Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte – Roy Jacobsen

  • Verlag: Osburg
    Gebundene Ausgabe: 270 Seiten
    2011 erschienen


    Kurzbeschreibung:
    Norwegen 1961 - Finn ist zehn Jahre alt und wächst in einer schmucklosen Vorstadt von Oslo auf. Er ist schmächtig, aber vielleicht der klügste Junge seiner Klasse. Von seinem Vater weiß er nur, dass er bei einem Unfall ums Leben kam. Seine Mutter aber führt ihn sicher durchs Leben. Bis die beiden eines Tages einen rätselhaften Untermieter aufnehmen und bald darauf auch Finns Halbschwester Linda. Die Sechsjährige ist die Tochter des toten Vaters und einer drogensüchtigen Mutter. Ihr Gepäck: ein himmelblauer Koffer und jede Menge emotionaler Sprengstoff. Das dicke, unscheinbare Mädchen wird Finns Leben bald für immer verändern.


    Über den Autor:
    Roy Jacobsen, geboren 1954 in Oslo, ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Norwegens, der sich mit Kurzgeschichten und zwölf Romanen auch über die Grenzen Norwegens hinaus einen Namen gemacht hat. Nachdem sein Werk bereits in seiner Heimat mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet worden war, schaffte es »Das Dorf der Wunder« 2009 unter die besten acht des renommierten International IMPAC Dublin Literary Award.


    Über die Übersetzerin:
    Dr. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem Dänischen, Englischen, Niederländischen und Walisischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem Gustav- Heinemann-Friedenspreis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit dem Sonderpreis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. Sie hat u.a. Werke von Jostein Gaarder, Håkan Nesser und Anne Holt übersetzt. Zusammen mit Dagmar Mißfeldt und Christel Hildebrandt hat sie schon mehrere Anthologien skandinavischer Schriftsteller herausgegeben.


    Meine Meinung:
    Roy Jacobsen überzeugte mit dem im letzten Jahr im Osburg-Verlag erschienen Buch „Das Dorf der Wunder“ sehr und auch sein neues Buch gefällt mir überaus gut. Der 10jährige Ich-Erzähler ist eine Kinderstimme, die wirklich funktioniert. Er behält auch in schwierigen Situationen Haltung, man fiebert mit ihm mit. Durch ihn erhält der Roman eine starke psychologische Note und viele Szenen wirken gleichzeitig schön und schrecklich!


    Die Handlung wird schnell interessant entworfen. Es ist 1961, das Jahr der Berliner Mauer, von John F. Kennedy und von Juri Gagarin, der erste Mensch im Weltraum.
    Finn lebt alleine mit seiner Mutter, der Vater hat sich scheiden lassen, hat noch einmal geheiratet und ist inzwischen verstorben. Doch Finn und seine Mutter kommen im Alltag Norwegens zurecht. Dann stößt Finns kleine Halbschwester Linda zu ihnen. Ein verstörtes Kind, das kaum spricht. Doch in ihrer neuen Familie lebt sie allmählich auf.
    Dann gibt es noch den Untermieter Kristian, von dem man nicht so recht weiß, was man von ihm halten soll.
    Probleme gibt es auch in Schule und mit Behörden.


    Das Buch ist sowohl Familienroman als auch ein Portrait einer Zeit. Das Zeitkolorit zeigt sich in Szenen, z.B. als die Familie den ersten Fernseher bekommt oder den gesellschaftliche Sitten und die Art wie sie reden, sowohl im Wortlaut wie im Ton.


    Roy Jacobsen beherrscht die Kunst realistische Dialoge zu schreiben. Die Protagonisten sprechen da auch manchmal aneinander vorbei oder verstehen sich nicht richtig.


    Es ist ein Buch, dass den Leser nicht kalt lässt.
    Ich mag Roy Jacobsens Romane wegen der Themen und seinem Schreibstil!

  • Roy Jacobson: Der Sommer, in dem Linda schwimmen lernte
    Osburg Verlag 2011. 269 Seiten
    ISBN-13: 978-3940731586
    Originaltitel: Vidunderbarn
    Übersetzerin: Gabriele Haefs


    Verlagstext:
    Es gibt Zeiten im Leben, da weiß man nicht, ob man sich ändert oder einfach nur besser kennenlernt. Einen solchen Sommer beschreibt Roy Jacobsen in »Der Sommer, in dem Linda schwimmen lernte«. Nach seinem hochgelobten Roman »Das Dorf der Wunder« legt er nun ein neues meisterliches Werk vor – Norwegens Bestseller des Jahres 2009. Ein Gegenwartsgemälde zum Lachen und zum Weinen. Eine ergreifende Geschichte über die große Macht des Kleinen.
    Norwegen 1961 – Finn ist zehn Jahre alt und wächst in einer schmucklosen Vorstadt von Oslo auf. Er ist schmächtig, aber vielleicht der klügste Junge seiner Klasse. Von seinem Vater weiß er nur, dass er bei einem Unfall ums Leben kam. Seine Mutter aber führt ihn sicher durchs Leben. Bis die beiden eines Tages einen rätselhaften Untermieter aufnehmen und bald darauf auch Finns Halbschwester Linda. Die Sechsjährige ist die Tochter des toten Vaters und einer drogensüchtigen Mutter. Ihr Gepäck: ein himmelblauer Koffer und jede Menge emotionaler Sprengstoff. Das dicke, unscheinbare Mädchen wird Finns Leben bald für immer verändern.


    Zum Autor:
    Roy Jacobsen, geboren 1954 in Oslo, ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Norwegens, der sich mit Kurzgeschichten und zwölf Romanen auch über die Grenzen Norwegens hinaus einen Namen gemacht hat. Nachdem sein Werk bereits in seiner Heimat mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet worden war, schaffte es »Das Dorf der Wunder« 2009 unter die besten acht des renommierten International IMPAC Dublin Literary Award.


    Zum Inhalt:
    Juri Gagarin war das Idol des Jahrzentst. Jacobsons Icherzähler Finn wächst in Norwegen in den 60ern bei seiner allein erziehenden Mutter auf. Der Vater hat ein zweites Mal geheiratet, so dass die erste Frau zu ihrem großen Kummer keine Witwenrente erhält. Sie arbeitet als Schuhverkäuferin und macht keine großen Worte darum, dass das Geld oft hinten und vorn nicht reicht. "Das ist nichts für uns" werden Dinge genannt, die sich Mutter und Sohn nicht leisten können. Besonders innige Momente erleben beide, wenn die Mutter "uns" abends vorliest. Aufgabe des Sohnes ist es, die Mutter von Aufregungen zu verschonen und ein guter Schüler zu sein. Das Projekt Untermieter, das die Haushaltskasse stützen soll, bringt Kristian Joergensen samt seinem Fernsehapparat in die kleine Gemeinschaft. Zur gleichen Zeit nimmt die Mutter, wieder ohne große Worte, Linda, die Tochter ihres verstorbenen Exmannes auf. Lindas Mutter muss sich einer Entziehungskur unterziehen. Aus Finns Einzelbett wird einfach ein Doppelbett, in dem nun Linda schläft. Das kleine Mädchen spricht nicht sehr viel und spielt auch nicht. Finns Freunde stellen kritische Fragen über Linda, während die Mutter schon froh ist, wenn die Kinder einen schönen Tag hatten und keine Katastrophen passiert sind. Bei der Einschulungsuntersuchung wird deutlich, dass Finns Mutter völlig ahnungslos von Lindas Behinderung war und vielleicht auch sein wollte. Finn verbringt Die Sommerferien gemeinsam mit Linda und der Babysitterin Marlene auf dem Campingplatz einer kleinen Insel. Er kümmert sich in diesem so gar nicht normalen Sommer rührend um Linda, fördert sie und nimmt seine Umgebung hauptsächlich durch Linda wahr. Für einen Zehnjährigen wirkt er dabei viel zu reif und fürsorglich. Freundschaft ist gleich schnell zu schwimmen, entdeckt Finn. Als die in ihrer Entwicklung behinderte Linda schwimmen lernt, wirkt der gemeinsame Erfolg der beiden wie ein Befreiungsschlag. Die erste Schulwoche konfrontiert Finn damit, dass Lindas Probleme nicht damit gelöst sind, dass er ihr in den Ferien mit Engelsgeduld Lesen beigebracht hat. Die Einsicht, wie stark die Probleme mit Linda an seiner Mutter zehren, wird zu einem entscheidenden Reifungsschritt in Finns Entwicklung. Nachdem die Schule begonnen hat, entwickelt sich Finn wie im Zeitraffer: er interessiert sich für seinen Vater, reflektiert das Verhältnis zwischen Kristian und seiner Mutter und entdeckt mit Tanja aus seiner Klasse das andere Geschlecht.


    Jacobson hat mit der Geschichte eines besonderen Sommers ein sehr treffendes Bild der 60er Jahre gezeichnet. Finns Alltag wirkt einerseits klarer und einfacher als unser Leben heute, was wir als einfach empfinden war zu seiner Zeit jedoch sehr viel komplizierter; nach außen musste der Schein gewahrt werden. Strenge Benimmregeln herrschten, gegen die Untermieter Kristian souverän verstösst. Auch Kristian wirkt sehr zurückgenommen, obwohl er durch sein väterliches "Kümmern" um Finns Skikünste eine entscheidende Rolle für dessen Heranwachsen spielt. Wichtige Dinge wurden damals nicht vor Kindern besprochen, so dass Finn erst auf Umwegen in mehreren Schritten erfährt, warum seine Mutter den Sommer in einer Klinik verbringt.


    Fazit:
    Die Beziehung zwischen Finn und seiner allein erziehenden Mutter, wie auch Finns erste Schritte ins Erwachsenenleben haben mich sehr nachdenklich gemacht. Gestört hat mich an Jacobsons leise erzähltem Roman, dass er seinen zehnjährigen Icherzähler eloquent und reflektiert wie einen Erwachsenen sprechen lässt. Erst als Finn im Zeitraffer herangewachsen ist, harmonieren Alter des Erzählers und sein Ton wieder miteinander.


    8 von 10 Punkten

  • Inzwischen ist der Roman auch als Taschenbuch erschienen.


    Jeder Sommer hat eine Bezeichnung, wenn man sich an ihn erinnert. Dieser Sommer ist der, in dem Linda schwimmen lernte. Die Ereignisse im Jahr 1961 werden als Rückblick aus der Sicht des 10-jährigen Finn erzählt. Er wohnte damals mit seiner Mutter in einem Vorort von Norwegens Hauptstadt. Bislang wusste er von seiner Familie nur, dass sein Vater Kranfahrer war und bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Da seine Eltern geschieden waren und der Vater bereits eine zweite Familie hatte, blieb von der Witwenrente nichts übrig. Um über die Runden zu kommen, vermietet die Mutter ein Zimmer der Wohnung. Der Untermieter Kristian integriert sich nach und nach in die kleine Familie und fast hat man den Eindruck, er würde Finns Stiefvater werden. Eines Tages überrascht Finn die Nachricht, dass seine sechsjährige Halbschwester Linda auch bei ihnen einzieht. Schnell bemerkt er, dass sie nur selten spricht, Wiederholungen liebt und in ihrer eigenen Welt wohnt.


    Roy Jacobsen wählt für seinen Roman einen dichten Erzählstil. In der Ich-Form lässt er seinen Protagonisten über den Alltag Anfang der 60-er Jahre in Norwegen berichten. Die Erinnerungen des Zehnjährigen an einen ereignisreichen Sommer werden aus seiner Perspektive treffend dargelegt. Vieles, was um ihn herum geschieht, kann er noch nicht begreifen. Die Gefühle, die diese Veränderungen hervorrufen, werden plastisch beschrieben. Als Leser hat man sofort Empathie für Finn aufgebaut. Seine Welt besteht aus den allgemeinen Schulsorgen, gelegentliche Streitereien mit den Jungs aus der Trontheimvej und dem Zusammenleben mit seiner Mutter. Die Rolle des großen Bruders nimmt er ohne Murren an und verteidigt Linda gegen Hänseleien und sogar in schulischen Belangen. Der Leser ahnt natürlich, dass Linda während ihres kurzen Lebens bereits schlimme Dinge erlebt haben muss und deswegen nicht altersgerecht entwickelt ist. Es werden genug Informationen eingeflochten, dass eine Ahnung entsteht, jedoch nicht genug, um alles restlos zu erfassen. Finn steht zwar im Zentrum des Geschehens, erhebt sich aber niemals über einen gewissen Punkt, dass er die Zusammenhänge erfassen könnte. Er ist auf die Erklärungen der anderen Erwachsenen angewiesen, wenn in seiner Umwelt Veränderungen vorgenommen werden. Dieser Erzählstil lässt die Geschichte authentisch wirken.


    Der norwegische Schriftsteller hat mit seinen Romanen, Novellen und Erzählungen schon einige wichtige Preise verliehen bekommen. Auch dieses Mal beeindruckt er mit seiner Fähigkeit, sich in seine Figuren psychisch einzufühlen und ihre Beziehungen untereinander detailreich darzulegen. Die Charaktere sind facettenreich gestaltet und einige Beweggründe bleiben im Schatten verborgen, sodass mitunter auch Antipathie aufgebaut wird. Auch bei den Nebenfiguren entsteht kein plakatives Bild. Eine komplette Auflösung aller Verstrickungen würde bei diesem Roman unpassend wirken. Die gemeinsame Zeit mit Linda ist in Finns Erinnerungen zeitlich begrenzt und überfrachtet somit auch den Leser nicht. Der Roman lässt sich zwar wegen des Schreibstils leicht lesen, ist aber dennoch nicht leicht zu verdauen. Linda wirkt auf alle Fälle noch länger nach.