Nicol Ljubic - Meeresstille

  • Inhalt:
    Morgens, wenn er aufwachte, lag er jedes Mal mit dem Kopf auf ihrem Kissen. Kann die Liebe zweier junger Menschen eine Brücke bauen über Schuld und Trauma nach dem Balkankrieg?
    Robert liebt Ana, und Ana liebt Robert. Doch etwas gerät zwischen sie, worüber Ana nicht sprechen kann. Etwas ist vorgefallen, damals, im Jugoslawien-Krieg, als sie noch ein Mädchen war. Eine ungeklärte Schuld ihres Vaters, die sie, weit weg von ihrer Heimat, bis nach Berlin verfolgt.
    Der serbische Kriegsverbrecher Zlatko Šimi? steht in Den Haag vor Gericht. Im Zuschauerraum sitzt Robert und versucht, sich ein Bild von dem Mann zu machen, über den Ana so liebevoll erzählt hat. Wie konnte dieser Mann schuldig werden an einem teuflischen Verbrechen, bei dem 42 Menschen qualvoll verbrannten, ausgerechnet er, der Professor für Anglistik war und ein hochgebildeter und angesehener Shakespeare-Liebhaber? In Deutschland geboren, hat sich Robert für seine kroatische Abstammung nie interessiert, bis er eines Tages Ana begegnet, einer serbischen Studentin. Die Liebe zu ihr führt ihn in die Vergangenheit seiner Familie und die eines ganzen Volkes.(Quelle: Hoffmann und Campe Verlag)


    Der Autor:
    Nicol Ljubi 1971 in Zagreb geboren, ist als Sohn eines Flugzeugtechnikers in Schweden, Griechenland, Russland und Deutschland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften und arbeitet als freier Journalist und Autor. Er lebt in Berlin. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Theodor-Wolff-Preis. Meeresstille ist sein zweiter Roman. Für die Recherche wurde der Autor von der Robert Bosch Stiftung mit einem »Grenzgänger« Stipendium gefördert.(Quelle: Hoffmann und Campe Verlag)



    Meine Meinung:
    Robert ist nach Den Haag gefahren, um den Mann kennenzulernen, von dem Ana so liebevoll erzählt hat. Ana ist Serbin und Tochter des als Kriegsverbrecher angeklagten Zlatko Simic, der ein angesehener Professor und Shakespeare-Liebhaber ist.
    Robert hat Ana in Berlin kennengelernt und sich in sie verliebt. Sie stammt aus Visegrad, welches im Osten von Bosnien-Herzegowina liegt. Im Krieg wurden dort Freunde zu Feinden, Nachbarn zu Gegner und viele Muslime wurden umgebracht.
    Auch Robert hat verwandtschaftliche Verbindungen nach Kroatien, sein Vater ist gebürtig aus Kroation und ist nach Deutschland ausgewandert. Robert selbst hat sich nie für seine Vorfahren interessiert, hat auch nie die kroatische Sprache gelernt.
    Während Robert alles von Ana wissen will, will sie ihm aber nicht alles erzählen, mag über einen Punkt nicht reden.
    Der Roman hat zwei Erzählebenen: die Liebesgeschichte und der Prozess in Den Haag, die sich abwechseln.Er beginnt mit einem Prolog und einem Epilog: im Prolog wird die historische Situation erklärt, in der der Angeklagte seine Tat begangen haben soll. Im Epilog wird das Urteil gesprochen.


    Der ruhig daherkommende, subtil erzählte Roman wirft einige Fragen auf:
    Wie ist es, wenn der eigene Vater eines Kriegsverbrechens angeklagt ist? Kann man einen solchen Menschen noch lieben?
    Wie wichtig ist die Herkunft von einem selbst und was bedeutet es?
    - um nur ein paar Fragen zu nennen.
    Die Thematik des Buches behandelt Fragen, die einen auch nach Beenden des Romanes beschäftigen können.


    Der Roman stand auf der longlist des Deutschen Buchpreises 2010.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Herzlichen Dank für diese Buchvorstellung. Das hört sich sehr interessant an. Ich habe mir den Titel mal notiert. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Dann hoffe ich, dass der Roman euch auch so gut gefallen wird.


    Eine Stelle, die mir gut gefallen hat:


    Ljubic zitiert in seinem Roman eine Passage von Ivo Andric - Die Brücke über die Drina
    "Wie sollte man jenes Wogen in den Menschen beschreiben, das von stummer, tierischer Angst bis zu selbstmörderischer Begeisterung, von den niedrigsten Trieben der Blutgier und des hinterhältigen Raubes bis zu den höchsten Taten des Märtyrertums reichte, in denen der Mensch über sich selbst hinauswuchs und für einen Augenblick die Sphären höherer Welten berührte, in denen andere Gesetze galten? Niemals wird das ausgedrückt werden können, denn wer es anschaute und überlebte, der verstummt für immer, und die Toten können ohnehin nicht sprechen. Das sind Dinge, die man nicht ausspricht, sondern vergisst. Denn vergäße man sie nicht, wie könnten sie sich dann wiederholen?" (S. 186, "Meeresstille")


    Diese Passage fand ich ganz interessant und nachdenklich stimmend.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Titel: Meeresstille
    Autor: Nicol Ljubic
    Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
    Erschienen als TB: Juli 2012
    Seitenzahl: 192
    ISBN-10: 3423141301
    ISBN-13: 978-3423141307
    Preis: 9.90 EUR


    Zlatko Simic ist ein angesehener Anglistik-Professor und ausgewiesener Shakespeare-Experte. Nun steht der Serbe aber vor dem Internationalen Strafgerichtshof vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen 42 Menschen ermordet zu haben – weil sie Muslime waren.


    Und dann ist da Robert, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer deutschen Universität mit kroatischen Wurzeln, die ihm aber immer völlig gleichgültig waren. Für Kroatien und alles Kroatische hat er sich nie interessiert. Und dann trifft er auf Ana. Erst sehr spät erfährt er, dass Ana die Tochter des angeklagten Zlatko Simic ist.


    Und plötzlich steht eine Wand zwischen den beiden jungen Menschen. Robert geht als Zuhörer nach Den Haag, er will endlich verstehen. Aber wird er auch verstehen?


    Nicol Ljubic hat ein eindringliches Buch geschrieben, dabei ist aber nie mit dem Holzhammer unterwegs. Ruhig, fast leise möcht man sagen, beobachtet er, schreibt vorsichtig und einfühlsam und stellt immer wieder die Fragen: Was ist Schuld? Ist Schuld übertragbar? Werden auch die Kinder an den Taten ihrer Eltern schuldig?
    Ljubic liefert aber keine Antworten, die muss sich jeder selbst geben – er liefert Denkanstösse. Immer wieder wird deutlich das nicht so einfach ist wie es von Außen den Anschein hat.


    Ljubic macht auch deutlich, dass das ehemalige Jugoslawien weiterhin in sich tief zerrissen ist und das dort keine Normalität herrscht und es eben auch fraglich ist, ob es jemals wieder so etwas gibt wie Normalität. Zu tief sind die Wunden, zu brutal die sich gegenseitig zugefügten Verbrechen. Nichts ist vernarbt, nur zugedeckt mit einer sehr dünnen Plane des Schweigens – ein Schweigen das jederzeit wieder stimmgewaltig gebrochen werden kann.


    Ein sehr lesenswertes Buch. 8 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.