Ein neues Jahr, ein neuer Falco. In dem fall der 20. Band, mit dem Titel NEMESIS.
DAS BUCH:
Die letzte, anstrengende Reise nach Alexandria hat dem Didius-Clan nicht gut getan. Gleich im ersten Kapitel kommt es im Sommer 77 wirklich dick:
Der erste (eheliche) Sohn von Marcus Didius Falco und Helena Justina wird geboren, um am selben Tag zu sterben.
Als die Schwiegermutter ihre Tochter endlich dazu überredet, das tote Bündel herzugeben, überlegt der ratlose Vater was damit tun. So kleine Kinder bekommen eigentlich keinen Namen und auch kein 'ordentliches' Erwachsenenbegräbnis. Im Zwischenfussboden verlochen, damit das Kind der Schar der Hausgeister beitritt, klingt ihm nicht als das Wahre, seine in Trauer und Schock versunkene Frau will er nicht so lang verlassen, um das Kind aufs Land zu bringen, wo seine eigenen totgeborenen Geschwister von seiner Mutter im Garten ihres Geburtshauses in Krügen bestattet wurden, aber er hat keinen Flecken Grund und Boden in Rom, und der Gedanke das Kind im Gebüsch hinter seinem Geburtshaus in der Stadt zu begraben, wo Straßenköter und lebenden Kinder es wieder raus wühlen, ist abschreckend, das Angebot des Schwiegervaters das Kind doch in das Columbarium der Camillii zu stellen, lehnt er aus dem Stolz des Pater Familias ab.
Bei dem Gedanken an den Pater Familias fällt ihm ein, dass er eigentlich einen lebendigen Vater hat, der doch dafür zuständig wäre, denn der windige Gauner und Antiquitätenkeiler Geminus ist ja niemand anderer als der seit 30 Jahren aus seinem Haushalt abgängige Marcus Didius Favonius, und selbiger Vater, der es nicht einmal der Mühe wert befand, an der aktuellen Familien-Katastrophe teilzunehmen, und die Katastrophe durch seine Anwesenheit und unmögliche Art wie gewohnt auch noch zu vergrössern, wohnt in der eigentlich seinem Sohn gehörigen aber ihm (wegen strengem Geruch im Bad) zur Verfügung gestellten Stadtvilla - diese hat einen hübschen, stillen Garten, und der ist grad recht für einen Topf und den Gedenkstein, der vielleicht einmal drüber kommt.
Als Marcus Didius in Trauerkleidung gewandet seines Vater's Stadtvilla betritt, trifft er auf dessen ebenso betretene wie überraschte Sklaven, die ihm mitteilen, der Großvater wäre denselben Morgen wie sein Enkel an einem Herzanfall verschieden.
Wenn es kommt, dann kommt es gleich wirklich dick, denn während sich nach der ersten verstörenden Überraschung eine mögliche Lösung für ein würdiges Kinderbegräbnis herauskristallisiert, stellt Falco, der ob der unverholenen Feindschaft nur mit einem Mindestteil von einem Viertel rechnete, fest, dass sein entsprungener Vater ein traditionelles Testament hinterlassen hat, das offenbar gut 20 jahre alt ist, und 'seine Söhne' - also in Ermangelung von überlebenden Brüdern Falco selbst - nicht nur zum Hauptverantwortlichen der Testamentsvollstreckung, sondern auch zum Haupterben der undurchsichtigen Geschäfte seines Vaters macht, über die er eigentlich nie so genau Bescheid wissen wollte.
Das ist nicht genug an Katastrophe, denn Falco's Ziehtochter Albia ist dabei, sich ihren Geliebten & Ziehonkel Aelianus aus dem Herz zu reissen, und es dem Bastard gründlich heimzuzahlen, denn der hat mangels Finanzen und angesichts der horrenden Rechnungen seines athenischen Rhetorikprofessors beschlossen, das Geld in der Familie zu behalten, und überstürzt dessen Tochter zu heiraten. Dass sie sich aber ausgerechnet mit dem eher unberechenbaren Chefspion Anacrites anfreundet...
Während sich Falco mithilfe des erfahrenen und katastrophengeeichten Übereinkunftsschwager Petronius Longus durch privates, geschäftliches und auch berufliches Chaos wühlt, verschwinden am südlichen Ende der Via Appia in den Pontinischen Sümpfen zwei von Geminus zweifelhaften statuenhandelnden Geschäftspartnern, und Falco bleibt aus Familienehre nichts anderes über, als sich mit mit einem altrömischen Mafia-clan anzulegen.
Hilfreich ist es nicht, wenn Lieblingsfeinde wie Oberspion Anacrites meinen, sie müssten den persönlich überlasteten und obendrein leicht befangenen Agenten in aller Freundschaft von einem Fall abziehen, der grade erst Gestalt annimmt, denn wie immer reicht der Sumpf zu weit nach oben. In dem Fall sind es die Claudii, eine Bande berüchtigter imperialer Freigelassener, die ihre diversen Geschäfte mit dem Kaiserhaus selbst betreiben. Darunter ein gewisser Claudius Nobilis.
Aber Falco und Petronius kennen sich in 'Familiendingen' aus, in der Frage der Familienehre und den Pflichten eines Pater Familias. Sie haben eine gewisse Erfahrung. Endlich nicht nur de facto sondern auch nominell den chaotischen Didii vorzustehen, macht nicht wirklich einen Unterschied.
Einen AUTOR im zwanzigsten Band seines Werkes vorzustellen ist wirklich müssig.
Falcos Schöpferin ist Lindsey Davis (*1949) zunächst Staatsbedienstete und Schreiberin von Fortsetzungs-Liebesromanen :kreuz, die sich in ihrem erstverfassten (aber erst viel später erschienen) Werk 'The Course of Honour' (dt. Die Gefährtin des Kaisers) mit dem Werdegang des römischen Kaisers Vespasian und seiner lebenslangen Geliebten Antonia Caenis beschäftigt hat, erfand in dessen Regierungszeit den mehrfach und auch international preisgekrönten Privatdetektiv Marcus Didius Falco hinein, der sie hiermit schon im zwanzigsten Band und auch mit einem 'Falco: The Official Companion' beschäftigt hat, und sie ob der gleichmässigen Lesererwartung bis ans Ende ihrer Schriftsteller-Karriere kaum mehr loslassen wird.
Dass sie auch andere historische Epochen und Themen schildern könnte, beweist ihr Epos 'Rebels and Traitors' aus dem englischen Bürgerkrieg.
Jüngst (2011) erhielt sie den Cartier Diamond Dagger lifetime achievement award - etwas Besseres bekommt ein englischsprachiger Krimi-Schriftsteller angeblich erst nach seinem Tod (also braucht er's auch nicht mehr).
Meine Meinung:
Es gibt Bücher, die im ersten Kapitel schon so überzeugen, dass man über folgende Schwächen gnädig hinwegsieht. Ich hab beim faszinierten Querlesen in der heutigen Badewanne zwar keine gefunden, aber ich les es jetzt gleich nochmal, aber langsam und genüsslich, wie sich Falco vom Pater familias zum Paten wandelt. (Irgendwo muss ja das Familiensilber herkommen, mit dem ein ferner Nachfahre fünf Generationen später das Kaiseramt ersteigert.)
Nun gut, Kritiker mögen sagen, den Schluss hatten wir schon einmal so ähnlich, aber es geht schliesslich um 'Familienehre', und Mörder - ja auch sympathische Mörder, die für den Leser auf der 'guten Seite' sind - gehen nach einem Muster vor. Warum selbiges ändern, wenn es schon einmal erfolgreich war?
Vor allem wett ich, dass Falco in den nächsten Bänden deshalb etwas zu knabbern kriegt: Er hat sich mit einem rein zahlenmässig überlegenen Clan angelegt, und dabei wahrscheinlich eine Vendetta losgetreten.
Naja, er kann seine ererbten Sklaven freilassen, um den Clan der Didii zu stärken; der eine oder andere wird schon etwas taugen, Geminus war ja nicht ganz blöd beim Aussuchen seiner Leute...
Ich verbleibe hier ungeduldig auf Falco 21 wartend...