Ende der 40er Jahre geht ein Aufatmen durch den Kreis der französischen Intellektuellen:
Die Nazis sind besiegt und einer politischen Neuordnung scheinen alle Türen offen zu stehen. Während Robert Dubreuilh eine linke Bewegung unabhängig von der KP gründet, genießt Henri Perron zunächst die neugewonnene Freiheit und widmet sich dem Reisen. Nadine (Dubreuilhs Tochter) möchte etwas erleben und sucht ihr Glück in Bars und an der Seite von Männern, während ihre Mutter Anne sich fragt, ob es jemals wieder so werden kann, wie vor dem Krieg. Ein Zustand, der immer mehr zur fernen Erinnerung wird, wodurch sich der Freundeskreis in verschiedene Lager spaltet. Einzig und allein Paule, die langjährige Freundin von Henri, scheint vor dem Neuen die Augen zu verschließen und will nicht wahrhaben, dass Henri schon lange nicht mehr die Liebe für sie empfindet, die vor zehn Jahren einmal da war.
Jeder der Protagonisten sucht sein Glück, jeder von ihnen strebt nach Veränderung, wobei sich Politik und Liebesgeschichten vermischen und letztlich nichts mehr so ist, wie es einmal war…
~ Die Autorin und ihr Werk ~
Simone de Beauvoir wurde 1908 in Paris geboren und starb 1986 – ebenfalls in Paris .
Sie studierte Literatur, Mathematik und Philosophie und lernte während ihres Studiums Jean-Paul Sartre kennen, mit dem sie eine langjährige Beziehung führte. Diese Beziehung basierte jedoch größtenteils auf geistiger Verbundenheit, weshalb zahlreiche Affären und Liebschaften ihrer Liebe zueinander nichts anhaben konnten.
Neben der Philosophie war der Feminismus ein großes Thema im Leben der Schriftstellerin, wodurch sie sich u.a. auch politisch engagierte.
All diese Themen (Existenzialismus, die Rolle der Frau, die Resistance und der Kommunismus) lassen sich in ihrem Roman “Die Mandarins von Paris” wiederfinden, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass er autobiographische Züge hat.
Die etwas reservierte Anne Dubreuilh kann man als de Beauvoirs Alter Ego verstehen. Annes Mann Robert hat Züge von Sartre.
Die Figur Henri Perron verkörpert Albert Camus, mit dem Sartre lange Zeit befreundet war, bevor sich die beiden – ähnlich wie in dem Roman – zerstritten.
Ebenso gibt es Parallelen zwischen der Figur Lewis Brogan (Annes Geliebter aus Amerika) und dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren, mit dem de Beauvoir eine Affäre hatte. Algren passte es nicht, dass de Beauvoir ihre Liebschaft in allen Einzelheiten in dem Roman zur Schau stellte, woraufhin er sich von ihr distanzierte.
Wie man sieht, handelt es sich bei den Mandarins also nicht bloß um erfundene Romanfiguren, sondern auch um ein Stück Zeitgeschichte, das eng mit de Beauvoirs Leben und den darin vorkommenden Persönlichkeiten verbunden ist.
~ Ein politischer Roman – Nein danke? ~
Zuerst hatte ich die Befürchtung, dass ich – sozusagen eine politische Null – wahrscheinlich schon nach 100 Seiten nichts mehr verstehen würde oder das Thema viel zu trocken sein könnte. Viele Wochen stand das Buch im Regal und staubte vor sich hin, bis ich mich schließlich überwand und mit viel Zeit im Gepäck daran machte, auf die Reise in den Kreis der Intellektuellen von Paris zu gehen. Zugegeben, die ersten Seiten sind wirklich etwas trocken: Seiten voll von politisch-philosophischen Diskussionen, von denen ich nur die Hälfte verstand. Doch nach und nach mischten sich allzu vertraute Beziehungsgeflechte in das Geschehen. Es ging nicht bloß um Politik, auch wenn diese einen hohen Stellenwert in dem Buch hat, sondern auch um die Beziehungen zwischen den Protagonisten.
Frauen, die alles für ihre Liebe aufgeben, Männer, die unabhängig sein wollen, Jugendliche, die sich in Bars betrinken und zahlreiche Affären, die niemals vulgär, aber immer mit Stil und einem Hauch Erotik beschrieben werden. Wer nun an einen historischen Groschenroman denkt, liegt weit daneben.
“Die Mandarins von Paris” ist eine perfekte Mischung aus Anspruch und Leichtigkeit, aus Politik, Philosophie und Liebe. Durch den regelmäßigen Wechsel bekommt man immer ein wenig Zeit zum Durchatmen und selbst die politischen Passagen können für Laien interessant sein, denn auch, wenn man politisch nicht so bewandt ist, kann man die Zusammenhänge größtenteils erschließen und nachvollziehen. Allerdings sollte man ein gewisses geschichtliches Vorwissen haben, bevor man das Buch zur Hand nimmt. Es geht um das Ende des zweiten Weltkriegs, die Rolle Amerikas und der Sowjetunion, um Hiroshima usw. Namen sind dabei unwichtig, jedoch sollte man die Zusammenhänge kennen, um nicht vollkommen im Walde zu stehen. Hat man sich einmal in die Materie eingefunden, kann man gar nicht mehr aufhören zu lesen, sodass man schon mal 100 Seiten am Stück liest.
Die einzigen Voraussetzungen: Offenheit für das Thema, historisches Interesse und Zeit. Ist alles davon vorhanden, kann man sich auf anspruchsvolle, aber niemals zu schwere Unterhaltung freuen.
~ Wie liest es sich? ~
Wie bereits gesagt, kann der Einstieg etwas schwierig sein.
Die ersten 20 Seiten empfand ich persönlich weniger als Vergnügen, allerdings lohnt es sich dran zu bleiben, denn wenn man erstmal einen Überblick über die Geschehnisse und deren zeitliche Einordnung bekommen hat, fliegen die Seiten nur so am (inneren) Auge vorbei. Die Sätze sind leicht verständlich konstruiert und man findet kaum Fremdworte, die man nicht erschließen kann. Was ich damit sagen will: Der Schreibstil ist weit weniger kompliziert, als man es von einer de Beauvoir annehmen könnte.
Die Erzählperspektive teilt sich in zwei Ebenen: Zum einen wird das Geschehen in der dritten Person geschildert, wobei der Leser vorwiegend den Schriftsteller Henri Perron durch seinen Alltag begleitet. Diese Passagen gehören meist zu den leichteren, allerdings nimmt die Politik hier einen größeren Stellenwert ein, da sich Perron und seine Freunde nun mal auf dem Gebiet engagieren.
Die andere Perspektive ist die von Anne Dubreuilh, die als Ich-Erzählerin fungiert. In diesen Passagen findet man meist philosophische Ansätze, die sich hin und wieder etwas in die Länge ziehen können, aber auch zum Nachdenken anregen und dem Leser die Figur der Anne und deren Beziehungen näher bringen.
Beide Perspektiven wechseln sich in Form von Kapiteln ab.
Schön daran finde ich, dass man durch diese Form des Erzählens auch einen Einblick in die Auffassungen der verschiedenen Geschlechter bekommen kann. Ein Lebemann wie Henri Perron sieht die Geschehnisse wieder ganz anders als eine Frau wie Anne, die eher zurückhaltend, aber doch charmant sein kann. Und genau das ist es, was auch den Schreibstil ausmacht: Eine Mischung aus Rebellion, behutsamer Reserviertheit und einer Portion Charme.
Ein weiterer Punkt, der mich persönlich immer wieder fasziniert, wenn ich ein Buch von de Beauvoir lese: Irgendwie schafft sie es durch ihre Wortwahl und die Darlegung der Charaktere und ihrer Beziehungen, dass in meinem Kopf auch alles ein bisschen klarer wird und ich so wieder einen Überblick über meine eigenen Beziehungen bekomme. Natürlich kann das von Leser zu Leser unterschiedlich sein, aber vielleicht liegt es daran, dass man während des Lesens automatisch über die Figuren und auch sein eigenes Leben reflektiert und dadurch die Probleme vor Augen geführt bekommt und so zu bestimmten Schlüssen gelangen kann.
Des Weiteren fasziniert es mich, wie eine Schriftstellerin es schafft, sehr trockene Themen so gut in das Geschehen einzuordnen, dass einem selten der Kopf raucht, sondern man eher das Gefühl hat, auf anspruchsvolle Weise unterhalten zu werden. In meinen Augen ist das kein leichtes Unterfangen, aber ein Handwerk, von dem die de Beauvoir etwas versteht.
~ Fazit ~
“Die Mandarins von Paris” ist sicherlich ein Roman, der auf viele im ersten Moment abschreckend wirken kann. Die Themen Politik und Philosophie scheinen ein wenig zu trocken zu sein und das Ganze auch noch auf fast 800 Seiten verteilt kann doch nur allzu theoretisch dargelegt werden. Aber dem ist nicht so. Simone de Beauvoir versteht es, die Nachkriegszeit und damit verbundenen politischen Diskussionen unterhaltsam in die Beziehungsgeschichten der Protagonisten einzubetten, wodurch man immer wieder Zeit zum Durchatmen hat und einem selten der Kopf raucht. Auch für Laien lassen sich die politischen Themen durchschauen, da sie in sich schlüssig sind, allerdings halte ich es für erforderlich, dass man gewisse geschichtliche Vorkenntnisse hat, bevor man das Buch zur Hand nimmt.
Der Schreibstil ist flüssig und leicht zu lesen, jedoch sollte man sich darauf einstellen, dass sich der Einstieg etwas zäh gestalten kann. Hat man die ersten 20 Seiten jedoch überwunden, kann man gar nicht mehr aufhören.