichkeit in diese brutale Welt bringt.

  • Zu diesem Buch gibt es schon einen Thread, Rumpelstilzchen, da hättest Du keinen neuen eröffnen müssen, sondern deine Rezi unter den ersten hängen sollen. :-( Hätte mich gewundert, wenn es zu dem Buch noch nichts gegeben hätte.


    Edit: Ich habe die Threads zusammengefügt. Beim nächsten Mal gleich den Link dazusetzen, umso fixer geht das Zusammenfügen. Danke :wave

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Die Abschaffung des Todes - Andreas Eschbach

    Elantris - Brandon Sanderson


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Ein schmales Buch, 162 Seiten nur, und trotzdem habe ich vergleichsweise lang daran gelesen. Was natürlich daran lag, dass mir das Schicksal der 16jährigen Ree sehr nahe ging. Woodrell verliert nicht viele Worte, um seine Figuren zu charakterisieren, doch das Zusammenspiel von Szenerie, Handlung und Dialog reicht aus, um ein sehr lebendiges Bild von Ree, ihrer Familie, ihrer Freundin und dem ganzen Drumherum zu schaffen.
    Ree ist nicht dumm, im Gegenteil, trotzdem geht sie mit 16 schon länger nicht mehr zur Schule, sondern kümmert sich um ihre jüngeren Brüder und ihre psychisch kranke Mutter. Ihr Vater, ein in der ganzen Gegend bekannter Meth-Koch und Drogendealer, ist verschwunden und Rees einzige Hoffnung besteht darin, seine Leiche zu finden, sonst verliert sie das letzte bißchen Hab und Gut, was ihrer Familie geblieben ist. Der Umgangston ist rauh und keineswegs herzlich, Drogen werden so nebensächlich eingeworfen (auch von Ree, die ganz selbstverständlich kifft und säuft) als wären es Kaugummies und Polizisten sind schlicht nur "das Gesetz" und grundsätzlich auf der feindlichen Seite. Ree wird misshandelt, hat so gut wie keine Perspektive und für ihre jüngeren Brüder sieht es vermutlich noch schwärzer aus - mir viel es sehr schwer, diese düstere Perspektivlosigkeit auszuhalten. Die Zeitlosigkeit des Romans trägt dazu bei - nirgends wird eine Jahreszahl genannt, Handys, Internet, Social Web findet hier nicht statt, einzig die verwendeten Drogen bieten einen Anhaltspunkt: deprimierender kann eine Lebenswirklichkeit nicht sein, wenn der einzige Gradmesser von moderner Entwicklung in der Art der vertickten Drogen liegt. Und dieses ganze Elend liegt mitten in schönster Natur, ein Gegensatz, den auch Woodrells Sprache hervorragend einfängt. Die Dialoge der Figuren sind hingerotzt, voller Gewalt, ohne große Gewandtheit, Natur und Innenleben der Figuren hingegen werden in schlichten, stimmigen Bildern eingefangen:

    Zitat

    "Die schwach gewordenen Teile in ihr gaben nach wie Schlammbänke in einem reißenden Bach, sie fielen nach innen und verspritzen große wabernde Gefühle, die nicht zu ertragen waren."


    Eine düstere, deprimierende Geschichte, großartig erzählt.