Von Menschen und Göttern

  • OT: Des hommes et des dieux
    Frankreich, 2010


    R: Xavier Beauvois
    B: Xavier Beauvois, Etienne Comar
    D: Lambert Wilson, Michael Lonsdale


    Website zum Film




    Inhalt:


    Atlasgebirge / Algerien, Mitte der 1990er Jahre. Im Land herrscht Bürgerkrieg, der aber vom Dorf Tibhirine noch weit entfernt ist – und noch weiter vom Kloster Notre-Dame de l’Atlas, in dem neun Trappistenmönche nach den Regeln ihres Klosters leben. Sie bauen Gemüse an, verkaufen Honig auf dem Markt, und Bruder Luc ist der Arzt für das gesamte Dorf. Prior Christian beschäftigt sich mit dem Koran, und überhaupt pflegt die kleine Mönchsgemeinschaft ein harmonisches Miteinander mit den muslimischen Dorfbewohnern.
    Als jedoch Rebellen nicht weit vom Kloster entfernt kroatischen Arbeitern die Kehle durchschneiden, holt der Terror im Land die Mönche ein. In der Weihnachtsnacht dringen Rebellen in das Kloster ein und fordern medizinische Hilfe. Prior Christian entscheidet sich für einen Mittelweg zwischen Hilfe und verbalem Widerstand.
    Für die Ordensbrüder beginnt eine Zeit der Angst, des Zweifelns und der Diskussion, ob sie bleiben wollen oder doch lieber das Kloster verlassen und sich in Sicherheit bringen. Denn der Bürgerkrieg wird auch nicht vor dem Dorf und dem Kloster Halt machen …


    Hintergründe:


    Der Film beruht auf den wahren Ereignissen um das Kloster Notre-Dame de l’Atlas. 1996 wurden sieben der Brüder von Bewaffneten entführt; zwei konnten sich verstecken.
    Eine terroristische Splittergruppe bekannte sich zu dieser Entführung und forderte die Freilassung eines ihrer Anführer; die sieben Mönche wurden später ermordet aufgefunden.
    Unklar ist bis heute, ob es tatsächlich Terroristen waren – oder die staatliche Armee, um die Öffentlichkeit gegen die Rebellen aufzubringen.


    Wikipedia über das Kloster und die Entführung der Mönche


    Wikipedia zum Orden der Trappisten



    Meine Meinung:


    Dieser Film wurde mir dringlichst empfohlen, und trotz erheblicher Vorbehalte habe ich mir ihn dann auch angesehen. Selten habe ich mich über die Inhaltsangaben zu einem Film derart geärgert wie bei diesem – denn diese ließen einen Film über islamistischen Terror vermuten.
    Weit gefehlt, das ist er nämlich nicht.
    Es ist nicht mal ein Film über den Islam, zumindest nicht hauptsächlich. Es ist ein bisschen ein Film über den christlichen Glauben und seine Werte wie Nächstenliebe, wie Demut, Glaubenszweifel und Gottvertrauen.
    Vor allem aber ist es ein Film über Menschen und Menschlichkeit. Und über den Glauben, unabhängig von einer Religion.


    Der Film kommt extrem schlicht daher, beinahe dokumentarisch, in blassen Farben und fast schon bescheidenen Bildern. Die Bilder überwiegen, Dialoge sind spärlich und erstaunlich leise, während Geräusche wie die Bagger auf der Baustelle vor dem Mord an den Arbeitern und das Geknatter des Hubschraubers in einer späteren Szene überlaut wirken. Doch diese Dialoge sind derart auf den Punkt und schön und klug und poetisch, dass ich Einiges davon am liebsten mitgeschrieben hätte.


    Viel Raum nimmt das Leben der Mönche ein, ihr Tagesrhythmus, ihre Beschäftigungen; ungewohnt, dass ein Film ein solch langsames Erzähltempo aufweist und mit so viel Stille arbeitet. Sehr viele Szenen zeigen die Mönche beim Gottesdienst in der Kapelle des Klosters, immer begleitet von liturgischen Gesängen – und die sind unglaublich schön und bewegend. Für mich war es ein sehr eine fremde Welt, in die ich da Einblicke erhielt, und deshalb umso interessanter.


    Ich war sehr angetan davon, dass der Film auf irgendwelche Schwarz-Weiß-Malereien verzichtet, auf klare Zuordnungen von Gut und Böse. Die Grenze dazwischen verschwimmt und auch, woher letztlich die Bedrohung für das Leben der Mönche stammt: von den Rebellen oder doch von der Armee? Eines jedoch macht der Film unmissverständlich, wenn auch angenehm unaufdringlich klar: nicht vom Islam als solchem, nicht von den Muslimen an sich.
    Ebenso gefiel mir, dass er das Rätsel um die Entführung und die Ermordung der Mönche als solches belässt; der Film deutet an, erklärt aber nicht – und vor allem fehlt ihm jeglicher erhobener Zeigefinger, obwohl die Botschaft deutlich rüberkommt.


    Völlig hingerissen bin ich jedoch von den Darstellern; ich mag kaum glauben, dass das alles wirklich Schauspieler gewesen sein sollen – und keine „echten“ Mönche. Zweifel, Ängste, Konflikte mit sich und anderen, Hoffnung, Glauben, Freude, Glück, Wärme, Liebe zur Natur, zur Welt, zu den Menschen werden erlebbar dargestellt; da wirkt nichts aufgesetzt, nichts gekünstelt oder gar gespielt. In der letzten Szene vor der Entführung hält die Kamera extrem dicht auf die Gesichter der Mönche, Gesichter, in denen ein ganzes Leben zu lesen ist und so viel an menschlicher Gefühlswelt, ungeschönt – und genau deshalb schön und anrührend.


    Mich hat dieser Film tief berührt, gerade deshalb, weil er eine ganz eigene Sperrigkeit und Nüchternheit besitzt und trotzdem voller Emotionen ist und eine ungewöhnliche Natürlichkeit aufweist.
    In einer für mich gerade nicht ganz leichten Phase hat er mich durchatmen lassen und ich bin still und ruhig und nachdenklich und gestärkt aus dem Kino wieder heraus.
    (und zwar so sehr, dass ich völlig vergessen habe, mich an der Kasse darüber zu beschweren, dass der Kinosaal ungeheizt und daher schweinekalt war – es war bis zum Ende des Films einfach nicht mehr wichtig).


    Und so gebe ich die Empfehlung für diesen Film einfach weiter: angucken, unbedingt!

  • Da hast Du aber eine wundervolle Kritik geschrieben, ich finde sie total klasse! :-)


    Den Film möchte ich auch unbedingt sehen. Er lohnt sich auch, wenn man nicht gläubig ist, oder?


    Lg, :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Dankeschön, rienchen!


    Zitat

    Original von rienchen
    Er lohnt sich auch, wenn man nicht gläubig ist, oder?


    Finde ich schon. Ich bin auch nicht so sehr gläubig, noch nicht einmal katholisch; die Szenen aus den Gottesdiensten der Mönche waren mir recht fremd, fast noch mehr als die, die das Leben der muslimischen Dorfbevölkerung zeigten, und gerade deshalb fand ich sie so faszinierend. :-)