Guttenberg - Der Werteverfall in dieser Gesellschaft hat einen Namen

  • [Ironie]
    Also ich verstehe die ganze Aufregung nicht wirklich. Immerhin hat der von-und-zu Copy and Paste nur bewiesen dass er eines nicht ist, der so groß angepriesene Anti-Politiker. Im Grunde ist er wie alle anderen auch nur machtbesessen, verlogen, arrogant und auf sein eigenes Wohl aus.
    [/Ironie]


    Meine Meinung zum Rücktritt? Gut so, ob nun wegen des erschwindelten Titels, der Kundus- oder Gorch Fock-Affäre, oder einfach nur aufgrund seines arroganten Auftretens.

  • Ich verstehe die Leute nicht, die allen Ernstes immer noch Guttenberg schön reden und zurück wollen.
    Als Studentin kurz vor dem Diplom (und hoffentlich danach Promovendin) geht da mein Verständnis gen null. Jeder andere, der sich einen Titel so erschleicht wäre sofort dessen entledigt und für kein Unternehmen (und schon gar nicht für eine Uni) tragbar. Aber in der Politik ist das okay? Betrug? Hinterziehung von Steuergeldern (siehe die Abschriften aus dem Wissenschaftlichen Dienst)? Lügen und dann übermäßige Arroganz?
    Da kann ich nur den Kopf schütteln.


    Danke, Magali, für dein sehr schönes, aufschlussreiches Posting.

  • Zitat

    Original von oemchenli
    Das hat mir mein Mann eben mal so zum lesen geschickt. Sehr aufschlußreich.


    Quelle: http://forum.digitalfernsehen.de/forum/4622513-post1784.html


    cool, wo kommt das her?


    Ich frag mich ja noch immer: [SIZE=7]hat er's überhaupt selbst geschrieben?[/SIZE]

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

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  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Laut Guttenplag, und ich gehe davon aus, dass diese Angaben stimmen, befinden sich auf fast jeder Seite nicht gekennzeichnete Zitate. Nun stelle ich mir das bildlich vor:


    Da sitzt einer an seiner Diss und denkt sich Formulierungen aus. Dann fügt er pro Seite mindestens einmal per copy und paste Passagen ein. Und "vergisst" dann, diese Passage in Anführungsstriche zu setzen und die Quelle anzugeben. Oder er ersetzt ein "fast" durch ein "nahezu" und stellt den Satzbau ein wenig um. Und dann will er fünf Jahre später sich daran nicht mehr erinnern, sondern ist der Ansicht, sich alles selbst ausgedacht zu haben? Oder, während er die copy and paste-Tasten betätigt, glauben, dass das eine zulässige Arbeitsweise sei?
    Jedem, der auch nur eine Hausarbeit schreibt und dabei so vorgeht, sollte doch klar sein, dass das nicht unbedingt eine zulässige Vorgehensweise ist.


    :write
    Als die Diskussion aufkam, dachte ich noch, dass jemand halt einen nichtzitierten Satz (oder auch zwei Sätze) irgendwo gefunden hat und das nun ein gefundenes Fressen für die Opposition ist. Ich habe mal kurzz durch GuttenPlag Wiki gestöbert und einige Passagen mit den im Netz zu findenden Originaltexten verglichen :wow
    Es scheint ja wirklich einen massiven Verstoß gegen wissenschaftliche Grundsätze gegeben zu haben und diese sind meiner Meinung nach auch zu verfolgen (wie dies auch bei jedem normalen Promovenden geschehen würde)! Guttenberg hat eben das "Pech", dass er im Rampenlicht steht und ihn das Ganze noch stärker trifft als einen Nichtprominenten. Aber die Schuld hat er alleine bei sich (oder dem Ghostwriter ;-) ) zu suchen und muß die Konsequenzen ziehen. Da er (insbesondere auch im Umgang mit den Vorwürfen) sehr stark an Glaubwürdigkeit verloren hat, war der Rücktritt m. M. unausweichlich.


    Wenn man es nicht schafft, Dissertation und Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen, muß man sich halt entweder mehr Zeit dafür lassen oder es aufgeben! Andere schaffen es schließlich auch, auch wenn es keine einfache Zeit war! Aber es ist definitiv keine Entschuldigung fürs Mogeln...


    Es gibt aber mehrere Punkte die Uni betreffend, die mich schon sehr verwundern:
    Warum zum Geier hat der Doktorvater das nicht bemerkt??? Bei so vielen unzitierten Stellen muss es ihm irgendwo auch auffallen, bzw. es soll durchaus Doktorväter geben, die die Fußnoten von ihren Hilfskräften überprüfen lassen - spätestens da wäre es aufgefallen...
    Und anscheinend wurde dem Doktorvater ja auch ein Zitat zugeschrieben, das gar nicht von ihm stammt :rolleyes


    Evtl hätte eine Plagiatsprüfung auch schon den SChwindel auffliegen lassen.


    Sehr amüsant finde ich diese Buchbesprechung der FAZ über die Dissertation von Guttenberg (von 2009) (ein bißchen runterscrollen), in dem das "Vorwort höchster Qualität" gelobt wird (na gut, es stammt ja wohl auch aus einem FAZ-Artikel :lache )

  • Zitat

    Wer immer seine BeraterInnen waren, sie gehören auf der Stelle entlassen. Falls das Ergebnis nicht genau in ihrer Absicht lag. In der Politik weiß man nie, auf wen man sich wirklich verlassen kann. Grinsen


    28.01.2009 Guttenberg (CSU) darf sich offiziell Doktor nennen.
    07.02.2009 Glos (CSU) stellt sein Amt als Wirtschaftsminister zur Disposition
    09.02.2009 Dr. Guttenberg (CSU) wird als Nachfolger vorgeschlagen.
    10.02.2009 Glos geht, Dr. Guttenberg kommt.


    :licht

  • Es ist zwar schon fast alles gesagt worden, aber ein Danke für die Beiträge und das es überhaupt auf den Tisch kommt möchte ich dennoch sagen.


    Ich finde es nach wie vor, immer noch schockierend, das trotz allem so viele Menschen hinter diesem Mann stehen. Einfach peinlich sind seine ganzen Aussagen seit der Aufdeckung und noch peinlicher finde ich "unsere" Bundeskanzlerin, die das alles noch zu entschuldigen versucht, verharmlost.


    Ich zweifel immer mehr an der Intelligenz der Menschen in Deutschland und den Werten, Charakteren, die jeder noch so in sich trägt und von anderen auch erwarten können sollte.

  • Ich finde an der ganzen Affäre zwei Sachen erschreckend.


    Erstens, wenn tatsächlich derartige Mengen von Textstellen einfach übernommen wurde, stellenweise ist die Rede von 70 Prozent, dann bitteschön frage ich mich, wie der Herr Doktorvater und Zweitgutachter hier ihre Aufgaben wahrgenommen haben.
    Immerhin wird ja in allen universitären Bereichen davor gewarnt zu Plagiieren, und es wird ja auch darauf hingewiesen, woran Plagiate zu erkennen sind, etwa daran, dass es Stilbrüche gibt --- wieso ging dieses Copy-und-Paste-Ensemble dann also einfach so durch ohne dass jemandem was auffiel?


    Mich würde eigentlich in dem Zusammenhang nur noch interessieren, was hier tatsächlich geschehen ist. Hatte er einen total bedepperten Ghostwriter oder wie kommt sowas zustande?


    Zweitens, was mich wirklich daran erschreckt, ist tatsächlich die Medien/ Internetkampagne die dahintersteckt.
    Denn auch wenn das Herrn zu Guttenberg nun wieder in die Schuhe geschoben wird, dass er ja nur einen Schuldigen sucht, ich bin gewiss kein Parteigänger des Herrn zu Guttenberg, aber selbst mit Tomaten auf den Augen konnte man mitbekommen, dass hier eine gezielte massive Medienkampagne stattfand. Das Thema wird durch sämtliche Talkshows getrieben mit den üblichen Verdächtigen an Talkgästen, es wurde vor allem in Internet von bestimmten Portalen extrem aufgebauscht. Noch am Morgen vor seinem Rücktritt waren in einem wichtigen großen Online Portal die ersten drei großen Themenblöcke Herrn zu Guttenberg gewidmet, mit allen nur möglichen reißerischen Überschriften, und ich rede hier nicht von der Blöd-Zeitung, während andere große deutschen Nachrichtenmedien an dem Tag an erster Stelle Libyen stehen hatten, was ja vielleicht wirklich im Augenblick die wichtigere Nachricht ist, denn wer weiß was die Ereignisse dort noch für Folgen haben können --- mich erschreckt es, was hier für eine Dynamik entwickelt wird, denn ich bin durchaus der Meinung dass es wichtigeres auf der Welt gibt, als eine gefälschte Doktorarbeit.


    (Und schätzungsweise kann ich mich darüber gar nicht weiter drüber aufregen, da zu allen Zeiten in diesen Bereichen getrickst wurde, es ghostwriter gab oder ähnliches, deswegen den Wissenschaftsstandort Deutschland in Gefahr zu sehen halte ich echt für blabla, mal abgesehen davon, dass heutzutage doch die abgegebenen Arbeiten ja viel eher durch Plagiatssoftware gejagt werden.
    Und Plagiatssoftware hilft auch nicht gegen Lohnschreiber, die gabs vor 20 Jahren, die gibts heute, jemand wie ich ist hingegangen und schreibt seine Hausarbeit selber, andere finden jemanden der es für ihn macht. So wars als ich studierte, so ist es ja jetzt bestimmt auch noch.)


  • oemchenli


    das ist eine schöne Reihung :lache,
    aber man muß aufpassen.


    Seine Dissertation erschien im Druck 2009.
    Wenn er im Januar bereits einen unterschrieben Verlagsvertrag hatte, dann durfte er möglicherweise tatsächlich schon den Titel führen. Die Unis sind in dem Fall kulant.
    Eigentlich gilt: nach Abgabe der festgesetzten Zahl von Pflichtexemplaren. Aber wenn man den Verlagsvertrag vorlegt, ist abzusehen, daß die abgabe sicher ist. In dem Fall wäre er wohl aus dem Schneider.
    Ich kenne solche Fälle aus der Bekanntschaft, auch ohne Verdienstorden und Ministerpöstchen.


    Darüber zu spekulieren, ob er die Arbeit überhaupt geschrieben hat, bringt nichts. Man kan sich nur an die Fakten halten, die zur Zeit vorliegen. Nicht, daß der Angeklagte noch zum Opfer wird. ;-)



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Die schlimme Ulla Schmidt musste im Gegensatz zu Guttenberg wegen einer vergleichsweise harmlosen Dienstwagenaffäre gehen. Bei ihr hat man höhere moralische Maßstäbe als bei Guttenberg angelegt. Und wenn sich noch daran erinnert wie die Guttenberg-Fans in der Union damals gegen Schmidt geschossen haben.......

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Die schlimme Ulla Schmidt musste im Gegensatz zu Guttenberg wegen einer vergleichsweise harmlosen Dienstwagenaffäre gehen.


    Diese ganze Rücktritteritis geht mir inzwischen auf den Keks. Wer ein Amt übernommen hat, der soll gefälligst seinen Job machen.
    Ulla Schmidt hätte nicht gehen sollen.
    Cem Özdemir hätte wegen dieser lächerlichen Flugmeilen sein Mandat nicht abgeben sollen.
    Köhler, Käßmann, zu Guttenberg ...


    Zu Verantwortung gehört auch Stehvermögen, und das vermisse ich gewaltig.

  • Zitat

    Original von Tom
    Werteverfall, so so. Ein "Promi" hat bei seiner Doktorarbeit geschlampt und nun, nach intensiver öffentlicher Hetze, dafür büßen müssen.
    [...]


    Der Vorgang ist eher einer, der die Selbstgerechtigkeit des Publikums auf ungeahnte Höhen geschraubt hat. All die feinen, feinen Menschen, die noch nie einen Behindertenparkplatz besetzt haben, die Kacke ihrer Köter liegen lassen haben, mit einem Kumpel die Haftpflichtversicherung abgezockt haben, das zu hohe Wechselgeld behalten haben, zwei U-Bahn-Stationen schwarzgefahren sind, den Zwei-Euro-Eyeliner bei "Douglas" eingesteckt haben, in ihrer Schulzeit nie abgeschrieben haben, keine Unterschriften auf Fünfer-Klassenarbeiten gefälscht haben, nie Überstunden abgerechnet haben, die sie überhaupt nicht geleistet haben, und so weiter und so fort - sie (die es nicht gibt) plustern sich jetzt als Moralwächter auf und stimmen ein beim Jubelgeschrei der Selbstgerechten. Ihr fehlerfreien Moralapostel, ihr sittensicheren Gutmenschen - auch Eure Scheiße stinkt. Nur interessiert sich niemand dafür. Vielleicht ist es das. Es tut so wohl, (vor allem: anonym) unter den Steinen hervorzukrauchen, um "einem von denen" mal ordentlich auf die Rübe zu geben. Und die Schadenfreude - und nur darum geht es - so richtig ausleben zu können.


    Widerwärtig.


    Schon die ersten Sätze deines Kommentars erklären den Kram, m.M.n. Unsinn, den du danach geschrieben hast.


    Guttenbergs Doktorarbeit hat Unmengen an nicht gekennzeichneten Zitaten und fremden Gedankengängen.
    Was muss da alles passiert sein, damit der Herr Guttenberg


    1. das erste Anführungszeichen vergisst?
    2. das abschließende Anführungszeichen ebenfalls vergisst?
    3. die hochgestellte Zahl, die einen Hinweis auf eine Fussnote gibt, vergisst?
    4. dann die dazugehörige Fussnote vergisst?
    5. komplett zu vergessen, dass man das Buch/Quelle überhaupt genutzt und gelesen hat und daher das Werk nicht im Verzeichniss erwähnt?
    6. nach der (wahrscheinlich mehrmaligen) Kontrolle seines fertigen Produktes nicht auffällt, dass all diese Dinge fehlen?


    aber


    1. Die in den Zitaten vorkommenden Jahreszahlen anpasst
    2. In einem komplett abgeschriebenen Absatz geschickt ein Wort gegen ein eigenes Wort umtauscht
    3. (und extrem verdächtigt) neben der Übernahme von Zitaten sogar Fussnoten 1:1 als eigene Fussnote ausgeben
    4. in einigen/vielen Fällen in übernommenen Zitaten/Fussnoten alles kopiert und in die eigene Arbeit einfügt, sich aber die Mühe macht markante Stellen, die auf einen anderen Urheber hinweisen weglässt. (bspw., wenn in einem Zitat steht "Werteverfall, so so. Ein "Promi" [Karl Theodor zu Guttenberg; Anm. Piranha] hat bei seiner Doktorarbeit geschlampt und nun, nach intensiver öffentlicher Hetze, dafür büßen müssen.". In diesem Fall hat Guttenberg die eckigen Klammern entfernt.)


    Du meinst, dass das lediglich etwas mit Schlamperei zu tun hat. :rolleyes
    Sorry, dass ich das so hart sage: Aber du musst entweder ein Träumer sein, naiv sein, Guttenberg-Fan sein, CSU-Freak sein, oder willst einfach aus der Reihe tanzen. Wobei: Nichtmal mehr die Guttenberg Anhänger glauben hierbei an eine Doktorarbeit, bei der "geschlampt" wurde.


    Das mit dem Werteverfall und worin dieser liegt, hast du offentsichtlich auch nicht wirklich verstanden.


    @ magali:
    Sehe es im Wesentlichen so wie du auch. Er hätte von Anfang an die Karten offen legen sollen. Dann wäre der Aufschrei zwar nach wie vor groß, aber er könnte als der "ehrliche Mann" durchgehen und hätte sein Amt behalten können.Vor allem hätte dann keiner mehr nach weiteren plagiierten Textstellen gesucht, weil er schon geständig gewesen wäre.


    Aus Guttenberg-Sicht ist doch gerade das zum Problem geworden: Er hat geleugnet und daraufhin hat man (Medien,Opposition, Teile der "Internetgemeinschaft", etc.) weiter gegraben ... bis es zu einer Art Schatzsuche mutierte und sich die Gegner Guttenbergs, eventuell unbewusst oder zumindest zunächst nicht beabsichtigt, zu einer gemeinsamen "Schatzsuchtruppe" formoert haben. Dagegen kam selbst er nicht mehr an.

  • Ushuaia


    Du sprichst tatsächlich einige problematische Punkte an.


    Zu Deinem ersten:


    Guttenberg war einfach das wichtigste innenpolitische Thema. Ein Verteidigungsminister ist eine prominente Position unter den MinisterInnen-Stellen.
    Den Hintergrund - das wird bei der Debatte um die Dissertation gern übersehen - bildet die gerade aktuelle Abschaffung der Wehrpflicht und damit die Zukunft der Bundeswehr. Was auch die Afhanistan-Frage tangiert.


    Was ich mal wieder typisch für eine öffentliche Diskussion in Deutschland finde, ist, daß sie unpolitisch geführt wird. Als ging es um einen Einzelnen, der eine halbe Tafel Schokolade aus der Schreibtischschubalde des Chefs geklaut habe.
    Die eine Seite schreit (angeblich): der muß die Firma verlassen.
    Die andere Seite schreit (angeblich): der hatte bloß Lust auf Schoki, das hat doch jeder mal.


    Darum geht es doch gar, das ist doch gar nicht der Konflikt.
    Der Konflikt speist sich aus mehreren Beunruhigungen und Verwerfungen in der deutschen Innenpolitik.


    Wir haben einen Verteidigungsminister, jung, dynamisch, der seit einiger Zeit offenbar größere Pläne hat, bis hin zum Amt des Kanzlers. Er hat angefangen sich Sympathiepunkte zu holen als der Mann für unsere Jungs an der Front. Er hat Medienunterstützung gefunden, allen voran die Bild-Zeitung.
    Zugleich hat er einige Stolpersteine auf dem Weg übersehen, z.B. die Geschichte mit den toten Offiziersanwärterinnen auf der Gorch Fock.
    Was er auch nicht beachtet hat, war, daß er aus der falschen Partei stammt, will sagen, er hat in Berlin keine Hausmacht. In einer solchen Situation auch nur das Wort 'Kanzler' laut zu denken, spricht nicht von Durchblick, von politischem Weitblick gar nicht erst anzufangen. Auch die Afghanistan-Auftritte hat er nicht gut ausgenützt, Kerner mitzunehmen war eine arg vefrühte Publicity-Aktion.


    Die Geschichte mit der Dissertation war in dem Fall ein gefundenes Fressen für alle, die die geplante Karriere nicht billigten. Die Stimme des Volkes nützt einem nichts, wenn man keine mächtigen poltischen Verbündeten hat. Und die sehe ich bei ihm nicht.
    Er hat offenbar anders gedacht. Das erklärt z.B. den bösen Fehlgriff, sich am Tag der Bundespressekonferenz mit einigen ausgewählten Journalisten zurückzuziehen und nur mit ihnen über die Plagiatsvorwürfe (und was noch??) zu sprechen. Damit hatte er einen großen Teil der Medien gegen sich.
    Ich gebe zu, daß ich voll Faszination verfolgt habe, was für eine Dummheit er als nächste begeht.
    Trotzdem habe ich ihn zu dem Zeitpunkt noch nicht fallen sehen. Ich setze ja immer auf Merkel und ihren langen Atem. :grin


    Die Sache mit der Dissertation wurde aber weiterhin am Kochen gehalten.


    Dazu kommt - und nun sind wir am zweiten Punkt, Ushuaia, - die Frage der Bedeutung der Hochschulen in unserem Land. Sie haben keine große. Sie werden eher mit Mißtrauen betrachtet, ihre Angehörigen gelten als arrogant, abgehoben, nicht 'zum Volk' gehörend. Das haben die Hochschulen in den letzten Jahren auch durch kräftige Mittelstreichungen zu spüren bekommen.
    Und nun heißt es: da hat einer böse gegen ureigene Regeln der Wissenschaft verstoßen und soll damit durchkommen.
    Soll heißen: er führt dann keinen Titel mehr und gilt nicht mehr als einer 'von uns', ist also kein Akademiker mehr. Verteidigungsminister soll er aber weiterhin sein.


    Das bedeutet aber wiederum: es ist eigentlich nicht richtig ernst zu nehmen, was er getan hat. Er hat seinen Fachbereich lächerlich gemacht, er hat jeden wissenschaftlichen Anstand mit Füßen getreten, er hat Bundestagsinterne Recherchestellen für sich eingespannt, er hat einem großen und wichtigen wissenschaftlichen Verlag immateriellen und materiellen Schaden zugefügt.


    Hier geschah nun für einmal wirklich etwas Bemerkenswertes in der Geschichte der jüngeren BRD. Ein Aufstand der AkademikerInnen. Wer 30 000 Unterschriften als Selbstgerechtigkeit, Mediengeilheit, Besserwisserei abtut, als Arroganz, Hetze und Selbstüberhebung, dem ist nicht zu helfen. In dem Fall will man nicht sehen, daß auch 30 000 eine Stimme haben. Die überdies einen kräftigen Widerhall auch unter Nich-AkademikerInnen fand.


    Das 'dumme VolK', das Guttenberg so sympathisch findet, sehe ich nirgends. Natürlich gibt es Stimmen für ihn. Es gibt immer Menschen, denen das Herz aufgeht, wenn sie einen Verfolgten sehen, auch wenn er eine Minute vorher noch der Mörder war. Es gibt Menschen, die die Bedeutung wissenschaftlcihen Arbeitens nicht kennen, es gibt Menschen, die den Konflikt nicht verstehen, nicht Teile davon und schon gar nicht den Ganzen.
    Sie deswegen 'dumm' zu nennen, geht aber am Ziel vorbei. Die postiven Werte stammen in erster Linie aus der Bild-Zeitung. Das war Guttenbergs Haupt-Unterstützerin. Und die Bild-Zeitung ist sicher nicht das Medium, das zugeben würde, daß es aufs falsche Pferd gesetzt hat.


    In dem ganzen Fall aber nach der Einsicht, der Objektivität gar und dem Einschätzungsvermögen 'des kleinen Mannes' zu rufen, geht ebenso am Ziel vorbei. Woher soll der vielberufene kleine Mann, bitteschön, die Einsichtsfähigkeit in das wissenschaftlcihe Fehlverhalten Guttenbergs haben?
    Diese Diskussion zeigt ja auch, daß man es gar nicht wissen will. 'Ist doch nicht so ernst zu nehmen', heißt es. 'Jeder macht mal Fehler'. 'Kam schon immer vor.'
    Wenn man das konsequent zuende denkt, kann man das Strafrecht abschaffen.


    Überdies würde mich inzwischen ernsthaft interessieren, worin denn die gute Politik bestand, die Guttenberg gemacht haben soll.



    Und nein, es geht hier nicht um 'Stehvermögen'. Wo steht denn einer, der immer wieder öffentlich lügt, wenn es um die Dissertation geht?
    Wo steht einer, der sich bei anderen bedient, statt die Arbeit selbst zu machen?
    Stehvermögen hätte ich dann erwartet, als es darum ging, daß er zugibt, einen Fehler gemacht zu haben.
    Ich sehe nicht, daß er seinen Job gemacht hat, ich sehe, daß er um jeden Preis Karriere machen wollte.
    Dabei hat er halt einen zu großen Schritt gemacht. Und vergesen, daß man immer den Rückzug sichern sollte. Schöner Verteidigunsgminister. :grin



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von rienchen
    @ Magali: danke für den tollen Beitrag. :-]


    :write :write :write :write :write

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • (Hervorhebung von mir)


    Sehr guter Kommentar. Die beiden zitierten Absätze finde ich besonders gut. Ja, ich erwarte auch Stehvermögen und keine Heulsuse, die sofort zurücktritt. Aber: Ein Minister, der plagiiert hat, dem der Doktortitel aberkannt worden ist, der nach wie vor lügt und dem mitlerweile eine Anzeige nach der anderen erreicht, der ist nicht tragbar. Besonders dann nicht mehr, wenn er nach dem Bekanntwerden all dieser Dinge meint, er müsse sich als das eigentliche Opfer darstellen ... aber wartet, seit gestern hat er die Opferrolle ja aufgegeben und sich offiziell als Held geoutet, der lieber freiwillig sein Lebenswerk aufgibt, damit seine Untergebenen auch wieder Beachtung finden und die Demokratie wieder Einzug in unser Land erhält. :lache