Joe Lansdale - Kahlschlag

  • Der Autor: Joe Lansdale wird in den USA längst mit Autoren wie William Faulkner und Mark Twain verglichen - vollkommen zu Recht meine Ansicht nach - und trotz seiner langen Schaffenszeit in Deutschland immer noch ein Geheimtip. Viele Verlage haben ihn im Programm gehabt, doch immer fehlte die Bereitschaft diesen Autor mit mehr zu unterstützen als der Produktion seine Bücher.


    Nun, der Dumont-Verlag hat sein "Wälder am Fluss" wieder veröffentlicht, ansonsten liegt die Verantwortung für sein Werk bei einem neuen, kleinen Verlag aus Berlin: Golkonda. Und bei uns Buchhändlern, die Lansdale für sich entdeckt haben und sich vielleicht schon Jahre lang den Arsch aufreißen, um diesem wirklich fabelhaften Autoren zu seinem lang verdienten Durchbruch zu verhelfen. Ich hoffe das Golkonda und wir es dieses Mal schaffen - es ist an der Zeit.


    Lansdales ungeheuer vielseitiges Werk umfasst Krimis, Horror, Western und alles dazwischen, seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet und noch häufiger nominiert. Ich persönlich halte Joe Lansdale für einen der ganz großen Stilisten der amerikanischen Literatur, heute und gestern - ich denke er kann neben den oben genannten mühelos bestehen, sein Werk fügt sich nahtlos in diese Tradition ein, ohne zu imitieren oder zu plagiatieren. Den Rest der Lobhudelei schreibe ich in die Rezi.....


    Das Buch: Sunset hat längst den Hals voll sich von ihrem Mann verprügeln und misshandeln zu lassen, und als er wieder einmal über sie herfällt nimmt sie ihm - er ist der Constable der Gegend - die Waffe ab und erschießt ihn, während draußen ein Orkan die Gegend verwüstet und auch ihr Haus nach und nach zerstört.


    Sunset sucht zuflucht bei ihrer Schwiegermutter, der sie natürlich beichten muss das sie gerade ihren Sohn umgelegt hat. Nachdem sich Schwiegermama von ihrem Schock erholt hat sorgt sie, die als Eignerin der örtlichen Sägemühle über eine gewisse Macht verfügt dafür, das Sunset den Platz ihres Mannes als Constable einnehmen kann.


    Mit der Waffe, die sie von ihrem Mann befreite am Gürtel macht sich Sunset nun auf, in der Gegend irgendwo in Osttexas in den 30er Jahren Recht und Gesetz zu vertreten - was auch ohne die Tatsache das sie ihren Mann erschossen hat für eine Frau ein harter Brocken ist, da sie sich auch noch um ihre Tochter kümmern muss.


    Bald schon stolpert sie über einen Doppelmord, in dessen Aufklärung auch ihr Vorgänger schon verwickelt zu sein schein, wobei der Verstorbene scheinbar nicht allzu viel Zeit auf die Ermittlungen verwendet hat.
    Sunset macht sich also an die Arbeit.....


    Meine Rezension: Für all diejenigen, denen es bei meinen einführenden Worten zum Autor entgangen sein mag hier noch mal ganz deutlich (es war sicherlich viel zu subtil um wirklich aufzufallen): Ich bin ein Riesenfan von Joe Lansdale, von seinen frühen Rowohlt-Tagen an bis heute ist meine Bewunderung für diesen außergewöhnlichen Autoren stetig gewachsen. Meine Befähigung unter diesen Umständen eine Rezension zu schreiben mag also durchaus anzuzweifeln sein - ich bin hier nicht objektiv und kritisch, ich bin ein jubelnder Fan! (Meine Rezi schreibe ich trotzdem zu Ende)


    Joe Lansdale ist Texaner, und er ist seinem Heimatstaat und seiner Vergangenheit in besonderer Weise verbunden, was sich wie ein Roter Faden durch alle seine Bücher zieht. Nach und nach entstanden einige Romane, die in der texanischen Vergangenheit, vornehmlich in den 30er Jahren, den Jahren der Grossen Depression, spielen. Dazu gehören sowohl die soeben wiederveröffentlichten "Wälder am Fluß" wie auch "Der Teufelskeiler" und "Sturmwarnung". Obwohl diese Romane nicht zusammenhängen tauchen einige Figuren immer mal wieder in verschiedenen Büchern auf.


    Eines was Lansdale in meinen Augen so besonders macht ist sein Talent, ein gewisses Gesamtbild zu erschaffen, eine Kulisse, die ein wichtiges Bestandteil der Geschichte ist. Auch der Orkan, welcher am Anfang das Haus von Sunset wegbläst ist nicht die hach so schaurige Untermalung einer dramatischen Scene, die rohe Gewalt, die sich im innern des Hauses bahn bricht spiegelt sich in der Natur wieder, sie ist vom selben Ursprung: Der Natur. Die Menschen bei Lansdale sind immer Bestandteil und Produkt nicht nur ihrer Herkunft sondern auch ihrer Umgebung. Sie unterscheiden sich allein durch die Art, wie sie damit umgehen - das stellt auch das Verhältnis von Sunset und ihrer Schwiegermutter dar.


    Ein weiteres Talent des Autors liegt in seinem Umgang mit seinen Charakteren. Jede Figur ist auf ihre Art einzigartig und sorgfältig gezeichnet und dabei allerdings nie überzeichnet oder eine Karikatur eines realen Vorbilds. Sie alle sind sehr lebensecht und glaubwürdig, auch in ihrer Entwicklung - sofern eine stattfindet. Einige bleiben konsequent ihrer Linie treu, wohingegen andere zumindest versuchen in ihrem Leben etwas zu ändern.


    Diese Talent, gut erdachte und glaubhafte Charaktere vor einen sehr anschaulich gezeichneten Hintergrund zu stellen und dabei nie das große Ganze aus den Augen zu verlieren oder andererseits die Figuren zu bloßen Abziehbildern ohne Bedeutung zu degradieren macht für mich den Reiz von Joe Lansdales Büchern aus. Er enthält sich jeder Bewertung, seine Figuren sind wie sie sind, aus gutem Grund und jeder mit seiner Berechtigung so zu sein, und es bleibt uns Lesern überlassen, zu urteilen. Lansdale selbst ergreift niemals Partei, und doch ist er immer mittendrin und nie außerhalb, distanziert beobachtend.


    "Kahlschlag" ist für mich unter den vielen Meisterwerken (und noch mehr einfach tollen Büchern) Lansdales bisher bestes Buch, womit es "Wälder am Fluß" auf den zweiten Platz verweist.


    Und jetzt gehe ich in den Laden und Preise Joes Bücher an - wär doch gelacht wenn es dieses mal nicht klappt!

  • Zitat

    Original von Johanna
    Klingt wirklich gar nicht schlecht.
    Solltest Du es mit nach Hannover bringen, lieber Bodo, dann tausch ich es gegen einen Becher Kaffee :grin


    Ich biete zwei und deck dich auch zu. :lache
    Danke für die Rezi. Ich kann mich erinnern, dass du ja schon mal allgemein "Akt der Gewalt" von ihm empfohlen hast. Dazu gibt's bald eine LR, da mach ich wohl mit und guck mir das dann an, wie der Herr Lansdale so schreibt.


    Ist denn "Kahlschlag" mit "Akt der Liebe" zu vergleichen, was die von dir genannten Qualitäten des Autors betrifft? Sind die im "Akt der Liebe" auch so gut vorhanden?

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  • Zwischen beiden Werken liegen Welten!


    "Akt der Liebe" ist ein Frühwerk von Joe Lansdale und einer der ersten Serienkiller-Romane, der (angeblich) einige heute bekanntere Autoren inspiriert und beeinflusst hat. Es ist - rückblickend betrachtet - eines der schwächsten Bücher Lansdales und heute meiner Meinung nach nur etwas für Fans des Autors, die wissen wollen wie er einmal angefangen hat.


    Es ist sicherlich kein schlechtes Buch - ganz im Gegenteil - aber im Gesamtvergleich mit Lansdales anderen, späteren Romanen verliert es ein wenig.

  • Hm...danke für die Antwort. Naja, in der LR wird es sicher ganz nett und dann kann ich mich wenigstens auf "Kahlschlag" freuen. Ist mir jetzt eh ein wenig zu teuer. Aber das Cover gefällt mir. :-]

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  • Auf Joe R. Lansdale wurde ich durch Büchereulerich Bodo am früüühen Sonntamorgen des Eulentreffens in Hannover aufmerksam gemacht. Dies weil wir ein Gespräch über Daniel Woodrells Winters Knochen geführt haben das uns beiden gefallen hat. Da dieses Buch inhaltlich ähnlich ist, bin ich Bodos Ratschlag gefolgt und habe mich für diesen Roman von Lansdale entschieden.


    Die Handlung spielt mitten in der Grossen Depression, der tiefgreifenden Wirtschaftskrise nach dem "Schwarzen Freitag" an der Börse. Amerika liegt wirtschaftlich brach am Boden und eine Heerschar von Arbeitslosen zieht durchs Land. In Camp Rapture in Texas gibts dank der örtlichen Grosssägerei und Mühle Arbeit für einen kargen Lohn. Sunset Jones, wegen ihrer rotwallenden Haarpracht so genannt, wird von ihrem meist betrunkenen Mann Pete gequält und als er sie eines Abends wieder vergewaltigen will erschiesst sie ihn im Affekt. Die Tat wird als Notwehr ausgelegt, was zu dieser Zeit höchst ungewöhnlich ist und etlichen Unmut unter den Männern auslöst, und sie wird von der Besitzerin der Sägerei und Petes Mutter sogar zum neuen Constable ernannt. Das erste Mal hat Camp Rapture so etwas wie eine pflichtbewusste Gesetzeshüterin. Sie kommt denn auch einem alten Doppelmord auf die Spur und löst damit eine folgenschwere Kettenreaktion aus...


    Ein Buch mit der Wirkung ähnlich einem Zyklon der über Osttexas hinwegfegt, der Fenster zerbersten lässt, Balken bedrohlich knirschen und Dächer abhebt. Der Autor Joe R. Lansdale schont den Leser in keiner Art und Weise und erzählt von der tristen Existenz, von bitterer Armut und Gewalt geprägte Leben in Texas in den 1930 Jahren. Von desillusionierten Menschen die jeglichen Glauben an eine bessere Zukunft verloren haben und von Brutalität und körperliche Gewaltausübung die an der Tagesordnung sind. Von Menschen bei denen nur das Ego und generell das "Ich" zählt werden Frauen verprügelt und vergewaltigt und Schwarze fallen wegen geringster vergehen der Lynchjustiz zum Opfer und landen gehängt und mit Benzin übergossen als brennende Fackel ein einem Baum. So etwas wie Empathie scheint den Menschen gänzlich abhanden gekommen zu sein und jeder versucht so gut es geht über die Runden zu kommen oder ganz einfach gesagt zu überleben. Das Rechtssystem wird grundsätzlich akzeptiert ist aber schwach und wer etwas Geld hat und anderen Arbeit geben kann besitzt eine unglaublich grosse Macht.


    Der Schreibstil ist recht einfach, rustikal und zeitweise vulgär, ganz dem Inhalt entsprechend. Mir fehlt leider die poetische Wucht, die kraftvolle Sprache die den Eingangs erwähnte Roman von Woodrell zu etwas speziellem macht. Dafür ist die spezielle Aufmachung erwähnenswert, da hat der Verlag etwas Schönes geschaffen.


    Zu Beginn hatte ich etwas Mühe mit dem Stil und dem Inhalt. Ich muss aber gestehen, dass es mich recht schnell gepackt hat und ich die Geschichte interessiert zu Ende gelesen habe. Joe R. Lansdale schreibt und schildert schonungslos die Realität und das ist selten und übt eine gewisse Faszination aus. Die Erzählung frisst sich gnadenlos in die Seele des Lesers und hinterlässt Wunden und blaue Flecken. 8 Punkte von mir für diesen Roman.

  • Hannes Riffel vom Golkonda-Verlag hat es wie es scheint wirklich geschafft Lansdale nachhaltig und dauerhaft in Deutschland zu etablieren!


    Er übersetzt gerade einen Lansdale in Auftrag von Klett-Cotta, und zum Jahresende wird der Suhrkamp-Verlag "Kahlschlag" ins hauseigene Krimiprogram übernehmen!


    Da zeigt sich wieder einmal was auch ein kleiner Verlag mit einem eigenen literarischen Profil und dem Willen, einfach gute Bücher zu machen alles erreichen kann.


    Als Lansdale-Gefolgsmann der ersten Stunde trinke ich jetzt erstmal auf das Wohl von Hannes Riffel! :wave

  • Was für ein Roman!
    Ein Krimi, der auf leisen Sohlen daherkommt. Zumindest die Krimihandlung. Der Anfang knallt nämlich ganz ordentlich. Sunset erschießt ihren Mann, in Notwehr. Gleich mit der ersten Szene führt der Autor seinen Stil vor. Mit lakonischem Ton, vermischt mit Witz und Verve präsentiert er übelste Themen in einer Leichtigkeit, die mich staunen macht.


    Es passiert etwas Schreckliches und ich muss trotzdem darüber lachen. Und gerade in dieser Diskrepanz liegt die große Kunst des Autors. Durch die Ironie erhält die Tragik eine noch größere Tiefe. Es ist eine Geschichte mit Widerhaken. Sie senken sich ins Fleisch des Lesers, ohne dass er es merkt. Erst hinterher ziehen und zerren sie, machen sich bemerkbar.


    Aber so soll es sein: Eine Geschichte, die nicht vergessen ist, kaum dass sie gelesen wurde.


    Landsdale kann Figuren skizzieren, dass es eine wahre Pracht ist. Hier ein Beispiel:


    Henry Shelby trat vor die versammelten Männer. Er hatte einen Gang, als würde er mit dem Hintern etwas Lebendes zerquetschen, und trug einen schwarzen Anzug, der nach Kerosin roch. Alle seine Anzüge rochen so. Im Licht der Deckenlampe hatte sein Hemd einen gelblichen Schimmer. Seine schwarze Krawatte hing so schlaff aus seiner Brust wie die Zunge eines Erhängten.


    Ohne es explizit ausgesprochen zu haben, weiß man als Leser, dass Henry Shelby ein ziemlich unangenehmer Mensch sein muss.


    Es war mein zweiter Roman von Landsdale und ganz bestimmt nicht mein letzter.


    Von mir gibt es 10 von 10 Eulenpunkten!

  • Titel: Kahlschlag
    OT: Sunset and Stardust
    Autor: Joe R. Lansdale
    Übersetzt aus dem Amerikanischen von: Katrin Mrugalla
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: 2012
    Seitenzahl: 460
    ISBN-10: 3518463985
    ISBN-13: 978-3518463987
    Preis: 9.99 EUR


    Aufgrund ihrer roten Mähne nennt man sie Sunset. Sie ist eine sehr attraktive Frau. Ihr Mann ist der Sheriff des kleinen Ortes – das hindert ihn aber nicht daran seine Frau immer wieder zu schlagen und zu vergewaltigen. Doch dann treibt er es zu weit. Sunset erschießt ihren Mann in Notwehr.


    Und dann geschieht das Undenkbare. Man überträgt ihr das Amt des Sheriffs. Und das im konservativen Süden. Im Süden wo immer noch viele Menschen im Kuck Lux-Klan organisiert sind und man die Farbigen grundsätzlich als „Nigger“ bezeichnet. Es sind die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, eine Zeit auch großer wirtschaftlicher Not.


    Sunset nimmt das ihr übertragene Amt sehr ernst. Mit ihren zwei Deputies merkt sie dann sehr schnell, dass das Amt des Sheriffs wahrlich kein Zuckerschlecken ist und das auch ihr Leben manchmal keinen Pfifferling wert ist. Denn als zwei Leichen gefunden werden, ist Sunset einem schlimmen Verbrechen auf der Spur. Und die Täter lassen sich auch durch die Polizei nicht aufhalten – schon gar nicht, wenn die Polizei durch eine Frau repräsentiert wird.


    Lansdale schreibt schnörkellos, manchmal ein wenig trashig – aber immer authentisch. Seine Sprache kennt kein Verstellen und auch seine erzählten Geschichten wirken immer sehr realistisch. Er schreibt das was ist, die Dinge werden beim Namen genannt, Brutalitäten werden so geschildert wie sie sind. Es geht in seinen Büchern – so auch in diesem Buch – wirklich zur Sache. Geradeaus ohne irgendwelche Sentimentalitäten. Beste Hardboiled-Unterhaltung. Was will man mehr. Sicher ist Lansdale nicht jedermanns Sache, aber das scheint offensichtlich auch nicht sein Ziel zu sein. Er versteht zwar mit Worten umzugehen, sprachliche Offenbarungen wird man bei ihm aber wohl vergeblich suchen. Lansdale bietet Unterhaltung der besonderen Art.


    7 Eulenpunkte für ein unsentimentales, in Ansätzen auch brutales Buch. Beste Unterhaltung.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.