Die Filmerzählerin - Hernán Rivera Letelier

  • Zum Inhalt


    Die zehnjährige María Margarita lebt mit ihrem Vater und vier Brüdern in einer Siedlung, die inmitten der Atacama-Wüste im Norden Chiles liegt. Früher arbeitete ihr Vater wie alle anderen Männer des Ortes in der Salpetermine, doch seit einem Arbeitsunfall kann er seine Beine nicht mehr bewegen. Marías Mutter hat die Familie vor zwei Jahren sang- und klanglos verlassen und obwohl sie ihrem Ehemann damit das Herz gebrochen hat, hat die Familie gelernt, auch ohne sie zurecht zu kommen.


    Neben den Alltagspflichten ist das Leben in der Wüste trostlos. Einzig das kleine Kino kann Marías Herz zum Hüpfen bringen. Marilyn Monroe, John Wayne und Charlton Heston versetzen sie und ihre Brüder in helle Aufregung! Da jedoch der Eintritt für alle Familienmitglieder zu teuer ist, lässt sich Marías Vater etwas Besonderes einfallen: Jedes seiner Kinder darf einmal alleine ins Kino gehen, um den anderen nachher von dem Film zu erzählen. Derjenige, der seine Aufgabe am besten macht, darf fortan jede Woche einen Film sehen und ihn anschließend der Familie präsentieren.


    Marías Konkurrenz ist groß, doch letztlich überzeugt sie das Publikum durch ihre lebhafte Erzählweise und ein fantastisches Schauspiel. In ihrer neuen Aufgabe geht das Mädchen vollkommen auf, sodass nach und nach die halbe Siedlung der kleinen Künstlerin zuhören möchte – bis zu dem Tag, an dem ein Unglück geschieht. Danach wird alles anders…


    Der Autor und sein Buch


    Der chilenische Bestsellerautor Hernán Rivera Letelier war mir vor diesem Büchlein kein Begiff, was vielleicht auch daran liegt, dass abgesehen von „Die Filmerzählerin“ bisher nur eines seiner Bücher (Lobgesang auf eine Hure) ins Deutsche übersetzt wurde. Im Nachhinein freue ich mich sehr, dass ich durch die schöne Covergestaltung auf „Die Filmerzählerin“ aufmerksam geworden bin, denn Letelier beherrscht es, auf kleinstem Raum wunderbare Bilder im Kopf des Lesers zu erschaffen.


    Dass der Autor die Atacama-Wüste mit wenigen, aber prägnanten Worten zum Leben erwecken kann, ist wohl u.a. dem Umstand zu verdanken, dass er selbst in der Wüste aufgewachsen ist. Obwohl Letelier in seinem Buch nur wenige Beschreibungen einsetzt, kann man sowohl die Hitze als auch die Atmosphäre in der Siedlung förmlich spüren. Man sieht den Staub auf den Straßen, erblickt den flimmernden Horizont, der nahezu endlos erscheint und hört die Stimmen der Kinder, die auf den Salpeterfeldern Eidechsen jagen.


    Dazu bedarf es allerdings auch die Phantasie des Lesers, da Letelier selten ins Detail geht. Auf gerade mal Hundert Seiten erzählt er fast Marías ganzes Leben und ich hätte mir an der ein oder anderen Stelle ausschweifendere Beschreibungen gewünscht. Allerdings kommt das Buch auch ohne gut aus, denn die zehnjährige María erzählt ihr Leben so, als würde sie einen Film erzählen.


    Obwohl gerade jene Momente, in denen sie die Vorstellungen gibt, eher flüchtig eingefangen werden, kann man sich durch ihre Erzählweise sehr gut vorstellen, wie einnehmend ihre Darbietungen sind. Spontan und freiheraus schildert sie den Alltag in der Wüste, bringt dem Leser die wichtigsten Eigenschaften der Bewohner nahe und berührt trotz ihrer einfachen Ausdrucksweise.


    Die Magie dieses Buches liegt zwischen den Zeilen. Die schillernde Kunst und das karge Wüstenleben werden einander gegenüber gestellt. Auf der einen Seite bieten sich dem Leser die zauberhaften Momente, in denen María voller Leidenschaft in ihrem Schauspiel aufgeht. Auf der anderen Seite sorgen ärmliche Wohnverhältnisse, harte Arbeit und nackte Füße für einen bedrückenden Beigeschmack.


    Fazit


    „Die Filmerzählerin“ ist ein Buch, das auf den ersten Blick sehr kurz und einfach erscheint. Doch wenn man genauer hinsieht, entblättert sich eine Geschichte, in der soviel mehr steckt, als man zuerst dachte: Lebensfreude und Melancholie, Zusammenhalt und Schmerz sowie ein starker Kontrast zwischen Einöde und Lebendigkeit. Dieses Buch ist wie ein Zauber, der zwar in einer recht nüchternen Sprache zum Ausdruck kommt, sich jedoch mithilfe der Vorstellungskraft zu seiner vollen Schönheit entfalten kann. Empfehlenswert!

  • Mein Eindruck:


    "Weil daheim das Geld zu Pferd unterwegs war und wir zu Fuß, kratzten wir, wenn in der Siedlung ein Film gezeigt wurde, den mein Vater (nur wegen des Hauptdarstellers oder der Hauptdarstellerin) für sehenswert hielt, unsere Münzen zusammen, bis es für eine Eintrittskarte reichte, und ich wurde hingeschickt, um den Film anzuschauen.
    Wenn ich dann aus dem Kino kam, musste ich ihn im Garniturzimmer der vollzählig versammelten Familie erzählen."


    Das ist das erste Kapitel, dieses schmalen, wuchtigen Romans und gleich hier habe ich mein neues Lieblingswort gefunden: Garniturzimmer


    Der Vater nach einem Arbeitsunfall von der Hüfte abwärts gelähmt, im selbst gezimmerten Rollstuhl sitzend kann nicht mehr selber ins Kino gehen und schickt sein Kinder. Eins nach dem anderen und da er ein gerechter Mann ist, fällt seine Entscheidung letztendlich auf die 10jährige Maria. Sie kann die Filme am besten nacherzählen. Sie hat das nötige schauspielerische Talent, die Grazie, die Schönheit. Genau wie ihre Mutter die schon lange nicht mehr bei der Familie lebt. Die eines Tages einfach abgehauen ist.
    In der armen Siedlung mitten in der Wüste, in der es für die Menschen nicht viel Zerstreuung gibt, wird Maria immer bekannter und die Leute kommen zu der Familie nach Hause wo sie ihr gebannt beim Erzählen zuhören. Das Garniturzimmer wird zum Kinosaal umgebaut.
    Auch Maria genießt ihren Ruhm der immer weiter wächst und es dauert nicht lange und sie wird zu den Siedlungsbewohnern nach Hause eingeladen.....und damit beginnt alles anders zu werden.


    Eine berührende Geschichte voller Wärme und Humor erzählt und keinen Satz zu lang.


    Wie Mitsou auch empfehle ich das Buch weiter und vergebe 10 Punkte.

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Die Filmerzählerin: Roman von Hernán Rivera Letelier
    3458174958


    Gebundene Ausgabe: 104 Seiten
    Verlag: Insel Verlag
    2011


    Übersetzt von Svenja Becker
    Originaltitel: La contadora de peliculas


    Kurzbeschreibung:
    "Während ich meinen Tee trank und mich bereitmachte, den Film im Stehen vor der weißen Wand zu erzählen, versicherte mein Vater seinen Gästen unermüdlich, der Film könne schwarzweiß sein und bloß die halbe Leinwand füllen, seine Kleine hier würde ihn in Technicolor und Cinemascope erzählen. »Gleich seht ihr es selbst, Kumpels.«" Etwas Aufregenderes als Kino gibt es nicht in dem Minendorf inmitten der chilenischen Wüste. Die Männer arbeiten im Salpeterabbau, die Frauen sollen vernünftig wirtschaften und haben die zahlreichen Kinder am Hals. Da bieten die Hollywoodfilme mit Marilyn Monroe, John Wayne oder Charlton Heston und die mexikanischen Melodramen mit viel Gefühl und Musik eine willkommene Abwechslung und den Abglanz einer anderen Welt. Doch eines Tages erlebt die Siedlung etwas noch Schöneres als Kino: María Margarita, ein zehnjähriges Mädchen, kann Filme so anschaulich und dramatisch nacherzählen, daß die Leute herbeiströmen, um sie zu hören. Bald drängt sich die halbe Siedlung in der engen Stube ihrer Familie, wo sie mit kindlicher Freude das Leinwandgeschehen zum Leben erweckt. Als sie eines Tages jedoch einem alleinlebenden Mann in dessen Haus einen Western erzählen soll, widerfährt ihr etwas schrecklich Verstörendes. Kräftig, mit viel Sinn für Komik, aber auch für das Schlimme im Leben, erzählt der chilenische Bestsellerautor Hernán Rivera Letelier vom harschen Leben in der Atacamawüste und den Glücksmomenten seiner Hauptfigur als gefeierte Filmerzählerin. Eine Liebeserklärung an das Kino und die Kunst der Imagination.


    Über den Autor:
    Hernán Rivera Letelier, 1950 in Talca/Südchile geboren, kam als Kind in die Atacamawüste im Norden. Als Heranwachsender besuchte er als einziger die Werksbibliothek der Minensiedlung und begann mit einundzwanzig, buchstäblich aus Hunger, mit dem Schreiben: Ein Radioprogramm lobte als ersten Preis für das beste Gedicht ein Abendessen in einem feinen Restaurant aus. Er schrieb ein vierseitiges Liebesgedicht und gewann prompt. Heute gehört er zu den meistgelesenen Autoren der spanischsprachigen Welt.


    Über die Übersetzerin:
    Svenja Becker lebt als Übersetzerin (u. a. Allende, Guelfenbein, Onetti) in Saarbrücken


    Mein Eindruck:
    Die Filmerzählerin ist ein verzauberndes Buch für Leser, die gleichzeitig auch leidenschaftliche Kinofilm-Fans sind.


    Getragen wird der kurze Roman durch die Erzählstimme der anfangs 10jährigen Maria Margarita, die rückblickend von der Zeit der frühen 60ziger Jahre in Chile berichtet. Sie ist humorvoll und intelligent. Selten eine so gute Erzählerin in einem Roman gefunden. Sie erinnert mich leicht an die kleine Heldin aus Harper Lees berühmtem Roman Wer die Nachtigall stört.


    Begeistert vom Kino ist jeder, doch die arme Bevölkerung nahe der Wüste in Chile kann sich einen Besuch meistens nicht leisten.
    So geht es auf jeden Fall der Familie von Maria. Ihr Vater ist seit einem Unfall gelähmt und kann nicht mehr arbeiten. Die Mutter hat daraufhin ihren Mann und ihre 5 Kinder verlassen, um eine Karriere als Tänzerin zu beginnen.
    Das ist typisch für fast alle der Figuren dieses Buches. Fast jeder hat einen Traum, der unerfüllbar scheint.
    Maria hat das große Talent, Kinofilme detailgenau wiedererzählen zu können. Sie hat ein phänomenales Gedächtnis. Manchmal spielt, tanzt und singt sie dazu sogar. Die Familie ist begeistert. Maria wird zu den aktuellen Filmen ist Kino geschickt und spielt sie hinterher ihrer Familie vor. Bald kommen auch Nachbarn und Freunde, um sie zu sehen. Manche bestellen sie sogar nachhause, um sich die Filme erzählen zu lassen. Doch eines Tages kommt eine Konkurrenz: das Fernsehen erreicht die kleine Stadt


    Ist der Roman bisher so leicht und humorvoll kippt er irgendwann in Tragische, da Maria von einem Mann belästigt wird und sich auch die politischen Verhältnisse im Land bekanntermaßen sehr zum Schlechten verändern. Irgendwann bricht auch Marias Familie auseinander.


    Es darf in diesem Buch also viel gelacht und viel geweint werden.Es erzählt ein Stück chilenischer Geschichte, allerdings auf so engen Rahmen, dass es für mich nicht vollkommen funktionierte. Dennoch ein lesenswertes Buch.