Deutsches Kaiserreich - Volker Ullrich

  • Volker Ullrich: Deutsches Kaiserreich
    Fischer Taschenbuch Verlag
    € 8,95 [D]
    128 Seiten
    Erscheinungsjahr: 2006
    ISBN 13: 978-3-596-15364-0


    Über den Autor:
    Volker Ullrich, geboren 1943, studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie. Er ist Historiker und Publizist. Er arbeitete von 1990 bis 2009 für die Wochenzeitung Die Zeit (Ressortleiter "Politisches Buch"). 20089 erhielt Ullrich die Ehrendoktorwürde der Friedrich Schiller Universität Jena.


    Rezension:
    Auf nur 128 Seiten versucht Volker Ullrich dem Leser eine "notwendig auf das Wesentliche beschränkte Einführung"(S.3) in die Geschichte des Kaiserreichs zu geben. Das Buch, welches in der Reihe Fischer Kompakt erschienen ist, gliedert sich in drei große Abschnitte (sofern man bei diesem geringen Umfang von "groß" sprechen kann): Dem Grundriss, den Vertiefungen und dem Anhang. Im ersten Abschnitt wird die Geschichte des Kaiserreichs, mehr oder weniger, chronologisch dargestellt. Hierbei ist es sehr erfreulich, dass sich nicht nur auf die traditionelle Ereignisgeschichte konzentriert wurde, sondern auch die Sozial-,Wirtschafts- und Bildungsgeschichte berücksichtigt wurden.
    In den Vertiefungen wird auf ausgewählte Aspekte, die zuvor im Grundriss Erwähnung fanden, nochmals auf (durchschnittlich) 5 Seiten eingegangen. Das behandelte Spektrum ist dabei sehr weit gestreut: Von der Verfassung über die Frauenrolle, bis hin zum Hererokrieg und der nach dem Ersten Weltkrieg vieldiskutierten Kriegsschuldfrage.
    Im Anhang findet man eine kleine Zeittafel, ein kurzes Glossar und Literaturhinweise.


    Obwohl Ullrich bereits in seiner Vorbemerkung darauf hinweist, dass sich die Forschung vermehrt auf die "Widersprüche und Ambivalenzen" konzentriert und das Kaiserreich keineswegs mehr nur als Vorgeschichte der Hitler-Zeit sieht und dem Kaiserreich auch positive Eigenschaften/Entwicklungen zuspricht, befasst sich Ullrich überwiegend genau mit diesem: Dem Negativen. Dies wird bereits durch die Kapiteltitel in den Vertiefungen deutlich. "Militarismus", "Antisemitismus", "Der Hererokrieg", "Das 'Augusterlebnis' 1914". Der Leser fragt sich unwillkürlich, von welchen Ambivalenzen Ullrich zu Beginn sprach, da er diese im Buch selbst dann nicht mehr behandelt. Nur in einigen wenigen Momenten erhält der Leser einen positiveren Eindruck vom Kaiserreich (etwa, wenn es um das Wahlrecht geht oder den Reformen in der Bildungspolitik). Das ist äußerst schade und spiegelt nicht mehr den aktuellen Trend der Forschung wider. Letztlich hat Ullrich selbst mit seinem Schlusssatz im Grundriss-Abschnitt ("Nach 1933 sollte diese 'Stunde schlagen'"(S.65)) das Kaiserreich wieder darauf reduziert, der Vorläufer der Nazi-Diktatur zu sein.


    Abgesehen davon ist das Buch sehr gut und flüssig zu lesen. Ullrich verzichtet auf eine komplizierte und von Fremdwörtern überwuchernde Ausdrucksweise, die vielen Akademikern leider oftmals anhaftet, und versucht mit klarer und verständlicher Sprache dem Leser den vorliegenden Stoff zu vermitteln. Dies liegt natürlich daran, dass das Buch einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden soll. Diesem hilft außerdem ein im Anhang angeführtes Glossar und eine Zeittafel. Erstgenanntes ist jedoch sehr knapp und ist selbst für ein 128 Seiten Buch nur sehr begrenzt zu gebrauchen.


    Fazit:
    Insgesamt ist das Buch seine 8,95 € durchaus wert. Es bietet einen sehr groben Überblick über die Themen, die auch heute noch in der Forschung aktuell sind. Jeder, der nicht bereits eine Einführung/Handbuch zur Geschichte des Kaiserreichs gelesen hat oder einfach mal nach sehr langer Zeit wieder in die Thematik einsteigen möchte, kann berühigt zugreifen. Wer sich hingegen bereits (mehrfach) mit dem deutschen Kaiserreich beschäftigt hat, wird kaum neues erfahren und sollte eher die knapp 10 € in der Geldbörse lassen.

  • Danke für die Rezi. Ich greife ganz gerne zu solchen kurzen Einführungen, um ein Thema aufzufrischen oder neu anzugehen (meistens aus dem Beck Verlag). Das hier würde thematisch durchaus passen, aber die von Dir beschriebene Tendenz sagt mir eher nicht zu. Das Geld kann ich mir also ruhigen Gewissens sparen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Um Missverständnisse zu vermeiden: Ullrichs Ausführungen und Interpretationen sind durchaus in Ordnung und in der Forschung finden sie auch Zustimmung. Er tendiert auch nicht dazu, irgendwelchen Humbug zu erzählen, der so nicht stimmt.


    Das Problem ist einfach, dass die von ihm treffend beschriebenen Aspekte zum großen Teil die Schattenseiten des Kaiserreichs sind. Ich denke auch, dass Ullrich gar keine andere Wahl hatte: Denn Themen wie Militarismus, Gründerkrach, Antisemitismus, Erster Weltkrieg, Augusterlebnis, etc. MÜSSEN IMMER in einem Buch, das sich mit dem Kaiserreich beschäftigt, untergebracht werden. Wenn dem Autor nun vorgegeben worden ist, sich auf 128 Seiten zu beschränken, dann können zwangsläufig viele Facetten nicht mehr ausreichend betrachtet werden, obwohl Ullrichs Bemühungen erkennbar sind (Frauenbewegung, Szial-,Bildungs- und Wirtschaftsgeschichte).


    Das mit dem Zitat ("Nach 1933 sollte diese 'Stunde schlagen'"(S.65)) und der damit vorgenommenen Reduzierung des Kaiserreichs auf den Vorläufer der Nazi-Diktatur, ist auch sehr unglücklich. Immerhin schreibt Ullrich mehrfach im Buch, dass auch alles hätte anders kommen können und der Weg in den Nationalsozialismis keineswegs unausweichlich war. Jedoch bleibt dann die Frage offen, wieso gerade im Fazit so ein Satz fällt und eine Brücke Kaiserreich->Dritte Reich geschlagen wird.



    Wer sich nicht scheut mehr als 10 Euro auszugeben, dem empfehle ich das ebenfalls von Ullrich geschriebene "Die nervöse Großmacht: Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871-1918". Dort werden unter anderem die Aspekte aus dem rezensierten Buch vertieft behandelt. Das Buch wurde auch hier auf Büchereule.de bereits vorgestellt.

  • Danke für Deine Erläuterung. :-)


    Zitat

    Original von Piranha
    Das mit dem Zitat ("Nach 1933 sollte diese 'Stunde schlagen'"(S.65)) und der damit vorgenommenen Reduzierung des Kaiserreichs auf den Vorläufer der Nazi-Diktatur, ist auch sehr unglücklich.


    Ich habe aus Deiner Rezi und Antwort auf eben diese Tendenz des Autors geschlossen. Ich nehme mir die Freiheit, solche Bücher nicht zu lesen. (Außerdem bin ich immer froh, wenn ich ein Buch nicht lesen oder kaufen muß. Ich habe schon genug Bücher hier. :rolleyes )


    Da ich mich im Moment etwas mit Literatur des 19. Jahrhunderts (eher zweite Hälfte) befasse, hätte das als Einführung ins thematische Umfeld evtl. gepaßt. Aber gerade in dieser Hinsicht mag ich es lieber tendenzfrei und nicht - sehr vergröbert und etwas flapsig ausgedrückt - alles durch das Prisma "da waren doch mal zwölf Jahre, unter deren Gesichtspunkt man alles sehen muß" gesehen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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