Fakire von Antonin Varenne

  • Kurzbeschreibung
    Eine Serie spektakulärer Selbstmorde erschüttert Paris. Kommissar Guérin sucht nach einem Zusammenhang, denn er hat Zweifel, ob nicht mehr dahintersteckt. Zur gleichen Zeit erfährt der amerikanische Psychologe John Nichols, dass einer seiner Patienten bei einem Auftritt als Fakir verblutet ist. Schwer traumatisiert aus dem Irakkrieg zurückgekehrt, zerstört er sich systematisch selbst. Doch Nichols glaubt nicht an einen Selbstmord. Ihre Nachforschungen führen Komissar Guérin und Nichols schließlich zusammen, und gemeinsam kommen sie einer Tragödie auf die Spur. Weshalb zerstören Menschen sich selbst? In atmosphärisch dichten Bildern geht Antonin Varenne dieser hoch aktuellen Frage nach, die nicht nur für Guérin und Nichols zu einer existentiellen Bedrohung wird.


    Über den Autor:
    Antonin Varenne, geboren 1973, studierte in Paris Philosophie. 2009 erhielt er den Prix Michel Lebrun sowie den Prix Sang d'Encre.


    Meine Meinung:
    Wer bei diesem Buch einen klassischen Thriller oder gar Krimi erwartet, wird enttäuscht werden.
    Wer bei diesem Buch einen logischen, klaren Text mit einer guten Geschichte erwartet, wird enttäuscht werden.
    Wer sich mit diesem Buch einfach nur gut unterhalten will, wird enttäuscht werden.
    Wer glaubt, dieses Buch sei einfach zu lesen und zu verdauen, wird enttäuscht werden.
    Wer einen realistischen spannenden Roman lesen möchte, wird enttäuscht werden.


    Wer jedoch ein literarisches Glanzstück in einem brillianten Stil lesen will, bei dem es nicht so sehr darauf ankommt Antworten zu geben, als mehr darauf, die richtigen Fragen im Kopf des Lesers auszulösen, der ist mit diesem Buch sicherlich gut aufgehoben.
    Varenne biegt sich die Realität so zurecht, wie es zu seiner Geschichte paßt, sogar das Sebastian-Syndrom, das er für die Erklärung mancher Ereignisse heranzieht, ist, wie ich, selbst neugierig geworden, dann feststellen mußte, keinesfalls die Erkrankung der Psyche, als die Varenne es darstellt, sondern eine Mutation der Blutkörperchen (einfach ausgedrückt).
    Was zwar ebenfalls paßt, im Buch aber eben mit keinem Wort erwähnt wird.
    Auch die Auflösung des Falls oder sollte ich sagen der Fälle ist eine fadenscheinige, die sich der Leser selbst zusammen interpretieren darf und die eigentlich nur auf die Abgründe der Menschheit gerichtet ist. Einsamkeit und mangelndes Sozialgefüge, Wahnsinn und Skurilität sind es auf die der Autor unseren Blick lenkt. Nekrophilie unter Staatsbediensteten, verschämt unterdrückte Homosexualität, der Drang sich selbst zu verletzen und Hilflosigkeite säumen den Wegesrand dieser Geschichte. In diesem Buch findet sich nicht eine nach unseren gesellschaftlichen Normen als normal anzusehende Figur. Der eine wohnt im Tipi mitten im Wald, der nächste ein Exknacki als Parkwächter mit absonderlichen Charaktereigenschaften, ein verwirrter Polizist, der mit dem Papagei seiner toten Mutter kommuniziert, während dieser die Freier seiner Mutter zitiert, ein Bluter als Fakir, eine Künstlerin, die sich nackt auszieht, mit Farbe übergießt und sich selbst an Wände schmeißt.... allein dieses Potpourri an Menschen, die uns unsere Normalität so herrlich genießen lassen können, reizt zum Lesen und das sollte es.
    Sicherlich nicht den normalen Spannung und Ablenkung suchenden Thrillerleser, aber jemanden, der sich gerne in Geschichten verliert, bizarre Szenen und phantastische Geschwindigkeit der Sprache genießt und für den ein gutes Buch mehr ist als Nervenkitzel.

  • Das klingt tatsächlich sehr ungewöhnlich und abgefahren. Ich denke, es gehört auf meine WL. Danke für die Rezi.


    Wie sind diese skurrilen Personen denn beschrieben? So dass sie einen beim Lesen nerven, oder als sympathische Aussteiger, Versager oder einfach als Normalität?

  • Eskalina
    Ihre Skurilität hab ich in keiner Sekunde als nervig empfunden, eher als faszinierend, so als würde man sich in eine Subkultur begeben, in der eben manches anders ist.
    Der Knacki ist durchaus der sympathische Aussteiger, als Versager möchte ich eigentlich keinen der Menschen bezeichnen, eher als Aussenseiter, Grenzgänger...


    Wichtig wäre vielleicht noch zu erwähnen, daß die Sprache hier und da eine recht derbe ist, die für zartbesaitete Leser, wohl eher abschreckend wirkt.

  • Mmhh... Hört sich wirklich ungewöhnlich an, aber genau sowas suche ich ja eigentlich immer, da es von den "gewöhnlichen" Krimis + Thriller schon genug gibt..
    Ich warte mal noch andere Meinungen ab..

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Das klingt doch sehr interessant. Kommt aber vorerst nur auf die Wl, weil es doch sehr von dem abweicht was ich normalerweise so lese.

    :lesend
    Rachel Aaron - The Spirit Rebellion
    Patrick Rothfuss - Der Name des Windes
    Stefan Zweig - Sternstunden der Menschheit

  • Habe mich auch mal an das Buch herangewagt und befinde mich, wenn ich nicht komplett daneben liege, auf Seite ~120. Auch wenn es in dem Buch nur von groteskten, paradoxen und skurillen Elementen wimmelt, gefällts mir doch sehr gut. Auch gerad deswegen, da literarische Stilmittel im Gegensatz zu den Mainstream-Thrillern, die normalerweise mein Beutscheschema sind, gehäuft eingesetzt werden und ich dann doch mal inne halte und überlege, was mit der Autor mit dieser (z.B.) Anti-These sagen möchte. :gruebel Sobald ich durch bin, was bei meinem derzeitigen Lesetempo etwas länger dauern wird, poste ich auch meine Rezi. :)