Kokoschkins Reise - Hans Joachim Schädlich

  • Verlag: Rowohlt; 2010
    Gebundene Ausgabe: 192 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Fjodor Kokoschkin, rüstiger Mittneunziger, emeritierter Professor, Biologe, Spezialität Gräser und Halme, an Bord der Queen Mary 2 auf der Überfahrt von Southampton nach New York: jeder Tag auf See ein kleines Kapitel - Tischgespräche, die Speisekarte, die Abendunterhaltung von Hut-Parade bis Karaoke-Bar, ein diskreter Flirt. Kokoschkin kehrt von seiner Reise in seine Vergangenheit zurück: nach St. Petersburg, wo die Bolschewiken 1918 seinen Vater ermordeten. Von dort damals Flucht über Odessa nach Berlin. In Templin erhält Fjodor eine Freistelle im Internat, findet Arbeit und die Freundin Aline im Botanischen Garten Berlin. Studium. Als die Nazis sich breitmachen, erneute Flucht, nach Prag diesmal, durch Vermittlung der amerikanischen Botschaft ein Stipendium in den USA. Die russischen Schriftsteller Bunin, Chodassewitsch und die Berberova sind wichtig in seinem und seiner Mutter Leben ... Kokoschkins wechselvolles Schicksal ruft lebhaft die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Verfolgungen, Schicksalen und Emigrationen wach.


    Über den Autor
    Geboren am 08.10.1935 in Reichenbach (Vogtland), studierte Hans Joachim Schädlich Gemanistik in Berlin und Leipzig und promovierte mit einer Arbeit über "Die Phonologie des Ostvogtländischen" (1966). Von 1959 bis 1976 war er an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften tätig, anschließend als freier Übersetzer. In der DDR nicht veröffentlicht und als Unterzeichner der Biermann-Resolution attackiert, konnte Schädlich im Dezember 1977 ausreisen. 1988 Literaturpreis für Kurzprosa, Hamburg, Thomas-Dehler-Preis 1989, 1992 Johannes-Bobrowski-Medaille Berlin und Heinrich-Böll-Preis Köln. 1988 Brüder-Grimm-Gastprofessur an der GHS Kassel. Mitglied der Dt. Akademie für Sprache und Dichtkunst.


    Meine Meinung:
    Dieser relativ kurze Roman bietet viel Handlung in komprimierter Form, es liest sich jedoch durch den gewählten Erzählstil leicht und angenehm.


    Es gibt mehrere Handlungsstränge. Einmal die Reise des 95jährigen Fjodor Kokoschkins zurück an die Orte seiner Kindheit, St.Petersburg und Berlin. Begleitet wird er von einem Freund, dem er seine Erinnerungen erzählt, der wiederum auch kommentiert. Das ist geschickt vom Autor konstruiert. So braucht Schädlich nicht allzu viel Zeitgeschehen erzählen, die Stichworte reichen aus, beim Leser die bekannten Ereignisse wachzurufen. Eine besondere Zugabe für Literaturliebhaber sind die Treffen des jungen Kokoschkin und seiner Mutter mit dem Dichter Iwan Bunin.


    Abwechselnd zu dieser Reise gibt es die Rückreise von Southhampton nach New York auf einem Luxusliner. Hier kommt es zu interessanten Gesprächen und Meinungsaustausch über zeitgenössische Themen zwischen den Passagieren.
    Kokoschkin freundet sich an Bord mit der jungen Olga Noborra an. Der Protagonist ist ein charmanter Mann, der den Roman tragen kann. Deswegen machen viele Szenen einfach Spaß, wenn er zum Beispiel Olga in der Karaokebar ein „bei mir bist du scheen“ singt.


    Es gibt dann zusätzlich noch einige Passagen 1968 in Prag!


    Durch diese Konstellation entsteht ein komplexes Gesamtbild mit Vergangenheit und Gegenwart!


    Das bisherige Werk von Hans Joachim Schädlich interessierte mich nicht so stark, aber Kokoschkins Reise überzeugte mich sofort. Der Roman ist so angenehm zu lesen, unverkrampft, dennoch genau und keineswegs harmlos. Für mich gehört er zu den Besten des Jahres!