Der freundliche Mr. Crippen [Crippen] - John Boyne

  • Zum Inhalt ( Quelle:/www.fantasticfiction.co.uk/b/john-boyne/crippen.htm )


    July 1910: a gruesome discovery has been made at 39 Hilldrop Crescent,
    Camden. Buried in the cellar are the remains of Cora Crippen, former
    music-hall singer and wife of Dr Hawley Crippen. But Dr Crippen and his
    mistress Ethel Le Neve have disappeared, and a full-scale hunt for them
    has begun. Across the Channel in Antwerp, Captain Kendall gives the
    order for the SS Montrose to begin its two-week voyage to Canada. On
    board are 1300 passengers, including the overbearing Antonia Drake, the
    unassuming Martha Hayes and the enigmatic Mathieu Zela. And, slipping in
    almost unnoticed, a Mr John Robinson with his seventeen-year-old son
    Edmund ...


    Meine Beurteilung


    "Crippen" vereint die Merkmale eines biographischen Romans, eines historischen Romans und eines Krimis. Da John Boyne sein Buch in einem dem Buchtext folgenden Interview als "the first completely historical book" seiner Schriftstellerkarriere bezeichnet, ordne ich es in der Rubrik "Historische Romane" ein.
    Die Handlung des Romane basiert auf dem wahren Fall der 1910 ermordeten Cora Crippen, deren in viele Einzelteile zerlegte Leiche im Keller ihres Wohnhauses gefunden wurde. Ihr Mann, Dr. Harvey Crippen , der zunächst behauptet hatte, seine Frau habe ihn wegen eines anderen Mannes verlassen und sich nach Amerika abgesetzt, schiffte sich mit seiner Geliebten Ethel le Neve nach Kanada ein, als Scotland Yard im Fall seiner vermissten Frau zu ermitteln begann. Crippen reiste mit seiner Geliebten als Mr.Robinson und Sohn Edmund auf der Montrose von Antwerpen nach Quebec. Der Kaptän des Schiffs, Mr Kendall, erkannte das Paar, als er eine englische Zeitung mit Crippens Steckbrief las. Dank des brandneuen Telegraphen an Bord schickte er eine Meldung nach Scotland Yard, woraufhin der zuständige Beamte Inspector Walter Dew ein schnelleres Schiff bestieg, die Montrose einholte und Crippen kurz vor dessen Ankunft in Kanada noch auf See festnehmen konnte.
    Crippen wurde des Mordes für schuldig befunden und am 23.11.1910 gehängt, Ethel le Neve wurde vom Vorwurf der Mittäterschaft freigesprochen und verbrachte den Rest ihres Lebens in Toronto.
    An dem historischen Mordfall ist vieles noch ungeklärt, niemand weiß genau, was sich in der Mordnacht abgespielt hat. John Boyne hat diese Lücken schriftstellerisch aufgefüllt und bietet eine Version dar, wie es gewesen sein könnte. Dabei gliedert er den Roman in 19 Kapitel und einen Epilog. Die Kapitel beschreiben abwechselnd die in der Festnahme Crippens gipfelnde Reise auf der Montrose (Ende Juli 1910) und das gesamte frühere Leben Crippens, angefangen von seinen Kinderjahren unter der Fuchtel einer fanatisch religiösen Mutter, das in gewisser Weise für seine Beziehung zu Frauen richtungsweisend wurde, bis zum dramatischen Schlusspunkt unter seine Ehe, in der er von seiner Frau drangsaliert, gedemütigt und sogar tätlich angegriffen wurde.
    Boyne entwirft die Charaktere sowohl der historischen als auch der fiktiven Figuren mit viel Liebe zum Detail und einer Menge Humor. Allerdings muss man ihn bei dieser Lektüre der Misogynie verdächtigen, da die Frauen insgesamt sehr schlecht wegkommen. Sie sind größtenteils egoistische, heuchelnde Emporkömmlinge und Klatschweiber, die nach Geld, Titeln oder Prominenz gieren. Paradoxerweise ist Crippens Geliebte Ethel die einzige Frau, die aufrichtige Gefühle hat und nicht nur auf ihren Vorteil bedacht ist. Auch wenn manches ein wenig überzeichnet scheint, gibt es auch im 21. Jhdt solche Exemplare. ;-)
    Die Handlung ist gut - und teilweise recht überraschend - konstruiert, der Leser wird feststellen, dass er es sich zu einfach macht, wenn er meint, den weiteren Verlauf absehen zu können...
    John Boyne zeichnet ein anderes Bild von Crippen als das des "irren Mörders" als der er, nicht zuletzt wegen seines Standort im "chamber of horrors" bei Madame Tussaud´s in London berüchtigt geworden ist. Es ist ein Bild, das durchaus denkbar ist.
    Dieser Roman hat mich ausgezeichnet unterhalten und in seinen schonunglosen Charakterzeichnungen amüsiert. Schade, dass er offenbar bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde ! Für Leser mit guten Englischkenntnissen vergebe ich eine unbedingte Leseempfehlung. :lesend


    10 Punkte


    Edit: Für das Verzeichnis den deutschen Titel und die ISBN eingefügt. LG JaneDoe

  • Das klingt interessant.
    Ich erinnere mich, dass über Dr. Crippen sogar Filme gedreht wurden. Heute ist der Mann nur noch wenigen ein Begriff, obwohl der Mordfall seinerzeit großes Aufsehen erregte und noch Jahrzehnte danach durch die Medien geisterte.


    Für Interessierte noch ein Link zu mehr Background-Infos:

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Titel: Der freundliche Mr Crippen
    OT: Crippen
    Autor: John Boyne
    Übersetzt aus dem Englischen von: Werner Löcher-Lawrence
    Verlag: Arche Literatur Verlag Zürich-Hamburg
    Erschienen: Oktober 2013
    Seitenzahl: 560
    ISBN-10: 3716027006
    ISBN-13: 978-3716027004
    Preis: 22.95 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Am 20. Juli 1910 verlässt das Passagierschiff S.S. Montrose den Hafen von Antwerpen und steuert mit rund 1.400 Fahrgästen in Richtung Quebec. Unter ihnen aus London ein Vater mit seinem Sohn. Im März desselben Jahres meldet im Londoner Büro von Scotland Yard eine Frau ihre Freundin Cora Crippen als vermisst und äußert einen ungeheuerlichen Verdacht: Coras Ehemann, der Arzt Hawley Crippen, soll seine Frau ermordet haben. Inspektor Walter Drew schenkt diesem Hinweis jedoch keinerlei Glauben, denn Mr Crippen gilt als überaus freundlich, sympathisch und harmlos. Doch auch Mr Crippen scheint wie vom Erdboden verschluckt, und dann macht Scotland Yard eines Tages einen grausigen Fund.


    Der Autor:
    John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er studierte "Englische Literatur' und 'Kreatives Schreiben' in Dublin und Norwich. Er ist der Autor von sechs Romanen, darunter "Der Junge im gestreiften Pyjama", der zwei Irische Buchpreise gewann, für den "British Book Award" nominiert war und vor kurzem verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.


    Meine Meinung:
    Auf 560 Seiten erzählt John Boyne die Geschichte des Arztes Dr. Crippen – eine Geschichte, die sich in Teilen wirklich so zugetragen haben soll. Einiges hat sich wirklich so zugetragen, anderes wiederum wurde aus Gründen der Spannung hinzugedichtet, wie der Autor in seiner Schlussbemerkung verrät. Die Geschichte plätschert ohne große Höhepunkte vor sich hin, mal spielt sie in der Vergangenheit und mal spielt sie in der Gegenwart, was in diesem Fall das Jahr 1910 bedeutet. Boyne erzählt in einem gleichmässigen Ton, variiert nicht das Tempo und so wartet man als Leser 560 Seiten auf den erzählerischen Höhepunkt, der dann aber nicht kommt. Naja – es gibt sicher Schlimmeres. Boyne ist ein freundlicher Erzähler, der sich aber bemühen muss nicht in die Schublade „Langweiler“ gesteckt zu werden. Denn dieses Buch wird niemand den Schlaf rauben, vielmehr könnte es dem einen oder anderen Leser sogar eher als Einschlafhilfe dienen. Offengestanden hat mich Boyne wieder einmal enttäuscht. Schon mit seinem Pyjama-Roman hat er sich hoffnungslos übernommen – und nun dieser Roman. Nicht schlecht, aber auch nicht gut – solider Durchschnitt, der sich aber eher nach unten orientiert. Die handelnden Personen bleiben sämtlichst blass, man könnte fast sagen, es fehlt ihnen die Individualität. Boyne erzählt leidenschaftslos; aber vielleicht wirkte seine eigene Erzählweise auch auf ihn selbst einschläfernd. So war diese Buch im Endergebnis eher eine Enttäuschung – auch wenn es sicher größere literarische Enttäuschungen für mich gegeben hat. Eine Leseempfehlung gibt es nicht von mir und 5 Eulenpunkte werden es dann auch nur mit großem Wohlwollen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Worum es geht
    Am 20. Juli 1910 verlässt das Passagierschiff Montrose den Hafen von Antwerpen, und nimmt Kurs auf Quebec. In der ersten Klasse mit an Bord sind der liebenswürdige Mr. John Robinson und sein Sohn Edmund, unkomplizierte Passagiere, die niemandem auffallen, bis Kapitän Kendall eines Abends eine äußerst merkwürdige Entdeckung macht. Ein im Kapitän aufkeimender Verdacht veranlasst ihn, an Scotland Yard zu telegrafieren.
    In London hat sich Mrs. Louise Smython ebenfalls an die Polizei gewandt, findet sie doch das sang- und klanglose Verschwinden ihrer Freundin Cora Crippen, das so gar nicht zum temperamentvollen Charakter der Sängerin passt, äußerst seltsam. Ohne sich zu verabschieden, sei sie zu einem kranken Verwandten nach Amerika aufgebrochen und dort verstorben, behauptet zumindest ihr Ehemann.
    Wenig später trifft die Nachricht von der Montrose ein, und ein spektakulärer Kriminalfall kommt ans Tageslicht.


    Meine Meinung
    Vom realen historischen Hintergrund des Mordes an Cora Crippen nichts wissend, bin ich völlig unbelastet an die Lektüre herangegangen. Erst im Anschluss habe ich mich kundig gemacht und erfahren, dass es im tatsächlichen Mordfall viele Ungereimtheiten und offene Fragen gab. Diesen Umständen ist es wohl zu verdanken, dass der Autor seine eigene Version der Vorkommnisse niedergeschrieben, und diese Aufgabe meiner Meinung nach ganz hervorragend gemeistert hat.
    Sehr gut fand ich den Lebensweg von Harvey Crippen geschildert, und auch seine sich häufig wie eine Furie gebärdende Ehefrau Cora konnte ich mir bildhaft vorstellen. Sie träumt von einer großen Karriere als Sängerin, ohne zu erkennen, dass ihr dafür das nötige Talent fehlt. Die frustrierte Cora lässt ihre Wut am armen Harvey aus, der von seiner Angetrauten sogar verprügelt wird.
    Der brillante Erzähler und scharfsichtige Beobachter John Boyne hat aber nicht nur seinen Hauptfiguren Leben einzuhauchen vermocht, sondern auch seinen Nebenakteuren viel Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Besonders gut fand ich die redselige und dünkelhafte Mrs. Antoinette Drake charakterisiert, während ich mit der Darstellung der puritanischen Mutter des Harvey Crippen irischen Humor kennen und schätzen gelernt habe.
    In Vor- und Rückblenden rollt der Autor eine äußerst dramatische Geschichte auf, die mich von der ersten bis zur letzten Seite völlig in ihren Bann gezogen hat. Der Leser begleitet Harvey von seiner Kindheit, seinem beruflichen Werdegang und seiner unglücklichen Ehe bis zur Flucht mit seiner Geliebten Ethel LeNeve. Keinen Augenblick kam Langeweile auf, in atemloser Spannung habe ich das Leben des Protagonisten verfolgt, oder wollte wissen, wie es auf der Montrose weitergeht. Selten ist mir ein so rasant geschriebener, leicht und flüssig zu lesender Roman auf hohem sprachlichen Niveau in die Hände gefallen, der mich auch noch glänzend unterhalten hat.
    Bewundernswert fand ich die fantasievolle Variation des realen Mordfalles, die John Boyne in seinem Buch vorlegt. Dass es so gewesen sein könnte, möchte ich trotz aller Begeisterung für das Werk bezweifeln, doch hat mir die überraschende Wende am Ende des Romans so gut gefallen, dass ich sie als dichterische Freiheit gerne akzeptiere und <3<3<3<3<3 von 5 vergebe.


    Der Originaltitel: Crippen - A Novel of Murder


    ASIN/ISBN: 9783492305563