Titel der englischsprachigen Originalausgabe: "We are Iran"
Zum Buch
Nasreen Alavi fängt die unglaublich lebendige Untergrund-Szene der iranischen Blogger ein und schildert ein junges, modernes Land, das kurz davor zu stehen scheint, die Mullah-Herrschaft abzuschütteln – sofern kein militärischer Angriff von außen erfolgt. Wo gibt es auf der Welt eine moderne islamische Gesellschaft, fragen im Westen viele – dabei wissen wir nur nicht, was im Iran unter der Decke des fundamentalistischen Regimes vor sich geht.
Der Bildungsstand und die Vertrautheit mit modernen Medien sind im Iran höher als in manchen europäischen Ländern; 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre. Und das Internet ist zu dem Medium des Protestes gegen die Herrschaft der Mullahs geworden: Es gibt mehr als 75.000 persische Weblogs, Internet-Tagebücher – mehr als in deutscher, italienischer oder spanischer Sprache. Mit den Blogs – der einzigen Möglichkeit, sich frei zu äußern – unterläuft eine junge Subkultur die Zensur.
Nasreen Alavi hat diese lebendige Szene in ihrem Buch eingefangen. Die jungen Web-Autoren sprechen mit viel Witz, Phantasie und Zorn über ihre Konflikte mit dem Gesetz, die Situation der Frauen, diskutieren über Repression und Widerstand, Religion und Medien, über Musik und Partys, erzählen von der Liebe und der Trauer über verschwundene Helden. Frappierend, wie vertraut den Bloggern der westliche, ja, der amerikanische Lebensstil ist. Das Regime reagiert mit Repression: Blogger werden regelmäßig verhaftet, gefoltert und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Doch die Netz-Community scheint nicht mehr zu stoppen zu sein. Ein militärischer Angriff durch die USA allerdings würde all dies wieder zerstören, da sind sich die Blogger einig.
Über die Autorin
Nasreen Alavi ist im Iran aufgewachsen, hat in London studiert und an britischen und nordamerikanischen Universitäten gelehrt. Sie gab ihre Manager-Karriere in London auf, um in Teheran für eine nichtstaatliche Initiative zu arbeiten.
Meine Meinung
Auf das Buch bin ich über den Blog (bzw. das Buch) von Salam Pax aufmerksam geworden, der an einer Stelle bedauert, dass sich im Irak nicht eine ähnliche Blogger-Szene entwickelt hat, wie im Iran (zum Vergleich, im Irak gab es zu dem Zeitpunkt wohl etwa 50 Blogger). Während die Iraker meist auf Englisch bloggen, bloggen die Iraner auf Farsi. Daher habe ich mich sehr gefreut, in meiner Bibliothek dieses Buch über die iranische Bloggerszene zu finden. Die iranische Regierung hat im Rahmen ihrer Bildungspolitik "Kostenlose Bildung für alle" im ganzen Land Universitäten gegründet und hat sich damit eine junge Generation herangezogen, die gut ausgebildet, aber aufgrund mangelnder Perspektiven und der vielen Einschränkungen hoch frustriert ist, und die das Internet nutzt, um sich an der staatlichen Zensur vorbei auszutauschen. Interessant fand ich, dass aber nicht nur die Generation U30 eifrig bloggt, sondern zum Beispiel auch der damals 82-jährige Großayatollah Montazeri sich während seines totalen Hausarrestes sozusagen der Bloggerszene anschloss, indem er Kommentare ins Internet stellte und Artikel auf seiner Homepage veröffentlichte, in denen er das Regime verurteilte.
Das Buch ist unterteilt in grobe Themengebiete wie Revolution, Krieg, Zensur, Frauenrechte, Medien und Nachrichtenverbreitung. In jedem Kapitel gibt es Hintergrundinformationen der Autorin zu dem entsprechenden Thema und dazu immer wieder Ausschnitte aus verschiedenen Blogs und auch verschiedene Fotos und Karrikaturen.
Es geht um Dinge des alltäglichen Lebens und Schwierigkeiten, mit denen die Blogger zu kämpfen haben, politische Ereignisse werden diskutiert, Verhaftungen, Kleidungs- und Verhaltensvorschriften, Wut und Ärger über die nicht-gewählten geistlichen Machthaber. Immer wieder diskutiert und bedauert wird auch die Außenwahrnehmung ("so als sei es eine ansteckende Krankheit, Muslim zu sein"). Es gibt, da die Regierung dies offiziell versäumt hat, Danksagungen an westliche Helfer, die auf ihr Weihnachtsfest verzichtet haben, um in der von Erdbeben zerstörten Stadt Bam nach Überlebenden zu suchen. Spezielle Danksagungen an Israel, das auch Helfer geschickt hat und Wut, darüber dass die iranische Regierung den Einsatz von Suchhunden abgelehnt hat, weil Hunde unrein sind und sie von unverschleierten Frauen geführt wurden. Es werden Hollywood-Filme gesprochen, die im Iran schon auf dem Schwarzmarkt zu haben sind, bevor sie bei uns erscheinen.
Insgesamt entstand bei mir der Eindruck einer intelligenten, mutigen und sehr kritischen Generation von Menschen, deren Werte nicht wirklich von meinen abweichen. Es war gut, die unterschiedlichen Blogeinträge zu lesen, denn auch wenn das Buch nicht mehr ganz aktuell ist (die neuesten Einträge stammen aus 2005), geben sie mir Hoffnung, dass die Menschen im Iran es hinbekommen werden, sich ihr Land zurückzuerobern, wenn sie nicht vorher plattgemacht zwangsdemokratisiert befreit werden.
Leider ist das Buch auf Deutsch vergriffen, aber auf Englisch ist es lieferbar.
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