Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau
"In diesem berühmten Standardwerk gibt S. de Beauvoir mit umfassendem Verständnis, profundem Wissen und überreichen Quellenmaterial eine geistreiche und aufklärerisch - progressive Analyse vom weiblichen Status und Selbstverständnis in Vergangenheit und Gegenwart. " (Umschlagtext)
Ein Klassiker ist nach Mark Twain ein Buch, das alle loben, aber keiner liest. Dieses Buch ist ein Klassiker. Ende der 40er Jahre macht sich in Paris eine Frau, knapp 40, eine zeitgenössiche Autorin auf dem Weg in die Berühmtheit - sie hat schon zwei große Romane veröffenlicht - an ein Buch über Frauen. Eigentlich will sie es gar nicht schreiben. Das Thema hat sich ihr gegen ihren Willen aufgedrängt. Monatelang sitzt sie in der Bibliothèque Nationale und brütet über Büchern. Ihre Entdeckungen verblüffen sie, verwirren, verunsichern sie und machen sie zornig. Das beeinträchtigt ihre Denkfähigkeit nicht. Sie ist studierte Philosophin.
Sie erkennt, denkt und formuliert. Was sie formuliert, ist nichts Geringeres als die philosophische Definition des Verhältnisses von Mann und Frau für die Moderne. Er ist das Eine, sie - das Andere. (Le deuxième im Original)
Diese Erkenntnis findet sich in kurzen Sätzen und klaren Worten in dem recht kurzen Einführungskapitel. Nie hätte sie gedacht, daß die eigentlich philosophische Definition einen denkerischen Siegeszug in so vielen Köpfen antreten würde.
Nach dem kurzen Vorwort folgen die Belege. Sie arbeitet historisch. Belege aus allen Epochen, allen Zeiten. Wie haben Frauen gelebt, wie habe sie gehandelt und vor allem, WARUM war das so?
Das alles am Stück zu lesen, ist kaum möglich. Die Welt, die hier vorgeführt wird, ist sehr fremd. Die Fülle der Details überwältigend, je nach Ausgabe erwarten die LeserInnen zwischen 700 und 800 Seiten.
Dennoch: unbedingt lesen. Stückchenweise, mal da über die Kindheit von Frauen, mal da übers Arbeitslesen und dort über Frauen in der Literatur. Vor allem aber sehr sorgfältig und in aller Ruhe das Vorwort.
Das Buch ist kein Pamphlet, kein Aufruf zu einer wie auch immer gearteten Revolution. Es erweitert nur den Blick, bringt immenses Wissen und schließlich, gaz allmählich, verändert es uns.
Was kann sich eine Autorin mehr wünschen? Kein Mark Twainscher Klassiker zu werden.
magali