Chris Cleave:
Little Bee
dtv 2011.
320S. 14,90€
ISBN-10: 342324819X
ISBN-13: 978-3423248198
Originaltitel: The Other Hand (2008)
Übersetzerin: Susanne Goga-Klinkenberg
Über den Autor:
Chris Cleave schreibt für den englischen 'Guardian' und lebt mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in London. Er hat u.a. als Barmann, Hochseematrose und Journalist gearbeitet, Meeresnavigation unterrichtet und eine Internetfirma gegründet.
Quelle: Verlagsseite
Verlagstext:
Manchmal wünscht sie sich, sie wäre eine englische Pfundmünze: dann würde sich nämlich jeder freuen, sie zu sehen. Little Bee ist 16 Jahre alt und stammt aus Afrika. In ihrer Heimat ist ihr Schreckliches zugestoßen, und seit zwei Jahren lebt sie in einem englischen Abschiebelager für Asylbewerber. Trotz allem ist sie ein Mensch voll Lebensfreude, Witz und Intelligenz. In England kennt sie außerhalb des Lagers nur zwei Menschen: Vor Jahren hat sie in Nigeria das Ehepaar Sarah und Andrew, die im englischen Kingston-upon-Thames ein privilegiertes Leben führen, kennengelernt. Ein furchtbares gemeinsames Erlebnis hat eine tragische Verbindung zwischen ihnen geschaffen. Als Little Bee aus dem Lager entlassen wird, ruft sie bei Sarah und Andrew an. Ein Anruf, der unvorhersehbare Folgen hat: Einige Tage später bringt sich Andrew um. Und kurz darauf steht Little Bee vor Sarahs Tür.
Zum Inhalt:
Little Bee stammt aus Nigeria und hat zwei Jahre in einem englischen Abschiebe-Gefängnis zugebracht. Tagsüber verbringen Männer und Frauen ihre Zeit gemeinsam, nur nachts werden die Männer eingschlossen. Die Geschichten der weiblichen Häftlinge, mit denen sie ihren Asylantrag begründen müssen, beginnen fast alle mit den gleichen Worten: "Und dann kamen die Männer ..." Wird diese Geschichte von den Behörden abgestempelt, erhält man dadurch das Recht in England zu bleiben. Doch die Geschichte jeder Frau hier ist viel zu grausam, um auf ein einziges Blatt zu passen. Little Bee scannt jeden Raum zuerst nach einem scharfen Gegenstand, mit dem sie sich das Leben nehmen könnte. "Falls die Männer plötzlich kommen, musst du dich sofort töten können." Wenn man bereit ist zu sterben, kann der Horror von Tod und Verfolgung einen nicht mehr unvorbereitet treffen.
Auch Little Bee und ihre Schwester Nkiruka flüchteten vor bewaffneten Männern, die keine Zeugen am Leben lassen wollten. Um die Spuren zu ihrem Stamm und ihrem Dorf zu verwischen, hat Little Bee ihren nigerianischen Namen abgelegt. Nachdem das Mädchen zwei Jahre lang das Englisch der Königin aus Zeitungen gelernt hat, steht sie eines Tages durch einen Zufall ohne Papiere und ohne Geld vor dem Gefängnistor. Da Little Bees Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, ist sie illegal in England und wird sofort abgeschoben, falls sie Aufsehen erregt. Zu Fuß schlägt sie sich zu einer Adresse in Kingston-upon-Thames durch, zu Sarah und Andrew, die Little Bee vor Jahren an einem Strand in Nigeria getroffen hat. Andrew ist Journalist bei der Londoner Times, Sarah Chefredakteurin des Magazins NIXIE. Als Little Bee bei den O'Rourkes eintrifft, hat Andrew sich nach jahrelangen Depressionen gerade das Leben genommen. Bei Charlie, dem kleinen Sohn des Paars, ist die Nachricht vom Tod seines Vaters in seinem Batman-Universum noch nicht angekommen. Little Bee will bei Sarah bleiben, um ihr in den Tagen nach der Beerdigung beizustehen. Während Charlie im Batman-Kostüm unermüdlich das Haus schurkenfrei hält, schält sich die Vorgeschichte ihres ungewöhnlichen Zusammentreffens aus den Erinnerungen der beiden Frauen heraus. Sarah hatte damals reichlich naiv Andrew zu einer Pressereise nach Nigeria überredet, ohne sich zuvor über die Situation im Land und die Interessen westlicher Ölkonzerne zu informieren. An einem Strand unweit ihres Hotels treffen Sarah und Andrew in einer bedrohlichen Situation auf die beiden Mädchen. Dass Little Bee damals überlebt hat und sich bis nach England durchschlagen konnte, trifft Sarah wie ein Schock. Sarah, das Mädchen aus Nigeria und der kleine Charlie klammern sich nun wie drei Menschen auf der Flucht vor sich selbst aneinander; dabei hängt die Drohung, Little Bee könnte als Illegale erkannt und ausgewiesen werden, wie eine finstere Wolke über ihnen.
Wie alle anderen Flüchtlinge hofft Little Bee auf ein Happy End.
Fazit:
"Um zu überleben, musst du hübsch aussehen oder schön sprechen" ist eine der Regeln, die Bee zusammen mit dem britischen Englisch verinnerlicht hat. Little Bee hat in der Abschiebehaft gelernt, wie die britische Gesellschaft funktioniert und ist dabei das junge Mädchen aus Nigeria geblieben. Doch obwohl sie Polizisten und Beamte mit ihrem guten Englisch immer wieder verblüfft, gehört Little Bee nach Meinung vieler Einheimischer nicht nach England. Chris Cleave erzählt abwechselnd aus der Perspektive des Mädchens aus einem afrikanischen Dorf und aus Sarahs Sicht. Die Außenseiterperspektive, die uns als Lesern vermittelt, was es bedeutet auf der Flucht und im Gastland unwillkommen zu sein, behält der Autor nicht während der gesamten Handlung konsequent bei. In der Auseinandersetzung mit Sarahs Liebhaber Lawrence (Sarahs Affäre erscheint angesichts der Ereignisse in Nigeria als Luxusproblemchen) wirkt Little Bee eher wie eine erwachsene Weiße und nicht wie eine jugendliche Asylsuchende aus Afrika. "Little Bee" ist ein tief berührendes Buch, das uns mit dem eigenen Unwissen über die Situation minderjähriger Flüchtlinge konfrontiert.
8 von 10 Punkten