Mein Eindruck:
Wilhelmine, 91jährig, ist nach einem Sturz von der Leiter pflegebedürftig und ans Bett gefesselt. Leicht ist das für sie keinesfalls zu ertragen, denn ihr Geist ist wach und sie hat bis zu diesem Unfall mit beiden Beinen im Leben gestanden und konnte für sich selbst sorgen.
Karin, Verwandschaft, ist zeitlich mit der Pflege überfordert und stellt die junge russische Jelisaweta, 23 Jahre alt, für die Tante ein.
Wilhelmine ist voll des Lobes für die junge Frau, die liebevoll und fürsorglich für sie sorgt. Bis zu jenem Tag als sie Lisa am Telefon russisch sprechen hört. Plötzlich ist Wilhelmine garnicht mehr die freundliche Frau und ergeht sich in Flüchen und Gemeinheiten über ihre junge Pflegerin. Diese weiß überhaupt nicht was der Grund für diesen Wandel ist und wehrt sich ihrerseits mit Gemeinheiten. Ein Pyschokrieg entsteht....
Was ist passiert? Warum reagiert Wilhelmine so heftig (diese elende Drecksrussin) und zeigt sich überhaupt und in keinster Weise versöhnlich?
Das breitet Eva Baronsky gekonnt und in einer sehr ausgefeilten Sprache vor uns aus.
Ich bekam in meiner Kindheit (ich bin in den 60er aufgewachsen) ständig eingebleut wie grausam, wie schrecklich und was weiß ich noch alles die Russen sind. Das ist sicherlich den Erlebnissen meines Vaters (den ich leider dazu nicht mehr befragen kann) geschuldet. Während des Lesens habe ich viel darüber nachgedacht und heute weiß ich dass sich beide Seiten, sowohl die russische als auch die deutsche, in nichts nachstanden was Grausamkeit gegenüber Frauen betraf.
Wilhelmine allerdings läßt Jelisaweta Dinge spüren für die sie nichts kann und letztendlich hat Wilhelmine die meiste Schuld auf sich geladen. Alles in allem war mir Lisa viel näher als Wilhelmine.
Ein sehr nachdenklich stimmendes Buch, mit dem die Autorin eine ganze andere Seite als bei "Herr Mozart wacht auf" gezeigt hat.
Beide Seiten beherrscht sie gleich gut und ich freue mich schon auf ihr nächstes Buch. (dk)