Michael Weins - Delfinarium

  • Der Plot


    Der junge, kluge, aber entscheidungsschwache Daniel bekommt eines Tages die Aufgabe, auf eine merkwürdige Frau namens Susann Windgassen aufzupassen. Sie spricht nicht mehr und hat sich nach einem Unfall tief in die innere Emigration zurückgezogen, aus welcher ihr Ehemann sie nicht mehr herausholen kann. Er sucht per Zeitungsannonce einen Begleiter für seine Gattin, um sie an den einzigen Ort auszuführen, der in ihrem Gesicht einen Hauch von Restwärme und Lebensfreude auszulösen vermag: Das Delfinarium im Zoo. Daniel reagierte auf diese Annonce, da er sich von seiner hyperaktiven, umweltaktivistischen Freundin ohnehin gerade entfremdet und in der schweigenden, rätselhaften Susann einen für ihn faszinierenden Gegenpol findet. Er kommt ihr so nahe, dass er sogar mit ihr schläft, was Weins allerdings als freudlos-mechanische Angelegenheit beschreibt, während die seelische Intimität zwischen den Beiden das Entscheidende ist. Daniel - der sich zu Anfang des Auftrags als Martin ausgibt und diesen Fehler schlichtweg nie mehr korrigiert - lebt irgendwann bei und mit Susann, während ihr Mann auf Reisen ist, als plötzlich ein Fremder vor der Tür steht und behauptet, er sei der Mann von Susann, deren eigentlicher Name Marie lautet. Susann/Marie lässt ohnehin alles mit sich geschehen und so ist es nun an Daniel/Martin, das Rätsel zu lüften.


    Die Meinung


    Michael Weins entstammt der Hamburger Lesebühnenszene, war Mitbegründer des Vereins Macht e.V. und Miterfinder des heute fast vergessenen "Hamburger Dogma", das in Anlehnung an die Reduktions-Stilistiken der dänischen Dogma-Gruppe aus dem Filmbereich danach strebte, die deutsche Literatursprache radikal zu entschlacken.


    Weins schreibt wie kein zweiter in diesem Land; präzise und minimalistisch, genau und rätselhaft zugleich. In "Delfinarium" bleibt das Geheimnis ungelüftet wie bei David Lynch, Paul Auster oder Franz Kafka. Eine realistische, stimmungsvolle Kulisse des Alten Lands um Hamburg wird zum Schauplatz einer Geschichte, die das Numinose mit dem Konkreten, das Humoristische mit dem Melenacholischen und das Alltägliche mit dem Gleichnishaften verbindet. Weins - der hauptberuflich als Psychologe arbeitet - ist ein sensibler Beobachter seelischer Abgründe und zwischenmenschlicher Interaktion und setzt seine Handlungen in eine Sprache um, die so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig macht. Dabei flechtet er einen einzigartigen Humor in seinen Aufbau; Pointen großer Menschenkenntnis und Tragikkomik, die ihresgleichen sucht.


    Langsam driftet das Buch ins Absurde und schichtet Stufe für Stufe Interpretationsmöglichkeiten auf, während es ohne jede Effektschreiberei und ohne auch nur ansatzweise ein Krimi zu sein, Spannung entfaltet.


    Der Philosoph Gilles Deleuze beschrieb den ultrapräzisen Surrealismus Franz Kafkas als "kleine Literatur", die den Sinn stetig wie ein Seifenstück im wahrsten Sinne des Wortes "un-fassbar" vor einem herspringen lässt. Wer Kafka liebte, hat diese Jagd bis heute niemals beendet, selbst wenn die Seife weiter flutscht.


    Was beim Erzählband "Feucht" in vollem Umfang und bei Weins Rowohlt-Roman "Goldener Reiter" mit Abstrichen galt, wird bei der Lektüre dieses wunderschön aufgemachten Hardcovers aus dem Mairisch-Verlag endgültig Gewissheit: Dieser Geheimtippautor trägt das Erbe eines Kafkas oder eines Robert Walsers - größtmögliche Genauigkeit bei seltsamstem Nebel - würdevoll in die Gegenwart.

  • Das hört sich sehr interessant an. Herzlichen Dank für diese Buchvorstellung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.