• Auf unserer Schülerzeitungshomepage hab ich folgendes, wirklich schlimmes Gedicht gefunden:


    Ich ging zu einer Party, Mami
    und dachte an deine Worte.


    Du hattest mich gebeten,
    nichts zu trinken und
    so trank ich keinen Alkohol.


    Ich fühlte mich ganz stolz, Mami,
    genauso wie du es vorhergesagt hattest.


    Ich hatte vor dem Fahren nichts getrunken, Mami,
    auch wenn die anderen sich mokierten.


    Ich weiß, dass es richtig war, Mami
    und, dass du immer Recht hast.


    Die Party geht langsam zu Ende, Mami
    und alle fahren weg.


    Als ich in mein Auto stieg, Mami,
    wusste ich,
    dass ich heil nach Hause kommen würde:
    Auf Grund deiner Erziehung so
    verantwortungsvoll und fein.


    Ich fuhr langsam an, Mami
    und bog in die Straße ein.


    Aber der andere Fahrer sah mich nicht
    und sein Wagen traf mich mit voller Wucht.


    Als ich auf dem Bürgersteig lag,
    hörte ich den Polizisten sagen,
    der andere sei betrunken.


    Und nun bin ich diejenige
    die dafür büßen muss.


    Ich liege hier im Sterben, Mami,
    ach bitte komm doch schnell.


    Wie konnte mir das passieren?
    Mein Leben zerplatzt wie ein Luftballon.


    Ringsherum ist alles voll Blut, Mami,
    das meiste ist von mir.


    Ich höre den Arzt sagen, Mami,
    dass es keine Hilfe mehr für mich gibt.


    Ich wollte dir nur sagen, Mami,
    ich schwöre es Mami,
    ich habe wirklich nichts getrunken.


    Es waren die anderen, Mami,
    die haben einfach nicht nachgedacht.


    Er war wahrscheinlich
    auf der gleichen Party wie ich, Mami.


    Der einzige Unterschied ist nur:
    Er hat getrunken
    und ich werde sterben.


    Warum trinken die Menschen, Mami?
    Es kann das ganze Leben ruinieren.


    Ich hab jetzt starke Schmerzen,
    wie Messerstiche so scharf.


    Der Mann, der mich angefahren hat, Mami,
    läuft herum
    und ich liege hier im Sterben.


    Er guckt nur dumm.


    Sag' meinem Bruder,
    dass er nicht weinen soll, Mami.
    Und Papi soll tapfer sein.


    Und wenn ich dann im Himmel bin, Mami,
    schreibt "Papi's Mädchen"
    auf meinen Grabstein.


    Jemand hätte es ihm sagen sollen, Mami,
    nichts trinken und dann fahren.
    Wenn man ihm das gesagt hätte, Mami,
    würde ich noch leben.


    Mein Atem wird kürzer, Mami,
    ich habe große Angst.


    Bitte, weine nicht um mich, Mami.
    Du warst immer da,
    wenn ich dich brauchte.


    Ich habe nur noch eine letzte Frage, Mami,
    bevor ich von hier fortgehe:
    Ich habe nicht vor dem Fahren getrunken,
    warum bin ich diejenige, die sterben muss?


    :-(

  • Das Gedicht ist wirklich gut und natürlich traurig. Doch es trifft den Nagel irgendwie auf den Kopf. Die Fragen die sich aus dem Ende ergeben lauten eifnach bloß: Warum müssen Menschen sich so sinnlos betrinken?
    Hat es überhaupt einen Sinn dabei nicht mitzumachen, wenn man selebr der Leidtragende ist?

  • Mmh. Ich finde das Gedicht nicht gut, um ehrlich zu sein, und ich finde auch nicht, daß es "den Nagel auf den Kopf trifft". Die Botschaft lautet nämlich: Es nützt nichts, sich in Achtsamkeit zu üben, wenn das nicht alle tun. Oder, anders gesagt: Regeln funktionieren nur, wenn sich alle daran halten - sonst wird es immer Opfer geben. Eine reichlich weltfremde Forderung - und sie läßt den Umkehrschluß zu: Wenn sich sowieso nicht alle an die Regeln halten - warum soll ich es dann tun? Das aber ist der falsche Denkansatz, und gleichzeitig ein Blankoscheck für alles, denn es gibt fast keinen Lebensbereich, in dem alle achtsam miteinander umgehen.


    Die erzählte Geschichte scheint traurig - das Kind, das sich (augenscheinlich etwas widerwillig) in Enthaltsamkeit übt, wird das Opfer derjenigen, die sich nicht so verhalten haben. Wäre sie weniger traurig, wenn eines der Kinder zum Opfer geworden wäre, das getrunken hat? Kann ja nicht sein. Also lautet die Botschaft doch anders: Trinken ist schlecht, betrunken fahren noch schlechter. Irgendwie bringe ich das aber mit der Dramaturgie der Sache nicht zusammen. Letztlich scheint es - ich entschuldige mich vorsorglich, wenn jetzt gleich jemand sagt, daß das eine wahre Geschichte wäre, die die verstörte Mutter verfaßt hat - um Effekthascherei und Tränendrüsengedrücke zu gehen. Klingt vielleicht ein bißchen hart, aber hart und recht unsubtil ist das Gedicht ja auch.


    <duckt sich und ist weg>

  • Abgesehen davon, dass ich den Schreibstil auch nicht so richtig mag, ist das Gedicht meiner Meinung nach vor allem viel zu lang...


    Damit hätte ich aufgehört:


    "Aber der andere Fahrer sah mich nicht
    und sein Wagen traf mich mit voller Wucht. "


    Ich persönlich hätte dem Leser nicht verraten, dass der andere betrunken war... Diese Frage hätte er sich selber stellen sollen, auch wenn das Gedicht dadurch teilweise eine leicht andere Aussage bekommt... (eher in Richtung: "Auch wenn du alle Risiken außer Kraft setzen willst, bleibt ein Restrisiko)...

  • Es ist, davon abgesehen, inkonsistent und wechselt die Zeiten. Und dann gibt es z.B. diese Zeile:


    Es waren die anderen, Mami,
    die haben einfach nicht nachgedacht.


    Sie folgt dem, was in der Exposition erzählt wird:


    Ich ging zu einer Party, Mami
    und dachte an deine Worte.
    Du hattest mich gebeten,
    nichts zu trinken und
    so trank ich keinen Alkohol.
    Ich fühlte mich ganz stolz, Mami,
    genauso wie du es vorhergesagt hattest.


    Das Mädchen, die junge Frau - achtzehn muß sie ja mindestens gewesen sein - rügt die anderen dafür, daß sie "nicht nachgedacht" haben, repetiert aber in der Einleitung fast stoisch die Anrede "Mami", und zitiert besagte Mami mit ihren Ermahnungen, denen sie (das Mädchen) folgt. Nachgedacht hat sie offensichtlich selbst nicht, jedenfalls innerhalb des Gedichtes - sie hat nur das "Glück" gehabt, über die richtige Mami zu verfügen, der sie an den Lippen hing.


    Hört sich alles ein bißchen brutal an, weil es ja schließlich ein "trauriges" Gedicht ist, aber damit sowas wirklich funktioniert und seine Botschaft verbreiten kann, genügt es nicht, etwas vermeintlich Trauriges zu erzählen - man sollte den Leser auch nicht für dumm verkaufen. Das kindliche "Mami" in seiner häufigen Wiederholung soll die emotionale Wirkung verstärken, aber das gelingt imvho nicht.


    Insofern stimme ich der Überschrift der einleitenden Mail zu - schlimmes Gedicht.

  • Für mich ist das ständige Wiederholen von "Mami" schon fast eine Ironisierung des Mädchens, das damit als "naiv leichtgläubig" dargestellt wird - kann eigentlich ja nicht Ziel des Gedichts gewesen sein... :nono

  • Zitat

    Original von hinterwäldlerin
    Auf unserer Schülerzeitungshomepage hab ich folgendes, wirklich schlimmes Gedicht gefunden:


    Yep, ich find's auch schlimm. Der Text hat nichts, was mich auch nur im Entferntesten anspricht. Aber vielleicht sind Erwachsene auch einfach nur die falsche Zielgruppe, immerhin ist es eine Schülerzeitung. Was sagen denn die Schüler hier dazu?


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Phantasia
    Für mich ist das ständige Wiederholen von "Mami" schon fast eine Ironisierung des Mädchens, das damit als "naiv leichtgläubig" dargestellt wird - kann eigentlich ja nicht Ziel des Gedichts gewesen sein... :nono


    Nun ja, es gibt viele Berichte von schwerverwundeten Soldaten, die irgendwo sterbend im Dreck oder auch im Lazaret rufen und herzzerreißend nach ihrer Mami rufen.

  • Inhaltlich sicher, aber in der verniedlichten Form "Mami" und in dieser Frequenz würde es mich schon sehr wundern... Aber wenn du Beispiele hast, bin ich für alles offen... :write


    Außerdem wird das Wort "Mami" ja schon vor der Unfallsituation stoisch wiederholt...

  • Für mich fällt dieser Text eindeutig in die Gattung "Helden der Lyrik", Kategorie "Betroffenheitsdichtung": Gut gemeint -- voll daneben!
    Die Rollen von Gut (unschuldiges, sinnloses Opfer) und Böse (rücksichtslose Täter) sind klar verteilt. Leute, die eh schon der Meinung des Autors sind, drücken sich eine Träne aus dem Augenwinkel und nicken mit dem Kopf - die anderen lesen schon nach wenigen Zeilen nicht mehr weiter, so gefühlsduselig ist das!


    Aus genau diesen Gründen sind solche Texte auch jenseits jeder Kritik: Der Kritiker läuft sofort Gefahr, in die Ecke mit den "Bösen" geschoben zu werden.


    Und mal rein "dichtungstechnisch" gesehen: Was bitte soll an diesem Text poetisch sein?

  • Wenn man das ganze als Prosatext geschrieben hätte, wär's vielleicht noch in Ordnung, aber - ob nun Prosa oder Gedicht - der Teil mit
    Schreibt "Papi's Mädchen" auf den Grabstein
    hat mir echt den Rest gegeben. Da kommen mir auch die Tränen, aber vor Lachen. Da muss ich Iris völlig Recht geben, gefulsduseliger und offensichtlicher geht's ja schon nicht mehr.

  • Zitat

    Original von Delphin
    Es wird sogar in der Hoaxliste der TU Berlin als sogenannter Tränendrüsenkettenbrief erwähnt


    War da ein Hinweis drin, wohin man Geld für die Beerdigung spenden kann? :wow


    Zitat

    I went to a party, Mom


    Uh-oh ... jetzt fällt 's mir erst auf! Das Gedicht hat ja wirklich eine richtige Moral: Die Schuld des Mädchens ist, daß sie auf eine Party gegangen ist -- sie hat zwar nicht getrunken (und wohl auch keinen IGITTIGITT! Sex gehabt), aber sie hat die Versuchung gesucht -- schließlich gibt 's auf jeder Party Drinks und Jungs!
    Und echte Puritaner wie die Born-again Christians sagen doch, man dürfe sich nicht mal der Versuchung aussetzen!


    Tja, ist sie doch selbst schuld! Arme Mami! Armer Papi!


    <Sarkasmus off>

  • Also in unserer Schule ging der Text auch um.
    Jeder Schüler erhielt einen Zettel und in der Schülerzeitung stand er auch drin. Ich kenne den Text schon lang. Im Internet steht er auch oft.
    Vielleicht ist er nicht gut geschrieben, das mit dem ewigen <Mami> oder das mit <schreibt Papis Mädchen auf den Grabstein> hätte man vielleicht auch sein lassen können, aber Text soll ja für Schüler und junge Leute sein, damit die checken das man nicht betrunken Autofahren sollen.
    Deswegen ging der auch bei uns in der Schule um, damit wir Schüler kapieren, was alles passieren kann.
    Vielleicht ist es schlecht geschrieben und so weiter, aber ich finde den Text gut. Gut, in dem Sinne, das er irgendwie, beim ersten Mal schockt und zum Denken anregt. So wars jedenfalls bei mir und den anderen aus meiner Klasse.
    Eure Juli

  • Zitat

    Original von Juli
    Vielleicht ist es schlecht geschrieben und so weiter, aber ich finde den Text gut. Gut, in dem Sinne, das er irgendwie, beim ersten Mal schockt und zum Denken anregt. So wars jedenfalls bei mir und den anderen aus meiner Klasse.


    Meine Rede...die "großen" Eulen sind da wahrscheinlich einfach die falsche Zielgruppe.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood


    Meine Rede...die "großen" Eulen sind da wahrscheinlich einfach die falsche Zielgruppe.


    Ich wäre da vorsichtig. Ich bezweifle nicht, daß der Text auf irgendeine Weise Juli und Hinterweltlerin trifft. Zielgruppe sollten allerdings diejenigen sein, die erst zur Flasche und dann zum Steuer greifen -- aber meiner Erfahrung nach finden die ein derart schwülstiges Teil lächerlich. Die Reaktion ist nur ein verstärktes "Mir passiert nix!"


    Vor längerer Zeit lief mal ein Spot im Fernsehen, ein ziemlich rasantes Teil: Kids auf der nächtlichen Heimfahrt von der Disko, im Auto ist es laut und lustig, ein Bierflasche kreist, das Ganze wirkt wie ein fröhlicher MTV-Spot - doch innerhalb weniger Schrecksekunden kracht es, und alles fliegt auseinander. Dann Stille und ein paar kurze harte Bilder: ein Rad, das schleifend ausdreht, ein Fuß mit Turnschuh in einer Astgabel, ein blutiger Kopf auf dem Lenkrad. Dann schwarzer Bildschirm, und die Warnung wird eingeblendet.


    Der Spot wurde abgesetzt, weil Eltern ihn für zu brutal hielten. Naja, Unfälle sind ja auch nicht brutal, gell? :pille