1.
EIN MENSCH STAND AM STRAND
FÜHLTE SICH EINSAM UND ALLEIN
BLICKTE HINAUS IN DIE FERNE
SAH NUR DIES, WAS ER NUR SELBER SAH
SPÜRTE KEINE LIEBE, NUR TRAURIGKEIT
FÜHLTE SICH NICHT GEBORGEN
MEINTE, ER IST VOM PECH VERFOLGT
UND HATTE ANGST, SOVIEL ANGST
VOR DEM LEBEN.
2.
SO STAND ER DA
FÜHLTE SICH EINSAM UND ALLEIN
SPÜRTE NICHT DAS WASSER
FÜHLTE NICHT DEN WIND
HÖRTE NICHT DAS RAUSCHEN
SCHMECKTE NICHT DAS SALZ IN DER LUFT,
SAH NICHT DIE SCHÖNHEIT, DIE RINGS UM IHN WAR
3
SO STAND ER DA
WAR TRAURIG UND ALLEIN
FÜHLTE ABER NUN DAS WASSER
DASS GEGEN SEINE BEINE WOGTE
ES SCHMIEGTE SICH AN IHM,
STRICH MIT NASSEN FINGERN ÜBER
SEINE WARME HAUT
4
SO STAND ER DA
UND SPÜRTE NUN DEN WARMEN WIND
DER MIT ZÄRTLICHE FINGER SEINE HAUT STREICHELTE.
AUCH SPÜRTE ER PLÖTZLICH SEINE FÜßE
DIE TIEF IM SANDE STANDEN
5
SO STAND ER DA,
FÜHLTE SICH VERLASSEN, ABER NICHT
MEHR SO ALLEIN
HÖRTE DAS RAUSCHEN DES WASSERS
UND DAS PFEIFEN DES WINDES, DER MIT SEINEN
HAAREN SPIELTE.
UND TIEF IN IHM ERKLANG EIN POCHEN
DAS POCHEN SEINES HERZENS
UND HÖRTE DIE GERÄUSCHE DER NATUR
6
DA STAND ER NUN
FÜHLTE SICH VERLASSEN,
ABER NICHT MEHR ALLEIN
SCHMECKTE NUN DAS SALZ IN DER LUFT UND SCHMECKTE
SEINE LIPPEN
UND DEN GESCHMACK DER NATUR
7
DAS STAND ER NUN, DER MENSCH
BLICKTE SICH UM UND SAH DIES UND JENES
ENTDECKTE DIE WELLEN
SAH DEN STRAND
WÄHREND DIE SONNE IHREN LETZTEN HELLEN GRUß
ÜBER DAS WOGENDE MEER WARF.
UND ER ENTDECKTE DIE GLITZERNDEN STERNE,
BEMERKTE DIE WOLKEN, DIE SICH TÜRMTEN
UND ERKANNTE DAS WESEN DER NATUR
8
DA STAND ER NUN
WAR SICH BEWUßT
FÜHLTE SICH
UND SPÜRTE DAS GLÜCK.
SAH SICH SELBST IM WASSER SPIEGELN
HÖRTE NUN SEIN LEBENDES HERZ NUN SCHLAGEN
UND ERKANNTE, ER WAR NICHT ALLEIN
NIEMALS ALLEIN - DENN ALLES IST IN EINEM
UND FÜHLTE LIEBE IN SICH ERWACHEN
FÜR DIE NATUR UND SICH SELBST.
9
SO GING ER NUN ZU ANDEREN MENSCHEN HIN
ERKANNTE, JEDER WAR FÜR SICH ALLEIN
SIE ALLE FÜHLTEN, DACHTEN, SPÜRTEN UND LEBTEN
NUR IN EINER GRENZENLOSEN EINSAMKEIT
SO, DACHTE ER BEI SICH
JEDER SOLL NUN ERFAHREN, WAS ER SELBST
AUCH ERFUHR
ER ERZÄHLTE SEINE GESCHICHTE;
ABER DIE MENSCHEN
SIE LACHTEN NUR UND WARFEN SICH
WIEDER INS GETÜMMEL DES LEBENS
WAS ABER NUR EIN MÜDER ABKLATSCH IST, DES LEBENS IST
10.
NUN SUCHEN SIE WEITER, JAGEN FORSCHEN UND
FINDEN IN WAHRHEIT NICHTS
SO VIELE MENSCHEN SUCHEN GLÜCK
SO VIELE MENSCHEN SUCHEN GEBORGENHEIT
SO VIELE MENSCHEN SUCHEN LIEBE
ABER GLÜCK FINDET MAN NUR IN VERBINDUNG MIT DER NATUR
WENN MAN STILL UND LEISE IST
WENN MAN AHNT, DA GIBT ES NOCH WAS,
ETWAS DAS WIR NUR AHNEN KÖNNEN
ABER NIEMALS WIRKLICH WISSEN WERDEN
11
LIEBE FINDET MAN NUR DANN
WENN MAN LERNT, SICH SELBST ZU LIEBEN
MIT ALL SEINEN FEHLERN; MIT ALL
SEINEN WÜNSCHEN!
DENN NUR SO KANN MAN JEMAND ANDEREN LIEBEN
UND MIT IHM UMGEHEN, ALS WÄRE
DU ICH
12
WENN MAN LIEBT OHNE ERWARTUNG,
KANN MAN NICHTS ERWARTEN UND BEKOMMT DOCH VIEL ZURÜCK.
DAS IST DAS PRINZIP DER LIEBE
DIE REINE, UNSCHULDIGE LIEBE,
DIE OHNE ERWARTUNG UND FORDERUNG IST
DENN MAN LIEBT NICHT WEGEN DIESEN MENSCHEN
SONDERN WEIL MAN DIESEN MENSCHEN LIEBT
13
DANN FINDET MAN GEBORGENHEIT
DURCH DIE LIEBE, DIE OHNE TADEL IST
DIE NICHTS ERWARTET, SONDERN NUR GIBT
DIE NICHTS FORDERT, SONDERN SICH NUR FREUT,
DAß ES DIESEN ANDEREN MENSCHEN GIBT
DIES IST DIE LIEBE, NACH DER JEDER MENSCH STREBEN SOLLTE
NUR SO FINDET MAN ZU SICH UND ANDEREN
UND LERNT SO VERZEIHEN
14
IN JEDEM LIEGT DAS GLÜCK
VERSCHÜTTET UND VERLOREN ZWAR
BEFREIE ES UND ES QUILLT AUS DIR HERAUS
SPÄTER IST JEDER MENSCH, VOR ALLEM DER BESONDERE,
GLÜCKLICH IN DEINER NÄHE
UND DU SPÜRST ES AUCH
SO WÄCHST DIE LIEBE UND DAS GLÜCK
ERWACHT DAS GEFÜHL DER GEBORGENHEIT
UND DIE FÄHIGKEIT ZU LIEBEN,
ERWACHT ZU EINER NEUEN VOLLKOMMENHEIT
15
WENN DIE LIEBE NUN ERWACHT
WIRD DIE ZÄRTLICHKEIT GEBOREN,
DAS EIN KIND DER LIEBE IST
AUS DER ZÄRTLICHKEIT KOMMT DAS WOHL SICH FÜHLEN
UND DIE LIEBE WIRD NOCH MEHR GESTÄRKT
DIE LIEBE BRINGT DAS GLÜCK
DAS GLÜCK DIE GEBORGENHEIT
DIE GEBORGENHEIT DES ZUSAMMENSEINS
AUS DEM ZUSAMMENSEIN ERWÄCHST DAS VERTRAUEN
IN EINEM MEER DER HARMONIE ANGEFÜLLT VOM ATEM DES GLÜCKS
ZIEHT MAN VIELE ANDERE AN
UND VOR ALLEM DANN DEN MENSCHEN FÜR DEN MAN STERBEN WÜRDE
ES SIND ZWEI HERZEN, VIELLEICHT NUR HUNDERT METER, VIELLEICHT
AUCH TAUSENDE VON KILOMETER VONEINANDER ENTFERNT
ABER SIE SIND IM EINKLANG
DEN DIE BEIDEN HERZEN SIND NUN EINS
16
SO STAND DER MENSCH AM STRAND
WAR NICHT MEHR ALLEIN
FÜHLTE SICH NICHT MEHR VERLASSEN
WAR NICHT MEHR VERLOREN
ER SPÜRTE DEN KLANG DES LEBENS
17
ES SANG IN DER GEWISSEN WEISE
DIE IHM BEWIES,
GOTT IST RINGS UM DICH HERUM
UND DIE SCHÖPFUNG, SIE DAUERT AN
GLAUBE MIR, DU SCHWACHER MENSCH
DIE LIEBE BESIEGT TOD UND KRANKHEIT
DEN DIE WAHRE LIEBE, SIE KOMMT VON GOTT
WENN DU GLAUBST, ANDERE MENSCHEN VERLETZEN DICH
DANN IST ES IN WAHRHEIT NUR DU SELBST -
DER SICH VERLETZT.
© by Arno Westermann 1996