Ein Hund mit Charakter - Sandor Marai

  • Literarische Weltreise: Ungarn


    Eigentlich habe ich dieses Buch ja meinem Töchterchen zu Weihnachten geschenkt. Und eigentlich mag ich ja auch gar keine Hundebücher, besonders solche nicht aus dem Ungarn der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts.
    Aber da lag dieses Buch nun mal rum, ich fing an und konnte gar nicht mehr aufhören. Was womöglich daran liegen mag, dass trotz der Warnung im Vorwort: „Achtung, werter Leser, hier folgt eine Hundegeschichte“, dieses Buch viel mehr als eine Hundegeschichte ist.


    Der Roman erzählt die Geschichte von Tschutora, einem „reinrassigen“ Puli zweifelhafter Herkunft, den der Herr, ein Journalist mit Prokrastinationsproblem, in einem Anfall geistiger Umnachtung seiner Herzensdame zu Weihnachten schenkt. Das bringt zwar den Tagesablauf des Herrn, der auf eiserner Disziplin beruht (aufstehen, rauchen, nachdenken, essen, nachdenken, auf den letzten Drücker den Artikel für die Zeitung abgeben...) etwas durcheinander, bringt der Familie aber auch ungekannte Freuden. Denn zunächst beginnt alles ganz prima: der gesamte Haushalt ist ob dieses kleinen Fellknäuels hingerissen, der Herr, eigentlich ein Schriftsteller, der sich zur wichtigeren, ernsthafteren Themen, etwa der Misere der Menschheit, berufen fühlt, geht nun täglich mit diesem Köter spazieren, sieht mit Schrecken, dass seine Gedanken tatsächlich um den Seelenzustand dieser niederen Kreatur kreisen und ist rechtschaffen empört, wenn Passanten (und insgeheim ist es ihm selbst auch schon dieser schreckliche Verdacht gekommen) an der einwandfreien dynastischen Herkunft dieser Töle zweifeln. So ist das nun mal, wenn die Krone der Schöpfung sich in die Niederungen der Hundehaltung begibt.
    Doch irgendwann dreht sich der Wind und es entwickelt sich eine Tragödie griechischen Ausmaßes...


    Wer hier eine locker-flockige Tiergeschichte erwartet, sei vorgewarnt. Es handelt sich zwar über weite Strecken um einen sehr amüsanten, wunderbar beobachteten Hunderoman oder vielmehr Hundehalterroman, doch steckt viel mehr dahinter, eine Parabel auf moderne Zeiten, menschliches Verhalten und tragische Irrtümer. Denn am Ende herrscht alles andere als Friede, Freude, Eierkuchen,sondern zeigt sich, dass das Leben in einer wie auch immer gearteten Beziehung furchtbar kompliziert sein kann.


    Die Sprache ist wunderbar verschwurbelt altmodisch, aber präzise und die Beobachtungen zu Hunden und Menschen teilweise brillant. Ich habe dieses Buch jedenfalls sehr gerne gelesen, denke aber, dass, wie auch die Rezensionen bei amazon zeigen, so mancher Tierfreund erschüttert sein wird. Aber: es handelt sich hier eben nicht um eine Tierrschutzgazette, sondern um Literatur. Das ist das Feine daran!

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • "Ein Hund mit Charakter" liegt mir noch in den Ohren: ich hatte es als Hörbuch bei uns im Regal entdeckt und damit das letzte Jahr abgeschlossen (gelesen von Charles Brauer, der das sehr souverän macht).


    Mir gefällt Marais Stil, aber ich habe auch schon Bücher von ihm gelesen.
    Hier zeichnet er jedenfalls sehr schön das Gesellschaftsverhalten der damaligen Zeit nach (oder eher gesagt: zeitgenössisch).


    @Buzz Für den Einstieg kann ich dir guten Gewissens "Die Glut" empfehlen.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • @buzz
    "Die Glut" würde ich Dir auch empfehlen. Habe vor ein paar Monaten "Befreiung" von Maraí gelesen und es hat mir noch besser als "Die Glut" gefallen. :wave