Rimbaud und die Dinge des Herzens - Samuel Benchetrit

  • Aufbau Verlag; Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
    Januar 2011


    OT: Le coeur en dehors
    Aus dem Französischen von Olaf Matthias Roth


    Kurzbeschreibung:
    Der »kleine Prinz« der Pariser Vorstadt „Weißt du, Charly, im Leben muss man lieben, und zwar sehr. Man darf niemals Angst haben, zu sehr zu lieben. Diejenigen, die den Schmerz fürchten, glauben nicht an das Leben ... Verstehst du, Charly: Was auch geschieht, sieh zu, dass dein Herz immer voll ist.“ Ein kleiner Junge sucht in der feindlichen Umgebung der Pariser Banlieue einen Tag lang nach seiner Mutter – und nimmt uns dabei mit auf eine Reise in eine überraschende Welt voller Hoffnung und Poesie. Eine moderne Fabel, die glücklich macht. Der zehnjährige Charly ist gewohnt, dass die Polizei seine Mutter aus ihrer Wohnung in dem heruntergekommenen Hochhaus holt – immer geht es um seinen Bruder Henry und dessen Drogenprobleme. Doch heute hat sie ihn zum ersten Mal in seinem Leben nicht angelächelt: Was ist passiert? Er muss sie finden, auch wenn er dafür die Schule schwänzt. Mit klopfendem Herzen läuft er durch das Viertel, erzählt von seinen Sorgen und von den zwei Frauen, die er liebt – seine Mutter und seinen heimlichen Schwarm Melanie. Und wenn er gar keine Antworten mehr findet, sucht er Zuflucht bei den Versen seines Lieblingsdichters Rimbaud. Jeder Leser wird den lebensmutigen, weisen Charly ins Herz schließen und nicht mehr daraus entlassen.


    Über den Autor:
    SAMUEL BENCHETRIT, geboren 1973 in Champigny-sur-Marne, ist Schriftsteller, Regisseur, Schauspieler, Drehbuchautor. Für „Rimbaud und die Dinge des Herzens“ erhielt er 2009 den Prix Populiste. Die französische Presse jubelte: „Humorvoll und ernsthaft zugleich – irgendwo zwischen ‚Der Fänger im Roggen’ von Salinger und bester Dickens-Tradition.“


    Über den Übersetzer:
    Olaf M. Roth, geboren 1965, studierte Romanistik und Germanistik. Er übersetzt aus dem Französischen, Italienischen und Englischen, außerdem arbeitet mer als Pressesprecher am Staatstheater Nürnberg. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Bernard-Henri Lévy, Tiziano Scarpa und Jim Dodge.


    Meine Meinung:
    Der 10jährige Junge Charly lebt alleine mit seiner Mutter, die aus Mali stammt und seinem drogensüchtigen Bruder in einer Vorstadt von Paris. Eines Morgens muss Charly mit ansehen, wie seine Mutter von der Polizei abgeholt wurde. Hilflos macht er sich auf die Suche nach seinem Bruder.


    Der Verlag wirbt mit dem Vergleich zu Salingers Fänger im Roggen. Da werde ich misstrauisch, da Salingers Stil schon so oft kopiert wurde. Ich erwarte eigentlich einen eigenständigen Stil von jungen Autoren. Allerdings, in diesem Roman funktioniert dieser Erzählstil doch noch einmal ganz gut. Charly hat allerdings auch nicht so viel von Holden Caulfield, gemeinsam haben sie nur den Hang zum übertreiben. Bei Charly spürt man hinter der großspurigen Fassade den verletzlichen, manchmal verstörten Jungen. Neben Humor gibt es auch Melancholie.


    Ein wichtiges Element in Charlys Monolog ist die Zeit. Die Handlung spielt an einem Tag, vor jedem Kapitel wird die Uhrzeit angegeben, die Intervalle sind kurz, so entsteht de Eindruck eines Lesens in Echtzeit.


    Manche literarische und filmische Zitate werden eingebunden. Charly ist ein intelligenter, sympathischer Junge. Man begleitet ihn und seinen Gedanken einen Tag lang durch die Stadt und hofft das Beste für ihn. Dem Autor ist dieses Buch gut gelungen, da er so eine starke Empathie erzeugen konnte.

  • Mir hat die Rezension so gut gefallen und neugierig gemacht, das ich mir das Buch heue besorgt habe. Obwohl ich sonst ein überzeugter Krimi und Thriller Fan bin, brauche ich ab und an auch etwas fürs Herz und die Seele, ich nenne das für mich: neutralisieren.


    Danke für die Vorstellung und den tollen Buchtipp.

  • Spätestens nach der Lektüre von "Le coeur en dehors", so lautet der Originaltitel des Romans von Samuel Benchetrit, hat es die Hauptperson Charly unweigerlich geschafft, das Herz des Lesers zu erobern.
    Der zehnjährige Charly wohnt mit seiner aus Mali stammenden Mutter und seinem drogensüchtigen Bruder in der Pariser Vorstadt. Er gibt dem Leser einen Einblick in einen einzigen, jedoch bedeutenden Tag seines Leben, der mit der zunächst unerklärlichen Verhaftung seiner Mutter beginnt und sich in der Suche nach Gründen dafür und schließlich nach dem Verbleib der Mutter selbst fortsetzt.
    Die Geschichte liest sich wie ein spannender Tagebucheintrag, verfasst von einem äußerst sympathischen Jungen, den man nach und nach immer mehr kennen und mögen lernt. Charly trumpft durch seine pfiffige, witzige und kluge, manchmal altkluge Art, ist mutig und ängstlich zugleich und macht sich Gedanken über Dinge, die sein eigenes Kindsein und speziell das Dasein in einem Vorstadt-Ghetto beherrschen. Neben seiner couragierten Suche nach seiner Mutter erzählt er von ihn bewegenden Ereignissen, seinem älteren Bruder, seinen Freunden und seinen beiden großen Lieben, der zur Mutter und der zu einem gleichaltrigen Mädchen. Dabei kommt er vom Hundersten ins Tausendste und lässt seiner Fantasie, einer in seinen Augen sehr wichtigen Eigenschaft, freien Lauf.
    Hat man mit dem Lesen des Buches erst einmal angefangen, kann man sich ihm nur schwer wieder entziehen. Samuel Benchetrit ist es voll und ganz geglückt, Charly lebendig werden zu lassen. Der Autor lässt seine Figur, in der Ernst und Humor sowie Traurigkeit und Freude vereint sind, in der Ich-Form agieren und den Leser direkt ansprechen. Der prägnante Sprach- und Schreibstil fängt sowohl die beklemmende, aber nicht hoffnungslose Atmosphäre als auch die gefühlvollen und warmherzigen Momente so perfekt ein, daß man mit dem kleinen Kerl einfach mitempfinden, mitleiden und mitfiebern muss. Die Handlung ist klar strukturiert und kurzweilig. Man erfährt, warum Charly's Mutter von der Polizei abgeholt wurde und bekommt eine Vorstellung davon, welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten, ein aktuelles Thema, das nachdenklich stimmt.
    Obwohl das Ende offen bleibt, was mir gefallen hat, bin ich mir sicher, daß Charly trotz aller Widrigkeiten seinen Weg gehen und seinen Platz in der Welt behaupten wird.
    "Rimbaud und die Dinge des Herzens" ist ein rundum gelungenes Werk, an das ich mich sehr gerne erinnern werde!

  • Ich lese das Buch im Moment und auch wenn es mir ganz gut gefällt, stört mich ein wenig die Figur von Charly, vor allem die Tatsache, dass sie für mein Empfinden nicht unbedingt sehr realisitisch gezeichnet ist. Welches zehnjährige Kind sagt denn wirklich solche Sätze:


    "Nein, weisst du, ich findee es natürlich schon ganz interessant, wie sie hier die Zeit eingesetzt haben ... Diese langen Einstellungen, meine ich. Die zwingen einen, das zu sehen, was man ... was man im wirkliche Leben nicht unbedingt sieht. Das ist sozusagen ein Anti-Chaplin-Film ..."


    :wow


    Hat das andere gar nicht gestört? Oder unterschätze ich zehnjährige Kinder?

  • Bei diesem Satz hat sich der Autor wirklich verhoben.
    Ansonsten ist die Stimme von Charly von Anfang an der Knackpunkt im Buch. Das wichtigtuerisch großspurige an ihm in Kombination mit einer Verletzlichkeit versteckt dahinter. Dieser Ton trägt das Buch, oder auch nicht. Das muss jeder Leser für sich entscheiden.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Bei diesem Satz hat sich der Autor wirklich verhoben.
    Ansonsten ist die Stimme von Charly von Anfang an der Knackpunkt im Buch. Das wichtigtuerisch großspurige an ihm in Kombination mit einer Verletzlichkeit versteckt dahinter. Dieser Ton trägt das Buch, oder auch nicht. Das muss jeder Leser für sich entscheiden.


    Danke für deine Eindrücke. Ich kann dir nur zustimmen, dass die Stimme von Charly wirklich der entscheidende Punkt dabei ist, ob das Buch für den jeweiligen Leser funktioniert oder nicht. 50 Seiten vor Schluss muss ich leider sagen, dass es für mich nicht so richtig funktioniert. Sätze wie der obere, oder auch die Tatsache, dass Charly als zehnjähriges (!) Kind Aufsätze über Sartre schreibt, haben mich irgendwann tatsächlich geärgert. Charly ist für mich einfach nicht realistisch gezeichnet worden. Vielleicht ändert sich dies auf den letzten Seiten ja noch einmal ...

  • Meine Eindrücke haben sich leider nicht mehr wirklich gewandelt auf den letzten Seiten. Ich habe das Buch ganz gerne gelesen, wirklich umhauen konnte es mich aber leider überhaupt nicht - vielleicht hatte ich im Vorfeld auch einfach zu hohe Erwartungen, aber irgendwie hatte ich mir mehr erhofft. Ich bin mit Charly und dessen Stimme einfach nicht warm geworden - wenn er sechzehn gewesen wäre, hätte ich ihn immer noch leicht anstrengend, aber okay gefunden. So musste ich die ganze Zeit denken: so ist doch kein Kind mit zehn Jahren!


    Geschichte und Sprache sind ganz nett, für mich aber weit entfernt von großer Literatur, was auch immer man darunter verstehen mag. An "Der Fänger im Roggen" reicht diese Variante in meinen Augen wirklich nicht ran.


    Fazit: nettes, flottes Leseerlebnis für zwischendurch.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Meine Eindrücke haben sich leider nicht mehr wirklich gewandelt auf den letzten Seiten. Ich habe das Buch ganz gerne gelesen, wirklich umhauen konnte es mich aber leider überhaupt nicht - vielleicht hatte ich im Vorfeld auch einfach zu hohe Erwartungen, aber irgendwie hatte ich mir mehr erhofft. Ich bin mit Charly und dessen Stimme einfach nicht warm geworden - wenn er sechzehn gewesen wäre, hätte ich ihn immer noch leicht anstrengend, aber okay gefunden. So musste ich die ganze Zeit denken: so ist doch kein Kind mit zehn Jahren!


    Mensch, bin ich froh, dass ich nicht als Einzige so empfunden habe! Ich mag in die allgemeine Bejubelung des Buches einfach nicht mit einstimmen. Aus genau denselben Gründen. Irgendwann habe ich mir die Haare gerauft - realistisch war Charly für mich nicht wirklich.
    Hier nun der volle Text meiner eigenen Rezension.


    ***


    Ach, hat man es schwer als kritischer Leser! Da stehe ich nun wieder einmal zwischen denen, die das Buch hochjubeln und gar mit dem "Kleinen Prinzen" vergleichen, und denen, die es ein wenig "too much" und überzogen finden. Doch so muss ich mir wenigstens Gedanken machen, wie ich meine Rezension verfasse, und kann bei niemandem abschreiben...


    Nein, den Vergleich mit dem "Kleinen Prinzen" kann und will ich nicht unterschreiben. Ein solches Buch lässt sich einfach nicht wiederholen! Und leider finde ich eben, dass man dem Buch durchaus sein "Rezept" anmerkt. Der Autor hat, da bin ich mir fast sicher, durchaus auf einen solchen Vergleich gehofft.


    Es fängt schon damit an, dass man sich das Nacherzählen der Handlung eigentlich sparen kann, weil es darum - fast - gar nicht geht. Die Handlung bietet nur einen Rahmen für die wild daherpurzelnde Gedankenwelt des Protagonisten und Ich-Erzählers, des 10jährigen Charly, einem farbigen Jungen aus Mali, der unter rechtlich höchst fragwürdigen Bedingungen in einer Pariser Vorstadt lebt. Man könnte das ganze Buch problemlos mit dem Satz "Ein Tag in der Vorstadt" zusammenfassen, und hätte inhaltlich nichts verloren.


    Charly schwänzt die Schule, weil seine Mutter verhaftet wurde. Er sucht nun seinen großen Bruder, den Junkie Henry. Außerdem streift er durch sein Viertel, unterhält sich mit diesem und jenem, kurz, eigentlich stellt er uns seine Welt dar. Das alles spielt sich an einem einzigen Tag ab, der nur durch Ortswechsel und Charlys "innere Uhr" strukturiert wird. Der logische Faden, der die Rahmenhandlung zusammenhält, ist meiner Meinung nach allerdings schon recht dünn. Das sieht man schon daran, dass das Ende des Buches völlig offen ist, und weder die Verhaftung der Mutter, noch deren Ausgang letztgültig geklärt wird. Das hat mich, ehrlich gesagt, doch frustriert! Und dabei mag ich eigentlich offene Enden.


    Es war einfach so durchsichtig, was der Autor vorhatte! Sicher, Charly ist charmant, und seine Gedanken überraschen, belustigen, und rühren bisweilen auch an. Aber, ehrlich gesagt, brauche ich dafür nicht dieses ganze Buch, nicht diese ein wenig bemühte Rahmenhandlung, um mich in das Seelenleben eines jungen Einwanderers hineinzuversetzen. Das hat ja schon Renaud mit seinen Songtexten genauso gut drauf gehabt! Und die sind kürzer...


    Ich finde, der durchaus charmante Inhalt hätte sich besser als Kolumne gemacht. Ein Zehnjähriger Einwanderer berichtet aus seinem Leben, fabuliert über dies und das. Dafür hätte es keinen "Roman" gebraucht! Zumal ich sowieso nicht verstehe, wie die - scheinbar illegale - Mutter von Charly erst nach 10 Jahren den Behörden aufgefallen sein soll...Und der Junge geht doch zur Schule! Er hat gute Noten, will sogar aufs "Collège". Also muss er doch Papiere haben? Schon allein für die Anmeldung an der Schule?? Das war mir alles ein wenig zu hoch.


    Ein wenig geärgert hat mich auch die Behauptung in Titel und Klappentext, Rimbaud sei der Lieblingsdichter des jungen Charly. Das stimmt so einfach nicht! Sicher, er mag generell Poesie und Philosophie. Doch das Buch von Rimbaud stiehlt (!) er erst an diesem Tag aus der Bibliothek, und hat vorher noch nie darin gelesen. Klappentext und Werbung hatten bei mir den Eindruck erweckt, Charly würde nun das ganze Buch über Rimbaud zitieren, oder Vergleiche zu ihm ziehen. Doch weit gefehlt! Erst der allerletzte Absatz des Buches ist ein Gedicht von Rimbaud.


    Doch, wie gesagt, will ich das Buch nicht ganz verreissen. Viele Gedanken Charlys haben mich wirklich schmunzeln lassen, besonders diejenigen zu Freundschaft und erster Liebe. Und ich habe viel Verständnis empfunden für seine etwas sprunghafte Art, hinter der sich nur mühsam das allgegenwärtige Label "ADHS" verbirgt... Gerade als ich jedoch begann, ihm wirklich nahe zu kommen, war das Buch schon zu Ende, und ließ mich mit seinen vielen offenen Fäden doch ein wenig im Regen stehen. Nun ja. Wenn man sich kurzweilig unterhalten lassen möchte...dann kann man dieses Buch wohl lesen.

  • Charly ist ein 10-jähriger Junge, der in einem Viertel der Pariser Banlieue lebt. Eines morgens auf dem Weg zur Schule wird er von Polizisten nach seinem Bruder und seiner Mutter gefragt. Er kann beobachten, wie seine Mutter mit der Polizei wegfährt und nimmt an, dass sie festgenommen wurde. Charly beschliesst die Schule zu schwänzen, macht sich auf die Suche nach seinem Bruder um herauszufinden, was seine Mutter getan haben könnte.
    Während dieser Suche erzählt er über sein Leben, über zugemauerte Geschäfte, über Feste in seiner Cité, was aus seinem Vater geworden ist, über seine Liebe zu Melanie und vor allem zu seiner Mutter. Seine Erinnerungen springen hin und her, lassen ein Thema abrupt fallen um auf das nächste zu springen.


    Diese Gedanken sind die Haupthandlung des Buches, das Buch beginnt mit Charlies Gedankensprüngen und endet genauso. Schade habe ich das offene Ende des Buches gefunden.


    Das Buch ist amüsant zu lesen, manchmal auch traurig. Man sollte aber auf keinen Fall zu hohe Erwartungen haben und schon gar keine tiefgründige Literatur erwarten.