Die Woll-Lust der Maria Dolors - Blanca Busquets

  • OT: El jersei (Rosa del Vents/Random House Mondadori S.A., Barcelona 2006)


    Über den Autor
    Blanca Busquets, 1961 in Barcelona geboren, arbeitet seit 1986 als Fernseh- und Radiojournalistin für Televisió de Catalunya und Catalunya Ràdio, wo sie diverse Kulturprogramme moderiert. Nach mehreren preisgekrönten Erzählungen und ihrem Romandebüt ›Presó de Neu‹ (2003) hat sie mit ›Die Woll-Lust der Maria Dolors‹ die Herzen aller Generationen erobert.


    Kurzbeschreibung
    Still sitzt sie in ihrer Ecke im Wohnzimmer und strickt emsig vor sich hin. Seit einem Schlaganfall lebt Dolors bei der Familie ihrer jüngsten Tochter Leonor. Bis auf ihren Enkel Martí behandeln die Familienmitglieder die alte Frau jedoch wie ein Möbelstück, denn sie kann nicht mehr sprechen und sich nur noch durch Gesten verständigen. Aber Dolors ist weder blind noch taub geworden. Sie hat nach wie vor einen scharfen Verstand und es zudem faustdick hinter den Ohren. Während sie für ihre 16-jährige Enkelin einen wundervollen Pullover in leuchtenden Farben strickt, entgeht ihr nichts von dem, was in dieser scheinbar normalen Familie vor sich geht. Jeder hütet hier ein Geheimnis. Nicht zuletzt Dolors selbst …


    Meine Rezension
    Nach einem Schlaganfall kann Dolors nicht mehr sprechen. Doch während ihre Familienangehörigen der Meinung sind, sie bekommt von ihrer Umwelt nichts mehr mit, behandelt ihr Enkel Marti sie als einzige noch normal.


    Und das ist auch gut so. Denn obwohl Dolors sich nicht mehr artikulieren und verständigen kann, ist ihr Geist nach wie vor sehr rege. Und so beobachten sie das muntere Treiben um sie herum und macht sich so ihre Gedanken über das Gestern und das Heute.


    Nach außen hin erscheint die Familie als ganz normal – doch wie Dolors bald interessiert feststellen muß, hat jedes einzelne Familienmitglied sein eigenes kleines (schmutziges?) Geheimnis, so daß es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein kann, bis es zum großen Knall kommt. Und während Dolors still und leise in ihrem Eck sitzt und an einem Pulli für ihre Enkelin Sandra strickt, spitzen sich die Ereignisse zu…


    Ich fand die Erzählperspektive der stillen Beobachterin sehr interessant, denn Dolors beobachtet ganz genau, was um sie passiert und macht sich auf alles ihre eigenen Gedanken – während die meisten Familienangehörigen denken, sie hätte bei ihrem Schlaganfall nicht nur ihre Stimme sondern auch ihr Gehör und ihren Verstand verloren, so benehmen sie sich.


    Doch Dolors Geist ist nach wie vor sehr rege – so macht sie sich nicht nur Gedanken um ihre Familie, sondern lässt auch ihr ganzes Leben noch einmal Revue passieren… und ihre ganz große Liebe. Denn auch Dolors hat ein paar kleine Geheimnisse, die nun niemand mehr erfahren wird.


    Ein leichtes Buch, von leichter Hand erzählt. Ich war erst ein wenig skeptisch, weil mir die meisten „Woll-Bücher“ zu leichtgewichtig waren, doch dieser Roman hat mich wirklich gut unterhalten. Sehr amüsant war auch der Epilog, in dem man endlich auch einmal den anderen Familienmitgliedern in die Köpfe gucken konnte.


    Ein nettes, unterhaltsames Buch, das mir gut gefallen hat.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Nach einem Schlaganfall kann die 85-jährige Maria Dolors nicht mehr sprechen. Sie wohnt bei der Familie ihrer jüngeren Tochter, wo sich ihr so manches Geheimnis offenbart, da keiner sich die Mühe macht, etwas vor ihr zu verbergen. Man ist ja der Meinung, dass sie sowieso nichts mehr mitbekommt. Doch geistig ist Dolors noch relativ fit und hören kann sie auch noch sehr gut. So macht sie sich ihre eigenen Gedanken zu den Geschehnissen um sie herum. Da ist ihre Enkelin Sandra, die ihren Freund Jaume mit nach Hause bringt und in ihrem Zimmer Sex mit ihm hat. Das gefällt der Oma, denn früher war es bei ihr doch genau so. Sie hat eine erstaunlich unkomplizierte Einstellung zur Sexualität. Auch die Homosexualität ihrer älteren Tochter bereitet ihr keine Probleme. Lediglich, dass der Schwiegersohn anscheinend eine Geliebte hat, findet sie gar nicht gut, aber den kann sie sowieso nicht leiden.


    Den Titel kann man durchaus zweideutig sehen. Zwar strickt Dolors einen Pulli für Sandra, doch hat die Geschichte auch viel mit Sexualität zu tun. Und so wie der Pulli langsam Formen annimmt, entwickelt sich auch die Geschichte weiter. Dolors ist eine sehr sympathische Figur. Sie erinnert mich sehr an meine eigenen Großeltern. Wo die Eltern sich Sorgen machen oder schimpfen, können Großeltern alles viel gelassener sehen. Dabei hat die abgeklärte Dolors einen wesentlich besseren Überblick, was sich in der Familie tut, als all die anderen Personen, die doch sehr auf sich selbst fixiert sind. Blanca Busquets gewährt dem Leser Einblick in Dolors‘ Gedanken, denn aus deren Sicht ist das Buch geschrieben, und zwar in der 3. Person. Dolors blickt immer wieder in die Vergangenheit zurück, sodass nach und nach ihre eigene Geschichte offen gelegt wird. Dabei springt sie nahtlos zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, ohne spezielle Absätze oder Überleitungen. Doch ist das kein Problem, man erkennt beim Lesen sofort, wo man sich gerade befindet. Auf diese Weise werden die Leben der drei Generationen eng miteinander verstrickt. Busquets erzählt, wie die Gesellschaft sich im Laufe der Zeit verändert hat (nicht immer zum Guten), doch manche Dinge ändern sich nie.


    Bei den Vorkommnissen übertreibt die Autorin für meinen Geschmack ein wenig. Da sind plötzlich alle homosexuell, magersüchtig oder betrügen den Gatten / die Gattin. Doch Dolors eigenes Geheimnis hat mich doch sehr überrascht. Da es ganz schön turbulent zugeht, ist das Buch sehr unterhaltsam, dabei aber auch tiefgründig und lebensklug.

  • Ja, die Erzählerin übertreibt, gewiss, aber das stößt überhaupt nicht auf, denn es passt, mit einer Einschränkung: Joffre ist mir ein wenig klischeehaft überzeichnet. Ist ein Philosophielehrer wirklich so eindimensional? Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen; ich fand die Idee originell und gut umgesetzt.


    Der Erzähler schlüpft häufig in die "Ich-Perspektive" - das ist manchmal etwas störend. Weniger störend sind die vielen Zeitsprünge, weil sie genau passen. Jeder hat "Dreck am Stecken", das wissen wir bereits, aber das gehört nun mal zum Leben dazu, wie die Autorin einfühlsam erzählt...

  • Inhalt:
    *********


    Maria Dolors hat einen Schlaganfall erlitten und kann seit dem nicht mehr sprechen. Sie fristet nun ihr Dasein in der Wohnung ihrer jüngsten Tochter. Niemand scheint sich so recht für sie zu interessieren. Nur Marti, ihr Enkel, kümmert sich um sie und betrachtet sie auch nicht als Dekorationsgegenstand. Die anderen hingegen bemerken sie nicht und so kann sie ungestört in ihrem Sessel im Wohnzimmer sitzen und bekommt so allerhand von der Familie mit. Jeder trägt ein Geheimnis mit sich und selbst Dolors hat ihr eigenes.
    Während Dolors beginnt für ihre Enkelin Sandra einen Pullover zu stricken, lässt sie ihr Leben Revue passieren.



    Meine Meinung:
    ****************


    Den größten Einblick in den Charakter gewährt uns Dolors, da man ihr Leben vom Beginn ihrer ersten Liebe und allen anderen Wirrungen und Irrungen mitbekommt. Mir haben die Einschübe besser gefallen, als das Jetzt. In der Familie hat jeder so sein Geheimnis, was genau, darauf möchte ich nicht eingehen. Es kommt aber immer wieder zu Situationen, in denen Dolors helfen möchte, nur kann sie nicht sprechen und das Schreiben funktioniert auch nicht mehr so gut. So kann sie nur mit Gesten helfen und manchmal möchte sie schimpfen oder trösten und auf das alles muss Dolors verzichten. Die Autorin konnte dieses Gefühl gut rüber bringen, wenn aus einer kommunikativen Persönlichkeit plötzlich ein stummer Fisch wird.
    Ich finde auch, dass die Autorin schön zeigt, wie man immer wieder auf alte Menschen vergisst. Dolors ist immer da, sitzt in ihrer Ecke und fällt nicht weiter auf. Sie wird als selbstverständlich betrachtet, und da sich jeder mit sich selbst beschäftigt, hat man für jemanden der nicht mehr „richtig“ funktioniert, eben kein Interesse mehr über. Dieser Aspekt kam in dem Buch gut rüber.
    Die meiste Zeit wird man aber in die Gedankenwelt von Dolors gezogen. Sie erinnert sich an ihr Leben, ihre Taten und auch an Dinge die nicht allzu lange zurückliegen. Man erhält daher einen guten Einblick.
    Jedoch bin ich nicht ganz mit der Handlungsweise von Dolors einverstanden und manchmal empfand ich sie in ihren Handlungen nicht so sympathisch. Einerseits beschwert sie sich über ihre jüngste Tochter, dass sie kein Rückgrat besitzt, andererseits scheint Dolors in ihrer Jugend auch keines gehabt zu haben. So manches wirkt eigenbrödlerisch und ich kann es nicht ganz so nachvollziehen.
    Anfangs muss man sich etwas auf die schnellen Wechsel zwischen Jetzt und Früher einstellen, geht aber mit der Zeit ganz gut und es wirkt flüssig.
    Der Schluss war für mich das Schönste an dem Buch und auch die Art und Weise, wie Dolors ihr Leben aufgearbeitet hat. Dies hat eine eigentümliche Stimmung bei mir hinterlassen. Den Epilog hätte man sich aber sparen können.
    Ich sehe das Buch im Mittelfeld, es lässt sich leicht lesen und manchmal kann man mit Dolors mitfühlen, manchmal aber gar nicht. Die anderen Familienmitglieder scheinen aneinander vorbei zu leben und sind für mich nur Beiwerk in dem Buch, da die Geschichte von Dolors interessanter ist.
    Die Autorin schafft zwar Stimmung und sorgt für gute Lesbarkeit, jedoch fehlt mir noch das I-Tüpfelchen. Aber irgendwie ist es bedrückend, wenn man alt ist und auf sein Leben zurückblickt, mit dem Gedanken, dass man eben nicht mehr viel Zeit hat. Diese Stimmung ist bei mir im Kopf geblieben. Jedoch habe ich mit Dolors dann doch wieder nicht so mitgelitten und deshalb ist das Buch für mich okay!

  • Hallo zusammen.


    Ich habe es gehört und es hat mich bestens unterhalten.
    Gesprochen wird es von Katharina Thalbach und diese etwas knarzige Stimme passte sehr gut. Ich fand es sehr amüsant und nett.

    Ein Buch ist wie ein Garten den man in der Tasche trägt.


    z.Zt. vor Augen: Das Alphabethaus - Jussi Adler Olsen


    z.Zt. auf den Ohren: Die Richter des Königs - Sandra Lessmann


    Fieni :lesend