Ein Akt der Gewalt / Ryan David Jahn

  • Das Buch erscheint im Februar 2011, ich habe es als Vorabexemplar des Vine-Programms erhalten, weshalb laut Amazon keine Rezensionssperrfrist gilt.


    Kurzbeschreibung
    Brutal, schockierend, berührend – ein literarisches Meisterwerk


    Es ist vier Uhr früh, als sich Katrina Marino auf den Heimweg macht. Die Straßen sind menschenleer, trotzdem hat Katrina das Gefühl, beobachtet zu werden. Als sie sich wenig später ihrer Haustür nähert, nimmt sie aus dem Augenwinkel eine Gestalt wahr. Noch bevor sie reagieren kann, ist der Angreifer über ihr und sticht mit einem Messer auf sie ein. Katrina fängt an zu schreien. Katrinas Nachbarn hören ihre Schreie. Alle schauen aus ihren Fenstern, doch wer unternimmt etwas?


    Auf dem Heimweg von der Arbeit wird Katrina Marino in den frühen Morgenstunden Opfer eines brutalen Überfalls. Der Angriff findet direkt vor ihrer Haustür statt – und unter den Augen ihrer Nachbarn, die fast ausnahmslos untätig bleiben. Jeder hat mit seinem eigenen kleinen Drama zu kämpfen. Der 19-jährige Patrick etwa, der zur Armee eingezogen werden soll, aber für seine kranke Mutter sorgen muss. Oder Diane, die sich mit ihrem Ehemann streitet, weil dieser sie betrügt. Sie hören Katrinas Schreie und sehen, dass vor ihrer Haustür etwas Schreckliches passiert. Katrina spürt die Betrachter und ihre Blicke und hofft auf Hilfe. Und sie kämpft gegen den Tod. „Ein Akt der Gewalt” basiert auf einer wahren Geschichte, dem Mord an Kitty Genovese, der 1964 weltweit für Schlagzeilen sorgte und dessen Umstände später unter dem Begriff Bystander-Effekt in die Kriminalgeschichte eingingen.



    Über den Autor
    Ryan David Jahn wuchs in Arizona, Texas und Kalifornien auf. Mit sechzehn Jahren verließ er die Schule, um in einem Plattenladen zu arbeiten. Seit 2004 arbeitet er als Drehbuchautor für Film und Fernsehen. Er lebt mit seiner Frau Mary in Los Angeles. Ein Akt der Gewalt, Ryan David Jahns erster Roman, wurde mit dem renommierten Debut Dagger Award ausgezeichnet.



    Meine Meinung:
    Irgendwie tu ich mich schwer, dieses wirklich gute Buch, tatsächlich als Thriller einzusortieren, denn es stellt eigentlich mehr einen zeitgenössischen Gesellschaftsroman dar. Es ist keineswegs ein klassischer Whodunit-Krimi, sondern es geht um so viel mehr. Ist so viel eindringlicher und bewegend geschrieben.
    Hier und da war mir der Stil ein wenig zu brüsk und holperig, was jedoch durch die absolut gute Geschichte oder vielmehr Geschichten. Denn die Geschehenisse werden aus der Sicht vieler Teilnehmer geschildert, jeder erlebt den Abend anders und jeder ist in andere Machenschaften verwickelt, hat seine eigenen Probleme und Kämpfe auszufechten.
    Ein sehr sehr gutes Buch, aber sicherlich kein leichtes.

  • Meine Meinung:


    Der erste Satz: "Auf einem Parkplatz fängt es an."


    Diese düstere, aufreibende Geschichte lebt von ihrer brutalen Realität.
    Ich bin ehrlich gesagt nicht sicher, wie ich diese Rezension am besten bewerkstelligen soll.
    Das Buch hat mich tief bestürzt und bewegt zurückgelassen, mit einem anderen Blick auf die Welt und die Menschen, die in ihr leben.


    Katrina Marino ist nach ihrer Arbeit in einer Kneipe auf dem Weg nach Hause. Eine selbstständige, junge Frau, die sich nicht einmal zu Schade ist um 4 Uhr am Morgen einen Reifen an ihrem Auto zu wechseln. Eine Frau, die ihr Leben noch vor sich hat.
    Kurz vor ihrer Haustür wird sie von einem fremden Mann überfallen, niedergestochen.
    Ihre Schreie lassen die Nachbarn in den Wohnungen rings um sie heraum aufhorchen. Sie stehen an den Fenstern, sehen das Verbrechen und schreiten nicht ein.
    Im Verlauf der Geschichte, lernt man die vielen verschiedenen Menschen und ihren Alltag kennen.
    Die Menschen aus den Wohnungen.
    Ryan David Jahn beschreibt anschaulich, realitätsnah und dramatisch.
    So viele verschiedenen Menschen, ihre Probleme, ihr Leben und Lieben.


    Stellenweise ist es beinahe schwierig, die vielen verschiedenen Geschichten auseinanderzuhalten, an denen man als Leser teil hat.
    Die Geschichte spielt in Amerika und ich frage mich, ob das alltägliche Leben in Amerika so viel spannender ist, als hier bei uns. Denn ich muss zugeben, dass ich das Leben der Figuren teilweise wirklich etwas zu übertrieben fand.
    So viele Krisen und Probleme, so viele außergwöhnliche Geschichten so nah bei einander. Das klingt fast schon übertrieben pessimistisch.
    Doch vielleicht ist genau das Problem unserer Gesellschaft, dass wir denken, dass es all die Probleme, die menschlichen Krisen, die man im Fernsehen sieht nicht geballt auf einem Flecken Erde geben kann.
    Wir können uns nicht sicher sein, welche Krisen sich hinter den Wänden unserer Nachbarn wirklich abspielen. Umso erschreckender sind die Geschichten an denen Ryan David Jahn uns hier teilhaben lässt.


    Die Geschichte um Katrina Marino hat mich tief bewegt, es erinnert an die vielen Aufrufe nach Zivilcourage die es in letzter Zeit immer wieder gab.
    "Wenn ihr ein Verbrechen seht - dann greift ein."
    Doch ist es wirklich so einfach?
    Die Menschen, die das Verbrechen an Katrina Marino beobachten schreiten nicht ein. Sie schreiten nicht ein, weil sie sich auf die Anderen verlassen. "Die Anderen werden sicher schon etwas unternommen haben."


    Die Geschichte ist so brutal, so real geschrieben, dass es einem schwer fällt ruhig zu bleiben.
    Ich war tief bewegt, von allen Schicksalen, habe mich bei jedem gefragt, wieso es geschieht und nie konnte man vergessen, dass alles was man liest zur selben Zeit geschieht, wie der Überfall auf Katrina.
    Da wird einem schmerzlich bewusst, dass man oft mit geschlossenen Augen durch die Welt geht. Das einem nicht bewusst ist, wie viel in den Wänden um einen herum geschehen kann, während man selbst gerade auf der Couch liegt, ein gutes Buch liest und es schlussendlich vollkommen beeindruckt zuschlägt.


    Ein unglaublich beeindruckendes Buch.


    Diese Rezension ist mir wirklich schwer gefallen, weil es unheimlich schwierig ist die passenden Worte für dieses Buch zu finden.
    Doch ich kann es nur jedem empfehlen, der einmal eine andere Art des Krimis lesen möchte.



    Liebe Grüße,
    Jacky :-)

  • Zitat

    Original von Phantasia09


    Diese Rezension ist mir wirklich schwer gefallen, weil es unheimlich schwierig ist die passenden Worte für dieses Buch zu finden.


    Hut ab dafür!
    Ich hingegen habe Tage an einer Rezi gesessen und schließlich hingeschmissen, weil mein (Un-)Vermögen, meine Gedanken zu Papier zu bringen einen neuen Tiefpunkt erreicht hat :rolleyes
    Daher schließe ich mich Deinem "beeindruckend" an und hänge noch ein
    aufwühlend, unbequem, virtuos und ein kompromisslos hinten dran.
    Diese Adjektivparade wird dem Roman zwar nicht wirklich gerecht, aber immerhin habe ich meine Begeisterung dafür doch noch zum Ausdruck gebracht ;-)
    Es ist übrigens besonders großartig, wie der Autor Stimmungen transportiert.
    Wie er aus grob skizzierten Dialogen, aus kleinen Gesten, kurzen Blicken, beiläufig eingeflochtenem Mienenspiel, ein derart intensives Stimmungsbild seiner Figuren entwirft, dass deren Verzweiflung, Resignation, Verbitterung und so viele andere Emotionen zum Greifen nahe sind.
    Für mich ist "Ein Akt der Gewalt" ein perfekt komponierter, uneingeschränkt empfehlenswerter Roman!

  • Stell Dir vor Du wirst ermordet und keiner greift ein. Um diese zentrale Kernaussage dreht sich Ryan David Jahns Buch, dem ein realer Fall aus dem Jahre 1964 zugrunde liegt und anhand dessen erstmalig das psychologische Phänomen des "Bystander-Effektes", des Zuschauen aber nicht Helfen-Effektes näher definiert wurde. Eine junge Frau wird vor den Augen ihrer Nachbarn ermordet. Viele Menschen bekommen zumindest teilweise mit, was sich unten im Hof des Wohnkomplexes abspielt, aber niemand greift ein. Niemand schaut nach, was passiert. Niemand ruft die Polizei, jeder schiebt die Verantwortung auf den nächsten, der ganz bestimmt die Polizei ruft, denn es wäre ja schlimm, wenn mehr als eine Person den Überfall meldet und man so vielleicht noch an einer Überlastung der Telefonleitungen schuld wäre.
    Die Gründe für das Wegsehen sind vielfältig: persönliche Sorgen, die genau in diesem Moment die Gedanken von den Geschehnissen im Hof ablenken; Egoismus, weil man ja im Anschluss eventuell als Zeuge aussagen muss und man nicht "in die Sache" verwickelt werden möchte und man den Zeitaufwand scheut; Desinteresse an den Dingen, die außerhalb der eigenen vier Wände passieren.


    Der Leser wird hier zum Voyeur, nicht nur des Mordes, sondern auch der intimsten Ereignisse und Seelennöte der wegsehenden Nachbarn, deren Mikrokosmos sich im Moment des Mordes nur um sich selbst dreht. Wie einen Spielball gibt der Autor die Erzählperspektive, die in der Gegenwartsform gehalten ist, von einem Nachbar an den nächsten weiter und so erlebt man nicht nur den Überfall auf Kat, ihre Todesangst und Verzweiflung aus deren eigener Perspektive mit, sondern erfährt nach und nach, was die Menschen in diesem Wohnkomplex in der Zeit zwischen vier Uhr morgens und der Dämmerung fühlen, wahrnehmen und schlimmer noch, sehen und ignorieren. Jahn verzichtet hier zwar auf Ich-Erzähler, es wirkt aber aufgrund des sehr persönlichen Schreib- und Erzählstils trotzdem extrem beklemmend.


    Ryan David Jahn schreibt zutiefst verstörend. Fassungslos sitzt man hier beim Lesen und denkt: es muss doch endlich jemand reagieren. Es kann doch nicht sein, dass alle ihre Augen verschließen und sich nur mit sich selbst beschäftigen, aber es ist so. Quälende Stunden vergehen, in denen man als Leser das Sterben miterlebt. Die einzige Person, die vielleicht genug Courage besessen hätte um zu helfen, wird an anderer Stelle aufgehalten und kommt letztendlich zu spät.


    Ich würde mir wünschen, dass Ryan David Jahns Buch nicht nur viele Leser findet sondern auch zur Schullektüre wird als abschreckendes Beispiel für das was passiert wenn man wegsieht, wenn man die Verantwortung und die Pflicht zum Handeln mit dem Gedanken verdrängt "der andere wirds schon richten". Niemand muss sich einer Gefahr für das eigene Leben aussetzen. Aber manchmal genügt schon ein einziger Anruf, um ein anderes Leben zu retten.

  • Für mich ist dieses Buch leider gar nichts. Ich breche es nach 74 Seiten ab und quäle mich nicht weiter.


    Mir war das ganze zu unpersönlich, zu kalt, zu zusammenhanglos. Ich habe in die einzelnen Geschichten keine Struktur reinbekommen. Es ist alles ziemlich düster, jeder hat seine eigenen Probleme und seine Sorgen, aber mich hat es nicht berührt. Für mich ergab sich auf diesen Seiten kein harmonisches Gesamtbild, kein Sog, der mich in meiner freien Zeit zu diesem Buch greifen ließen. Mich haben diese Menschen eher genervt als interessiert.


    Vielleicht hätte sich ein runderes Bild im weiteren Verlauf aufgetan, aber Stil und Erzählweise sind so gar nicht mein Ding. Schade, ich war sehr neugierig auf das Buch, das mir der wahre Mordfall dahinter schon lange geläufig ist. Leider konnte mich der Autor für seine Idee, das ganze aus der Sicht der Menschen, die nichts unternahmen, um einen Mord zu verhindern, nicht überzeugen. Ich finde die Idee auch gar nicht so bemerkenswert. Jeder hat seine Probleme und seinen Grund, warum er etwas tut oder nicht tut. Das so ausführlich zu hinterfragen und zu schildern, löst bei mir keinen Aha-Effekt aus. Im Grunde ist das doch allen bekannt.


    Bei wikipedia kann man über den Fall nachlesen, dort steht auch, wie ich mich auch aus einem englischen Artikel zu erinnern glaube, das keiner der "Beobachter" wirklich was beobachtet haben konnte bzw nur einen Teil des Geschehens mitbekam ohne den Ernst der Lage wirklich zu erfassen. In der Frankfurter Rundschaú habe ich vor ein paar Wochen einen Artikel zu diesem und einem zweiten Buch zu dem Fall gelesen. Vielleicht schaue ich mir mal das Buch des anderen Autors an.

  • Ich bin gerade bei Kapitel 25 angekommen und ehrlich gesagt ein wenig stutzig. Mag mir jemand verraten, ob der Autor mit dem" Zwei-Satz-Kapitel" irgendetwas tiefgründiges mitteilen möchte? Ich werde daraus irgendwie nicht schlau. ( Oder ich will in den Roman einfach zu viel hineininterpretieren ^^)

  • Batzen,
    relativ am Anfang (Kapitel 5) wird die Uhr erwähnt, die in Diane Myers Wohnzimmer hängt. Statt der Ziffern befinden sich Tierbilder auf dem Ziffernblatt. Bei jeder vollen Stunde gibt das jeweilige Tier Laut.
    "Die Uhr schlägt fünf. Die Kuh macht Muh" ist also ganz wörtlich als Zeitangabe gemeint.

  • Als erstes muss ich bemerken, dass ich den Titel des Buches nicht passend finde. Es wirkt zu nett und zu sachlich um diesem Inhalt gerecht zu werden. Ich hätte aber auch keinen Vorschlag, wie man es sonst hätte nennen sollen.


    Als ich das Buch angefangen habe, dachte ich erst, dass das arme Mädchen umgebracht wird und sich dann alles darum dreht, dass man herausfindet, wie es passieren konnte, dass niemand etwas getan hat. Tatsächlich ist es aber so, dass das Buch in der Gegenwartsform sozusagen zeitgleich zu dem, was Kat erleidet, aus verschiedenen Perspektiven beschrieben wird.


    Jedes Kapitel zeigt eine andere Sichtweise. Die Sichtweise des Mörders wird auch beleuchtet. Die Kapitel sind kurz und meist mit einem Cliffhanger geschrieben, so dass man einfach nicht anders kann als weiterlesen. Die Stimmung ist sehr düster gehalten. Man merkt den einzelnen Personen die Hoffnungslosigkeit in ihrem Leben an.


    Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass manche Szenen in dem Buch sehr detailliert dargestellt sind. Wer nicht gerne in allen Einzelheiten wissen muss, wie es sich anfühlt, wenn einem ein Messer in der Brust steckt, der sollte die Finger von dem Buch lassen.


    Alles in allem hat mir das Buch sehr gut gefallen und ich werde mit Sicherheit das nächste Buch vom Autor ebenfalls lesen. Von mir gibt es die volle Punktanzahl.