Alexander Pope
The Rape of the Lock (1714, 1715, 1717)
Meine Rezension bezieht sich auf die online verfügbare Ausgabe auf "Cummings Study Guides": klick
Es existieren deutsche Übersetzungen unter dem Titel "Der Lockenraub".
Wir befinden uns im Großbritannien des begonnenen 18. Jahrhunderts, eine Katastrophe hat sich ereignet: Lady Arabella wurde heimtückisch von ihrem Verehrer Lord Petre eine Locke ihres prächtigen Haares abgeschnitten. Ob dieser ungeheuren und nicht entschuldbaren Tat brechen die Familien miteinander.
An Alexander Pope, über seinen Freund Caryll mit dem Vorfall vertraut, wird nun die Bitte herangetragen, die Situation zu entschärfen. So entsteht "The Rape of the Lock", ein antike Epentraditionen satirisch aufgreifendes Gedicht.
Zuvorderst ist dieses Gedicht erstmal zum Kringeln. Die stolze Schöne, in Belinda umgetauft, und das Problem, Wesentliches nicht von Unwesentlichem trennen zu können, sorgen für verschmitztes Schmunzeln. Auf ihrem Ankleidetisch, an denen sie - von mystischen Luftwesen beschützt - sich mit den Waffen einer Frau für die kommende Schlacht rüstet (d.h. Makeup), liegt ein buntes Durcheinander Gewürze und Pasten aus fernen Ländern, Kämmen, aber auch einige Bibeln.
In Bezug auf die "cosmetic powers" schleicht sich auch schon erste Kritik ein, ihre Augen machen zwar in unzähligen Vergleichen der Sonne Konkurrenz, aber ihr Lächeln und hübsches Gesichtchen müssen des Morgens doch ein wenig repariert werden...
Die ganze Zeit ist sie umschwirrt von kleinen Geisterwesen, v.a. Sylphen, die ihr helfen, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben, als holde Maiden vor den Unwegsamkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu schützen - gesellschaftliche Missstände hingegen werden mit einem Zweizeiler angeprangert - die Relationen sind durcheinandergeraten.
Das wird auch im weiteren Verlauf und der fortwährende Überhöhung auf epische Dimensionen durch das Gedicht immer deutlicher: Belinda reagiert unangemessen. In ihrem übermenschlicher Zorn schert sich Belinda nicht um die Stimme der Vernunft in Form der Freundin Clarissa, sondern stürzt sich in eine Wattebällchenschlacht der tötenden Blicke und Haarnadeln...
Eingeordnet als mock-heroic, liegt bei diesem epischen Gedicht (das mit seiner Länge zum Glück nicht an alte Epen heranreicht, aber mit 5 Gesängen à 5-7 Strophen doch genügend Lesestoff bietet) das Vergnügen mehr an der Machart als am Inhalt. Wer also mal wieder die weltbewegende Frage, ob er das weiße Hemd mit der karierten Krawatte oder doch das karierte Hemd mit der einfarbigen Krawatte, oder ob sie die schwarzen Schuhe mit Absatz mit dem roten Kleid oder doch lieber die braunen Schuhe mit dem neuen Kleid kombinieren soll, dem/der wird auf freundliche Weise klar gemacht, dass es Wichtigeres gibt.
Wer sich komplett von jenen kleinen Eitelkeiten des Lebens frei sieht, und somit dem Einfluss der Sylphen (-wir sind ja nicht die Schuldigen, sondern von Einflüsterungen fehlgeleitet-) entkommen ist, wird vergnügt den Kopf schütteln können und sich an mal leicht augenzwinkernden, mal etwas bissigen Hieben auf Belinda und ihre kleine Welt erfreuen.
Lady Arabella mochte das Gedicht übrigens und ließ ein Porträt sogar mit zitierten Versen schmücken.
LG
bartimaeus
[Interessante weitere Informationen:
- Hinweise auf aufgegriffene Epentraditionen (s. Link der von mir verwendeten Version; die Anmerkungen zum Text sind jedoch teilweise nicht richtig zutreffend)
- satirische, antikatholische Interpretation des (selbst katholischen) Verfassers: "A Key to the Lock" klick]