Der alte König in seinem Exil - Arno Geiger

  • Ich würde den Roman nie als Sachbuch einordnen. Allein die Gespräche zwischen Vater und Sohn haben fast etwas philosophisches.
    Von Arno Geiger hatte ich eigentlich die Nase voll (das hat "Es geht uns gut" bewirkt), bekam diesen Roman geschenkt und bin begeistert. "Alles über Sally" werde ich mit trotzdem besorgen.

    Leben ist immer lebensgefährlich!
    Erich Kästner

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  • Da kann ich nur zustimmen!
    In meiner Familie ist Demenz/Alzheimer im Moment bezüglich mehrerer Personen ein Thema. Dieses Buch hat mir sehr geholfen, zu durchschauen und angemessen zu reagieren.
    Es stimmt: Wenn man sich bewusst auf die Krankheit einlässt, kann man auch als Angehöriger noch viel mitnehmen.


    Gut, dasss das Buch geschrieben wurde und noch besser, dass ich darauf aufmerksam gemacht wurde. Danke!

  • Arno Geiger
    Der alte König in seinem Exil
    Carl Hanser Verlag
    ISBN 9783446236349


    Der alte König in seinem Exil ist ein sehr persönliches Buch. Der mehrfach preisgekrönte Romanautor Arno Geier ("Alles über Sally", "Es geht uns gut") schreibt darin über die Demenzerkrankung seines Vaters. Erst spät erkennt die Familie die Krankheit, das veränderte Verhalten seines Vaters wird als Alterspleen abgetan. Als die Krankheit diagnostiziert wird, ist schon vieles verloren. Sprichwörtliches wie eine Photographie des Vaters kurz nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, das für Vater und Sohn eine besondere Bedeutung hat, aber auch die Erinnerungen des Vaters an sein Leben. In Gesprächen mit dem Vater versucht Arno Geiger das Leben des Vaters zu rekonstruieren. Kurze Interviewfetzen sind in den Text eingewoben und zeigen deutlich die zunehmende Verwirrung des Vaters.
    Trotz der Verwirrung und der immensen Belastung der Familie ist Geigers Buch oft heiter. Er vermag nicht nur das negative an der Krankheit zu sehen, sondern beschreibt auch eine neue Zärtlichkeit zwischen ihm und seinen Vater und ein Zusammenwachsen der Familie. In ihrer Absurdität sind die Dialoge mit dem Vater oft komisch, Geiger macht jedoch deutlich wie schwierig das Vergessen für Betroffenen und Angehörige auszuhalten ist. Komik und Tragik, Vertrauen und Verwirrung, Resignation und Aufbegehren liegen in diesem Text sehr nah beieinander. Das hat mich sehr gerührt. Das Buch hatte sicherlich einen therapeutischen Effekt für den Autor, und so kann er für Menschen, die ähnlich davon betroffen sind, sehr hilfreich sein. Aber Geigers Buch ist auch ohne diesen Bezug ein großartiger Text über das Leben und das Verabschieden vom Leben. Vollkommen unpompös und sehr persönlich beschäftigt sich der Autor mit den ganz großen Lebensfragen.

  • Beeindruckend – ein anderes Wort fällt mir zu dem Buch nicht ein.


    Beeindruckend, wie Arno Geiger den vorhandenen Vater-Sohn-Konflikt zu einem ehemaligen Vater-Sohn-Konflikt werden lässt, denn in Umkehrung des „normalen“ Verhältnisses braucht der Vater immer mehr die Hilfe des Sohnes, die ihm dieser auch nicht versagt. Ich hatte den Eindruck, je mehr er versteht, mit der Krankheit umzugehen, den Vater zu beruhigen, ihm etwas Sicherheit zu geben, desto mehr entdeckt er auch seine Liebe zu ihm.


    Beeindruckend des Autors Wille und seine Fähigkeit, sich auf die diagnostizierte Krankheit einzustellen, immer das zu suchen, was dem Vater hilft, vordergründig weniger ihm selber. Aber wie das so halt so ist bei denen, die wir lieben, geht es ihnen gut, dann lebt man selber auf.


    Und allemal beeindruckend, wie behutsam die Vergangenheit des Vaters, und ein bisschen auch des ländlichen, dörflichen Lebens, erzählt wird.


    Überhaupt: Sein Erzählen, der Stil, in dem dieses Buch geschrieben ist, ist für mein Empfinden überaus gelungen: Ohne zu lamentieren, einfach so zu berichten, wie es nun einmal ist, das Traurige, das manchmal so Wunderbare, das immer weniger Lustige, erst recht das, was er aus dem Da-Sein für den erkrankten Vater für sich selbst gewinnt, so unprätentiös zu schildern, das ist schon etwas ganz Besonderes. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es für Betroffene (so sie es denn noch zu verstehen vermögen) wie Angehörige von Betroffenen ein Buch ist, das Mut macht und Hilfestellung gibt.


    „Weg damit und fertig, die Geschichte hat sich.“
    (Seite 161)


    In einer Zeit, in der Obiges allzu oft in Bezug auf die Demenzkranken nicht nur gedacht, sondern gar gesagt und danach gehandelt wird, ist ein Buch wie „Der alte König in seinem Exil“ noch wichtiger und mutiger, als es das per se schon ist, denn es zeigt zwar mit liebevollem Blick, aber deshalb nicht minder sachlich und deutlich, wie lebenswert auch ein Leben sein kann, in dem die Vergangenheit und irgendwann auch die Gegenwart des Betroffenen dem Vergessen anheim fällt. Die Würde des Menschen ist unantastbar – darzustellen, dass dieses hohe Gut auch für einen Alzheimerpatienten zu gelten hat, ist für mich das Beeindruckendste an dem Buch von Arno Geiger.

  • Zu diesem Buch wurde eigentlich schon alles Wichtige gesagt: Arno Geiger erzählt behutsam und einfühlsam von seinem Vater und dessen Erkrankung und zeigt deutlich, daß das Leben selbst dann noch lebenswert bleibt, wenn alle Hoffnung auf Besserung erlischt.
    Besonders gut gefallen hat mir der Schreibstil Geigers und der völlige Verzicht auf Pathos.
    Arno Geiger hat eine beeindruckende Hommage an seinen Vater vorgelegt und zugleich das Thema Alzheimer leicht verständlich ausgearbeitet.

  • Lebendig und einfühlsam erzählt Arno Geiger aus dem alltäglichen Lebenmit seinem Vater, vom Einschleichen bis zum Erkennen der Demenz, sowie den positiven und negativen Veränderungen im Umgang damit, die daraus resultieren.
    Besonders beeindruckt hat mich die Ehrlichkeit, die er dabei an den Tag legt ohne den Stolz oder die Würde seines Vaters zu verletzen und ihm mit diesem Roman seine Liebe zeigt und ihm Respekt für sein Leben zollt.

  • Ich tue mich meist schwer mit Buechern, die keinen wirklichen Erzaehlstrang haben. Daher traute ich mich an dieses Buch auch nur sehr zoegerlich ran. Die Themen Altern und Demenz sind obendrein auch alles andere als leicht verdaulich.


    Arno Geiger gelingt hier aber eine literarische Aufarbeitung des schwierigen Themas, die voll ueberzeugt. Sie liest sich wunderbar, wirkt sehr menschlich, ein wenig traurig, ein wenig komisch, durchweg literarisch - und bringt einige besondere Gedanken, die mich sehr bewegt haben.


    Ein wunderbarer Schreibstil, mit dem sich Arno Geiger trotz der vielen kleineren, mehr oder weniger unabhaengigen Episoden, als Geschichtenerzaehler entpuppt.


    Viel kritisieren kann man da nicht. Allerdings ist das Buch schon fast zu positiv: dadurch dass sich Arno Geiger sehr drauf konzentriert zu zeigen, wie man das Lebensende auch in dieser schwierigen Situation positiv sehen kann, kommt zu kurz, dass Alzheimer wirklich eine schreckliche Krankheit ist. Und fuer sehr viele Familien ist der Alltag mit dieser Krankheit bei einem Familienmitglied enorm anstrengend, kraefteraubend, nervtoetend ... so dass es extrem schwer faellt auch nur einen positiven Aspekt zu sehen. Da hat die Geiger Familie vielleicht ein wenig mehr Glueck gehabt als viele anderen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Meine Buchhändlerin hatte mir "Der alte König in seinem Exil" empfohlen, nachdem wir zuvor endlos über das Wetter und belanglose Familiengeschichten palavert hatten. Dann ist es noch zwei Monate in meinem Bücherregal gelegen. Ich hatte es eigentlich schon vergessen. Zu Unrecht.


    Arno Geiger erzählt eine Geschichte über seinen Vater, der an Demenz erkrankt ist. Er berichtet über die langsamen, zunächst unmerklichen Veränderungen, die oft erst im Rückblick erklärbar werden. Eigentlich mag ich keine Geschichten über die Lebenswirklichkeit von Autoren, auch nicht über Krankheiten, und schon gar nicht über Demenz, weil mich das zu sehr runterzieht. Aber dieses Buch ist so interessant, mitfühlend und ohne Effekthascherei erzählt, dass ich einfach weiterlesen musste.


    VG Helmut

  • Ich habe das Buch auch vor kurzem gelesen und kann die Anmerkung von Beatrix verstehen. Mein Vater ist auch an Demenz erkrankt und sie Situation ist für diejenigen, die täglich mit ihm umgehen kein Zuckerschlecken.
    Und trotzdem - sich auch einmal auf die Sicht des Vaters einzulassen, ihn so zu nehmen, wie er jetzt eben geworden ist, das beschreibt Geiger sehr gut und das ist ein kleiner Strohhalm, an dem man sich als Angehörige auch mal festhalten kann.

  • „Was ich ihm gebe, kann er nicht festhalten. Was er mir gibt, halte ich mit aller Kraft fest.“ S. 178



    Aus dem Buch:


    „Hier hast du deinen Hut.“
    „Das ist recht und gut. Aber wo ist mein Gehirn?“
    […]
    „Dein Gehirn ist unter dem Hut.“
    Der Vater nahm den Hut ab, schaute hinein und erwiderte: „Das wäre aber ein Wunder.“


    S. 130 Das ist nur eine der surrealen, fast kafkaesken Szenen in diesem Buch. Sein Vater erkrankt an Alzheimer – und darüber schreibt der Sohn, der österreichische Autor Arno Geiger, dieses kurze Büchlein.


    Er schreibt über den Fortschritt der Krankheit, vom Beginn, vor der Diagnose, als mit dem Vater noch wegen vermeintlicher Sturheit geschimpft wurde, „…denn wir schimpften mit der Person und meinten die Krankheit.“ S. 7 Doch, natürlich, die Krankheit schreitet voran. Anhand der eigenen Erfahrungen der ganzen Familie – Geiger hat noch drei Geschwister, zu Beginn teilt man sich die Pflege – übermittelt die Lektüre ein Gefühl davon, was sich ändert, nur ein Gefühl, denn jeder Mensch und damit auch jeder Erkrankte ist anders. Die Bilder, die verwendet werden, lassen regelmäßig den Schriftsteller durchblicken, der den Umgang mit Sprache und sprachlichen Bildern gewohnt ist. So bezeichnet er den Zustand der mittleren Demenz: „Als wäre man aus dem Schlaf gerissen, man weiß nicht, wo man ist […] Man versucht sich zu orientieren, es gelingt nicht.“ S. 8f. Das ist hilfreich, weil solche Bilder eindringlicher sind, als viele Fachbücher dieses zu vermitteln vermögen.


    Es wird auch über das Leben des Vaters erzählt, um Erklärungen für genau für ihn typische Verhaltensweisen bis in die Krankheit hinein zu liefern; natürlich sind diese Abschnitte nicht zu verallgemeinern. Aber sicherlich kann man aus dem Nachforschen Geigers die Lehre ziehen, zum einen die jeweilige Vergangenheit vor dem Vergessen zu retten, als auch immer das Individuum hinter dem Kranken zu sehen. Viele weitere Erfahrungen in der Pflege werden anderen helfen können.


    An einigen Stellen war mir das bildhafte in der Sprache etwas zu viel; fast wirkt es, es betrachte der sprachbegeisterte Autor den Vater als eine Art Satz- und Wortfindungsmaschine, wobei natürlich jeder seinen eigenen Weg zum Umgang mit fordernden Situationen finden muss, soll und darf. Genau hier liegt für mich die Problematik solcher Bücher: vom aktuellen „In jedem Augenblick unseres Lebens“ von Tom Malmquist über die in weiten Strecken sehr amüsanten Erinnerungen von Joachim Meyerhoff bis hin zu Jan Philipp Reemtsma „Im Keller“: Wer bin ich, die Erinnerungen und Gefühle anderer in autobiographischen Texten zu bewerten? Andererseits wird natürlich niemand zu Niederschrift und Veröffentlichung gezwungen – und die liebevolle innewohnende Poesie dieser Niederschrift trägt durchaus recht weit.



    8 von 10 Sternen...ich bin also nicht nur begeistert von der Umsetzung des Themas wie einige der Kommentatoren oben.