Ein so langer Brief - Mariama Bâ

  • Ein so langer Brief
    Mariama Bâ
    List Taschenbuch
    TB mit 141 Seiten
    ISBN 3548602738


    Über die Autorin:
    Mariama Bâ wurde 1929 in Dakar, Senegal, geboren und wuchs in einem traditionellen moslemischen Umfeld auf. Sie wurde Lehrerin und unterrichtete zwölf Jahre lang, bis sie aus Gesundheitsgründen zur Schulinspektion versetzt wurde. Mariama Bâ war mit einem Mitglied des senegalesischen Parlaments verheiratet und neunfache Mutter. Sie starb 1981.


    Meinung:
    Ramatoulaye ist seit kurzem Witwe und schreibt Ihrer Freundin Aissatou tagebuch-artig, wie es ihr nun geht. Vor 5 Jahren wurde sie von ihrem Mann nicht etwa verlassen, sondern er hat sich unerwartet eine junge Studentin als Zweitfrau genommen. Nach 30 Jahren Ehe, 12 geborenen Kindern und ihrer immer wieder vollen Unterstützung seiner Karriere.


    Mariama Bâ berichtet in Briefform über das auch heute noch immer wieder auftretende Schicksal afrikanischer Frauen in muslemisch geprägten Ländern: sie sind in der Regel die, die sich um Haushalt und Kinder kümmern, nicht wenige verdienen auch noch das Geld, um alle ernähren zu können. Und wenn die Männer keinen Bock mehr auf ihre nach vielen Kinder nicht mehr ganz so knackigen Frauen haben, dann nehmen sie sich halt eine Neue. Aber man merkt auch, dass die Frauen aufstehen, sich für Politik interessieren, lernen wollen und sich auch gegen ihre Männer durchsetzen.


    Bâ schreibt dabei wunderbar poetisch, teilweise recht ausschweifend, so dass man aufmerksam lesen muss, um nicht den Faden zu verlieren. Ich hatte den Eindruck, dass sie zumindest zum Teil ihre eigenen Erfahrungen einbaut. Schade, dass es nur weniger Bücher von Miriam Bâ gibt, ich würde gern noch mehr von ihr lesen.

  • Es hat etwas Eigenes, wenn man unversehens einem Buch begegnet, das man viele, viele Jahre zuvor gelesen und in guter Erinnerung behalten hat und man dann der Versuchung nachgibt, es aus dem Regal zu ziehen und erneut zu lesen.


    Mariama Bâs 'Ein so langer Brief' begegnete mir zum erstenmal vor beinahe zwanzig Jahren. Mein TB-Exemplar stammt noch aus der Ullstein-Reihe 'Die Frau in der Litertaur', aus dem Jahr 1991, und es ist schon die 14. Auflage.
    Bâs Buch war eines der ersten Bücher einer afrikanischen Autorin, überhaupt einer der ersten literarischen Texte aus Afrika für mich und ich fand den Einstieg damals entsprechend sperrig. Es war alles sehr fremd und merkwürdig. Was mich überzeugte und an die Geschichte fesselte, war der Ton, mit dem die Geschichte erzählt wird. Er hat eine solche Intensität, eine solche Lebendigkeit, der man nicht widerstehen kann.
    Eben den Ton fand ich auch bei der Re-Lektüre sofort wieder.


    Die Geschichte, die erzählt wird, ist traurig, sie ist wunderschön und überzeugend dargeboten. Sie ist, bei aller Fremdheit des Verhaltens und der vorgestellten Sitten, geradezu unangenehm vertraut.
    Es geht um das Problem der Polygamie, aber beim genaueren Hinsehen ist das nur Ausfluß des tieferliegenden Problems, nämlich der abhängigen Stellung der Frauen in der senegalesischen Gesellschaft.


    Abhängig sind sie dabei keineswegs nur von den Männern, sondern vom Gesamtverband der Familie, der Religion, die in diesem Fall der Islam ist, aber auchvon der keineswegs nur vom Islam abgeleiteten sozialen Gliederungen, hier ein traditionelles Kastensystem, und Traditionen, die ihr Alltagsverhalten bestimmen. Dazu kommen die Einflüsse europäischen Dekens vom Kolonialismus bis zur Unabhängigkeit, mit der Senegal neue Wege eingeschklagen hat.


    Bâs Ich-Erzählerin ist eine Frau in einer Zeit der Umbrüche. Sie muß viele und zum Teil widersprüchliche Signale verarbeiten. Eine Konstante scheint zu sein, daß Männern mehr Rechte zugestanden werden als Frauen. Dennoch gibt es durchaus andere Lebenswege als die der Hauptfigur, wenn eine Frau verlassen wurde.
    Zudem ist es nicht allein die Macht der Männer, die deren privilegierte Stellung aufrecht erhält. Auch die Machtlosigkeit der Frauen trägt dazu bei, denn sie müssen darauf achten, daß ihre Versorgung sichergestellt ist. Dementsprechend sind ältere und gutsituierte Männer Heiratsobjekte für andere Frauen, auch wenn diese Männer bereits verheiratet sind.
    Islam hin oder her, der eigentliche Ablauf unterscheidet sich durch nichts von den Geschichten in westlichen Gesellschaften, wenn eine jüngere Frau mit einem viel älteren Mann davonzieht und die langjährige Ehefrau zurückbleibt.


    Bâ erzählt von ganz unterschiedlichen Reaktionen der Frauen im Geflecht von Religion, Sitten, Kastensytem, dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und Ansätzen zu Befreiung aus dem Ganzen. Es gibt manipulierende Schwiegermütter, Frauen mit Berufsausbildung, die trotzdem abhängig sind, Frauen, die sich bei der zweiten Eheschließung des Mannes umgehend scheiden lassen und denen es gelingt, sich auf eigene Füße zu stellen.
    Auch die Ich-Erzählerin, Ramatoulaye, gewinnt beträchtlich an Selbstbewußtsein, als ihr Mann mit der zweiten, um vieles jüngeren Ehefrau, in ein anderes Haus zieht. Sie muß plötzlich für sich und die Kinder sorgen, sich um Dinge kümmern, die außerhalb des Hauses angesiedelt sind, und sie schafft es.


    Auch bemüht sie sich, ihren Töchtern einen Weg zwischen Tradition, Religion und Moderne zu bahnen. Ihre Töchter besuchen höhere Schulen, eine steht vor dem Beginn des Studiums, zugleich sind die Mädchen für ihre Geschwister verantwortlich, werden zu perfekten Hausfrauen erzogen und achten die Regeln des Koran. Sie besuchen Nachtclubs, allerdings nur in Begleitung ihres Verlobten. Die Szene, in der die Mutter drei ihrer sehr jungen Töchter beim Rauchen erwischt, ist einerseits wohlvertraut (Gesundheit!!), das Argument, daß dem Atem eines jungen Mädchens nur Wohlgeruch und kein Tabaksgestank entströmen soll, weil sie sonst keinen Mann findet, dann wieder verblüffend für heutige westliche Leserinnen.
    Insegsamt gibt es für die nachfolgende Generation viel Hoffnung, wie die Geschichte einer vorehelichen schwangerschaft zeigt.


    Diese Hin und Her zwischen Alt und Neu, Islam, Traditionen, westlichem Lebensstil und der prekären Frage der ökonomischen Stellung von Frauen bringt beträchtliche Spannung in diesen recht kurzen Text, ist aber auch genau der Grund, warum man sehr, sehr aufmerksam lesen muß.


    Die Lösung, die Ramatoulaye anbietet, mutet zunächst seltsam romantisch an. Sie setzt auf die Liebe zwischen Frau und Mann. Diese Liebe ist das Ideal, der einzige wichtige Wert. Er darf weder aufgegebn noch verraten werden, von daher rührt ihre Ablehnung der Polygamie. Das gibt dem ganzen recht komplizierten Gespräch über das Geschlechterverhältnis eine weitere und wichtige Facette und rundet die Diskussion ab.


    Denn es ist eine Diskussion. Die Leserin wird nicht gegängelt, es wird wenig angeklagt, in den seltenen Fällen allerdings mit Wucht und beträchtlicher Wut. Es wird vor allem berichtet, erklärt und darum geworben, die Schwierigkeiten zu verstehen. Das ist es, was das Buch auch dreißig Jahre nach seinem Erscheinen noch interessant macht, fast unangenehm aktuell und vertraut erscheinen läßt.


    Bâs Briefe an ihre Freundin Aissatou gewinnen bei der Relektüre noch und noch. Ich habe es dementsprechend zum Klassiker erklärt ;-) und empfehle es nachdrücklich.


    Danke, Queedin, für den (unabsichtlichen) Tip. :-)




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Passend zu diesem Buch und zum Thema ökonomische Unabhängigket für Frauen in Senegal muß man den Film 'Faat Kiné' empfehlen, von Ousmane Sembene, dem Regisseur des Landes, aus dem Jahr 2000.


    Leider ist er zur Zeit nicht auf DVD zu kaufen, daher kein Link.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus