Zum Inhalt
In den 30er Jahren lernt die russische Theaterschauspielerin Vera Korn den ehemals berühmten Pianisten Alexander Lewandowski kennen und lieben. Über 20 Jahre lang haben die beiden Künstler eine Affäre voller Höhen und Tiefen, aus der letztlich ein Kind entsteht. Doch der Junge muss ohne Vater aufwachsen.
An dem Tag, an dem Alexander endlich zu Vera nach Moskau ziehen will, stirbt er. Das heißt für Schurik, dass er in einem reinen Frauenhaushalt aufwächst. Vera, die von ihrer Mutter stets wie ein kleines Kind behandelt wird und sich auch gerne dieser Rolle fügt, überlässt die Erziehung größtenteils Jelisaweta. Die gibt ihr Bestes, um aus ihrem Enkel einen echten Mann zu machen, doch letztlich erliegt sie einem Herzinfarkt und Vera und ihr Sohn sind auf sich gestellt.
Von Mitleid und Schuldgefühlen geplagt übernimmt Schurik fortan Jelisawetas Aufgaben und kümmert sich aufopfernd um Veras Wohlergehen, fast so als wäre er die Mutter und sie das Kind. Doch bei Vera allein bleibt es nicht. Immer wieder begegnet der wohlerzogene, sprachbegabte Schurik Frauen, denen er sich verpflichtet fühlt. Sie alle brauchen seinen Trost und er hat bereits in jungen Jahren gelernt, wie man eine Frau am besten trösten kann. Bereitwillig fügt er sich seinem Schicksal – bis zu dem Tag, an dem ihm ausgerechnet eine Frau die Augen öffnet…
Zur Umsetzung
Dieses Buch enthält eine Bandbreite an Stimmungen und Gefühlen. Während die Tragikomik das Zepter fest in der Hand hält, schleicht die russische Melancholie schwermütig durch die schmalen Gänge zwischen den Zeilen.
Die ersten Seiten lesen sich noch etwas müßig, doch nach und nach konnte ich mich in dem Geschriebenen fallenlassen und tauchte ein in eine Welt, in der sich vordergründig alles um einen Mann dreht, im Hintergrund jedoch die Frauen eine tragende Rolle spielen.
Schurik ist die Figur, die zahlreiche Charaktere miteinander verbindet. Neben der Kunst ist er der Mittelpunkt in Veras und Jelisawetas Leben und die Hauptaufgabe der beiden Frauen besteht darin, aus ihm einen rechtschaffenen Mann zu machen. Schurik lässt es sich gefallen, genau so wie er sich alles andere im Leben auch gefallen lässt.
Nach dem Tod seiner Großmutter erfüllt er Vera jeden Wunsch. Er bestreitet ihren Lebensunterhalt, versucht jedes Unglück von seiner Mutter fernzuhalten und ist zu jeder Tageszeit bereit, quer durch die Stadt zu fahren, um ihr die Dinge zu besorgen, die sie braucht. Dabei stolpert er ungewollt von einer tragischen Situation in die nächste und lernt die verschiedensten Frauentypen kennen. Allerdings haben sie alle trotz ihrer Unterschiedlichkeit etwas gemeinsam: Sie erregen Schuriks Mitleid und für diesen Zustand gibt es nur ein Heilmittel: Körperliche Liebe.
An dieser Stelle könnte man meinen, dass der junge Mann ein regelrechter Weiberheld ist, doch weit gefehlt. Während sich die Damen an seiner Zuneigung erfreuen oder gar vor Liebe verzehren, ist sich Schurik eigentlich gar nicht bewusst, was er beim anderen Geschlecht auslöst. Das empfundene Mitleid ist ihm unangenehm, doch er sieht es als seine Pflicht, eine traurige Frau angemessen zu trösten und kämpft schon bald gegen die Zeit, die viel zu knapp scheint, um jeder seiner Aufgaben gerecht zu werden.
Während ich diesen Antihelden der Geschichte in seinem ungewöhnlichen Alltag begleite, schwanke ich zwischen Mitgefühl und Unverständnis. Viele der beschriebenen Situationen wirken wohl platziert, ohne dass ich das Gefühl habe, dass Ulitzkaja übertreibe. Im letzten Drittel des Buches beschränkt sich meine Gefühlsregung jedoch lediglich auf ein Seufzen. Es wird ein wenig zu viel. Zu viele Frauen, zu viel Mitleid, zu viele Situationen, von denen die Hälfte gereicht hätte.
Dennoch hat sich „Ergebenst, euer Schurik“ für mich als kleine Perle herausgestellt. Schurik trifft nicht einfach irgendwelche Frauen, sondern ganze Schicksale, die traurig, faszinierend und in ihrer Unvollkommenheit vollkommen wirken. Schurik selbst ahnt davon freilich nichts, doch dem Leser eröffnen sich Lebensgeschichten, die einen berühren und einnehmen oder schlichtweg gut unterhalten.
Während Schurik bis zu einem gewissen Punkt lediglich das Bindeglied zwischen den einzelnen Geschichten darstellt, zeichnet Ulitzkaja Portraits von starken Frauen jeden Alters, die sich ihrer Stärke manchmal gar nicht bewusst sind.
Da wundert es einen nicht mehr, dass am Ende ausgerechnet eine Frau Schurik die Augen öffnet. Jene letzte Begebenheit macht das Buch rund und setzt der Tragikomik die Krone auf…
Fazit
Alles in allem hat „Ergebenst, euer Schurik“ durchaus kleine Schwächen, doch über diese lässt sich im Ganzen leicht hinwegsehen. Ulitzkaja führt den Leser mit einem angenehm flüssigen Schreibstil durch knapp 500 Seiten, sodass das Lesen keine Mühe kostet. Vielmehr war es mir eine Freude all die Eindrücke und Stimmungen aufzunehmen und Schurik durch die Betten Moskaus zu folgen. Die darin stattfindenden Handlungen werden im Übrigen sehr dezent beschrieben und obwohl man meinen könnte, dass Sex das Hauptthema des Romans sei, steckt hinter diesem Thema weitaus mehr als der Akt an sich. Es geht um Hingabe und Leid, unerfüllte Sehnsüchte und die Suche nach dem Glück.
Ein erheiterndes und tragisches Buch zugleich.